Entstehungskontext und Inhalte der ukrainischen Gesundheitsreform von 2017

Von Tetiana Stepurko (Kiew)

Zusammenfassung
Die Nach-Maidan-Ukraine erlebt die Reform verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, darunter auch die des Gesundheitswesens, die auf den Druck der Zivilgesellschaft und internationaler Organisationen auf die Regierung zurückzugehen scheint. Dieser Artikel schildert ihren Entstehungskontext und analysiert ihre Inhalte. Der Schwerpunkt der Gesundheitsreform bezieht sich auf Veränderungen der Finanzierung zum Schutz vor finanziellen Risiken in Form von Mehrausgaben. Dazu werden Dienstleistungen im Gesund- heitsbereich nicht mehr direkt aus dem Staatshaushalt finanziert, sondern zu pauschalen Preisen an kon- krete Dienstleister vergeben. Die Vergabe wird durch die Nationale Gesundheitsagentur erfolgen, die 2018 geschaffen werden soll. Für eine effizientere Nutzung der begrenzten vorhandenen Ressourcen sind außerdem die Einführung elektronischer Gesundheitsvorsorge und eine Verbesserung der medizinischen Grundversor- gung nötig. Die Haupterrungenschaften des Jahres 2017 sind zwei verabschiedete Gesetzentwürfe – einer zur Reform der Finanzierung des Gesundheitswesens und das im Frühjahr 2017 eingeführte Vergütungs- programm »Bezahlbare Arzneimittel«.

Einleitung

Obwohl die Regierung in der Nach-Maidan-Situation unter dem Druck der Öffentlichkeit und internationaler Organisationen steht, die substantielle Reformen verlangen, wurde nicht viel getan. Vor allem einige Sektoren haben Veränderungen erlebt, darunter die Polizei, der öffentliche Dienst und die Rente, wobei die Auswirkungen dieser Reformen noch nicht deutlich sind. Die Gesundheitsreform gehört zu den vom ukrainischen Volk am stärksten herbeigewünschten Reformen und nach dem letzten Regierungswechsel im April 2016 bekam sie hohe Priorität. Angesichts der Kurzlebigkeit ukrainischer Regierungen und der starken Notwendigkeit von positiven Veränderungen sowie von an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichteten Reformen gibt es langfristige Ziele, wie den Schutz vor finanziellen Risiken – dazu gehört die Entwicklung eines Grundpakets, der Übergang von einer einnahmebasierten Finanzierung zu einem leistungsbezogenen Modell und anderes. Zudem hat die Regierung schon 2017 neue Programme für die Nutzer des Gesundheitswesens zur Verfügung gestellt, zum Beispiel das Vergütungsprogramm »Bezahlbare Arzneimittel«.

Der Status quo des Gesundheitswesens und Reformversuche vor dem Euromaidan

Grundsätzlich soll die Gesundheitsvorsorge auf einer in Artikel 49 der ukrainischen Verfassung festgeschriebenen Norm beruhen, die sich auf »die Bereitstellung einer kostenfreien Versorgung« bezieht. Das entspricht der Praxis aber nicht – die Hälfte der Gesundheitsausgaben kommen aus privaten Quellen, hauptsächlich in Form inoffizieller »out of pocket«-Zahlungen (s. Grafik 5 auf S. 7). Die finanzielle Belastung des Haushalts im Krankheitsfall ist hoch und die Familien begegnen dieser Belastung aufgrund eines niedrigen Informationsgrades und aufgrund von wenig Vertrauen in die staatlichen Gesundheitsdienstleistungen mit verschiedenen Strategien. Diese individuellen Bewältigungsstrategien entsprechen der weit verbreiteten Korruption im Land – das Gesundheitswesen ist dabei von vielfältigen Formen von Korruption, Bestechung und informellen Zahlungen betroffen (s. Ukraine-Analysen 170).

