Zwischen rechter Aggression und politischer Untätigkeit – Situation der LSBTI-Community vor dem KyivPride 2018

Von Conrad Breyer (CSD München / Munich Kyiv Queer)

Zusammenfassung
Die LSBTI-Community in der Ukraine ist sichtbarer denn je – eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Hass und Gewalt aber setzen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen (LSBTI) zu. Die politische Klasse verharrt ein Jahr vor den Wahlen in Untätigkeit. Die Regierung schützt öffentlichkeitswirksam Veranstaltungen der Community wie den KyivPride, der in diesem Jahr am 17. Juni stattfindet (siehe http://kyivpride.org/en/), tut aber ansonsten wenig für die Bürger- und Menschenrechte der Betroffenen. Und das obwohl Rechtsradikale mehr denn je gegen sexuelle Minderheiten mobilmachen.

Einleitung

Exakt 56 Seiten umfasst der Bericht, den die Kiewer Menschenrechtsorganisation Nash Mir im Februar dieses Jahres veröffentlicht hat. In allen Details führt er auf, wie es um die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen in der Ukraine steht: Wie sich Justiz, Politik, Medien, Kirchen und Gesellschaft dazu positionieren, wo es zu Diskriminierung und Gewalt gekommen ist, und natürlich spielt auch das Leben der sexuellen Minderheiten in den besetzten Gebieten eine Rolle. Das Ergebnis ist schnell zusammengefasst: Der Reformkurs der Ukraine ist in diesem Bereich ins Stocken geraten und gewaltbereite ultrarechte Splittergruppen bestimmen die Agenda.

Angriffe von der Straße

Tatsächlich attackieren Organisationen wie Nationaler Korpus, Rechter Sektor, Tradition und Ordnung, Trysub (Dreizack), Karpatska Sitsch, Sokil (Falke), Bratstwo (Bruderschaft) und wie sie alle heißen immer häufiger öffentliche Veranstaltungen und Einrichtungen der LSBTI-Community. Die Präsenz lokaler und nationaler Medien macht solche Aktionen für die Angreifer*innen attraktiv, lassen sich die eigenen Botschaften vom gesunden Volk, der traditionellen ukrainischen Familie und dem Schutz vor westlicher Dekadenz doch so noch besser unters Volk bringen. Rechte Parteien mögen im Parlament der Ukraine, der Werchowna Rada, keine Rolle spielen, sie haben auch keinen großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft; auf der Straße sind sie indes sehr präsent. Und Homo- und Transphobie haben sie neuerdings zu ihrem Lieblingsthema erkoren.

Um den 17. Mai herum hat es gerade erst einige Vorfälle gegeben, die sich gegen Veranstaltungen zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interphobie (IDAHoBIT) richteten. In der ganzen Ukraine finden dazu seit Jahren traditionell kleinere Events wie Flashmobs, Demonstrationen, Kundgebungen und Diskussionen statt. In Saporischschja wurde bei einer Zusammenkunft der örtlichen LSBTI-Organisation »Gender Z« ein Feuerwerkskörper in die Menge der Protestierenden geschleudert; verletzt wurde ein Polizist. Die Behörden ermitteln. In Tscherniwzi haben Rechtsradikale und Gläubige das Equality-Festival blockiert, zu dem die LSBTI-Organisation Insight aus Kiew regelmäßig an einen anderen Ort der Ukraine lädt. Aus Sicherheitsgründen wurde das Festival abgesagt, die Polizei evakuierte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Anfang des Jahres schon hat in Krywyj Rih eine Gruppe von Rechten das Queer Home überfallen, eines von mehreren Kommunikations- und Kulturzentren für die Community, die bis vor Kurzem (inzwischen ist die Förderung dafür ausgelaufen) von der LSBTI-Organisation Gay Alliance Ukraine noch überall im Land betrieben wurden. Der Leiter der Organisation wurde schwer verprügelt. Seinen Namen will er lieber nicht öffentlich genannt wissen. »Sieg Heil haben sie geschrien und Tod den Päderasten«, erzählt er. Die Polizei hat die Täter nicht gefasst.

