»Russland hat kein Monopol auf die russische Sprache!«

Von Mustafa Najem (Kiew)

Der folgende Facebook-Post des ukrainischen Parlamentariers und Journalisten Mustafa Najem erschien am 24.04.2019 im Onlinemagazin The New Times und wurde von dekoder ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht.

Einleitung von dekoder


Am 24. April 2019 hat Präsident Putin einen Erlass unterzeichnet, wonach den Bewohnern der sogenannten Donezker und Lugansker Volksrepubliken die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft erleichtert werden soll. In den Gebieten wird seit 2014 gekämpft.
Kurz nach der Wahl des neues ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dem Putin zum Wahlsieg nicht gratuliert hatte, kam der Erlass sehr überraschend. Der noch amtierende ukrainische Präsident Petro Poroschenko warnte vor einer russischen Annexion der Gebiete.
Als aggressives Symbol kritisierten zahlreiche Beobachter das Handeln Putins, der ehemalige Jelzin-Berater Georgi Satarow etwa kommentierte auf Facebook: »Es ist ganz offensichtlich, dass diese kleine Schikane (statt einer Gratulation) das typische nervöse Zucken eines Mannes ist, der voller Schwermut erschreckt nach Luft schnappt vor Neid auf einen, der mehr als 70 Prozent der Stimmen bekommen hat, und zwar ohne den Einsatz einer riesigen Propagandamaschine, ohne Unterdrückung und Betrug.«
Der Kreml dagegen betonte, man habe »nicht den Wunsch, der neuen ukrainischen Führung Probleme zu machen«. Der sogenannte Chefideologe des Kreml Wladislaw Surkow sagte, der Erlass sei »eine Pflicht Russlands gegenüber den Menschen, die auf Russisch denken und sprechen und die sich wegen der repressiven Maßnahmen des Kiewer Regimes jetzt in einer sehr schwierigen Situation befinden«. Mit russischem Pass würden sich »die Menschen beschützter und freier« fühlen.
Das russische Onlinemagazin The New Times veröffentlichte mehrere Blogbeiträge zum Thema, unter anderem den Facebook-Post von Mustafa Najem. Der einstige Journalist, der heute Mitglied der Rada ist, gilt als Initiator des Euromaidan 2013.

Vor wem schützt ihr denn dort die russischsprachigen Menschen?!

Wladimir Putin hat einen Erlass unterschrieben. Darin geht es darum, die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft für Bewohner der besetzten Gebiete in den Oblasten Donezk und Luhansk zu erleichtern. Das Ziel dieser internationalen Sabotage ist offensichtlich: Seinerzeit ermöglichte die massenweise Vergabe russischer Pässe an die Bewohner Abchasiens und Südossetiens die russische Invasion im August 2008 nach Georgien.

Aber am ärgerlichsten ist dieser unglaubliche Unsinn über die russischsprachigen Menschen, mit dem das gerechtfertigt wird. »Wenn sie erst einmal [russische – Anm. d. dekoder-Red.] Pässe haben, werden sich die Leute sicherer fühlen«, sagt Wladislaw Surkow.

Man fragt sich: Vor wem schützt ihr denn dort die russischsprachigen Menschen?! Da gibt es keine ukrainische Staatsmacht. Da ist alles in der Hand eurer Freunde. Da rollt der Rubel. Der ganze offizielle Schriftverkehr ist auf Russisch. Und ein Sachar Prilepin rennt fröhlich durch die Schützengräben. Wen wollt ihr da vor wem beschützen?!

Wenn es schon so weit gekommen ist, denke ich, sollte man Herrn Surkow einfach anbieten, herzukommen und die russische Sprache zu schützen, etwa an der Frontlinie oder in einem beliebigen [ukrainischen – Anm. d. dekoder-Red.] Truppenteil, wo Tausende, die Russisch sprechen, ihren Dienst leisten. Ich fände das irre interessant. Oder kommen Sie doch hierher, nach Kiew, und schauen Sie mal im Barbakan oder bei Pizza Veterano rein – auch da gibt es eine Vielzahl russischsprachiger Ukrainer, die quasi nur darauf warten, dass man sie beschützt. Am besten noch, Sie schauen auch mal beim Asow-Bataillon vorbei und versuchen denen Ihre Hilfe anzubieten.

Aber gut.

Hören Sie. Ich bin russischsprachiger Ukrainer. Ich habe nur eine einzige Amtssprache: Ukrainisch. Wie auch Millionen weitere russischsprachige Ukrainer, brauche ich nicht den Schutz eines Wladislaw Surkow, eines Wladimir Putin und weiterer Nachfahren unseres Kiewer Fürsten Juri Dolgoruki. Genau wie Englisch nicht Großbritannien, Französisch nicht Frankreich und Spanisch nicht ausschließlich den Spaniern gehört, so ist auch die russische Sprache nicht das Eigentum der Russischen Föderation.