Die größte Herausforderung für das ukrainische Gesundheitssystem ist das hybride epidemiologische Profil des Landes: Die meisten Menschen sterben an nichtübertragbaren Krankheiten; die Infektionskrankheiten werden jedoch immer noch nicht gut behandelt. Das Impfniveau bei Kindern geht für Krankheiten, denen durch Impfung vorgebeugt werden kann, seit 2000 zurück: So ist etwa das Immunisierungsniveau gegen Masern laut Weltbank zwischen 2000 und 2014 von 99 auf 56 Prozent gefallen. Mit dem Ausbruch von Polio ist eine Bedrohung des gesamten nationalen Sicherheitssystems eingetreten. Experten nennen die mangelhafte Versorgung mit Impfstoffen, das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber der Immunisierung und das hohe Maß an Korruption als Gründe für die niedrige Immunisierungsrate in der Ukraine. Die wichtigsten Gründe für Todesfälle und Erkrankungen sind nichtübertragbare Krankheiten, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, die Menschen in einem relativ jungen Alter treffen – mit beträchtlichen Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsproduktivität des Landes.

Allgemein lässt sich sagen, dass eine nachhaltige Entwicklung im politischen Feld der Ukraine und besonders im Gesundheitssystem fehlt. Die Gesundheitsminister haben recht häufig gewechselt, beispielsweise nach dem Euromaidan. Seit dem Frühjahr 2014 hatte die Ukraine zwei Gesundheitsminister und zwei Übergangs»teams«, seit einem Jahr ist nun Ulana Suprun amtierende Gesundheitsministerin. Die meisten Minister (vor allem in der Vor-Maidan-Zeit) haben der Regierung zwar Reformideen unterbreitet, hatten dann jedoch weder genügend Bereitschaft noch ausreichend Zeit und Kapazitäten, um eine Reform gründlich auszuarbeiten und umzusetzen.

Seit dem Jahr 2000 wird die Gesundheitsreform häufig als Abschaffung des steuerbasierten Systems der sozialen Gesundheitsfürsorge betrachtet. Das kam vielleicht durch die Vorbilder relativ erfolgreicher Wechsel in anderen postkommunistischen und postsowjetischen Staaten zustande, zum Beispiel in Polen, Bulgarien, Litauen und anderen baltischen Ländern. Gleichzeitig betonten aber auch internationale Organisationen die Bedeutung eines solchen Wechsels. Aufgrund der Abwesenheit sowohl von politischer Unterstützung als auch einer starken technischen Entwicklung der Reform hat eine soziale Gesundheitsfürsorge in der Ukraine nie die Chance auf Einführung gehabt.

Gleichzeitig fand der letzte und sehr gut angesehene Umbau des Gesundheitssystems – in der Ukraine unter dem Namen »Reform von 2011« bekannt – unter der Administration von Janukowitsch statt. Dabei wurden drei Regionen ausgewählt, Wynnyzja, Dnjepr, die Donezk-Oblaste und die Stadt Kiew, in denen der Zugang zur medizinischen Grundversorgung, zur Notfallversorgung und zu anderen medizinischen Bereichen sowie deren Qualität verbessert werden sollten. Es gab kein adäquates Monitoring des Prozesses und keine angemessene Auswertung der Reform. Anekdotenhafte Anhaltspunkte weisen jedoch darauf hin, dass die Reform zu keinem positiven Ergebnis für die Gesundheit und auch nicht zu einem gewandelten Verhalten in den Regionen geführt hat. Wir gehen davon aus, dass mangelhafte Durchführungskapazitäten dazu beigetragen haben, dass es nicht zu einer Transformation des Sektors gekommen ist.

Der Beginn einer ukrainischen Gesundheitsreform: ihr Entstehungszusammenhang

Nach dem Euromaidan, also seit Anfang 2014, wurden Verbesserungen im Gesundheitsbereich, wie eine Gesundheitsreform, die Bekämpfung der Korruption in diesem Sektor und ein effizienteres Gesundheitsversorgungssystem, von Aktivisten wie auch von der Öffentlichkeit besonders stark gefordert. Ein Grund dieser Priorisierung der Gesundheitsreform innerhalb der allgemeinen Reformagenda ist möglicherweise, dass öffentliche Krankenhäuser und Ambulanzen nicht in der Lage waren, die Verwundeten des Maidan schnell und sicher zu versorgen. Daher entstanden eine Menge Graswurzelinitiativen: Die Aktivisten realisierten, dass sie in der Lage waren, selbst eine medizinische Versorgung auf dem Maidan zu organisieren, und sie waren bereit, diese Organisation in einem breiteren Umfeld fortzuführen.

