Die Autokephaliebestrebung als Spiegelbild des Kampfs um die Unabhängigkeit von Russland

Von Martin-Paul Buchholz (Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (Mainz))

Zusammenfassung
Seit dem Euromaidan und den Folgeereignissen wie der Annexion der Krim durch Russland und dem Konflikt im Donbass versucht die ukrainische Regierung, den Einfluss Russlands zu unterbinden. Mit dem russisch-ukrainischen Konflikt wird nun auch die Frage der Religion stark politisiert und die Versuche, sich weiter von Russland abzugrenzen, erreichen die religiöse Ebene. Mit der jüngsten Entscheidung des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche die Autokephalie verleihen zu wollen, scheint die kirchliche Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat nur noch eine Frage der Zeit. Das birgt einerseits die Chance, innerukrainische Kirchenkonflikte zu beenden, sorgt aber gleichzeitig für neue Spannungen im Verhältnis zu Russland.

Innen- und außenpolitische Aspekte

Seit April dieses Jahres wird in der Ukraine intensiv über eine Ukrainische Autokephale Kirche diskutiert. Autokephale Kirchen sind orthodoxe Kirchen, die unabhängig sind. Im Vordergrund steht dabei die Annahme eines Einflusses Moskaus auf die Orthodoxe Kirche in der Ukraine, der unterbunden werden soll.

Autokephale Kirchen unterstehen nicht dem Patriarchen eines anderen Landes, sondern haben ihr eigenes Oberhaupt und sind offiziell von den anderen orthodoxen Kirchen als eigenständig anerkannt. Das Streben nach Autokephalie und die Verleihung der Autokephalie sind im Prinzip kirchliche Angelegenheiten, in welche eine Einmischung der Politik nicht vorgesehen ist, zumal die Trennung von Staat und Kirche auch in der ukrainischen Verfassung festgeschrieben ist.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat nun im April den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I., welcher als "Primus inter Pares" den Ehrenvorsitz unter den orthodoxen Patriarchen hat, um die Gewährung eines Tomos (kirchlicher Erlass) zur Autokephalie für die orthodoxe Kirche in der Ukraine gebeten und damit eine Kette von Ereignissen und Reaktionen sowohl auf kirchlicher als auch auf politischer Ebene ausgelöst. Er betonte, die Autokephalie sei für sein Land ebenso wichtig wie der Schutz der Sprache, die Stärkung der Armee und das Streben nach einer EU- und NATO-Mitgliedschaft. Bei einer Abstimmung am 19. April sprach sich dann auch das ukrainische Parlament mit großer Mehrheit für eine autokephale Kirche in der Ukraine aus und bekräftigte die Bitte des Präsidenten. Damit haben sich politische Institutionen eindeutig in den religiösen Bereich eingemischt.

In der Geschichte der Ukraine stand die Frage nach der Autokephalie schon mehrfach auf der politischen Agenda und jedes Mal stand das Streben nach Unabhängigkeit von Russland dabei im Vordergrund, mit der Argumentation, dass ein unabhängiger ukrainischer Staat eine unabhängige Kirche benötige. Dies wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefordert, als sich unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges für kurze Zeit ein erster ukrainischer Staat konstituiert hatte. Es war die Geburtsstunde der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche (UAOK), die 1918 entstand und – nachdem sie in der Sowjetunion verboten und zu Beginn der 1990er Jahre wieder aktiv wurde – heute eine der drei orthodoxen Kirchen in der Ukraine ist.

In den 1990er Jahren wiederholten sich die Bemühungen um eine unabhängige ukrainische Kirche. Gleich nach der Unabhängigkeit der Ukraine, im Jahre 1991, hatte der erste ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk die Bemühungen um eine unabhängige ukrainische Kirche unterstützt, was damals aber lediglich zu einer weiteren Kirchenspaltung geführt hatte, da das Projekt nicht von allen Bischöfen unterstützt worden war. Aus der damaligen Abspaltung entstand das Kiewer Patriarchat. Auch der dritte ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko hatte den Versuch unternommen, eine ukrainische Nationalkirche zu etablieren, war aber ebenfalls gescheitert.

Die aktuelle Politisierung der Autokephalie-Bestrebungen hängt mit dem ukrainisch-russischen Konflikt zusammen. Der ukrainische Präsident enthob das Bestreben nach Autokephalie seines eigentlich religiösen Charakters, indem er es nationalpolitisch interpretierte und gar nicht erst verhehlte, dass es sich um Geopolitik handele.

