Geschlechtsspezifische Gewalt im Kontext des Konflikts in der Ukraine

Von Sonja Schiffers (Polis 180, Berlin)

Zusammenfassung
Konfliktbezogene Gewalt in der Ukraine ist nicht neutral in Bezug auf Geschlecht und sexuelle Identität – im Gegenteil, sie betrifft Männer, Frauen und LSBTIQ*-Personen auf besondere Art und Weise. Der nachfolgende Artikel gibt Einblicke in unterschiedliche Arten konfliktbezogener Gewalt und ihre geschlechtsspezifischen Auswirkungen. Er diskutiert außerdem gewaltverstärkende Faktoren sowie Handlungsoptionen für ukrainische staatliche und nichtstaatliche Akteure.

Einleitung

Der Krieg in der Ukraine hat bislang über 13.000 Menschen das Leben gekostet, 30.000 wurden verwundet. Seine enormen Auswirkungen verschonen kaum einen Lebens- oder Politikbereich und stellen die Gesellschaft und den Staat insgesamt vor große Herausforderungen. Aus anderen Kontexten wissen wir, dass bewaffnete Konflikte Männer und Frauen unterschiedlich betreffen. Während Männer häufiger Opfer von direkter Kriegsgewalt werden, sind Frauen unter anderem stärker von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt und ihren Langzeitfolgen betroffen. Dieses Bild zeigt sich auch in der Ukraine. Von den 3.339 Zivilist*innen, die dem Krieg laut den Vereinten Nationen (VN) zwischen April 2014 und April 2019 zum Opfer fielen, waren fast zwei Drittel Männer. Verhältnismäßig mehr Männer sind beispielsweise auch durch Minen und andere Sprengkörper verletzt und getötet worden, unter anderem bei landwirtschaftlichen Arbeiten und auf dem Heimweg. Gleichzeitig machen Frauen die Mehrzahl der Überlebenden konfliktbezogener sexualisierter Gewalt, 58 Prozent der rund 1,7 Millionen Geflüchteten und 74 Prozent der vom Krieg betroffenen Senior*innen aus.

Die folgenden Abschnitte untersuchen den Faktor Geschlecht im Kontext des bewaffneten Konflikts in der Ukraine anhand von drei Schwerpunkten: sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt, wirtschaftliche Gewalt und Maskulinitäten. Im letzten Abschnitt werden einige internationale politische und rechtliche Instrumente, die zur Prävention und Bekämpfung konfliktbezogener Gewalt in der Ukraine genutzt werden und noch stärker genutzt werden sollten, diskutiert.

Konfliktbezogene geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt in der Ukraine

Insgesamt sind pro Jahr circa 1,1 Millionen Ukrainerinnen von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen und mindestens 600 Todesfälle zu verzeichnen. Geschlechtsspezifische Gewalt basiert auf und nutzt gesellschaftliche oder situative Machtunterschiede zwischen Geschlechtern. Sie kann unterschiedliche Formen annehmen, darunter sexualisierte Gewalt, welche zur Einschränkung oder dem Verlust der sexuellen Selbstbestimmung des Opfers führt. Von geschlechtsspezifischer Gewalt sind Frauen, Mädchen, Männer und Jungen betroffen.

Gemäß offizieller Statistiken betrifft geschlechtsspezifische Gewalt in der Ukraine – wie auch in anderen Ländern – Frauen jedoch deutlich stärker als Männer. Frauen machen beispielsweise 91 Prozent der Überlebenden von Vergewaltigung und 74 Prozent der Überlebenden häuslicher Gewalt aus. Im Kontext des Krieges kam es sowohl in den ukrainisch kontrollierten als auch in den nichtregierungskontrollierten Gebieten zu einem Anstieg sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt – die unter anderem in der Familie, im öffentlichen Raum und in Lagern und Haftanstalten ausgeübt wird. Insbesondere der Anstieg häuslicher Gewalt wird auch auf mangelnde Unterstützung bei der familiären und gesellschaftlichen Reintegration rückkehrender traumatisierter Soldat*innen zurückgeführt.