Die ersten Schritte in Richtung Gesundheitsreform fanden vielleicht im Frühjahr/Sommer 2017 statt, als Reaktion auf die nicht vorhandene Kontinuität und Kohärenz der nationalen Gesundheitspolitik. Damals wurde die Strategic Advisory Group (SAG) zur Gesundheitsreform in der Ukraine gegründet, die eine Strategie für eine Nationale Gesundheitsreform für die Ukraine entwickeln sollte. Unter ihren Mitgliedern waren führende nationale und internationale Experten, etwa Robert Yates, Antonio Duran und Alexander Kwitaschwili, der damalige georgische Gesundheitsminister, der im Dezember 2014 der zweite Nach-Maidan-Gesundheitsminister wurde. Dies fiel zufällig mit der Präsentation der Strategie für eine nachhaltige Entwicklung von 2015 bis 2020 zusammen, die auch die Grundzüge der geplanten Gesundheitsreform umriss: Veränderungen in der Finanzierungsstruktur, der Schutz der Menschen vor finanziellen Risiken bei einer Inanspruchnahme der Gesundheitsvorsorge, die Verbesserung der medizinischen Grundversorgung, einen Fahrplan für die öffentliche Gesundheit etc. Last but not least war die Vorstellung der SAG der Unterstützung durch die internationalen Organisationen zu verdanken, die ziemlich einflussreiche Akteure im ukrainischen Gesundheitssystem sind.

Die Rolle der internationalen Organisationen ist in der Ukraine für den Wechsel vom alten sowjetisch geprägten Gesundheitssystem hin zu einem auf modernen Prinzipien beruhenden, das seine Ziele erreicht – eine bessere Gesundheit der Menschen und die Vermeidung finanzieller Risiken im Krankheitsfall –, in der Tat sehr wichtig. USAID, die Weltbank, Unicef, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, die WHO, die Regierung der Schweiz und Deutschlands und viele weitere Parteien sind in das ukrainische Gesundheitssystem und in die Verbesserung von einzelnen seiner Bereiche involviert.

Die zweite wichtige Veränderung – die in der SAG-Strategie festgelegt ist und die Bedeutung der internationalen Beteiligung zeigt – fand 2015 statt und hatte eine transparentere und zuverlässigere Beschaffung von pharmazeutischen Produkten zum Ziel. Diese Initiative läuft in der Ukraine noch immer – noch im Jahr 2017 hat das Gesundheitsministerium Verträge mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen und der britischen Beschaffungsagentur Crown Agents zur Beschaffung von Medikamenten im Rahmen des Haushalts von 2017 geschlossen. Ulana Suprun, seit Sommer 2016 amtierende Gesundheitsministerin, betonte: »In einigen Programmen des Haushalts von 2016 ist es uns gelungen, Einsparungen von fast 60 Prozent zu erreichen. Dadurch können mehr Patienten die nötige Behandlung erfahren und Leben gerettet werden.« Bemühungen, ein Zentrales Beschaffungsbüro ins Leben zu rufen, wurden jedoch eingestellt. Trotz der mächtigen Pharmalobby in der Ukraine und den vielfältigen Schwierigkeiten bei der Einführung neuer Verfahren und trotz Verzögerungen bei der Versorgung der Krankenhäuser mit Medikamenten hat die Ukraine mit starker Unterstützung der internationalen Organisationen die Hauptquelle der Korruption auf der Ebene des Gesundheitsministeriums stillgelegt. Das ist ein Beispiel für den Erfolg der neu etablierten erfolgreichen Zusammenarbeit der ukrainischen Regierung mit ukrainischen Nichtregierungs- und internationalen Organisationen.

Der Motor der jüngsten systemischen Veränderungen liegt im Gesundheitsministerium – auch wenn die Unterstützung von Ministerpräsident, Parlament und internationalen Organisationen ebenfalls wichtig ist. Bei der Umsetzung der Reform sind nicht nur Institutionen, sondern auch Persönlichkeiten von Bedeutung und momentan scheint eine gute Kombination aus persönlichem Wissen und persönlichen Fähigkeiten und Werten sowie institutionellen Notwendigkeiten vorhanden zu sein. In diesem Zusammenhang ist die Rolle von Ulana Suprun zu unterstreichen. Das ukrainische Gesundheitssystem und seine Kultur sind ihr neu (Dr. Suprun wurde in den USA geboren, wo sie bis 2013 lebte und arbeitete und sich aktiv an der ukrainischen Diasporagemeinde beteiligte) – dennoch hat sie die führende Rolle beim Umbau des ukrainischen Gesundheitssystems inne, dessen sowjetische Prägung einem moderneren und an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtetem System weichen soll.

Die Reform von 2017: Inhalte

Die Reform von 2017 kann hinsichtlich ihrer kurzfristigen Erfolge oder hinsichtlich ihrer langfristigen Ziele betrachtet werden. Ein kurzfristiger Erfolg von Dr. Supruns Team ist das Anlaufen des Medikamentenbeschaffungsprogramms »Bezahlbare Arzneimittel« im April 2017. Im ersten Jahr wurde es für drei Krankheitsgruppen eingeführt (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ II und Asthma), eine Erweiterung der Liste der Bedingungen wie der erstattungsfähigen Medikamente ist geplant (zum Beispiel um Antidepressiva, Erkrankungen des Verdauungstrakts und eine Mutter-Kind-Versorgung). Die Nutzer des Gesundheitssystems erhalten die Arzneimittel nun umsonst oder bekommen einen Teil der Kosten in der Apotheke erstattet – wenn sie ein ärztliches Rezept haben. Im »Health index. Ukraine – 2017« bewertet die Mehrheit seiner Nutzer das Programm positiv (74 Prozent).

In Bezug auf die langfristige Perspektive und die Umsetzung der Gesundheitsreform scheint ein Finanzkonzept im Moment am dringlichsten zu sein. Ein Fundament für die Finanzierung der Reform existiert bereits in Form eines Gesetzes, dem das Parlament am 19. Oktober 2017 zugestimmt hat (Gesetzentwurf 6327 »Staatliche Garantien für die Bereitstellung von Medizinischen Diensten und Medikamenten«). Noch eingeführt werden müssen neue Richtlinien zur Funktionsweise von Gesundheitseinrichtungen: zu deren Autonomie, zu ihrer Umwandlung von staatlichen in Nonprofitorganisationen (die das Gesetz 2002-VIII vorschreibt) sowie zur Beteiligung der Kommunen an Entscheidungsprozessen. Weitere Unterkategorien der Gesundheitsreform sind (a) die Schaffung einer Nationalen Gesundheitsagentur; (b) die Entwicklung eines Grundpakets von Leistungen; und (c) die Einführung von Tarifen für Gesundheitsleistungen und von Gebühren zur Finanzierung der Krankenhäuser und die Abschaffung von Einzelposten für konkrete Organisationseinheiten im Staatshaushalt und (d) die Garantie, dass ein Vertrag mit jedem beliebigen Hausarzt geschlossen werden kann, unabhängig vom Ort, an dem dieser offiziell registriert ist. Elektronische Gesundheitsvorsorge und die Verbesserung der medizinischen Grundversorgung sind weitere wichtige Bestandteile der komplexen Reform und gleichzeitig entscheidende Voraussetzungen für die Umsetzung des Umbaus der Finanzierungsstruktur für Dienstleistungen. Die meisten dieser Veränderungen reichen in die Zeit vor der aktuellen Regierung zurück.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass das Einnahmemodell das gleiche bleibt (über allgemeine Steuern) und dass die Einführung einer sozialen Krankenversicherung aufgrund des großen informellen Sektors und der hohen steuerlichen Belastung, die sie für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedeuten würde, als nicht mehr relevant für das Land erachtet wird. Aus verschiedenen Gründen stellt die Regierung die Reform dennoch als Wechsel hin zu einer Versicherung vor: die Öffentlichkeit und Fachleute für die öffentliche Gesundheit erwarten ein Versicherungssystem, vielleicht weil sie dessen positive Effekte in den Nachbarländern sehen, wo vor zwei Jahrzehnten eine soziale Krankenversicherung errichtet wurde. Der Mehrheit der Bevölkerung sind die Unterschiede zwischen steuer- und beitragsbasierten Systemen jedoch nicht bewusst – der Hauptunterschied liegt in der Einnahmestruktur: Im steuerbasierten Fall werden die Einnahmen durch allgemeine Steuern (die alle Verbraucher zahlen) generiert. Die Leistungen stehen dann der gesamten Bevölkerung als öffentliches Gut »umsonst« zur Verfügung. Im Versicherungsmodell werden Leistungen als Gegenleistung zu Sozialbeiträgen oder Prämienzahlungen gewährt, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen. Gleichzeitig plant der Staat die Menschen nach der Gesundheitsreform genauso gegen finanzielle Risiken abzusichern, wie dies durch einige der finanziellen Prinzipien der Versicherungssysteme gewährleistet ist (zum Beispiel Gebühren für Leistungen). »Krankenversicherung« ist daher ein Begriff, der im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform vielfach verwendet wird.

