Der Sieg des Linkspopulismus – und der Einfluss der Oligarchen

Von Switlana Konontschuk (Ukrainian Center for Independent Political Research, Kiew)

Die ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2019 betrachte ich als Wahlen in einer »neopatrimonialen Demokratie«, wie der ukrainische Politikwissenschaftler Oleksandr Fisun das politische Regime der Ukraine bezeichnet hat (siehe dazu auch die Ukraine-Analysen Nr. 169 vom 25.5.2016, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen169.pdf). Genau wie in den vorangegangenen Jahren werden die Prinzipien der repräsentativen Demokratie in den nächsten fünf Jahren von Oligarchen auf die Probe gestellt werden. Die »Revolution der Würde«, der Euromaidan, hat bedauerlicherweise den Einfluss der Oligarchen auf die Politik nicht zurückgedrängt, sodass sie weiter Auftraggeber und Profiteure der ukrainischen Politik sind, ohne sich demokratischen Kontroll- und Rechenschaftsverfahren zu unterziehen.

Das Wahlergebnis stellt einen Schritt auf dem Weg zur »Rückeroberung« der politischen Machtposition und des Zugangs zu wirtschaftlichen Vorteilen durch einen der wichtigsten Akteure in der ukrainischen Politik – Ihor Kolomojskyj – dar. Sein Geschäftspartner, der Medienmanager und Stand-up-Comedian Wolodymyr Selenskyj, erzielte als perfekter linkspopulistischer Kandidat einen überzeugenden Sieg im zweiten Wahlgang. Die Leitmotive seines Diskurses sind Gerechtigkeit und Gleichheit. Das Ziel ist ein »Land der Träume«. Das Mittel zum Erfolg ist sein persönlicher Einsatz für das Gemeinwohl.

Das »Highlight« des Wahlkampfes war die Tatsache, dass sich Selenskyjs Kampagne auf seine Darstellung eines Lehrers (und damit »einfachen Mannes« aus dem Volk), der zum Staatsoberhaupt gewählt wird, in einer Fernsehserie stützte. Wolodymyr Selenskyj selbst nahm keine persönlichen Treffen mit Wählern wahr – insofern kann man sagen, dass die Wähler eher für die Fernsehfigur gestimmt haben und dass Selenskyjs eigene Kandidatur im Hintergrund stand.

Dieser Punkt ist sehr wichtig, wenn man die politische Perspektive von Wolodymyr Selenskyj im Einzelnen und der Demokratie in der Ukraine im Allgemeinen betrachtet.

Erstens werden selbst kontrollierte Medien den Unterschied zwischen dem Serienhelden und der Person Selenskyj nicht für lange Zeit verbergen können, da durch das Fehlen einer zivilgesellschaftlichen und politischen Vorgeschichte die Abhängigkeit seiner Entscheidungen von zwielichtigen Kreisen, die in seinen Sieg investiert haben, schnell deutlich werden wird. Dies dürfte Selenskyj zum Verhängnis werden.

Zweitens befindet sich die Ukraine in einer objektiv schwierigen wirtschaftlichen und in einer noch komplizierteren außenpolitischen Lage. Wenn der bisherige Präsident Petro Poroschenko mit seinem Wahlkampf zu Sicherheitsthemen und der Bedrohung von außen bei den Wählern nicht erfolgreich war, heißt das nicht, dass äußere Bedrohungen nicht vorhanden wären. (Das Wahlergebnis zeigt eher, dass die Wähler in Poroschenko nicht die Person sehen, die diesen Bedrohungen gewachsen wäre.) Buchstäblich am ersten Tag nach der Wahl erklärte Russland auf höchster politischer Ebene, die Bewohner der selbsternannten Republiken in der Ostukraine könnten russische Pässe erhalten, und kurz darauf, alle Ukrainer könnten einen russischen Pass beantragen.

Mit einer ähnlichen Strategie begannen im Jahr 2014 der »Krim-Frühling« und das Projekt »Neurussland« im Osten der Ukraine, als unter dem Vorwand, russische Bürger müssten geschützt werden, verschiedene finanzielle und militärische Maßnahmen zur Unterstützung separatistischer Bewegungen eingeleitet wurden. Vor dem Hintergrund der Eskalation der Beziehungen zum östlichen Nachbarn muss der neue Präsident der Ukraine sowohl seine Position zu Russland als auch seine Politik gegenüber den selbsternannten Republiken formulieren. Es gibt in diesem Zusammenhang keine einfachen Entscheidungen und es gibt keine Lösung, die die beteiligten Gruppen – die ukrainische Gesellschaft, die selbsternannten Republiken und Russland – auch nur zur Hälfte zufriedenstellen würde. Deshalb besteht kein Zweifel, dass der beispiellos hohe Stimmenanteil Selenskyjs bei der Wahl (73 Prozent) schon bald von anderen politischen Akteuren abgeworben wird.

Wenn nichts Außergewöhnliches geschieht, wird die Ukraine im Oktober 2019 Parlamentswahlen abhalten. Es ist klar, dass Selenskyj im zweiten Wahlgang Protestwähler gegen Poroschenkos Politik und Protestwähler gegen das Establishment als solches weitgehend hinter sich versammeln konnte. Seine tatsächliche Unterstützung wurde im ersten Wahlgang deutlich und ist mit 30 Prozent nicht einmal halb so groß.

Auch wenn Selenskyjs politische Partei (die erst noch formiert und auf den Wahlkampf vorbereitet werden muss) bei derjenigen Hälfte der Parlamentssitze, die per Verhältniswahlrecht vergeben werden, ebenfalls 30 Prozent erreicht und selbst wenn für die andere Hälfte der Parlamentssitze, die in Einzelwahlkreisen vergeben werden, das »Team Kolomojskyj-Selenskyj« am Ende ebenfalls einen Teil der Abgeordneten stellt, ist es unwahrscheinlich, dass Selenskyj in der Lage sein wird, im Parlament eine stabile Mehrheit zu bilden, die seine politischen Initiativen effektiv unterstützt. Dies gilt insbesondere für Verfassungsänderungen in Bezug auf die Machtverteilung im politischen System, für die eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten erforderlich ist.

Da die übrigen politischen Akteure kein Interesse daran haben, dass der neue Präsident mit seiner Klientel die ukrainische Politik dominiert, ist ein intensiver politischer Machtkampf zu erwarten, der den oligarchischen Konsens – ein Gleichgewicht der Kräfte bzw. der verschiedenen Einflussgruppen – erhalten wird. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass der neue Präsident seine Macht in Politik und Gesellschaft konsolidieren kann. Stattdessen wird die Ukraine ein schnelles Ende des linkspopulistischen Märchens erleben.

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Lina Pleines

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Analyse

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Von Katerina Bosko [Malygina]
Am 17. Januar 2010 fand die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine statt. Das Ergebnis war schon lange vor den Wahlen absehbar: Von den 18 Kandidaten haben sich Julia Timoschenko und Viktor Janukowitsch mit den entsprechenden 25 % und 35,5 % der Stimmen für die Stichwahl am 7. Februar qualifiziert. Allerdings ist das Ergebnis der zweiten Runde trotz einer Kluft von 10% zwischen Timoschenko und Janukowitsch weit weniger vorhersehbar. (…)
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