Einleitung
Dieses Frühjahr geht der Krieg in der Ostukraine in sein fünftes Jahr, doch eine Lösung des Konflikts, in dem bereits mehr als 10.000 Menschen gestorben sind, ist nicht in Sicht.
Die Umsetzung des Minsker Abkommens von 2014 (Protokoll und Memorandum) und 2015 (Maßnahmenpaket) steckt in einer Sackgasse, aus der es derzeit keinen realistischen Ausweg gibt. Denn der politische Teil des Abkommens enthält Bedingungen, die sowohl für Russland als auch die Ukraine unannehmbar sind.
In Kiew befürchtet man, dass der »Sonderstatus« die Separatisten mit einem »Staat im Staat« belohnt, der weiterhin pro-russische (anti-ukrainische) Politik macht. Auf der anderen Seite befürchtet Moskau, nach einer Demilitarisierung und freien Wahlen die Kontrolle über die jetzigen »Volksrepubliken« zu verlieren – und die separatistischen Eliten selbst haben keine Sicherheit, dass sie in den Genuss der von Minsk vorgesehenen Amnestie kommen.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass führende Akteure in Politik und Diplomatie zunehmend optimistisch über einen Vorschlag sprechen, dem bislang eigentlich gar keine Chancen eingeräumt wurden – eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen.
Dies hat die ukrainische Regierung schon lange gefordert, was jedoch von Russland (und den Separatisten) vehement abgelehnt wurde. Im September erklärte der russische Präsident Wladimir Putin dann plötzlich, dass er sich eine solche Truppe vorstellen könne – allerdings nur zum Schutz der bestehenden OSZE-Beobachtermission und nur entlang der »Kontaktlinie« genannten Front zwischen Separatisten und der ukrainischen Armee.
Diese beiden Einschränkungen sind so stark, dass sie eigentlich jeglichen Sinn einer Friedenstruppe in Frage stellen. Die ausländischen Blauhelmsoldaten wären sozusagen »Polizisten« für die unbewaffneten Zivilisten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), und das auch nur in einem ganz kleinen Teil ihres Einsatzgebietes.
Verständlicherweise haben die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten den Vorschlag zunächst abgelehnt. Aber der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel hat erklärt, dass er mit Russland über die Bedingungen einer Mission verhandeln will. Bei seinem Ukraine-Besuch Anfang Januar kündigte er an, dass er ein UN-Mandat für eine Friedenstruppe noch vor der russischen Präsidentschaftswahl am 18. März erzielen will.
Als Gegenleistung will Gabriel Moskau eine scheibchenweise Rücknahme der Sanktionen anbieten. »Die Vorstellung, erst 100 Prozent Umsetzung des Minsker Abkommens und dann auf einen Schlag 100 Prozent Aufhebung der Sanktionen, halte ich für weltfremd«, sagte er.
Ist eine Friedenstruppe realistisch?
Theoretisch könnten UN-Blauhelme während der schwierigen Übergangsphase die »Volksrepubliken« stabilisieren. Doch die praktischen Hürden sind riesig:
Um die Separatistengebiete vollständig zu kontrollieren, sind mindestens 20.000 Soldaten nötig. Um deren Neutralität zu gewährleisten, dürften die Entsendestaaten weder NATO-Staaten noch enge Verbündete Russlands sein. Der logistische und finanzielle Aufwand wäre enorm.
Alle bestehenden bewaffneten Verbände müssten aufgelöst werden, damit die UN-Truppe das Gewaltmonopol erhält: Zum einen müsste also Russland seine Soldaten und Freiwilligen abziehen, die es ja nach Moskaus eigenem Bekunden gar nicht gibt. Zum anderen müssten beide »Volksrepubliken« ihre Armeen entwaffnen, ohne sich auf das im Minsker »Maßnahmenpaket« (Punkt 11) verbriefte Recht auf eine »Volksmiliz« zur Einhaltung der öffentlichen Ordnung zu berufen. Die Luhansker Separatisten nennen aber – wohl in weiser Voraussicht – ihre Armee bereits seit 2014 ausschließlich »Volksmiliz«.
Schließlich müssten die »Volksrepubliken« aufgelöst werden, die zwar laut Minsker Abkommen gar nicht existieren, sehr wohl aber in den Köpfen zahlreicher Separatisten – sie haben sich nicht nur für unabhängig erklärt, sondern in ihrem Namen sind bereits tausende Kämpfer gestorben.
Ob Russland und die Separatisten zu derlei Zugeständnissen bereit sind, noch dazu vor der erwarteten Wiederwahl Wladimir Putins zu seiner vierten Amtszeit als Präsident, ist, gelinde gesagt, fraglich.
Dazu kommt, dass längst nicht alle Akteure in Donezk und Luhansk gehorsam auf jeden Fingerzeig aus Moskau reagieren. Der Sturz des Luhansker Separatistenführers Igor Plotnizki durch den örtlichen Geheimdienstchef Leonid Passetschnik im November hat gezeigt, dass der Kreml seine vermeintlich eigenen Leute nicht unter Kontrolle hat.
In Donezk gilt zwar Alexander Sachartschenko als weniger gefährdet, aber auch hier sind in der Vergangenheit Feldkommandeure bei mysteriösen Anschlägen getötet worden, für die wahlweise Moskau oder Kiew verantwortlich gemacht werden.
Gegen eine baldige Rückkehr zur Ukraine spricht auch, dass nicht nur die Herrschenden in beiden »Volksrepubliken«, sondern eine große Zahl der Bevölkerung von mindestens drei Millionen prorussisch eingestellt ist. Laut einer viel beachteten Studie des Berliner Zentrums für Osteuropa- und Internationale Studien (ZOIS) vom vergangenen Mai sprachen sich 44,5 Prozent der dort (telefonisch) Befragten für einen Anschluss an Russland aus [siehe dazu auch den Beitrag von Gwendolyn Sasse in der vorliegenden Ausgabe].
Dazu passt der herrschende Tenor in den russischen Staatsmedien, wo die Ukraine weiterhin als Feindbild und nicht als Nachbar dargestellt wird.
Die von ukrainischer Seite initiierte Wirtschaftsblockade, die im Frühjahr 2017 zur Beschlagnahmung der bislang von ukrainischen Firmen kontrollierten Industrie seitens der Separatisten führte, hat die Aussichten auf eine Reintegration weiter getrübt. Angesichts der desolaten Wirtschaftslage bleibt als größte Hoffnung, dass die auf mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr geschätzten Subventionen für die russisch kontrollierten Gebiete für Moskau irgendwann zu teuer werden.
Aber auch wenn Russland die Zahlungen gezwungenermaßen einstellt, dürfte eine erfolgreiche Wiedereingliederung der Separatistengebiete in die ukrainische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht einfacher werden.