Auch im öffentlichen Raum sind vor allem Frauen durch konfliktbezogene sexualisierte Gewalt betroffen. Berichte von Nichtregierungsorganisationen dokumentieren gravierendste Formen konfliktbezogener sexualisierter Gewalt auf der Krim, in der »Donezker Volksrepublik« (»DNR«) und der »Lugansker Volksrepublik« (»LNR«). Aufgrund der mangelnden Professionalität und Unabhängigkeit der Gerichte in der »LNR« und »DNR« hat sich zudem eine Kultur der Straflosigkeit entwickelt. Überlebende berichten, dass auch ukrainische Streitkräfte und Freiwilligenbataillone sexualisierte Gewalt verübten. Insbesondere entlang der Kontaktlinie sowie an den Kontrollpunkten sind Frauen gefährdet, Opfer sexueller Ausbeutung oder Gewalt zu werden. Bei den 206 Fällen konfliktbezogener sexualisierter Gewalt, die bis 2017 allein durch die Koalition »Gerechtigkeit für Frieden im Donbas« dokumentiert wurden, richtete sich knapp die Hälfte gegen Männer (https://jfp.org.ua/system/reports/files/104/en/UPR-p_%281%29.pdf).

Auch Menschenhandel und Zwangsprostitution sind in den Konfliktgebieten verbreitet. Laut den VN sind 77 Prozent der Opfer von Menschenhandel in der Ukraine Frauen. Während sie vor allem für sexuelle Zwecke ausgebeutet werden, handelt es sich bei Männern hingegen öfter um Ausbeutung zu Arbeitszwecken.

Während deutlich mehr Männer in den nichtregierungskontrollierten Gebieten illegal inhaftiert sind, gibt es laut der Östlichen Menschenrechtsgruppe in der »LNR« auch ein Straflager für 50 Frauen. Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen wurde in »DNR«- und »LNR«-Lagern und illegalen Haftanstalten an Frauen und Männern schwerste sexualisierte Gewalt verübt. Laut einem Bericht der Koalition »Gerechtigkeit für den Frieden im Donbas« wurde diese auch systematisch eingesetzt, unter anderem um Kooperation der Häftlinge zu erzwingen und sie zu erniedrigen (https://jfp.org.ua/system/reports/files/118/en/Making_life_go_on-__how_the_war_in_Donbas_affects_civilians-WEB.pdf).

Insgesamt sind die Opferzahlen jedoch kaum verlässlich. Aufgrund von befürchteten Repressalien und Straflosigkeit insbesondere in den nichtregierungskontrollierten Gebieten sowie der bestehenden Kultur des victim blamings in der Ukraine insgesamt behalten viele Überlebende das Erlebte für sich. Zivilgesellschaftliche Organisationen argumentieren zudem, dass die Heroisierung der zumeist männlichen Soldaten und ihre mediale Darstellung als Beschützer es Überlebenden zusätzlich erschweren, über durch Soldaten verübte sexualisierte Gewalt zu sprechen.

Gender, Menschenrechte und Schutz in den nichtregierungskontrollierten Gebieten

Mangelnde Rechenschaftspflicht für die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in den nichtregierungskontrollierten Gebieten stellt eine besonders herausfordernde Folge des Kriegs dar. Da sie de facto keine Kontrolle über die »DNR«, »LNR« und Krim ausübt, kann die ukrainische Regierung für den Menschenrechtsschutz in den nichtregierungskontrollierten Gebieten kaum einstehen oder verantwortlich gemacht werden. Laut der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck wäre die russische Regierung, welche die De-facto-Kontrolle über die Gebiete ausübt, gemäß internationalem Recht für den Schutz der Bevölkerung auf der Krim sowie in der »DNR« und »LNR« rechenschaftspflichtig (http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=23167). In kürzlich an den VN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau sowie an die Wirtschaftskommission für Europa übermittelten Berichten erklärte der Kreml jedoch, sich für den Schutz von Frauenrechten in den Gebieten nicht verantwortlich zu fühlen.