Beten für die gottgewollte Ordnung

Unterstützung erfahren die Rechten oft von religiösen Fundamentalist*innen wie etwa von der Organisation »Liebe gegen Homosexualismus«. »Homosexualismus« – als ob die sexuelle Orientierung etwas wäre, das man sich aussuchen kann. Die Fundamentalist*innen schreiben ausdauernd homophobe Petitionen. Inhaltlich dürften sie auf einer Linie mit den Kirchen des Landes liegen, die aber – mit Ausnahme der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats – inzwischen lieber schweigen, wenn es um LSBTI-Themen geht. Die meisten Eingaben richten sich gegen die Förderung »nichttraditioneller Familien«, also gegen so genannte Gay-Propaganda, vermeintlich um Minderjährige zu schützen, und erinnern insofern an die Gesetzeslage in Russland. In Russland gibt es seit 2013 ein Gesetz, das die »Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen« verbietet, was zu einer Hatz gegen Homosexuelle geführt hat und bis heute zahlreiche Menschenrechtsverletzungen nach sich zieht.

Die Petitionen sind an den Präsidenten Petro Poroschenko, das Parlament und an das Ministerkabinett gerichtet. Lediglich eine Petition wurde als gesetzwidrig abgewiesen, da sie, so das Büro der Ombudsfrau für Menschenrechte des ukrainischen Parlaments Ljudmila Denissowa – die im Allgemeinen in Sachen LSBTI- und Menschenrechte nicht sehr engagiert ist –, der ukrainischen Verfassung widerspreche. Über andere Petitionen aber haben die Ausschüsse der Werchowna Rada bereits diskutiert – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Manche Abgeordnete lehnen die Petitionen als nicht gesetzmäßig ab, andere stimmen ihnen im Prinzip zu. Konkrete Schritte sind nicht zu erwarten.

Auch Menschen wie der bekannte Journalist und Aktivist Ruslan Kuchartschuk, der mit seiner Kampagne »Wsi rasom!« (»Alle zusammen!«) seit einiger Zeit in Stadträten kleiner Gemeinden Stimmung gegen LSBTI macht, befördern homophobes Denken. Und Städte wie Poltawa, Ternopil und Iwano-Frankiwsk senden dann Beschwerden an die politische Führung in der Hauptstadt, mit der Aufforderung, »Gay-Propaganda« zu unterbinden und die Diskriminierung sexueller Minderheiten im Gesetz festzuschreiben.

Gewalt gegen Minderheiten

Die derart geschürte Homo- und Transphobie führt immer wieder zu Diskriminierungen und Gewalt. Die Menschenrechtsorganisation Nash Mir dokumentiert in ihrem jüngsten Bericht für das Jahr 2017 exakt 206 Fälle. Verbale und körperliche Übergriffe erleben Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle vermutlich fast täglich, wenn man davon ausgeht, dass nicht alle das Erlebte auch tatsächlich melden. Dabei spielen die Angst, sich vor der Polizei zu outen, und die Scham, Opfer zu sein, eine große Rolle. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle werden, so der Bericht von Nash Mir, verhöhnt und öffentlich diskreditiert – in der Schule, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen. Besonders perfide gehen dabei Gruppen wie »Modnyi Prygowor« vor, die schwule Männer über Datingportale gezielt zu einem ihrer Mitglieder nach Hause locken, sie dort dann zum Outing zwingen, manchmal schlagen und vergewaltigen, das Ganze filmen und ins Netz stellen.

Die Polizei in der Ukraine erfasst zwar offiziell Hasskriminalität aufgrund von Homo- und Transphobie, aber nur selten und meist widerwillig, sodass die Verfolgung solcher Taten schwierig ist. Vor dem Gesetz gelten so genannte hate crimes weiterhin nicht als »besonders schwerwiegend«, was bei einer Verurteilung zu härteren Strafen führen könnte. In vielen Fällen diskriminiert die Polizei die Opfer selbst oder lässt kein großes Interesse an Fahndungserfolgen erkennen – auch wenn sich die Situation durch die staatlich verordnete Schulung vieler Polizeikräfte in Menschenrechtsfragen in diesem Bereich schon in Teilen verbessert hat. In den vergangenen Jahren haben immer wieder Runde Tische stattgefunden, an denen neben Menschenrechtler*innen und LSBTI-Organisationen Mitarbeitende des Innenministeriums und der Polizei teilgenommen haben. Das Ziel: Bekämpfung von Hasskriminalität, Sicherheit bei öffentlichen LSBTI-Veranstaltungen und ein respektvoller Umgang mit sexuellen Minderheiten.

In den Augen der ukrainischen Zivilgesellschaft stellt sich die Politik – von Ausnahmen vor allem auf lokaler Ebene abgesehen – nicht entschieden genug gegen die Umtriebe der Rechten im Land. Die Regierung, sagen insbesondere LSBTI-Aktivist*innen, halte sich nicht einmal an die eigenen Vorhaben. Dazu später mehr.

Sanfte Öffnung

Die Lage ist für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle in der Ukraine umso unbefriedigender, als sich die Situation auf rechtlicher Ebene in den vergangenen Jahren eigentlich verbessert hat. Auch die Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung hat zugenommen.

So nähert sich das Niveau der Homo- und Transphobie in der Ukraine einer Studie der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) von 2017 zufolge (»Minorities Report«) durchaus dem der EU-Länder an. Die Kluft zu anderen postsowjetischen Ländern wie Russland und Aserbaidschan dagegen wächst. Die zunehmende Sichtbarkeit der Community in der Öffentlichkeit hat geholfen, Vorurteile abzubauen. »Tatsächlich erregen LSBTI-Themen keine besonders starken Gefühle mehr in der breiten ukrainischen Bevölkerung«, sagt Andrij Krawtschuk von Nash Mir. Die Menschen ließen durchaus mit sich reden, wenn es um sexuelle Minderheiten gehe. Das Land öffne sich.

Dafür dürfte – neben den Aufklärungskampagnen jüngerer Zeit – insbesondere die Pride-Bewegung verantwortlich sein. Zuletzt hatte die Menschenrechtsorganisation Nash Mir zum Eurovision Song Contest im Mai 2017 in den Straßen Kiews auf Plakatwänden für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften geworben; in den Jahre zuvor liefen immer wieder Toleranzkampagnen der Gay Alliance Ukraine und der LSBTI-Organisation Totschka Opori.

Seit 2012 haben einzelne Aktivist*innen aus Kiew, dann die Gay Alliance Ukraine und schließlich die Organisation KyivPride gemeinsam mit Amnesty International jedes Jahr versucht, einen Gay-Pride durchzuführen, in Deutschland bekannt als Christopher Street Day (CSD). Auf dem CSD demonstrieren Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle – in Erinnerung an den Stonewall-Aufstand 1969 in New York – jedes Jahr für gleiche Rechte. Es handelt sich um eine Mischung aus Party und Politik. In der Ukraine freilich stehen politische Motive im Vordergrund.

Erfolgreiche Pride-Bewegung

2013 konnte noch unter Präsident Wiktor Janukowytsch zum ersten Mal ein Gay-Pride in Kiew stattfinden. 150 Leute demonstrierten außerhalb der Stadt, geschützt von der Polizei auch dank starker Beteiligung ausländischer Politiker*innen. 2017 waren es schon 3.500 Menschen, die mitten im Zentrum (!) vor der Taras-Schewtschenko-Universität für Menschenrechte marschierten, und beileibe nicht nur Vertreter*innen der LSBTI-Community. Die Gäste aus dem Ausland machten nur noch einen Bruchteil der Teilnehmer*innen aus. Dieses Jahr erwarten die Veranstaltenden zum KyivPride am 17. Juni 2018 über 5.000 Menschen. Jedes Mal schützen Tausende Beamt*innen das Großereignis. Die Kiewer Polizei und die Stadtverwaltung haben ihre Unterstützung bereits zugesagt, denn selbstverständlich haben radikale Gruppen ihr Kommen angekündigt: Sie protestieren, drohen mit Blockaden und Gewalt. Jedes Jahr gibt es nach dem Pride Verletzte, wenn die Rechten durch die Stadt ziehen.

Der KyivPride ist durchaus umstritten: Eine Mehrheit der Kiewer (57 Prozent) lehnt ihn laut einer Befragung des Marktforschungsinstituts Active Group vom April 2017 ab; 38 Prozent der Kiewer sind dafür. Vor ein paar Jahren allerdings wäre die Zahl der Befürworter*innen aber sicher noch deutlich niedriger ausgefallen.