Neben Gesetzentwurf 6327 gibt es noch andere für den Umbau des Finanzierungssystems im Gesundheitsbereich entscheidende Gesetzentwürfe. Die größte Herausforderung ist jedoch die instabile politische Situation und die 2019 stattfindenden Wahlen (aufgrund derer die Politiker unpopuläre Entscheidungen im Jahr 2018 wohl vermeiden werden). Und es gibt tatsächlich eine Reihe von Gegnern des Umbaus des Systems, darunter Pharmaunternehmen und private (medizinische) Unternehmensgruppen genauso wie die derzeitige medizinische Elite und die Fachleute im Gesundheitssystem. Letztere sind die für die Umsetzung der Reform entscheidende Gruppe und beeinflussen darüber hinaus die Meinungen anderer Gruppen, etwa der Patienten. Die Angestellten im Gesundheitssystem haben diverse Schwierigkeiten erlebt, etwa niedrige Löhne, informelle Überlebenspraktiken, fehlende Karrieremöglichkeiten und mangelnde Transparenz – sie lehnen einen Wandel jedoch per se ab und befürchten außerdem, sich in einer noch schlechteren Situation wiederzufinden. Laut dem »Health index. Ukraine – 2017« hält jedoch die Mehrheit der Ukrainer eine Reform für notwendig (93 Prozent 2016 und 84 Prozent 2017), wobei ein deutlich kleinerer Teil der Meinung ist, dass eine Reform stattfindet (etwa 20 Prozent).

Abschließende Bemerkungen

Die bislang passive Position des ukrainischen Gesundheitssektors, die sich als »Keine Aktion, keine Veränderungen, keine Fehler« zusammenfassen lässt, scheint sich zu ändern und eine Phase des Wandels scheint zu beginnen. Niemand weiß, wieviel Zeit die Ukraine brauchen wird, bis diese Reform des Systems positive Ergebnisse zeitigen wird, denn das Gesundheitswesen ist komplex und das Land hat keine Erfahrung mit der Umsetzung einer Gesundheitsreform.

Die meisten Regionen haben, anders als Polen oder Ungarn, keine Erinnerung mehr an ein Vor-Semaschko-System. Dadurch entstehen weitere Herausforderungen im Bereich der technischen Kapazitäten und einer positiv eingestellten Umgebung für den Wandel. Dem Gesundheitssystem fehlten über mehrere Jahrzehnte eine angemessene ethische Einstellung und Integrität; der Wechsel von den alten Werten hin zu Werten wie Effizienz und Transparenz ist womöglich die »Reform«, die schwieriger zu schaffen ist. In der Post-Maidan-Gesellschaft – in der eine reifere Zivilgesellschaft begonnen hat, ihre Wächterrolle zu übernehmen – scheint ein solcher Wandel jedoch machbarer als noch vor einigen Jahren.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

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