Wahlzirkus verstellt Blick auf positive Aspekte

Von Eduard Klein (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)

Zusammenfassung
Es ist nicht so, dass die jüngere Geschichte der Ukraine arm wäre an Kuriositäten. Die Grenzen zwischen Politik, Entertainment und Politsatire verschwimmen. Dieser Wahlzirkus verstellt den Blick auf den doch eigentlich in mehreren Aspekten positiven Verlauf der Wahl.

Es ist nicht so, dass die jüngere Geschichte der Ukraine arm wäre an Kuriositäten. Aber der diesjährige Präsidentschaftswahlkampf driftet mit dem Videoclip-Battle zwischen Präsident Poroschenko und dem Comedian Selenskyj, die in die Stichwahl eingezogen sind, spätestens seit deren medial inszenierten Drogentests zusehends ins Absurde. Statt einer echten inhaltlichen Auseinandersetzung – vor allem bei der »Wundertüte« Selenskyj weiß niemand wirklich, wofür er steht – wird aktuell eine apolitische Debatte über die Debatte geführt. Die Grenzen zwischen Politik, Entertainment und Politsatire verschwimmen. Dieser Wahlzirkus verstellt den Blick auf den doch eigentlich in mehreren Aspekten positiven Verlauf der Wahl:

Erstens: Der politische Wettbewerb, auch wenn er verzerrt ist, funktioniert. Es gingen mehr Ukrainerinnen und Ukrainer zur Urne als 2014, und der Ausgang der Wahl war bis zum Schluss offen. Dass ausgerechnet ein Newcomer ohne politische Erfahrung und Netzwerke das Rennen machen würde in einem Land, in dem die Politik in zentralen Teilen immer noch von Oligarchen in Hinterzimmern gelenkt wird – damit haben vor zwei Monaten nicht einmal die Menschen in der Ukraine gerechnet, geschweige denn das Ausland. Damit unterscheidet sich die Ukraine fundamental von ihren postsowjetischen Nachbarn, etwa Belarus, Kasachstan und Russland, wo seit vielen Jahren Autokraten regieren, die immer neue Wege finden, wie sie auch nach ihrem offiziellen Abgang an der Macht bleiben können. Echte politische Konkurrenz und Wahlen nach demokratischen Standards zählen dabei eher nicht zu deren Repertoire.

Zweitens: Die Wahl verlief weitgehend sauber, entsprechend zufrieden zeigte sich die OSZE. Es gab zwar Probleme und Zwischenfälle – mal machten die Wahllokale zu spät auf, einige Wahllokale waren überfüllt und es gab auch Hinweise auf Stimmenkauf. Aber im Großen und Ganzen registrierten die Tausenden internationalen und nationalen Wahlbeobachter, die den Wahlprozess aufmerksam begleiteten, keine systematischen Verstöße. Nur zum Vergleich: Vor wenigen Tagen berichtete die unabhängige russische Wahlbeobachtungsorganisation »Golos«, dass bei der russischen Präsidentschaftswahl 2018 in der Region Kabardino-Balkarien nach Auswertung von Überwachungskameras die Wahlbeteiligung nicht wie offiziell angegeben bei 92 Prozent lag, sondern nur bei 35 Prozent.

Drittens: Die »faschistische Bedrohung« erweist sich einmal mehr als Mythos. Der Präsidentschaftskandidat der Rechten, Ruslan Koschulinskyj, landete mit 1,6 Prozent der Stimmen weit abgeschlagen auf Rang 9. Sicher, das wird demokratiefeindliche rechtsextreme Gruppierungen kaum davon abhalten, weiter den Staat und die darin lebenden Menschen, vor allem Minderheiten, anzugreifen. Das ist ein gesellschaftliches Problem, bei dessen Lösung Politik und Behörden bisher versagt haben. Aber auf der politischen Bühne spielen rechte Kräfte eine marginale Rolle. Dass die Bevölkerung bei dieser Wahl trotz ihres berechtigten Frusts auf das »korrupte politische Establishment«, trotz der schwierigen Lebensbedingungen und trotz des andauernden Krieges im Donbas nicht rechts gewählt hat, zeugt davon, dass die Ukraine sich in dieser Hinsicht von anderen europäischen Staaten, wenn überhaupt, dann positiv unterscheidet.

Nun steht am 21. April die Stichwahl an. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, wer die mehr als 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die weder für Selenskyj noch für Poroschenko gestimmt haben, für sich gewinnen kann. Und ob sich diese von negativen Drogentests eher überzeugen lassen als von starken Argumenten und einer klaren politischen Agenda, bleibt abzuwarten.

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Analyse

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