Neben dem KyivPride haben andere LSBTI-Organisationen angefangen, Events anzubieten: LIGA aus Mykolajiw etwa die Veranstaltungsreihe »Days of Equality and Pride« in Mykolajiw, Odessa und Cherson, die LSBTI-Organisation Insight das bereits genannte Equality-Festival. Die Gay Alliance Ukraine organisiert in Odessa einen Pride und will damit noch in diesem Jahr auch nach Krywyj Rih expandieren. Viele Menschen unterstützen die Öffnung ihres Landes gegenüber sexuellen Minderheiten – allen voran Mütter von Lesben, Schwulen und Transgendern sowie Freund*innen der Demonstrierenden, aber auch einflussreiche Musiker*innen wie Iryna Bilyk und Jamala (Gewinnerin des Eurovision Song Contest 2016), Kunstschaffende, Blogger*innen und Abgeordnete. Auch Unternehmen wie das Frauenmodelabel »Who is it?« unterstützen die Community. Generell wirkt die LSBTI-Community der Ukraine inzwischen gut vernetzt in vielen Bereichen der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.

Menschenrechtspolitik: außen hui, innen pfui

Die Politik hat ein Interesse daran, diese Großveranstaltungen zu schützen, weil das Ausland zuschaut. Die Ukraine kann es sich nicht leisten, die EU als Partnerin zu verprellen, zu viel hängt wirtschaftlich und politisch davon ab. Und letztlich ist der offiziell LSBTI-freundliche Kurs der Regierung auch eine Möglichkeit, sich von Russland abzugrenzen. Im umkämpften Donbass ist das Thema überhaupt nicht geregelt, auf der Krim gelten die russischen Gesetze gegen »Gay-Propaganda«. Im Grunde aber ist den meisten Politiker*innen das Thema vermutlich herzlich egal.

Vielleicht deshalb zeigen sich Regierung und Parlament wenig motiviert, ihren eigenen Aktionsplan für Menschenrechte umzusetzen, den sie am 23. November 2015 selbst auf den Weg gebracht haben. Er sah bis 2020 umfassende Gesetzesvorhaben vor, und zwar unter anderem

den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung / Gender-Identität,eine eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare,neue medizinische Standards für Transgender,das Festschreiben (im Strafgesetzbuch) von Hassmotiven als erschwerenden Umständen undeine Abschaffung des Adoptionsverbots für Transgender und HIV-Positive.

Die Deadlines für die Gesetzesvorhaben sind inzwischen verstrichen. Einen Grund für die Passivität, ja für die Behinderung des Aktionsplans, sehen ausländische Diplomat*innen und LSBTI-Aktivist*innen in den anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2019. Es heiße abwarten und die Wähler nicht verschrecken. Mit Minderheitenpolitik ließen sich keine Wahlen gewinnen.

Die meisten LSBTI-Aktivist*innen gehen deshalb davon aus, dass bis Herbst 2019, wenn die neue Rada gewählt wird, keiner der genannten Punkte verwirklicht ist. Und ob eine neue Regierung die Themen anpackt, ist angesichts des wachsenden Populismus in der Ukraine fraglich. Viele gehen davon aus, dass die nächste Regierung weniger europafreundlich sein wird. Einige haben allerdings die Hoffnung, dass das Innenministerium noch in diesem Jahr den Umgang mit Hasskriminalität im Strafgesetzbuch neu regelt und dem Parlament den dafür erforderlichen Gesetzentwurf vorlegt. Eine Verabschiedung sei mehr oder weniger realistisch, glaubt zum Beispiel Nash Mir. Und immerhin will das für den Aktionsplan verantwortliche Justizministerium keines der genannten Ziele in Bezug auf LSBTI aus dem Papier streichen. Das haben die Verantwortlichen gegenüber Vertreter*innen der Zivilgesellschaft bei einem Treffen im Justizministerium im Januar 2018 bekräftigt. Nur werde es nun eben länger dauern, bis die Ziele realisiert würden.

Große Bedenken haben Menschenrechtsorganisationen in Bezug auf das geplante neue Arbeitsgesetz. Das alte wurde 2015 nach langer Debatte durch einen Passus ergänzt, der Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der sexuellen Orientierung und Gender-Identität verbietet. Manche erinnern sich vielleicht: Die Abstimmung trug Züge eines Kulturkampfes. Immer wieder musste der damalige Parlamentssprecher Wolodymyr Hrojsman, heute Ministerpräsident, die Abgeordneten zur Disziplin aufrufen, bis schließlich – nach vier Runden und mehreren Tagen – eine knappe Mehrheit in der Werchowna Rada für die Vorlage der Regierung stimmte (siehe dazu auch die Ukraine-Analysen Nr. 166 vom 13.04.2016, <http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen166.pdf>). So fügten die Parlamentarier am 12. November 2015 dem Arbeitsgesetz (no. 3442) den erwähnten Abschnitt hinzu. Die EU hatte das zur Bedingung für die Abschaffung der Visumpflicht gemacht.

Allerdings war damals schon klar, dass bald ein neues Arbeitsgesetz das alte ablösen würde. Es gibt zahlreiche Stimmen, die fordern, den Diskriminierungsschutz für sexuelle Minderheiten wieder abzuschaffen. Das ist offenbar vom Tisch. Der zuständige Ausschuss hat die Regelung beibehalten, unter starkem Druck der Präsidialverwaltung.

Gleichzeitig wollen einige wenige Parlamentarier aber dafür sorgen, dass im Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetz – nach dem Vorbild einiger US-Bundesstaaten – Diskriminierung aufgrund religiöser Überzeugung möglich sein soll. Konkret hieße das: Ein christlicher Juwelier könnte sich weigern, zwei Frauen zu bedienen, die sich einen »Freundschaftsring« zulegen wollen. Oder: Der Vermieter kündigt einem schwulen Paar, wenn er herausfindet, wer da unter seinem Dach wohnt. Inwieweit das Arbeitsrecht davon tangiert würde, ist unklar. Der Entwurf ist sehr vage gehalten. Bis zu den Wahlen wird die Sache sicher nicht entschieden.

Die Rechten rotten sich zusammen

Die große Politik wartet also ab, während rechte (und meines Erachtens auch religiöse) Aktivist*innen aktiv werden; für sexuelle Minderheiten stellen sie eine reale Gefahr dar. Die Rechten sind deutlich besser organisiert als früher, schaffen es, ihre – meist jungen – Anhänger*innen schnell zu mobilisieren und greifen an, wenn es geht. Kein öffentliches LSBTI-Event ist vor ihnen sicher, wenn sie davon erfahren. Wenig überraschend, dass die Rechten auch keine Fans feministischer Veranstaltungen und generell von Veranstaltungen zu Themen wie Gendergerechtigkeit und Gleichberechtigung sind. Die Überfälle haben in erschreckendem Maße zugenommen. Sie betreffen selbst Veranstaltungen, an denen die Polizei beteiligt ist. Im Januar 2018 haben Rechte in Uschhorod und Winnyzja zwei Runde Tische zwischen der Polizei und örtlichen LSBTI-Gruppen gestört. Immerhin: Sechs weitere Runde Tische im Rest des Landes verliefen erfolgreich.

Wirklich ernst nimmt die Öffentlichkeit das Thema nicht, insbesondere große Teile der Politik scheinen darin kein großes Problem zu erkennen. Sind die Rechten Gegner? Alliierte? Versuchen sie, vor den Wahlen die Ukraine zu destabilisieren? Einige europäische Diplomat*innen vermuten, Russland trage möglicherweise eine Mitverantwortung für die Umtriebe – durch Anheuern eigene Leute. Offen zitieren lassen wollen sie sich damit aber nicht. Menschenrechtsaktivist*innen jedenfalls wünschen sich eine deutlichere Distanzierung der ukrainischen Politiker*innen von den rechten Umtrieben. Innenminister Arsen Awakow immerhin hat in der Vergangenheit vereinzelt Aktionen rechter Gruppen verurteilt.

Ausblick

Langfristig, so glauben die meisten LSBTI-Aktivist*innen, werde die Öffnung der Ukraine nach Westen die Situation der LSBTI-Community und die Gesellschaft insgesamt zum Positiven verändern – Neonazis hin oder her. Die russische Regierung stehe mit ihrer homophoben Agenda für ein überkommenes Modell, dem die Ukraine nicht nacheifern könne, selbst wenn sich der Westen und Russland wieder annähern würden. Die LSBTI-Community hat mit ihrem Kampf für Menschenrechte einen entscheidenden Beitrag zur positiven Veränderung der ukrainischen Gesellschaft geleistet.

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