Darüber hinaus werden in den von Russland kontrollierten Gebieten zunehmend »traditionelle Werte« propagiert, was patriarchale Rollenbilder verstärkt und somit zusätzliche Gefahren für Frauen und LSBTIQ*-Personen birgt. Die Menschenrechtsorganisation »Memorial« beispielsweise berichtet über zunehmende Homophobie auf der Krim, in der »DNR« und »LNR« im Kontext anti-westlicher Propaganda (https://adcmemorial.org/wp-content/uploads/lgbtENG_fullwww.pdf). In der »LNR« gab es zudem den Versuch, Homosexualität mit der Todesstrafe zu belegen, und in der »DNR«, gleichgeschlechtliche Beziehungen im Rahmen der »Verfassung« zu untersagen – beide Vorhaben setzten sich jedoch nicht durch. Aufgrund der gefährlichen Lage mussten zahlreiche LSBTIQ*-Aktivist*innen aus den nichtregierungskontrollierten Teilen der Ukraine fliehen; ihre Heimat, ihr soziales Umfeld und ihre wirtschaftliche Grundlage mussten sie zurücklassen.

Wirtschaftliche Gewalt und Folgen für Frauen

Sexualisierte Gewalt ist nicht die einzige Form der Gewalt, die geschlechtsspezifische Auswirkungen hat. Global sind Frauen aufgrund ihrer oft wirtschaftlich schlechteren Stellung auch stärker wirtschaftlicher Gewalt, beispielsweise finanzieller Überwachung und Kontrolle, durch den Partner ausgesetzt, was ihr Armutsrisiko und ihre Abhängigkeit vom Partner und somit wiederum ihre Vulnerabilität für sexualisierte Gewalt erhöht. Die Bedingungen dafür sind auch in der Ukraine gegeben. 69 Prozent der Männer, aber nur 56 Prozent der Frauen gehen einer offiziellen Beschäftigung nach. Frauen verdienen in der Ukraine durchschnittlich 30 Prozent weniger als Männer, und in den Kohleabbaugebieten sind die wirtschaftlichen Möglichkeiten für Frauen besonders begrenzt. Aufgrund der mangelnden staatlichen Unterstützung tragen Ukrainerinnen, die sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt erlebt haben, zusätzlich zu physischen und psychischen Folgen bis zu 190 Millionen US-Dollar pro Jahr an persönlichen Ausgaben für medizinische und psychologische Dienste sowie Transport- und Umzugskosten (http://www.un.org.ua/images/documents/4489/Economic%20Costs%20of%20Violence_2017_3.pdf).

Dazu kommt der Abbau von staatlichen Sozialleistungen im Kontext der hohen Kriegskosten und makroökonomischen Reformen, der Frauen im Besonderen betraf. Frauen machen einen Großteil der Angestellten im sozialen Sektor aus, sodass Stellenkürzungen einen besonderen Einschlag für Frauen bedeuteten. Unter anderem wurden auch die Kinder- und Betreuungsgeld-Bezüge gesenkt, was besonders für alleinerziehende Mütter das Armutsrisiko erhöht. Es ist offensichtlich, dass die wirtschaftliche Benachteiligung und die Sorgelast auch die Beteiligung von Ukrainerinnen an Politik und Konfliktbearbeitung erschweren.

Maskulinitäten und Gewalt: Erfahrungen aus anderen Konflikten

Da Maskulinitäten und ihre Auswirkungen im bewaffneten Konflikt in der Ukraine bislang kaum erforscht sind, lohnt ein Blick in Forschungsergebnisse aus anderen Konflikten. Der Begriff »Maskulinitäten« beschreibt soziale Erwartungen von »männlichem« Verhalten und daraus resultierende gesellschaftliche Machtverhältnisse. Die Forschung betrachtet Maskulinitäten als heterogen und dynamisch und unterscheidet zwischen unterschiedlichen Formen. Das Konzept der »militarisierten Männlichkeit« impliziert beispielsweise ein hyper-maskulines, hegemoniales männliches Rollenverständnis, das oft in der Armee geformt wird und unter anderem zu (sexualisierter und anderer) Konfliktgewalt sowie besonderen Herausforderungen bei der Demobilisierung und Reintegration von Kombattanten beitragen kann.

»Toxische Männlichkeit« bezieht sich wiederum auf eine Reihe von repressiven männlichen Geschlechter­stereotypen – wie beispielsweise, dass »echte Männer« keine Gefühle und keine Schwäche zeigen würden. Toxische Männlichkeit kann gleichzeitig zu sexualisierter Gewalt beitragen und zu Tabus sowie der Stigmatisierung von Männern, die selbst sexualisierte Gewalt erfahren haben, führen. Auch Männer sind in Konflikten stark von sexualisierter Gewalt betroffen. Doch aufgrund des Stereotyps vom »wehrhaften Mann« liegt die Dunkelziffer wohl noch höher als bei Frauen, und es kann davon ausgegangen werden, dass Männer im Anschluss an sexualisierte Gewalterfahrungen seltener Hilfe suchen.

Auch im Fluchtkontext spielen Maskulinitäten eine besondere Rolle. Forscher*innen haben beispielsweise gezeigt, dass Vertreibung männliche Binnenflüchtlinge aus Abchasien vor besondere Herausforderungen stellte. Beispielsweise wiesen sie einen Zusammenhang nach zwischen (1) dem Verlust des Status als »Ernährer« und damit einhergehendem Unvermögen, soziale Rollenerwartungen zu erfüllen, und (2) der Anfälligkeit für soziale und psychische Probleme sowie erhöhter Gewaltbereitschaft. Zudem kontrollierten Ehemänner in Fällen, in denen ihre Frauen zu »Ernährerinnen« wurden, oft weiterhin die familiären Finanzen. Abhängigkeit der Frauen und Patriarchat führten sich also trotz der Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse fort.

Anhand dieser Perspektiven aus anderen Konflikten scheint es äußerst wichtig, Daten zur Rolle von Maskulinitäten im Konflikt in der Ukraine zu erheben und zu analysieren, wie bestimmte »männliche« Rollenverständnisse zu Konflikt, Gewalt und Ungleichheit beitragen und das Leben für Frauen, aber auch für Männer, in der Ukraine erschweren.

Was können Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft tun?

Der Mainstream-Blick auf den Krieg in der Ukraine ist genderblind; er macht insbesondere Frauen und Minderheiten, aber auch Männer unsichtbar, indem er der Bedeutung von Maskulinitäten keine Beachtung schenkt. Gleichzeitig haben zahlreiche internationale und nationale Agenden, Abkommen, Verträge und Gesetze einen Rahmen geschaffen, mithilfe dessen das Problem der geschlechtsspezifischen Konfliktfolgen verstärkt angegangen werden kann.

Zur VN-Agenda »Frauen, Frieden, Sicherheit«, die unter anderem die Beteiligung und den Schutz von Frauen in Konflikten in den Fokus nimmt, hat die Ukraine einen Nationalen Aktionsplan (NAP) für den Zeitraum 2016–2020 verabschiedet. Neben der Umsetzung der genannten Absichten sollten ukrainische staatliche und nichtstaatliche Akteur*innen möglichst bald zusammenkommen, um einen inklusiven Prozess zum Nachfolgeaktionsplan festzulegen. Die Nationale Menschenrechtsstrategie und ihr Aktionsplan 2015 sowie das Staatliche Sozialprogramm zur Gewährleistung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern für den Zeitraum bis 2021 bieten weitere wichtige Anknüpfungspunkte für nationale Akteur*innen, die sich zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt engagieren.

Darüber hinaus ist die Ukraine an die VN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) gebunden. Hier sollte sie, wie 2018 durch die damalige Regierung bekräftigt, die Empfehlungen des CEDAW-Komitees zum achten Staatenbericht der Ukraine umsetzen, wie z. B. die Bereitstellung ausreichender Ressourcen für Organisationen, die Überlebenden sexualisierter Gewalt Rechtsbeistand leisten, sowie die Berücksichtigung konfliktbezogener sexualisierter Gewalt in einem möglichen Transitional Justice Prozess.

Zur Verhinderung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt sollte die Ukraine endlich die bereits 2011 unterzeichnete Istanbul-Konvention des Europarats ratifizieren. Gewisse Fortschritte in diesem Bereich sind zu verzeichnen. Beispielsweise hat das Parlament bereits 2017 eine umfassendere Gesetzgebung zu Vergewaltigung verabschiedet, was Frauen- und internationale Organisationen seit Jahren gefordert hatten. Im Jahr 2018 veröffentlichten UN Women, UNHCHR und die Vizeministerpräsidentin für die Europäische und Euroatlantische Integration der Ukraine eine Strategie zur Prävention und Bekämpfung konfliktbezogener sexualisierter Gewalt, woraufhin auch der NAP 1325 aktualisiert wurde. Im Oktober 2019 verlängerte das Kabinett ein umfassendes Programm zur Bekämpfung von Menschenhandel und geschlechtsspezifischer Gewalt und beauftragte unter anderem die Einrichtung einer umfangreichen Krisenhotline. Absichten, die Istanbul-Konvention zu ratifizieren, werden seit Jahren bekräftigt, scheiterten aber bislang an vermeintlich »traditionellen« Kräften. Nun sollten den Absichtserklärungen auch zeitnah Taten folgen.

Die Zwischenevaluation des NAP 1325 macht deutlich, dass insbesondere die »Beteiligungssäule« der Agenda stärker in den Fokus rücken sollte. So sollten Frauen und Frauenorganisationen bei hochrangigen Konfliktbearbeitungs- und -lösungsmechanismen verstärkt mit am Verhandlungstisch sitzen. Stand 2017 nahmen von ukrainischer Seite aus beispielsweise nur zwei Frauen an der Trilateralen Kontaktgruppe teil, obwohl Forschungsergebnisse zeigen, dass gerade die frühe Inklusion von Frauen ihre Wirksamkeit in Konfliktlösungsprozessen erhöht. Auf zivilgesellschaftlicher und Grassroots-Ebene gibt es einige Initiativen, Organisationen und Aktivist*innen, auch in den besetzten Gebieten, die auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen des Konflikts hinweisen. Staaten und internationale Organisationen, die an der Konfliktbearbeitung beteiligt sind, sollten den Stimmen dieser Organisationen mehr politische Aufmerksamkeit schenken und mehr direkte Beteiligungsmöglichkeiten für sie schaffen.

Darüber hinaus kann geschlechterresponsive und -transformative Konfliktbearbeitung nur so gut sein, wie ihr zugrunde liegende Daten, Analysen und Berichte es sind. Die überwiegende Mehrheit der Publikationen zum Krieg ignoriert den Faktor Geschlecht jedoch. Wirtschaftliche Gewalt und die Rolle von Maskulinitäten haben bisher beispielsweise kaum Aufmerksamkeit gefunden. Daher sollten auch Zivilgesellschaft und Wissenschaft ihr Bewusstsein für die Bedeutung geschlechtersensibler Analysen schärfen.

Zu guter Letzt: Im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt in der Ukraine muss deutlich werden, dass der bewaffnete Konflikt diese verstärkt, aber nicht ausgelöst hat. Zur Überwindung des »Kontinuums der Gewalt« gegen Frauen ist auch die Überwindung seiner gesellschaftlichen Ursachen, zu denen weibliche und männliche Geschlechterstereotypen und wirtschaftliche Ungleichheit gehören, vonnöten.

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