Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine

Von Oleksandra Keudel (Kyiv School of Economics), Oksana Huss (Universität Bologna)

Zusammenfassung
Die Ukraine hat während der großangelegten russischen Invasion seit dem 24. Februar 2022 eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit bewiesen. Diese bezeichnen wir als „demokratische Resilienz“, weil sie von demokratischen Mechanismen unterstützt wurde. Diese drückt sich nicht nur im Engagement der ukrainischen Bürger:innen aus, die der Invasion auf vielfältige Weise Widerstand leisten, sondern auch in der Aufrechterhaltung der Staatlichkeit und Demokratie inmitten des größten Krieges auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Basierend auf Umfragedaten beleuchtet der folgende Text, welchen maßgeblichen Anteil daran die kommunalen Selbstverwaltungsbehörden haben und wie sie eine auf Bürgerbeteiligung und Kooperation mit nichtstaatlichen Akteuren basierende demokratische Resilienz ermöglichen.

Dezentralisierungsreform als Grundstein

Die 2014 eingeleitete Dezentralisierungsreform führte zu tiefgreifenden Veränderungen in der territorialen Organisation der Ukraine und schuf den Rahmen und die Bedingungen für die heutige Widerstandsfähigkeit. Dank des Zusammenschlusses von tausenden kleinen Gemeinden, sog. »Hromadas«, zu größeren Verwaltungseinheiten (sog. »amalgamierte Gemeinden«) sowie der Erweiterung ihrer steuerlichen und politischen Autonomie, stärkte diese Reform die kommunale Selbstverwaltung in der Ukraine maßgeblich. Die Reform ermöglichte den kommunalen Selbstverwaltungen der Hromadas, höhere Steuereinnahmen zu erzielen und öffentliche Dienstleistungen nach lokalen Bedarfen und Prioritäten zu erbringen. Durch die Dezentralisierungsreform erhielten die kommunalen Selbstverwaltungsbehörden somit die benötigten Befugnisse und Ressourcen, um direkt auf die Bedürfnisse ihrer Bürger:innen eingehen zu können. Durch die größeren finanziellen Kapazitäten, z. B. den Zugriff auf 60 Prozent der Lohnsteuer und auf 100 Prozent der Einkommensteuer, stiegen die Einkünfte der Hromadas von 1.7 Mrd. Euro in 2020 auf 8.4 Mrd. Euro in 2021. Das gab auch den Anstoß zu einer transparenteren, rechenschaftspflichtigen lokalen Verwaltung, die zunehmend offen für die Kooperation mit Bürger:innen geworden ist.

Die Verhängung des Kriegsrechts am 24.02.2022 als Reaktion auf die großangelegte russische Invasion hatte fundamentale Auswirkungen auf das mehrstufige Regierungssystem der Ukraine. Das Kriegsrecht setzte zahlreiche demokratische Mechanismen außer Kraft bzw. schränkte sie massiv ein (siehe dazu auch Ukraine-Analysen 285). Dazu gehören z. B. Wahlen, Proteste und Streiks. Für die Dauer des Kriegsrechts wurden regionale Militärverwaltungen (RMA) anstelle der zivilen Staatsverwaltungen eingerichtet. Die RMA übernehmen seither die Organisation sozialer Dienstleistungen und koordinieren, eng mit dem Militär, Evakuierungen und Verteidigungsmaßnahmen. Die Leiter der RMA werden vom Präsidenten ernannt. Die Gemeindeoberhäupter erhielten zusätzliche Kompetenzen im Bereich der Sicherheit. Sie können auf Sonderfonds zurückgreifen, um auf Notfälle in den Gemeinden zu reagieren. Auch die Transparenz wurde eingeschränkt: Bestimmte Entwürfe von Kommunalverwaltungsgesetzen müssen nicht mehr veröffentlicht werden. Ebenso schränkte das Ministerkabinett der Ukraine (KMU) die Veröffentlichung bestimmter offizieller statistischer Daten ein. Obwohl die Beschränkungen später gelockert wurden, sind einige rechenschaftsrelevante Daten, z. B. für Staatseinkäufe oder Gesetzesentwürfe immer noch nicht verfügbar. Zusammengenommen können diese Änderungen zwar zu einer schnelleren und flexibleren Entscheidungsfindung führen, was im Kriegsfall unerlässlich ist, und sie lassen sich auch mit Sicherheitserwägungen rechtfertigen. Dennoch erhöhen diese Änderungen letztlich den Ermessensspielraum der kommunalen Verwaltungen, was die Rechenschaftspflicht im mehrstufigen ukrainischen Regierungssystem, die durch die Dezentralisierungsreform erreicht wurde, wieder schwächt und daher problematisch sein kann.

