Vorsichtiger Skeptizismus angebracht

Von Margarita M. Balmaceda (Seton Hall University/Harvard Ukrainian Research Institute)

Als die »Diener des Volkes« in diesem Frühling und Frühsommer die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mit Erdrutschsiegen gewannen, begann für Beobachter der ukrainischen Politik eine neue spannende Ära. Doch man musste noch bis zur konstituierenden Sitzung der Werchowna Rada am 29. August und der Ernennung der neuen Regierung warten, um sich ein wirkliches Bild über die bevorstehenden Veränderungen machen zu können. Während viele die »Monomajorität« der Partei »Diener des Volkes« in der neuen Rada betonen, die die Möglichkeit eröffnet, aufgrund der absoluten Mehrheit erforderliche Reformgesetze zu verabschieden, wäre ich aus drei Gründen vorsichtig skeptisch.

Erstens: Die Geschwindigkeit, mit der die wichtigsten Nominierungen für Ministerposten – weitgehend intransparent entschieden vom Präsidenten und seinem inneren Kreis, der unter dem Einfluss eines wichtigen Oligarchen steht – von der Rada bestätigt wurden, ohne dass die Kandidaten überhaupt die Möglichkeit hatten, ihr Programm vorzustellen, ist alles andere als ein gutes Zeichen. Die Ukraine braucht ein echtes parlamentarisches System mit ernsthaften politischen Debatten, und keine Gesetzgebung durch Akklamation. Zweitens: Trotz der scheinbaren Einheit, die sich bei der ersten Sitzung zeigte, bestehen die »Diener des Volkes« nicht aus einem monolithischen Block, sondern aus Abgeordneten mit unterschiedlichsten Interessen, ideologischen und außenpolitischen Perspektiven. Daher erwarte ich, dass bis zu diesem Winter die ersten Risse in diesem scheinbaren Monolithen auftreten werden. Drittens: Wichtige Wirtschaftsgruppen (nicht nur um Ihor Kolomojskyj oder die Firtasch- Ljowotschkin-Gruppe, die durch die »Oppositionsplattform – Für das Leben« in der Rada vertreten ist, sondern auch Gruppen ohne Vertretung, wie etwa um Rinat Achmetow) werden bald versuchen, Einfluss auf viele Abgeordnete auszuüben – besonders auf unabhängige Abgeordnete, die in Einzelwahlkreisen gewählt wurden, in denen sich von Oligarchen kontrollierte Unternehmen befinden, mit deren Hilfe sie erheblichen Einfluss ausüben können. Dies gilt insbesondere für Rinat Achmetow, dessen »Oppositionsblock« nicht ins Parlament eingezogen ist.

Auch die Zusammensetzung des neuen Ministerkabinetts – das fast ohne Diskussionen bestätigt wurde – ist sehr unausgewogen. Einerseits genießen einige Personen, wie Ruslan Rjaboschapka, einen sehr guten und integren Ruf und werden von der Zivilgesellschaft geschätzt. Andere, wie Arsen Awakow, der zum Innenminister wiederernannt wurde, stehen im Verdacht, Reformen zu blockieren.

Selenskyjs Bereitschaft, mit Wolodymyr Zemach einen Schlüsselzeugen im MH 17-Fall aufzugeben, liefert wichtige Hinweise auf seine Strategie bezüglich der militärischen Intervention Russlands in der Ostukraine. Mit Zemachs Freilassung sendet er das Signal, dass er dazu bereit ist, humanitäre Maßnahmen vor prinzipielle Grundsatzfragen zu stellen. Das Problem ist jedoch, dass dies nicht nur ein Signal an Putin ist, sondern auch an die nicht immer einfachen Partner der Ukraine in der EU. Genau zu dem Zeitpunkt, da immer mehr Politiker von Finnland über Deutschland bis Frankreich die Schwächung der Sanktionen gegenüber Russland fordern, drohen die Befreiung von Zemach und die scharfe Reaktion der niederländischen Regierung, die Einheit der EU hinter der Ukraine zu schwächen.

Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Eduard Klein

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