Poroschenko räumte ein, dass eine eigene Kirche auch der Garant geistiger Freiheit sei, doch vor allem verknüpfte er die Frage nach der Autokephalie von Beginn an mit der Frage der ukrainischen Unabhängigkeit. So betonte er immer wieder, wie wichtig eine unabhängige orthodoxe Kirche für den unabhängigen Staat sei. Er bezeichnete diese sogar als Säule sowohl der ukrainischen Nation als auch der ukrainischen nationalen Sicherheit. Russland verliere – so Poroschenko wörtlich – nun seinen letzten Einflusshebel auf seine frühere Kolonie. Aus kirchlicher Perspektive geht es bei der Autokephalie weniger um nationale Sicherheit als vielmehr darum, eine Einheit der orthodoxen Gläubigen in der Ukraine wiederherzustellen – eine mehr als schwierige Herausforderung.

Die konfessionelle Situation in der Ukraine

In der Ukraine existieren seit der Mitte der 1990er Jahre drei orthodoxe ukrainische Kirchen. Es ist gerade die größte Kirche, nämlich die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK-MP), welche mit dem Moskauer Patriarchat zumindest strukturell verbunden ist. Sie weist zahlenmäßig die meisten Gemeinden (mehr als 12.000) und Klöster auf. Offiziell gehört sie zwar zum Moskauer Patriarchat, dessen Oberhaupt der russische Patriarch Kyrill I. ist, aber seit 1990 ist sie in ihrer Verwaltung selbstständig und auch ihr Oberhaupt wird in der Ukraine von den dortigen Bischöfen gewählt. Vor 1990 existierte in der sowjetischen Ukraine ein ukrainisches Exarchat (Verwaltungsbereich) der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK), welches dann die oben erwähnten Rechte erhielt und in Ukrainisch-Orthodoxe Kirche umbenannt wurde.

Die anderen beiden orthodoxen Kirchen waren aus dem Bestreben heraus entstanden, sich vom Moskauer Patriarchat zu lösen, wurden von der Weltorthodoxie aber bis vor kurzem noch nicht anerkannt.

Die zweite große orthodoxe Kirche ist die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats (UOK-KP). Diese ging 1992 aus einer Abspaltung von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche hervor und verfügt mit etwas mehr als 5.000 Kirchengemeinden zwar nur halb so viele die die UOK-MP. Jedoch zählt sich die Mehrheit der orthodoxen Gläubigen heute zum Kiewer Patriarchat zugehörig (s. Grafik 3 auf S. 7 und Grafik 4 auf S. 8).

Die dritte orthodoxe Kirche ist die erwähnte Ukrainische Autokephale Kirche, die im Vergleich zu den beiden anderen orthodoxen Kirchen jedoch nur wenige Gemeinden besitzt.

Zwischen den Anhängern der einzelnen Kirchen kam es seit den 1990er Jahren immer wieder zu – teils gewalttätigen – Auseinandersetzungen um Kirchenbesitz oder den Wechsel von Gemeinden von einer orthodoxen Kirche zur anderen. Diese Konflikte würden mit einer Vereinigung der orthodoxen Kirchen wegfallen.

Wie russisch ist die UOK-MP?

Im Kontext des russisch-ukrainischen Konfliktes beobachtet man die UOK-MP kritisch und unterstellt ihr, das Sprachrohr Moskaus in der Ukraine zu sein. Gleichzeitig ist der Einfluss des Moskauer Patriarchates auf die UOK-MP begrenzt. Bereits seit 1990 bestimmt in Kiew ein eigenes Bischofskonzil über die Belange der Kirche. Die 1990 vom Moskauer Patriarchat ausgearbeitete Kirchensatzung wurde 2007 ohne Rücksprache mit dem Patriarchat geändert. Die UOK-MP unterstützte 2013 und 2014 in ihren offiziellen Stellungnahmen die von der ROK und der russischen Politik dämonisierte Europapolitik der Ukraine, schloss sich also nicht der Position aus Moskau an.

Festzuhalten bleibt aber auch, dass ein Kurswechsel innerhalb der UOK-MP stattgefunden hat. Hatte das frühere Oberhaupt Metropolit Wolodymyr (Sabodan, 1992–2014) die Frage der Autokephalie in seiner Amtszeit offengelassen und diese in seinem geistlichen Testament gar als Krönung aller Bemühungen bezeichnet und das Ukrainische als Liturgiesprache erlaubt, so nahm sein Nachfolger Metropolit Onufrij (Beresowskyj, seit 2014) eine konservative Haltung ein. Onufrij lehnt die momentanen Bestrebungen nach einer autokephalen Kirche ab und fordert eine Rückkehr zum Kirchenslawischen als Liturgiesprache. Dennoch sollte Onufrij weniger als prorussisch oder gar antiukrainisch, sondern insgesamt als konservativ und wenig sensibel für die aktuelle Situation in der Ukraine bezeichnet werden.

Vor allem die fehlende Kritik des Moskauer Patriarchates an der aktuellen Politik Russlands gegenüber der Ukraine wirkte sich negativ auf die UOK-MP aus und machte diese zusätzlich unbeliebt. Auch wenn einige Metropoliten und Priester prorussische Einstellungen vertreten, haben sich seit 2014 auch im Klerus der UOK-MP neue Formen des nationalen Bewusstseins entwickelt. So gibt es durchaus proukrainische Vertreter der UOK-MP, die z. B. die Rückgabe der Krim an die Ukraine fordern. Dennoch bekam die UOK-MP die Folgen des Konflikts unmittelbar zu spüren: viele ihrer Gemeinden wandten sich dem Kiewer Patriarchat zu.

Schon einmal war vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine versucht worden, die UOK-MP vom Moskauer Patriarchat zu trennen und klarzustellen, dass das Kirchenoberhaupt ein Problem sei, da es in Russland residiere. Abgeordnete des ukrainischen Parlaments hatten mit Gesetzentwürfen versucht, die UOK-MP zu marginalisieren (siehe Ukraine-Analysen 187). Bis heute hat das Parlament jedoch nicht über die Entwürfe abgestimmt.

Moskau vs. Konstantinopel

Obwohl sich der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., bis vor kurzem geweigert hatte, neben der UOK-MP eine weitere orthodoxe Kirche in der Ukraine anzuerkennen – Delegationen des Kiewer Patriarchats hatten seit den 1990er Jahren immer wieder versucht beim Patriarchen vorzusprechen, jedoch ohne Erfolg – versprach er nun, sich der Frage einer autokephalen Kirche in der Ukraine anzunehmen. Der Protest aus Moskau folgte umgehend.

Am 31. August kam es zu einem Treffen zwischen Bartholomäus I. und Kyrill I., welches aber keine Ergebnisse in der Autokephalie-Frage brachte. Die Frage, wer berechtigt sei, die Autokephalie für eine ukrainische orthodoxe Kirche zu verleihen, blieb strittig. Sowohl der Patriarch von Konstantinopel als auch der Moskauer Patriarch nahmen dieses Recht für sich in Anspruch.

Über die Frage, wie man den Status der Autokephalie erlangen kann, sollte ursprünglich auf dem Panorthoxen Konzil 2016 auf Kreta entschieden werden, doch im Vorfeld konnte kein Konsens erreicht werden und schließlich sagte u. a. die ROK das Treffen ab. Beide Patriarchate stehen nicht erst seitdem in einem angespannten Verhältnis, was unter anderem damit zusammenhängt, dass das Moskauer Patriarchat als größte der orthodoxen Kirchen den Ehrenvorsitz von Bartholomäus I. in der orthodoxen Welt nur widerwillig anerkennt. Die Kiewer Metropolie, deren Oberhäupter seit 1686 offiziell vom Moskauer Patriarchat eingesetzt werden – worauf sich auch der Anspruch der ROK gründet, für Kirchenfragen in der Ukraine zuständig zu sein – war davor dem Patriarchat von Konstantinopel unterstellt gewesen.

Die Ankündigung des Ökumenischen Patriarchen, dass er sich der der Autokephalie-Frage annehmen werde, wurde bei dem Treffen vom russischen Patriarchen hingenommen, welcher im Anschluss sogar angab, das Gespräch sei gut verlaufen. Kaum war die russische Delegation wieder in Moskau eingetroffen, ließ das Moskauer Patriarchat verkünden, dass man überlege, die Beziehungen zum Ökumenischen Patriarchat einzustellen, sollte sich dieses in der Ukraine einmischen.

Am 7. September entsandte Bartholomäus I. zwei Exarchen (Vertreter des Patriarchen) nach Kiew, welche vor Ort mit den Vorbereitungen für eine autokephale Kirche in der Ukraine betraut wurden. Entsendungen dieser Art sind üblich, wenn es vor Ort keine kanonische Kirche gibt. In diesem Fall war sie ungewöhnlich, da es mit der UOK-MP bereits eine kanonische Kirche gab. Am 11. Oktober wurden auf der Synode des Ökumenischen Patriarchats in einer Art Fünf-Punkte-Programm Beschlüsse gefasst, welche unter anderem die bis dahin unkanonischen orthodoxen Kirchen in der Ukraine offiziell für kanonisch erklärten. Die Exkommunizierung geistlicher Hierarchen der bis dahin als nichtkanonisch geltenden Kirchen durch die Russisch-Orthodoxe Kirche wurde aufgehoben. Damit ist der Schritt für Gespräche auf Augenhöhe gegeben. Mit einer historischen und kirchenrechtlichen Argumentation enthob die Synode das Moskauer Patriarchat von jeder Zuständigkeit die Kiewer Kirche betreffende Belange: Die Übertragung der Zuständigkeit für die Kiewer Metropolie 1686 an das Moskauer Patriarchat wurde als widerrechtlich eingestuft. Zuständig sei allein das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel.

Während in der Ukraine diese Entscheidung selbst bei nichtgläubigen gefeiert wurde und Präsident Poroschenko vom Sieg des Guten über das Böse sprach, hagelte es Kritik aus Moskau.

Reaktionen aus Russland

Der Pressesprecher des Kremls, Dmitri Peskow, erklärte noch im September, dass man im Kreml beunruhigt sei über eine mögliche Gewährung der Autokephalie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Man trete in Moskau für die Erhaltung der Einheit der orthodoxen Welt ein, erwarte eine Berücksichtigung der Interessen der Russisch-Orthodoxen Kirche, würde sich jedoch nicht einmischen. Nach der Entscheidung aus Konstantinopel machte jedoch der russische Außenminister die USA für die Spaltung in der Orthodoxie verantwortlich. Die Autokephaliebestrebungen würden von Washington unterstützt. Das Moskauer Patriarchat wertet die Ereignisse als Einmischung in ihr kanonisches Territorium.

Festzuhalten bleibt, dass der Verlust der UOK-MP einen Prestigeverlust für die ROK darstellt, welche bisher von den Gemeindezahlen die größte aller orthodoxen Kirchen war. Mit der Autokephalie droht der UOK-MP jedoch der Verlust von bis zu zwei Drittel der Kirchengemeinden in der Ukraine, die wiederum einen beachtlichen Teil der gesamten Kirchengemeinden unter Obhut des Moskauer Patriarchats stellen.

Aus Protest über die Entscheidungen des Ökumenischen Patriarchen beschloss der Heilige Synod der ROK am 15. Oktober den Bruch mit dem Ökumenischen Patriarchat. Damit sind alle Kontakte eingestellt und die Gläubigen der beiden Kirchen können nicht mehr zusammen die Kommunion empfangen.

Die Folgen

Der Prozess zur Erlangung eines Tomos und damit zur Bildung einer vereinigten Ukrainischen Autokephalen Kirche ist mit den jüngsten Entscheidungen in Konstantinopel weiter vorangeschritten. Abgeschlossen werden kann dieser Prozess aber erst, wenn die UOK-KP, die UAOK und die Bischöfe der UOK-MP, die für eine Autokephale Kirche sind, sich in einem vereinigten Konzil versammeln und einen gemeinsamen neuen Vorsteher wählen. Einige Kirchenvertreter halten dies schon Ende 2018 für möglich. Wie und wer das Konzil organisiert ist aber nach wie vor unklar. Vorher sind noch einige Fragen zu klären. Abgesehen von kirchenrechtlichen Aspekten (z. B. die Frage, wer den Tomos wie übergibt) ist nicht geklärt, wie die neue Kirche zukünftig heißen und ob es überhaupt ein Patriarchat werden soll. Poroschenko hatte im Parlament als neuen Namen "Ukrainisch-Orthodoxe Kirche" verkündet. Die UOK-MP müsste sich dann umbenennen. Ob dies geschieht, bleibt offen.

Ebenso offen bleibt, ob es zu einer Spaltung der UOK-MP kommt. Eine Petition an den Ökumenischen Patriarchen, eine vereinigte ukrainische Kirche zu unterstützen, hatten nur 10 der 90 Bischöfe der UOK-MP unterstützt, nur zwei davon hatten sich öffentlich dazu bekannt. Jeder Gemeinde ist jedoch offengestellt, sich der neuen Kirche anzuschließen, wenn die Mehrheit dafür plädiert, unabhängig von der Entscheidung des jeweiligen Bischofs.

Poroschenko betonte wiederholt, dass es für jeden Gläubigen auch weiterhin möglich sein soll, bei seiner Kirche zu bleiben – auch wenn diese weiterhin mit der ROK verbunden bleiben wolle. Gleichfalls garantiere der Staat den Schutz der Rechte eines jeden Priesters und Gläubigen, sich von der UOK-MP und den Moskauer Strukturen zu lösen und sich dem neuen Kirchenmodell anzuschließen. Die Vereinigung aller in einer autokephalen Kirche sei ein Weg des Friedens und des Verständnisses. Sollte beobachtet werden, wie Kirchen und Klöster mit Gewalt besetzt würden, so sei dies vom Kreml mit dem Ziel organisiert, in der Ukraine einen Religionskrieg zu entfachen.

Fazit

Poroschenko bezweckt mit seinem Vorgehen zweierlei. Zum einen eine international kirchliche Anerkennung einer ukrainischen Nationalkirche, und zum anderen eine Marginalisierung kirchlicher Verbindungen zum Moskauer Patriarchat. Bei einem Erfolg seines Vorgehens könnte er davon bei den Präsidentschaftswahlen im März 2019 profitieren. Dass das Streben nach Autokephalie in erster Linie nicht unbedingt ein Bedürfnis der gesamten Bevölkerung ist – auch wenn mehr Gläubige für die Autokephalie sind als dagegen – sondern vor allem ein politisches Unterfangen, zeigen die Umfragen des Rasumkow-Zentrums (s. Grafik 1 auf S. 6 und Grafik 2 auf S. 7). Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten der orthodoxen Kirchen steht bei den Gläubigen nicht im Vordergrund. Die meisten Ukrainer besuchen schlicht die Kirche in ihrer Nähe. So ist auch der scheinbare Widerspruch zu erklären, dass die UOK-MP zwar mit Abstand die meisten Gemeinden besitzt, aber bei Umfragen die UOK-KP vorne liegt, wenn es darum geht, welcher Kirche man sich zugehörig fühlte.

Die Vereinigung der orthodoxen Kirchen der Ukraine könnte bisherige immer wieder aufflammende Konflikte zwischen den einzelnen Kirchen um Kirchennutzung und -besitz beenden. Auch theologisch könnten von dieser Kirche neue Impulse ausgehen. Die Instrumentalisierung der Politik und der Konflikt zwischen dem Ökumenischen und dem Moskauer Patriarchat erscheinen dagegen weniger positiv.

In jedem Fall wird eine neue vereinte Autokephale Ukrainisch-Orthodoxe Kirche die Politiker in Moskau ebenso verärgern wie das Moskauer Patriarchat. Der Anspruch des Moskauer Patriarchats, die Ukraine als historisches Einflussgebiet und Russland, die Ukraine und Belarus als religiös kulturelle Einheit zu betrachten, in welcher keine Separierungen vorgesehen sind, wird energisch zurückgewiesen. Die bisher größte und bis vor kurzem einige UOK-MP wird an Bedeutung verlieren. Den russischen Einfluss und die Aggressionen auf und gegen die Ukraine wird man mit der Entscheidung wohl ebenso wenig vermeiden.

Lesetipps / Bibliographie

Katrin Boeckh, Oleh Turij (Hrsg.): Religiöse Pluralität als Faktor des Politischen. München 2015, ISBN: 978-3-86688-504-2

Thomas Bremer, Sophia Senyk: Kann die Geschichte den Konflikt um die ukrainische Autokephalie lösen? <https://noek.info/hintergrund/784-kann-die-geschichte-den-konflikt-um-die-ukrainische-autokephalie-loesen?idU=1&idU=1>

Thomas Bremer: Zur kirchlichen Situation in der Ukraine, Ukraine-Analysen Nr. 43, 09.09.2008, S. 21–24, <http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen43.pdf>

Zum Weiterlesen

Analyse

Geopolitik, Macht und kirchliche Identität: Der Konflikt um die orthodoxe Kirche in der Ukraine

Von Regina Elsner, Nadezhda Beljakova
Am 6. Januar 2019 ist die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine mit dem sogenannten Autokephalie-Tomos anerkannt worden. Damit sollten die anhaltenden Diskussionen um die Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche in der Ukraine von Moskau beendet werden. Politische Verstrickungen und kirchliche Machtkämpfe führen jedoch dazu, dass die kirchliche Lage in der Ukraine noch viele Jahre konfliktreich bleiben wird.
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