Eine Umfrage unter ukrainischen kommunalen Selbstverwaltungsbehörden zu Kriegszeiten

Im Folgenden berichten wir über ausgewählte Ergebnisse einer Umfrage unter Kommunalverwaltungen ukrainischer Gemeinden (Hromadas), die zwischen dem 30. August – 20. September 2022 durchgeführt wurde. Die Umfrage wurde vom Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats (CoE-Kongress) und dem Verband der ukrainischen Städte in Auftrag gegeben. Die Stichprobe umfasste 241 Gemeinden, was 17 Prozent aller Hromadas in der Ukraine entspricht. Die Ergebnisse der Umfrage spiegeln vor allem die Praktiken und Einstellungen von Gemeinden mit bis zu 50.000 Einwohner:innen wider (sowohl städtischen als auch ländlichen Typs), wozu 86 Prozent aller untersuchten Gemeinden gehören. Von diesen befanden sich 192 außerhalb von Kampfgebieten, 12 waren zum Zeitpunkt der Befragung von der russischen Besatzung befreit worden. Zusätzlich zur quantitativen Umfrage wurden sieben qualitative Interviews und zwei Fokusgruppen mit öffentlichen Bediensteten aus städtischen und ländlichen Gemeinden, auf lokaler und regionaler Ebene und in Gemeinden mit unterschiedlicher Sicherheitslage (außer besetzten Gemeinden), geführt.

Lokale Behörden als Akteure der demokratischen Resilienz

Der konventionelle Ansatz zur Beurteilung der Widerstandsfähigkeit eines Landes gegen einen militärischen Angriff von außen sowie mangelndes Wissen über die Ukraine hat – fälschlicherweise – viele Expert:innen und Politiker:innen dazu verleitet, die militärische Niederlage bzw. den Staatszerfall der Ukraine innerhalb weniger Tage nach Beginn des russischen Angriffskrieg vorherzusagen. Der konventionelle Ansatz beschränkt die Analyse der Widerstandsfähigkeit eines Staates auf militärische Faktoren wie die Anzahl der Soldat:innen und militärische Ausrüstung. Entgegen vielen Erwartungen haben jedoch nicht nur die quantitativ und qualitativ unterlegenen Streitkräfte der Ukraine effektiv gekämpft, sondern auch die Gemeinden und ihre lokalen Behörden haben sich aktiv gegen die Invasion zur Wehr gesetzt, indem sie die mit der russischen Invasion verbundenen Krisen bewältigten. Dabei haben sie eine demokratische Resilienz bewiesen, die von demokratischen Mechanismen der Kommunikation und der Zusammenarbeit mit der Gesellschaft unterstützt wurde. Diese Resilienz hat auch dazu beigetragen, dass die Ukraine trotz der großangelegten Invasion ihre Staatlichkeit aufrechterhalten konnte.

In unserer Stichprobe von Kommunalverwaltungen in 241 Hromadas hielten zwei Drittel ihren normalen Betrieb trotz der umfassenden Invasion aufrecht. 28 Prozent haben ihren Betrieb nie eingestellt, und 43 Prozent kehrten innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der großangelegten Invasion bzw. ihrer Befreiung durch die ukrainische Armee zum normalen Betrieb zurück. Darüber hinaus berichteten zwei der 12 befreiten Gemeinden in unserer Stichprobe, dass sie ihre Tätigkeit nie eingestellt haben, was bedeutet, dass die lokalen Behörden auch während der Besetzung funktionsfähig waren. Dies bezieht sich nur auf die Exekutivfunktionen und betrifft die Bereitstellung von humanitärer Hilfe oder die Organisation von Evakuierungen.

Alle Gemeinden außerhalb der Kampfzone und diejenigen, die befreit wurden, bieten Verwaltungsdienste an, und die meisten (72 Prozent) erbringen alle Dienstleistungen. Die Dienstleistungen werden offline über die administrativen Dienstleistungszentren und ihre Zweigstellen sowie über die zentrale staatliche E-Services-App »Diia« erbracht. Trotz weitflächiger Zerstörungen vor allem in Frontgebieten bieten die Hromadas weiterhin soziale Dienstleistungen an. Im Bildungsbereich zum Beispiel waren nach Angaben des KSE-Instituts bis zum 1. September mindestens 1.270 Schulen und 786 Kindergärten zerstört oder beschädigt. Dennoch begannen 12.924 Schulen ihr Schuljahr zum 1. September 2022, 60 Prozent davon mit Präsenzunterricht, während der Rest online ging, so ein Bericht des ukrainischen Bildungsministeriums.

Nach einem konventionellen Sicherheitsverständnis stellt ein größerer Entscheidungsspielraum der Exekutive eine natürliche Reaktion eines sich im Krieg befindenden Staates dar, da man davon ausgeht, dass dies seine Handlungsfähigkeit verbessert. Im Gegensatz dazu zeigen die Umfrageergebnisse, dass die Selbstverwaltungen bei der Bewältigung der kriegsbedingten Krisen ihre Entscheidungen in kollegialen Gremien (Exekutivausschuss und Hromada-Rat) fällen, was ihre Entscheidungsfindung legitimiert. Die meisten Hromadas halten ihre Ratssitzungen in Präsenz ab oder haben Regelungen für die hybride Teilnahme für Ratsmitglieder etabliert, die an der Front kämpfen.

Eine Meinungsumfrage der Ilko-Kutscheriw-Stiftung für Demokratische Initiativen (DIF), die im gleichen Zeitraum wie unsere Befragung durchgeführt wurde, deutet darauf hin, dass die Bürger:innen die Bemühungen der kommunalen Selbstverwaltungsbehörden registrieren. Hinter den staatlichen Institutionen, die für die Landesverteidigung und Sicherheit zuständig sind, genießen die Kommunalbehörden das größte Vertrauen der ukrainischen Öffentlichkeit: 63 Prozent der Ukrainer:innen vertrauen den Bürgermeister:innen und 60 Prozent den Räten, so die repräsentative DIF-Umfrage von September 2022. Ein solch hohes öffentliches Vertrauen zeigt, dass die Öffentlichkeit das Engagement der Kommunalverwaltungen für ihre Gemeinden und ihre Aufgaben als Vertreter der Gemeinschaft und Erbringer öffentlicher Dienstleistungen anerkennt. Dieses Vertrauen ist wiederum entscheidend für die Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhalts angesichts der russischen Invasion.

»Kooperative Regierungsführung« als Reaktion auf kriegsbedingte Krisen

Die Verwaltungspraktiken der ukrainischen Kommunalbehörden stellen die gängigen Vorstellungen von den Beziehungen zwischen Bürger:innen und Staat in Ländern im Krieg in Frage. Demnach beschränkt sich die Rolle der Zivilist:innen auf die von (potenziellen) Opfern, die geschützt werden müssen. Obwohl der Schutz nach wie vor von entscheidender Bedeutung ist, neigen die ukrainischen Selbstverwaltungen dazu, bei der Lösung von kriegsbedingten Krisen mit nichtstaatlichen Akteuren zusammenzuarbeiten. Die Selbstverwaltungsbehörden behandeln daher zivilgesellschaftliche Akteur:innen als potenzielle Partner:innen und erheben ihre Rolle von bloßen Subjekten oder Serviceempfänger zu aktiven Akteur:innen.

Viele ukrainische Kommunalverwaltungen praktizieren eine kooperative Regierungsführung. Darunter versteht man einen netzwerkbasierten Regierungsmodus, welcher anderen Akteuren wie Unternehmen, NGOs, Interessengruppen etc. ermöglicht, mit Ressourcen und (lokalem) Wissen zu Lösungen beizutragen. Dazu gehört auch die Nutzung von nationalen und internationalen Peer-Netzwerken, um knappe Ressourcen zu finden, Informationen zu verbreiten und voneinander zu lernen, wie man sich in einer Krise anpassen kann. Viele Kommunen haben bereits vor der großen Invasion Elemente der kooperativen Regierungsführung eingeführt. Die ukrainischen Städte Ternopil, Winnyzja und Chmelnyzkyj erhielten beispielsweise weltweite Anerkennung für ihre Initiativen zum öffentlichen Engagement und wurden 2021 mit dem OGP Local Award ausgezeichnet.

Bereits etablierte partizipatorische Praktiken erleichterten wahrscheinlich die Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessengruppen bei der Bewältigung der kriegsbedingten Krisen. Fast jede zweite befragte Kommunalverwaltung bezeichnete öffentliche Anhörungen und Konsultationen als »sehr hilfreich«. Für ein Drittel ist ein sog. Beteiligungshaushalt hilfreich – auch wenn 2022 keine Hromada einen neuen Beteiligungshaushalt auflegte. Darüber hinaus haben einige Hromadas ihre bereits bestehenden Mechanismen für die Beteiligung der Öffentlichkeit an die kriegsbedingten Herausforderungen angepasst. So begannen beispielsweise der Jugendrat von Ternopil und das Zentrum für soziale Dienste »Rodynne Kolo« (»Familienkreis«) in der Hromada Biljajiwka bei Odesa, die humanitäre Hilfe zu koordinieren. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine offene Kommunikation mit den Beteiligten von Vorteil ist, da sie Fähigkeiten vermittelt und eine Kultur der Zusammenarbeit fördert, die die humanitäre Nothilfe unterstützen kann.

Mit der flächendeckenden Invasion vertieften und erweiterten die ukrainischen Kommunalbehörden die kooperative Regierungsführung. Die meisten befreiten Gemeinden und Gemeinden außerhalb der Kampfzone (160 von 204 oder 78 Prozent) haben nach dem 24. Februar 2022 zusätzliche Initiativen zur Information und Einbindung der Öffentlichkeit ergriffen. Im Vergleich zu 2021 erkennen mehr Hromadas, dass öffentliches Engagement ihnen helfen kann, die Krisen und den Ressourcenmangel zu bewältigen (siehe Grafik 1). Fast alle Befragten gaben die Koordinierung der Hilfen (92 Prozent) und die Versorgung gefährdeter sozialer Gruppen (91 Prozent) als Hauptziele ihres öffentlichen Engagements an.

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Darüber hinaus ist die Zahl der Behörden, die mit ihrem öffentlichen Engagement externe Ressourcen gewinnen wollten, deutlich gestiegen (+33 Prozentpunkte im Vergleich zu 2021). Zum Beispiel organisierten mehrere Gemeinden außerhalb der Kampfgebiete Lebensmittel und Ausrüstung für von Kampfhandlungen und Okkupation betroffene Gemeinden, und die lokalen Behörden koordinierten diese Unterstützung.

Angesichts der hohen Sicherheitsbedrohung ist es naheliegend, dass sich die lokalen Behörden, sofern sie arbeiten können, auf die Erbringung grundlegender Dienstleistungen konzentrieren. Die ukrainischen kommunalen Selbstverwaltungen engagieren sich aber auch für ein funktionierendes Gemeinwesen und kümmern sich um die Beziehungen zu den Gemeindemitgliedern, wobei die Themen Vertrauen und Integrität besondere Berücksichtigung finden. Die Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung ist für die meisten befragten Behörden (87 Prozent) nach wie vor eines der Hauptziele für die Einführung von Initiativen zur Bürgerbeteiligung. Die kommunalen Selbstverwaltungen scheinen sich für den Zusammenhalt der Gemeinschaft verantwortlich zu fühlen (88 Prozent) sowie für Aspekte des Wohlbefindens der Bevölkerung, wie die Verringerung von emotionalem Druck (85 Prozent).

Die Korruptionsbekämpfung scheint eine geringere Priorität zu haben. Allerdings ist der Wert im Vergleich zur Basiserhebung von 2021 deutlich gestiegen: von 47 Prozent im Jahr 2021 auf 68 Prozent im Jahr 2022. Dies ist umso bemerkenswerter, als durch das Kriegsrecht viele Anforderungen an Rechenschaftspflichten und Transparenz aufgehoben wurden. In Mykolajiw und Charkiw nutzen die lokalen Behörden beispielsweise Customer-Relationship-Management-Programme (CRM), um die humanitäre Hilfe zu verfolgen und Missbrauch zu verhindern.

Viele Hromadas beziehen die Öffentlichkeit in die Lösung kritischer Probleme mit ein, zum Beispiel bei der Versorgung der Binnengeflüchteten mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs (51 Prozent) und der Unterbringung (23 Prozent), gefolgt von der Versorgung der Einwohner:innen mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs (13 Prozent) (die Befragten konnten nur eine Option auswählen). Auf die Frage nach der Einbindung von Interessengruppen in die Lösung der oben genannten kritischen Probleme gaben mehr Gemeinden als im Jahr 2021 an, Interessengruppen auf verschiedenen Ebenen einzubeziehen (siehe Grafik 2 und Tabelle 1).

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Die Kommunalbehörden scheinen den praktischen Nutzen einer Partnerschaft mit Interessengruppen bei der Umsetzung von Lösungen für kriegsbedingte Probleme zu schätzen. Mehr Kommunen als im Jahr 2021 geben an, Interessengruppen als Ausführende oder zur Koordination in die Umsetzung politischer Entscheidungen einzubeziehen (bis zu +30 Prozent, je nach Interessengruppe), wobei Unternehmer:innen (+30 Prozent) und Einwohner:innen (+27 Prozent) den größten Zuwachs verzeichnen. Mehr Kommunalbehörden geben auch an, dass sie für ihre Entscheidungsfindung Feedback von Unternehmer:innen einholen, gefolgt von Bürger:innen und NGOs (bis zu +25 Prozentpunkte, je nach Interessengruppe). Dies deutet darauf hin, dass mehr Kommunen externe Stakeholder als Quelle hilfreicher Informationen oder Ressourcen wahrnehmen, was eine Grundlage für zukünftige kooperative Regierungsführung schafft.

Schlussfolgerung

Die lokalen Behörden in der Ukraine bilden angesichts der großangelegten russischen Invasion das Rückgrat der demokratischen Resilienz. Durch die kontinuierliche Arbeit der kommunalen Behörden unter großem Sicherheitsrisiko konnten die öffentlichen Dienstleistungen für die Bürger:innen bedarfsgerecht erbracht werden. Sie wurden zu legitimen Zentren für die Bewältigung von Herausforderungen und die Koordinierung von Ressourcen im Einklang mit dem lokalen Kontext. Darüber hinaus gab es nur sehr wenige Kollaborationsfälle unter den Gemeindevorsteher:innen. Beides weist auf die nachhaltige Bedeutung der Dezentralisierungsreform hin, die die politische Autorität und die Steuerautonomie der Gemeinden gestärkt und die Effizienz erhöht hat.

Das Beispiel der Ukraine zeigt die Mechanismen der demokratischen Resilienz, die auf Bürgerbeteiligung und kooperative Regierungsführung zurückgreift. Der Beitrag der kommunalen Selbstverwaltungen zur Resilienz der Ukraine stellt das herkömmliche, auf rein militärische Aspekte bedachte Sicherheitsdenken, in Frage. Stattdessen unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung einer kooperativen Regierungsführung für die Bewältigung von komplexen Krisen. Zu den neuen Denkansätzen für die nationale Sicherheit gehören (stärker horizontale) netzwerkbasierte, anstatt vertikaler hierarchiebasierter Beziehungen zwischen Bürger:innen und Staat sowie eine partnerschaftsorientierte statt einer kundenorientierten Philosophie.

Mit Blick auf die Zukunft sind die lokalen Behörden in der Ukraine fähige Partner für nationale Behörden und internationale Akteure im Wiederaufbauprozess. Die internationale Gemeinschaft, z. B. die OECD, betont die Bedeutung einer transparenten und rechenschaftspflichtigen Verwendung der Wiederaufbaumittel für die Infrastruktur. Die lokalen Behörden verfügen über die Instrumente, um die Bedürfnisse ihrer Einwohner:innen zu ermitteln und aufgrund ihrer Nähe zu den Bürger:innen sind sie auch gut in der Lage, von der aktiven ukrainischen Zivilgesellschaft zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Schließlich machen diese Ergebnisse deutlich, dass selbst die beeindruckendsten Beispiele von zivilgesellschaftlicher Mobilisierung Institutionen erfordern, die dieses Engagement erleichtern und kanalisieren, um die Anstrengungen zu verstärken. Die Dezentralisierungsreform schuf einerseits Anreize und Opportunitäten für die lokalen Behörden, ihre Bürger:innen einzubeziehen, und andererseits günstige Bedingungen für die Bürger:innen, um die lokale Umverteilung der öffentlichen Ressourcen zu beeinflussen. Aus diesem Grund ist die nachhaltige Unterstützung und Stärkung der Dezentralisierung in der Ukraine von entscheidender Bedeutung, insbesondere unter Kriegsbedingungen und für den künftigen Wiederaufbau nach dem Krieg.


Bei diesem Text handelt es sich um eine übersetzte und gekürzte Fassung des Artikels »National Security in Local Hands? How Local Authorities Contribute to Ukraine’s Resilience.«, veröffentlicht am 25. Januar 2023 als PONARS Eurasia Policy Memo 825, https://www.ponarseurasia.org/national-security-in-local-hands-how-local-authorities-contribute-to-ukraines-resilience/.

Über die Autoren

Dr. Oleksandra Keudel ist Dozentin (Assistant Professor) an der Kyiv School of Economics. Sie forscht zur partizipativen Demokratie, Anti-Korruption, Wirtschaftspolitik und Selbstverwaltung auf der lokalen Ebene in der Ukraine. Oleksandra Keudel hat an der Freien Universität Berlin promoviert und Forschungsaufenthalte an der George Washington University und der New York University absolviert. Sie ist auch als Beraterin für internationale Organisationen wie UNESCO und den Europarat tätig. Sie ist Autorin des Buches „How Patronal Networks Shape Opportunities for Local Citizen Participation in a Hybrid Regime. A Comparative Analysis of Five Cities in Ukraine“. 


Dr. Oksana Huss ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt BIT-ACT der Universität Bologna und Dozentin am Forschungs- und Bildungszentrum für Korruptionsbekämpfung in der Ukraine (ACREC). In ihrer Forschung konzentriert sie sich schwerpunktmäßig auf (Anti-)Korruption und Open Government, sowie digitale Technologien und lokale Selbstverwaltung. Oksana Huss hat am Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen promoviert und mehrere Forschungsstipendien in Kanada, Frankreich, den Niederlanden und Schweden absolviert. Sie war als Beraterin für europäische und internationale Organisationen wie den Europarat, die EU, die UNESCO und das UNODC tätig. Darüber hinaus ist Oksana Huss Mitbegründerin eines Interdisziplinären Korruptionsforschungsnetzwerks (ICRNetwork) und Autorin des Buches „How Corruption and Anti-Corruption Policies Sustain Hybrid Regimes: Strategies of Political Domination under Ukraine's Presidents in 1994-2014“.


Lesetipps / Bibliographie

  • Darkovich, Andrii (2023). A year of experience: Governance processes and the territorial communities’ (hromadas’) resilience to wartime challenges. Vox:Ukraine.
  • Huss, O. (2022). What Makes Ukraine Resilient in the Asymmetric War? KHK/GCR21, 4(1).
  • Huss, O., & Keudel, O. (2023). Survey on the needs and priorities of local authorities in Ukraine: The provision of services in times of war and post-war recovery. Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe.
  • Romanova, V. (2022). Ukraine’s resilience to Russia’s military invasion in the context of the decentralisation reform. Stefan Batory Foundation.

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Analyse

Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft

Von Susann Worschech
Die ukrainische Zivilgesellschaft hat sich durch den Krieg stark verändert – quantitativ und qualitativ. Aktiver als je zuvor engagieren sich Ukrainer:innen ehrenamtlich in humanitärer Hilfe, Kunst und Kultur; aber auch im Widerstand gegen Russlands Angriffskrieg. Darüber hinaus finden im zivilgesellschaftlichen Handeln soziale Innovation und Transformation statt, welche die Gesellschaft – auch trotz deutlicher Verluste unter Aktivist:innen – für den künftigen Weg der europäischen Integration, weiteren Demokratisierung und im Überstehen des Krieges stärken.
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