Gerade die Ukraine sollte meiner Meinung nach das Land werden, das dem Kreml das Monopol auf die russische Sprache entzieht sowie das alleinige Recht, russischsprachige Menschen zu schützen. Ich arbeite schon lange daran und werde bald meine Sicht auf die Situation in den besetzten Gebieten vorlegen. Ich weiß nicht, welche Ideen zu diesem Thema im Stab des neu gewählten Präsidenten besprochen und ob überhaupt welche besprochen werden. Doch ich bin bereit, meinen Plan vorzulegen und mit jeder Regierung zusammenzuarbeiten, die ihn für effektiv und umsetzbar hält.

Und was die russische Sprache betrifft, so meine ich das ernst. Was ist das für eine teuflisch »humanitäre« Leibeigenschaft? Russisch gehört unter anderem auch uns. Und es geht hier nicht um eine zweite Amtssprache, die meiner festen Überzeugung nach Englisch sein sollte; es geht darum, dass mit unseren Leuten, die von Russland als Geisel genommen wurden, nicht nur der Terroristen-Staat Russisch reden sollte.

Übersetzung aus dem Russischen: dekoder-Redaktion

Über den Autor:

Mustafa Najem (geb. 1981) ist ein ukrainischer Parlamentarier und Journalist. Er gilt als einer der Initiatoren des Euromaidan. Najem ist Mitglied der Partei »Block Petro Poroschenko«.

Das russischsprachige Original des vorliegenden Beitrags ist online verfügbar unter https://newtimes.ru/articles/detail/179913/?utm_source=facebook&utm_medium=social&utm_campaign=thenewtimes&utm_content=rss&fbclid=IwAR3gdvSGoAzic8-eQpJgg1Iyc7FTEdr9wG4izo5h6HDj2Khouk4KsZnK5QM, die Übersetzung ins Deutsche durch dekoder unter https://www.dekoder.org/de/article/russische-paesse-donbass-putin.

Dieser Beitrag wurde übernommen im Rahmen des Projektes »Wissenstransfer2 – Russlandstudien (https://www.forschungsstelle.uni-bremen.de/de/5/20190308202039/Wissenstransfer_hoch_zwei.html)«, das von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und dekoder.org mit finanzieller Unterstützung der Volkswagen-Stiftung durchgeführt wird.

Die Redaktion der Ukraine-Analysen freut sich, dekoder.org als langfristigen Partner gewonnen zu haben. Auf diesem Wege möchten wir helfen, die Zukunft eines wichtigen Projektes zu sichern und dem russischen Qualitätsjournalismus eine breitere Leserschaft zu ermöglichen. Wir danken unserem Partner dekoder und Mustafa Najem für die Erlaubnis zum Nachdruck.

Die Redaktion der Ukraine-Analysen

Zum Weiterlesen

Dokumentation

Nach dem Erlass zur erleichterten Verleihung der russischen Staatsangehörigkeit – Reaktion in den »Volksrepubliken«

Um die Reaktion auf Wladimir Putins Erlass zu Erleichterungen bei der Vergabe russischer Pässe in den selbsternannten »Volksrepubliken Donezk und Luhansk« zu dokumentieren, veröffentlichen die Ukraine-Analyse hier Auszüge aus dem 55. Newsletter Developments in »DNR« and »LNR« vom 26. April 2019 von Nikolaus von Twickel. Der Newsletter basiert auf der Auswertung öffentlich zugänglicher Internetquellen und ist im Rahmen des Programms »Menschenrechtsschutz in der Ostukraine 2018« des Deutsch-Russischen Austausch (DRA e. V.) entstanden. (…)
Zum Artikel
Analyse

Ein neuer Impuls zur Beilegung des Donbas-Konflikts?

Von André Härtel
Trotz einiger Anzeichen für Bewegung bei der Lösung des Donbas-Konflikts zwischen der Ukraine und Russland gibt es noch keinen klaren Fahrplan, wie es nun weitergeht. Der neue ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj arbeitet aktuell daran, eine Reihe von Maßnahmen zu entwickeln, die für seine in dieser Frage geteilte Bevölkerung akzeptabel sind, während Russland im Grunde vom Status quo profitiert. Daneben gibt es zahlreiche offene Fragen zur Umsetzung von Minsk II in einer Zeit, in der der Westen sanktionsmüde scheint und sich zunehmend auf andere Themen fokussiert.
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS