Inhaltsverzeichnis der Dokumentation
[1] Selenskyjs Zehn-Punkte-Friedensplan vom 15. November 2022
[2] Selenskyj stellte in der Rada den »Siegesplan« vor, 16. Oktober 2024
[3] Liste der bilateralen Sicherheitsabkommen der Ukraine, Januar – Oktober 2024
[4] Russlands sechs Forderungen an die Ukraine vom 10. März 2022
[5] Die Ukraine hat einen Friedensvorschlag unterbreitet, der die Grundlage für einen multilateralen Vertrag bilden und der Ukraine Sicherheitsgarantien gewähren könnte, 30. März 2022
[6] Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine und Vertragsentwürfe, März – April 2022
[7] Rede des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin bei dem Treffen mit den Führungskräften des Außenministeriums Russlands, Moskau, 14. Juni 2024 (Ausschnitte)
[8] Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Selenskyj beim G20-Summit, 15 November 2022
[9] G7: Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine, 12. Juli 2023
[10] Gipfeltreffen zum Frieden in der Ukraine: Gemeinsames Kommuniqué über einen Friedensrahmen, Bürgenstock, Schweiz, 16. Juni 2024
[11] Chinas Standpunkt zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise, 24. Februar 2023
[12] Gemeinsame Vereinbarungen zwischen China und Brasilien zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise, 23. Mai 2024
[13] BRICS-Erklärungen
[14] Afrikanische Staats- und Regierungschefs streben einen Verhandlungsfrieden im Russland-Ukraine-Konflikt an, 19. Juni 2023
[15] Katar als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland
[16] Aussagen des Papstes zu Russlands Krieg gegen die Ukraine und zur Rolle des Heiligen Stuhls als Mediator (Auswahl)
[17] Ausschnitte aus den Friedensgutachten der Jahre 2022, 2023 und 2024 mit Bezug auf Verhandlungslösungen für Russlands Krieg gegen die Ukraine
[18] Lesetipps
[1] Selenskyjs Zehn-Punkte-Friedensplan vom 15. November 2022
1. Nukleare Sicherheit
Die russischen Truppen müssen Anlagen wie das KKW Saporischschja räumen. Alle Atomanlagen auf dem Territorium des Landes müssen der Kontrolle des ukrainischen Staates unterliegen. Der IAEO muss eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit zukommen.
2. Nahrungsmittelsicherheit
Die Schwarzmeer-Getreide-Initiative sollte fortgesetzt werden – unabhängig von der Dauer des Krieges. Die Nahrungsmittelversorgung weltweit darf nicht gefährdet werden. Um die Getreideausfuhr sicherzustellen, braucht die Ukraine die Kontrolle über ihre Häfen.
3. Sicherheit der Energieversorgung
Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur müssen aufhören. Es braucht einen Schutz der kritischen Infrastruktur, um Schaden von der Zivilbevölkerung abzuwenden. Die Anlagen sollen mit internationaler Unterstützung überwacht, beschützt und wiederaufgebaut werden.
4. Freilassung von Kriegsgefangenen und deportierten Personen
Alle ukrainischen Staatsbürger, die in Russland und in den besetzten Gebieten festgehalten werden, darunter Kriegsgefangene, Internierte, Zivilisten, Zwangsvertriebene und Deportierte, einschließlich Kinder, sollten im Rahmen eines vollständigen Austauschs freigelassen werden.
5. Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine
Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine, einschließlich ihrer Hoheitsgewässer, müssen in den international anerkannten Grenzen von 1991 wiederhergestellt und im Einklang mit dem Völkerrecht geachtet werden.
6. Rückzug der russischen Truppen
Die Russische Föderation muss sofort, vollständig und bedingungslos alle ihre Streitkräfte aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine abziehen und alle Feindseligkeiten einstellen.
7. Wiederherstellung der Gerechtigkeit
Allen Opfern muss Gerechtigkeit zuteilwerden. Russland muss die rechtlichen Konsequenzen für alle seine völkerrechtswidrigen Handlungen tragen. Ein internationaler Mechanismus muss Russland zu Entschädigungen verpflichten.
8. Sicherheit für die Umwelt
Das Völkerstrafrecht stellt das Verursachen von Umweltschäden in bewaffneten internationalen Konflikten unter Strafe. Die internationale Gemeinschaft sollte der Ukraine bei der Eindämmung von Umweltschäden helfen.
9. Sicherheitsgarantien
Es müssen Sicherheitsgarantien für die Ukraine ausgesprochen werden: klare und verbindliche Zusagen und Garantien für den Fall, dass von Russland eine erneute Aggression ausgeht. Dafür muss die Ukraine in die internationale Sicherheitsarchitektur integriert werden.
10. Bestätigung des Kriegsendes und Friedensvertrag
Nach Erfüllung aller vorgenannten Punkte muss das Ende des Krieges auf einer Friedenskonferenz bestätigt werden, die unter Beteiligung eines möglichst breiten Spektrums an Staaten abgehalten wird. Ein umfassendes rechtsverbindliches internationales Abkommen muss von den Parteien und den Garantenstaaten unterzeichnet werden. Ziel ist ein umfassender, gerechter und dauerhafter Frieden für die Ukraine.
Quellen: Zusammenfassung und Übersetzung ins Deutsche nach Wittke, Cindy und Mandy-Ganske Zapf. 2024. Frieden verhandeln im Krieg. Russlands Krieg, Chancen auf Frieden und die Kunst des Verhandelns, S. 161–163. Vollversion auf Englisch: https://www.president.gov.ua/en/news/ukrayina-zavzhdi-bula-liderom-mirotvorchih-zusil-yaksho-rosi-79141.
[2] Selenskyj stellte in der Rada den »Siegesplan« vor, 16. Oktober 2024
»Der Siegesplan der Ukraine ist ein Plan zur Stärkung unseres Staates, zur Verbesserung unserer Lage. Wir müssen stark genug sein, um den Krieg zu beenden. Um sicherzustellen, dass die Ukraine alle ihre verfügbaren Kräfte einsetzt.
Dieser Plan lässt sich in die Tat umsetzen. Das hängt allerdings von unseren Partnern ab. Ich betone: von unseren Partnern. Er hängt definitiv nicht von Russland ab.
Alle Welt sieht, dass Russland nicht auf einen ehrlichen Frieden aus ist. Putin ist wahnsinnig geworden und will nur noch Krieg. Von sich aus wird er sich nicht ändern. Er ist zu sehr in der Vergangenheit verhaftet. Er ist von gestern. Er ist taub für alle anderen.
Aber wir müssen gemeinsam mit unseren Partnern die derzeitigen Rahmenbedingungen ändern, damit der Krieg endet. Unabhängig davon, was Putin will.
Wir alle müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Russland zum Frieden gezwungen wird.
Erinnern wir uns daran, dass ich vor fast zwei Jahren auf dem G20-Gipfel in Indonesien eine Friedensformel vorgeschlagen habe. Dabei handelt es sich um eine Strategie zur Beendigung der russischen Aggression gegen die Ukraine und zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit für das ukrainische Volk basierend auf den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta.
Innerhalb von zwei Jahren haben fast einhundert Länder aus allen Ecken und Enden der Welt die Friedensformel unterstützt.
Ich bin jedem einzelnen Land dankbar.
Wir haben einen erfolgreichen ersten Friedensgipfel abgehalten und bewiesen, dass dieses Verhandlungsformat zur Beendigung des Krieges erfolgversprechend ist.
Aber Russland ist noch nicht bereit für ehrliche Diplomatie und stellt inmitten des Bombenhagels immer mehr Ultimaten.
Dem müssen wir Einhalt bieten.
Kein russisches Ultimatum ist für die Ukraine hinnehmbar.
Das gewährleisten unsere Soldaten, unser ganzes Volk und unsere Einigkeit. Die Einigkeit der Ukraine. Und die Einigkeit unserer Partner. All dies ist die Grundlage für unsere Fähigkeit, unser Ziel zu erreichen.
Der Siegesplan ist ein Weg zur Stärkung der Ukraine. Das ist genau die Art von Konsolidierung der Ukraine, die wir nicht nur brauchen, um uns zu verteidigen, sondern auch, um eine Brücke zu bauen – eine Brücke zum zweiten Friedensgipfel, der diesem Krieg ein faires Ende für die Ukraine bringen wird.
Heute möchte ich diesen Plan öffentlich vorstellen. Ich wende mich an Sie um der Einheit und Unterstützung der Ukraine willen.
[…]
Der Plan besteht aus fünf Punkten und drei geheimen Anhängen.
Punkt eins betrifft die Geopolitik.
Die Punkte zwei und drei sind militärischer Natur.
Punkt vier bezieht sich auf die Wirtschaft.
Punkt fünf des Siegesplans ist der Sicherheit gewidmet.
Die Punkte sind zeitlich abgegrenzt. Die ersten vier beziehen sich auf die Zeit während des Krieges, um diesen zu beenden. Der fünfte Punkt betrifft die Zeit nach dem Krieg, um Sicherheit dauerhaft zu gewährleisten.
Punkt Eins ist die Einladung zum NATO-Beitritt.
Wir sind eine demokratische Nation, die bewiesen hat, dass sie den euroatlantischen Raum und unsere gemeinsamen Werte – und andere demokratische Nationen – verteidigen kann.
Russland hat jahrzehntelang die geopolitische Unsicherheit in Europa ausgenutzt, nämlich die Tatsache, dass die Ukraine kein NATO-Mitglied ist. Das hat Russland dazu verleitet, einen Angriff auf unsere Sicherheit zu wagen. Jetzt kann die Einladung der Ukraine zum NATO-Beitritt grundlegend für Frieden sorgen.
Wir wissen, dass die NATO-Mitgliedschaft eine Frage für die Zukunft und nicht der Gegenwart ist.
Aber Putin muss erkennen, dass sein geopolitisches Kalkül nicht aufgeht.
Die Russen müssen spüren, dass ihr Zar geopolitisch verloren hat.
[…] Eine Einladung symbolisiert viel mehr als nur die NATO. Für die Ukraine bedeutet ein entschlossenes Vorgehen in der NATO-Frage auch, dass die europäische Integration für die Ukraine irreversibel ist und es keine Alternative zur Demokratie in der Ukraine gibt.
[…]
Punkt Zwei: Verteidigung.
Es geht um die unumkehrbare Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine gegen den Aggressor.
[…]
Der Schlüssel zur Umsetzung dieses zweiten Punktes des Siegesplans ist daher
- • die erfolgreiche Fortsetzung der Kampfhandlungen der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte der Ukraine in bestimmten Gebieten des feindlichen Territoriums, um Pufferzonen auf unserem Staatsgebiet zu verhindern;
- • die dauerhafte Stärkung der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte der Ukraine und die Zerstörung des russischen Offensivpotenzials in den besetzten Gebieten der Ukraine;
- • die Unterstützung der Partner bei der Aufstellung von Reservebrigaden für die Streitkräfte der Ukraine;
- • der Ausbau der ukrainischen Luftverteidigung bis auf ein Niveau, das ausreicht, um unsere Städte und Dörfer vor russischen Raketen und Drohnen zu schützen, sowie gemeinsame Verteidigungsmaßnahmen mit unseren europäischen Nachbarn, um russische Raketen und Drohnen in der Reichweite des Luftschutzschirms unserer Partner abzuschießen;
- • die Ausweitung der Einsätze mit unseren ukrainischen Raketen und Drohnen sowie Investitionen in den Ausbau ihrer Fertigung in der Ukraine;
- • die Aufhebung der Beschränkungen durch unsere Partner für den Einsatz von Langstreckenwaffen auf dem gesamten von Russland besetzten Gebiet der Ukraine und auf russischem Hoheitsgebiet gegen militärische Infrastruktur und die Versorgung der Ukraine mit geeigneten Langstreckenraketen, Drohnen und anderen Waffensystemen;
- • die Versorgung der Ukraine mit Echtzeit-Satellitendaten und Daten, die mit anderen nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnen wurden.
Für jeden der Unterpunkte des zweiten Punkts des Siegesplans hinsichtlich der nationalen Verteidigung liefert die Ukraine ihren Partnern eine präzise Begründung, was unsere Ziele sind, wie wir sie verwirklichen und wie dies die Fähigkeit Russlands, den Krieg fortzusetzen, mindern wird.
Der zweite Punkt des Siegesplans hinsichtlich der nationalen Verteidigung hat einen geheimen Anhang, zu dem nur diejenigen Partner Zugang haben, die über das entsprechende militärische Unterstützungspotenzial verfügen.
Punkt drei des Plans ist die Abschreckung.
Er hat auch einen geheimen Anhang. Die Staats- und Regierungschefs der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs, Italiens und Deutschlands haben ihn bereits erhalten.
Einige andere Staaten werden ihn ebenfalls erhalten, und sie können diesem bekannten Konzept der Abschreckung zugunsten der Ukraine mehr Gewicht verleihen.
Die russische Führung handelt nur dann aggressiv, wenn sie überzeugt ist, dass sie keine angemessene und vernichtende Antwort erhalten wird.
Wenn Russland weiß, dass es eine Antwort geben wird, und wenn es weiß, wie diese Antwort ausfallen wird, entscheidet es sich für Verhandlungen und eine stabile Koexistenz, selbst mit strategischen Gegnern.
So kann Russland von einer Aggression gegen die Ukraine und gegen ganz Europa abgehalten werden.
Die Ukraine schlägt vor, ein umfassendes System nichtnuklearer strategischer Abschreckung auf ihrem Staatsgebiet zu stationieren, das zum Schutz der Ukraine vor jeglicher militärischer Bedrohung durch Russland geeignet ist und Russlands weitere Handlungsoptionen folgendermaßen einschränkt: Entweder stimmt Russland einem ehrlichen diplomatischen Prozess zu, um den Krieg zu einem gerechten Ende zu bringen, oder es verliert garantiert die Mittel, den Krieg aggressiv fortzusetzen, wenn die Ukraine das ihr zur Verfügung gestellte Abschreckungspaket im Einklang mit ihren militärischen Zielen einsetzt.
Russland lässt sich also entweder auf den diplomatischen Weg ein, oder es büßt seine Kriegsmaschinerie dauerhaft ein.
Frieden durch Stärke. Peace through strength.
Das funktioniert auf beiden Seiten des Atlantiks gleich gut. Und dieser Punkt kann insbesondere durch die Finanzierung im Rahmen bereits geschlossener Sicherheitsabkommen mit den Partnern und die entsprechende finanzielle Unterstützung gewährleistet werden.
Punkt vier: das strategische Wirtschaftspotenzial der Ukraine.
Die Ukraine verfügt über eine Fülle natürlicher Ressourcen, darunter wertvolle Metalle im Wert von Billionen US-Dollar. Dazu gehören Uran, Titan, Lithium, Grafit und andere strategisch wertvolle Ressourcen, die entweder Russland und seine Verbündeten oder die Ukraine und die demokratische Welt im globalen Wettbewerb stärken werden.
Die Vorkommen kritischer Ressourcen in der Ukraine gehören zusammen mit dem weltweit bedeutenden Energie- und Lebensmittelerzeugungspotenzial der Ukraine zu den wichtigsten russischen Kriegszielen.
Und das ist unsere Chance für Wachstum.
Das Wirtschaftswachstum der Ukraine. Die wirtschaftliche Stärke der Europäischen Union ist im Interesse der wirtschaftlichen und in vielerlei Hinsicht auch sicherheitspolitischen Autonomie Europas. Und dies ist eine Gelegenheit für die Vereinigten Staaten und unsere Partner in der G7, mit der Ukraine zusammenzuarbeiten, einem Verbündeten, der eine Gegenleistung für die Investition erbringen kann.
Die wirtschaftliche Säule unserer Strategie hat einen geheimen Anhang, der nur mit bestimmten Partnern geteilt wird.
Die Ukraine schlägt vor, dass die Vereinigten Staaten zusammen mit bestimmten Partnern, darunter die Europäische Union, der die Ukraine angehören wird, und anderen Partnern in der ganzen Welt, ein spezielles Abkommen schließen, um die kritischen Ressourcen der Ukraine gemeinsam zu schützen und in das wirtschaftliche Potenzial zu investieren und dieses gemeinsam zu nutzen.
Auch das ist Frieden durch Stärke. Wirtschaftliche Stärke.
Dies ist ein Abkommen, das den bestehenden ökonomischen Druck auf Russland, d. h. alle bestehenden Sanktionen gegen Russland, die Ölpreisobergrenzen, Exportbeschränkungen nach Russland und andere Maßnahmen, sinnvoll ergänzen und verstärken wird.
Punkt fünf ist für die Nachkriegszeit gedacht.
Nach diesem Krieg wird die Ukraine über eine der erfahrensten und größten Streitkräfte verfügen. Unsere Soldaten haben echte Erfahrungen mit moderner Kriegsführung und erfolgreich Erfahrung mit dem Einsatz westlicher Waffen gesammelt und werden über vielfältige Kenntnisse im Umgang mit NATO-Truppen verfügen.
Diese ukrainische Erfahrung sollte genutzt werden, um die Verteidigung des Bündnisses zu stärken und die Sicherheit in Europa zu schützen.
Dies ist eine würdige Aufgabe für unsere Helden.
Wenn unsere Partner zustimmen, können wir uns vorstellen, bestimmte in Europa stationierte Militärkontingente der US-Streitkräfte durch ukrainische Einheiten zu ersetzen. Nach dem Krieg.
Die Ukrainer haben bewiesen, dass sie diejenige Streitkraft sind, die das russische Böse nicht überwinden kann.
Ich bin jedem Partner – jedem, mit dem wir diese Nachkriegsperspektive erörtert haben – dankbar für den Respekt, der den Ukrainern und unserer Fähigkeit gezollt wurde, in einem Bündnis mit Partnern unbezwingbar zu sein.
[…]
Wir hören von unseren Partnern das Wort »Verhandlungen«, das Wort »Gerechtigkeit« fällt jedoch viel zu selten.
Die Ukraine ist offen für Diplomatie, aber für ehrliche Diplomatie.
Aus diesem Grund gibt es die Friedensformel. Sie ist eine Garantie für Verhandlungen, ohne dass die Ukraine gezwungen wird, Ungerechtigkeit erdulden zu müssen. Die Ukrainer haben einen würdigen Frieden verdient.
Der Siegesplan wird den Weg dafür ebnen. Der Siegesplan ist eine Garantie dafür, dass die Wahnsinnigen im Kreml nicht mehr die Mittel haben, den Krieg fortzusetzen. Daher ist der Siegesplan eine Brücke zur Umsetzung der Friedensformel und ein Weg zu ehrlicher Diplomatie.
Aber auf diesem Weg muss die Ukraine stark sein. Sie muss geeint sein. Im Bewusstsein, dass Russland die Ukraine nicht loslassen wird, aber Russland kann und wird die Ukraine verlieren.
Russland muss die Kontrolle über die Ukraine für immer verlieren und sogar den Wunsch nach einer solchen Kontrolle dauerhaft verwerfen. Dies ist die einzige Garantie für das Überleben der Ukraine. Und gleichzeitig ist es der Unterpfand für Frieden in Europa.
[…]«
Quelle: Glavcom.ua. Selenskyj stellte in der Rada den »Siegesplan« vor. 16. Oktober 2024. Gekürzte Übersetzung der Rede auf der Grundlage von https://glavcom.ua/country/politics/zelenskij-u-verkhovnij-radi-prezentuvav-ukrajintsjam-plan-peremohi-povnij-tekst-1026160.html.
[3] Liste der bilateralen Sicherheitsabkommen der Ukraine, Januar – Oktober 2024
Quelle: Offizielle Webseite des ukrainischen Präsidenten, Nachrichtenmeldungen über abgeschlossene Abkommen, https://www.president.gov.ua/en/news/all.
[4] Russlands sechs Forderungen an die Ukraine vom 10. März 2022
- 1. Verzicht auf NATO-Beitritt. Neutraler Status. Russland wird [trotz Angriffskrieg, Anm. v. Serkalo Nedeli] einer der Garanten der Neutralität.
- 2. Die russische Sprache wird zweite Amtssprache. Aufhebung aller Gesetze, die die russische Sprache diskriminieren.
- 3. Anerkennung der Krym durch die Ukraine als zu Russland gehörend.
- 4. Anerkennung der Unabhängigkeit der »Volksrepublik Donezk« und der »Volksrepublik Luhansk« durch die Ukraine innerhalb der Verwaltungsgrenzen der Regionen (einschließlich jener Gebiete, die derzeit von der Ukraine kontrolliert werden).
- 5. »Entnazifizierung«. Verbot des Tätigkeit ultranationalistischer, nazistischer und neonazistischer Parteien und gesellschaftlicher Organisationen. Aufhebung geltender Gesetze über die Verherrlichung von Nazis und Neonazis.
- 6. »Entmilitarisierung der Ukraine«. Vollständiger Verzicht auf Offensivwaffen [der Begriff ist so breit gefasst, dass praktisch jede Waffengattung darunter fallen könnte, Anm. v. Serkalo Nedeli].
Quelle: Serkalo Nedeli. ZN.UA stali iswestny schest ultimatiwnych trebowanij Rossii k Ukraine. 10. März 2022, https://zn.ua/UKRAINE/znua-stali-izvestny-shest-ultimativnykh-trebovanij-rossii-k-ukraine.html.
[5] Die Ukraine hat einen Friedensvorschlag unterbreitet, der die Grundlage für einen multilateralen Vertrag bilden und der Ukraine Sicherheitsgarantien gewähren könnte, 30. März 2022
Am 29. März legte die Ukraine Russland in Istanbul einen Entwurf vor. Russland hat jedoch noch keinem der Punkte zugestimmt. Die russische Delegation hat den Entwurf lediglich zur Prüfung angenommen. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen Vertragsentwurf. Kyjiw übergab der russischen Delegation ein Konzept, also Ideen, die nun abgestimmt, durch Gegenideen Russlands ergänzt und auf deren Grundlage ein Rechtsdokument erstellt werden muss: ein multilaterales Abkommen, das der Ukraine Sicherheitsgarantien geben soll (wobei eine Kombination aus bilateralen und multilateralen Abkommen logischer erscheint). Die ukrainische Delegation betont, dass es sich hierbei um rote Linien handele, um kategorische Forderungen Kyjiws. Über andere Aspekte könne jedoch diskutiert werden.
Die ukrainischen Vorschläge wurden nicht offiziell veröffentlicht und werden es wahrscheinlich auch nicht, da eine vorzeitige »Offenlegung« von Verhandlungspositionen in der Regel nur dann erfolgt, wenn der Verhandlungsprozess bewusst »abgebrochen« werden soll.
Der Inhalt des ukrainischen Vorschlags kann jedoch ziemlich genau rekonstruiert werden, da er sowohl von mehreren Vertreter:innen Kyjiws (bei einem gemeinsamen Briefing und in Einzelgesprächen sowie von Außenminister Dmytro Kuleba letzte Woche) als auch von Vertreter:innen der Russischen Föderation öffentlich umrissen wurde. Dabei waren die Beschreibungen der ukrainischen und der russischen Seite fast identisch; darüber hinaus wurden Journalist:innen Fragmente des Dokuments zugespielt, die ebenfalls fast vollständig der ukrainischen Beschreibung entsprachen.
- (1) Damit das Abkommen in Kraft treten kann, muss sich die russische Armee bis hinter die Konfliktlinie vom 23. Februar 2022, also vor der diesjährigen Invasion, zurückziehen, d. h. die Besatzungsarmee verbleibt nur auf der Krym und in den selbsternannten »Volksrepubliken Donezk und Luhansk«. Dieser Punkt wird in den Abschnitten des Dokuments nicht direkt erwähnt, ergibt sich aber indirekt aus anderen Bestimmungen. Vor allem aber wurde er von allen Verhandlungsführer:innen wiederholt als Grundforderung genannt, der Kyjiw nicht nachgeben würde.
- (2) Eine Reihe von Staaten bietet der Ukraine Sicherheitsgarantien an. Zu den von der Ukraine vorgeschlagenen potenziellen Garantiegeberstaaten gehören Russland, China, die USA, Großbritannien, Frankreich, die Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen und Israel. Bisher haben sich jedoch noch nicht alle bereit erklärt, diese Möglichkeit auch nur zu diskutieren, geschweige denn, sich auf Details zu einigen. Die Ukraine besteht darauf, dass die Garanten der Ukraine den Umfang der militärischen Unterstützung zusichern, den die Ukraine nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags von der NATO erhalten würde, auch wenn die NATO skeptisch ist.
- (3) Diese Garantien gelten nicht für die Krym und die selbsternannten »Volksrepubliken Donezk und Luhansk« (vorübergehend oder dauerhaft, hier gibt es unterschiedliche Interpretationen). Damit soll sichergestellt werden, dass die Garantiegeberstaaten nicht vom ersten Tag der Ratifizierung des Vertrages an in einen Krieg hineingezogen werden.
- (4) Im Gegenzug schränkt die Ukraine ihre Souveränität in Fragen der internationalen Sicherheit ein. Die Ukraine garantiert, dass sie weder der NATO noch anderen Militärbündnissen beitreten wird und verspricht, ihre Verfassung entsprechend zu ändern. Wichtig ist, dass es nicht nur um Blockfreiheit geht, sondern um eine darüber hinausgehende Distanzierung von der NATO. Insbesondere schlägt Kyjiw vor, ein Verbot der Stationierung ausländischer Truppen in der Ukraine in den Vertrag aufzunehmen. Militärische Übungen sollen nur mit Zustimmung der Garantiemächte (u. a. Russland und China) durchgeführt werden dürfen.
- (5) Im Gegenzug für den Verzicht auf einen NATO-Beitritt garantieren die EU-Staaten, die zu den Garantiegebern gehören (darunter Deutschland und Frankreich), den Beitritt der Ukraine zur EU. Laut Mychailo Podoljak, einem Berater des Chefs des Präsidialamtes, bedeutet dies »Garantien für den obligatorischen Beitritt zum EU-Binnenmarkt« (ob dies realistisch ist, soll später diskutiert werden, vorerst wird hier nur die Position Kyjiws festgehalten).
- (6) Die Ukraine und Russland beginnen Verhandlungen über den Status der Krym, die 15 Jahre dauern sollen. Die Verhandlungsführer:innen betonen, dass die Angelegenheiten bezüglich der Krym und Sewastopol getrennt betrachtet werden (wahrscheinlich in der Annahme, dass es dazu separate Vereinbarungen mit Russland geben wird). Im Gegenzug verspricht die Ukraine, die Krym nicht mit militärischen Mitteln zurückzuerobern. Für den Donbas macht die Ukraine keine solchen Zusagen.
- (7) All dies wird nur funktionieren, wenn ein solches Abkommen durch ein Referendum gebilligt und von der Werchowna Rada und den Parlamenten der Garantiemächte angenommen wird. Der Prozess beginnt erst nach dem Abzug der Truppen, wie in Punkt 1 beschrieben, kann aber in jeder Phase der Ratifizierung scheitern.
Quelle: Leicht angepasste Ausschnitte aus Serhij Sydorenko. Ni myru, ni harantij. Detali ta naslidky perehoworiw Ukrainy ta RF u Stambuli. Jewropejska Prawda, 30. März 2022, https://www.eurointegration.com.ua/articles/2022/03/30/7136915/.
[6] Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine und Vertragsentwürfe, März – April 2022
Diese Dokumentation stellt die Entwürfe und Verhandlungsdokumente vor, die während der Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine im März und April 2022 diskutiert wurden. Diese Vertragsentwürfe geben einen Überblick über die wichtigsten Forderungen und Kompromissvorschläge, die zu diesem Zeitpunkt auf dem Verhandlungstisch lagen. Diese Dokumentation enthält kurze Zusammenfassungen und Erläuterungen eines Vertragsentwurfs vom 17. März 2022, eines Entwurfs für ein Kommuniqué über die Fortschritte der Friedensverhandlungen in Istanbul und eines Vertragsentwurfs vom 15. April 2022. Die Dokumente spiegeln den Verlauf der Verhandlungen wider und veranschaulichen die Entwicklungen, Veränderungen und Unvereinbarkeiten in den Positionen beider Seiten. Die New York Times hatte Einsicht in die Dokumente und Vertragsentwürfe, die in dem Artikel vom 15. Juni 2024 »Ukraine-Russia Peace Is as Elusive as Ever. But in 2022 They Were Talking.« im russischen Original und in englischer Übersetzung online verfügbar sind und im Artikel besprochen werden, abrufbar unter https://www.nytimes.com/interactive/2024/06/15/world/europe/ukraine-russia-ceasefire-deal.html.
Vertragsentwurf vom 17.03.2022
Dieser erste Entwurf eines Friedensabkommens wurde während der Verhandlungen in Istanbul im Februar und März 2022 erarbeitet, enthält zahlreiche unvereinbare Positionen der beiden Seiten und verlangt von der Ukraine weitreichende Zugeständnisse. Das Dokument enthält unter anderem folgende Forderungen an die Ukraine:
Permanente Neutralität: Die Ukraine muss einen dauerhaft neutralen Status annehmen und diesen in ihrer Verfassung verankern. Dies umfasst die Verpflichtung, keine militärischen Bündnisse einzugehen, keine militärischen Abkommen abzuschließen und ausländischen Truppen keinen Zugang zu ukrainischem Territorium zu gewähren.
Verzicht auf Atomwaffen: Die Ukraine muss sich verpflichten, keine Atomwaffen zu entwickeln, zu erwerben oder zu stationieren. Sie darf keine nuklearen Waffen oder andere nukleare Sprengvorrichtungen annehmen.
Einschränkungen der militärischen Kapazitäten: Die Ukraine wird dazu verpflichtet, die Größe ihrer Streitkräfte und die Menge an militärischer Ausrüstung, einschließlich Panzern, Flugzeugen und Schiffen, zu begrenzen. Diese Begrenzungen orientieren sich an der militärischen Kapazität neutraler Länder wie Schweden.
Sanktionen und rechtliche Ansprüche: Die Ukraine und Russland sollen gegenseitige Sanktionen aufheben, und die Ukraine soll alle zwischenstaatlichen Ansprüche und Rechtsverfahren gegen Russland zurückziehen, die seit 2014 eingeleitet wurden.
Anerkennung von Gebieten: Die Ukraine soll die Krym und Sewastopol als integrale Bestandteile Russlands anerkennen sowie die Unabhängigkeit der »Volksrepubliken« Donezk und Luhansk innerhalb ihrer ehemaligen Verwaltungsgrenzen akzeptieren.
Sprache und Kultur: Die Ukraine soll der russischen Sprache den Status einer offiziellen Sprache im gesamten Land garantieren und alle bestehenden Gesetze aufheben, die die Nutzung der russischen Sprache einschränken. Zudem soll die Ukraine den Faschismus und Nazismus verurteilen und die entsprechenden Organisationen verbieten.
Des Weiteren enthält der Entwurf folgende Anhänge:
Anhang Nr. 1 (Vorschlag der Ukraine): Die maximale Anzahl an Streitkräften und Ausrüstung der Ukraine zur Wahrung der Ordnung und zur Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung
Anhang Nr. 1 (Vorschlag Russlands): Die maximale Anzahl an Streitkräften und Ausrüstung der Ukraine zur Wahrung der Ordnung und zur Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung
Anhang Nr. 2 (Vorschlag Russlands): Liste der Gesetze der Ukraine in Bezug auf die Sprachenfrage
Anhang Nr. 3 (Vorschlag Russlands): Liste der ukrainischen Gesetze zur Nazi-Ideologie und Verherrlichung des Nationalsozialismus
Diese Zusammenfassung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und detailgenaue Richtigkeit in der Übersetzung. Für eine vollständige Darstellung des Inhalts empfiehlt die Redaktion, das englischsprachige Originaldokument zu konsultieren: https://static01.nyt.com/newsgraphics/documenttools/e548b273c4d42a3a/5e73b566-full.pdf
Kommuniqué vom 29. März 2022
[Entwurf des sog. Istanbul-Kommuniqués vom 29. März 2022, Anm. d. Red. d. Ukraine-Analysen]
nach Konsultationen vom 28. bis 30. März 2022
Wesentliche Bestimmungen des Vertrags über Sicherheitsgarantien für die Ukraine
Die Vereinbarung umfasst:
- 1. Die Erklärung der Ukraine zu einem dauerhaft neutralen Staat unter internationalen Rechtsgarantien zur Umsetzung eines bündnisfreien und atomwaffenfreien Status.
- 2. Mögliche Garantiegeberstaaten: Großbritannien, China, Russland, die Vereinigten Staaten, Frankreich, die Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen, Israel. Der freie Beitritt weiterer Staaten zum Vertrag wird vorgeschlagen, insbesondere schlägt die Russische Föderation Belarus vor.
- 3. Die internationalen Sicherheitsgarantien für die Ukraine im Rahmen des Abkommens gelten nicht für die Krym, Sewastopol und bestimmte Gebiete der Oblaste Donezk und Luhansk. (Das Abkommen wird eine Erklärung darüber enthalten, wie wir die Grenzen bestimmter Gebiete der Oblaste Donezk und Luhansk verstehen und wie die Russische Föderation sie ihrerseits versteht).
- 4. Die Ukraine tritt keinen Militärbündnissen bei, errichtet keine ausländischen Militärstützpunkte und stationiert keine ausländischen Truppen und führt internationale Militärübungen nur mit Zustimmung der Garantiegeberstaaten durch. Die Garantiegeberstaaten ihrerseits bekräftigen die Absicht, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu befürworten.
- 5. Die Garantiegeberstaaten und die Ukraine vereinbaren, dass im Falle einer Aggression, eines bewaffneten Angriffs auf die Ukraine oder einer Militäroperation gegen die Ukraine jeder der Garantiegeberstaaten nach dringenden und sofortigen Konsultationen zwischen ihnen (die innerhalb von höchstens drei Tagen stattfinden müssen) in Ausübung des in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung (als Reaktion auf und auf der Grundlage eines offiziellen Ersuchens der Ukraine), der Ukraine als einem dauerhaft neutralen Staat, der angegriffen wird, Hilfe leistet, indem sie unverzüglich die erforderlichen individuellen oder gemeinsamen Maßnahmen ergreifen, einschließlich der Schließung des Luftraums über der Ukraine, der Bereitstellung der erforderlichen Waffen und des Einsatzes von Streitkräften, um die Sicherheit der Ukraine als dauerhaft neutraler Staat wiederherzustellen und anschließend zu wahren.
Jeder derartige bewaffnete Angriff (jede Militäroperation) und alle daraufhin ergriffenen Maßnahmen werden dem Sicherheitsrat unverzüglich gemeldet. Diese Maßnahmen werden eingestellt, wenn der Sicherheitsrat die erforderlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ergreift.
Der Mechanismus zur Umsetzung der Sicherheitsgarantien für die Ukraine, der auf den Ergebnissen zusätzlicher Konsultationen zwischen der Ukraine und den Garantiegeberstaaten basiert, wird im Vertrag geregelt, wobei der Schutz vor möglichen Provokationen berücksichtigt wird.
- 1. Der Vertrag wird ab dem Datum seiner Ratifizierung durch die Ukraine und alle (Option: die Mehrheit der) Garantiegeberstaaten provisorisch angewendet.
- 2. Der Vertrag tritt in Kraft, nachdem der Status der Ukraine als dauerhaft neutraler Staat im Rahmen eines gesamtukrainischen Referendums angenommen wurde und entsprechende Änderungen in die Verfassung der Ukraine aufgenommen und von den Parlamenten der Ukraine und der Garantiegeberstaaten ratifiziert wurden.
- 3. In dem Abkommen wird vorgeschlagen, den Wunsch der Parteien festzuschreiben, Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Krym und Sewastopol durch bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation innerhalb von 10 (alternativ 15) Jahren zu klären.
- 4. Es wird außerdem vorgeschlagen, festzuschreiben, dass die Ukraine und die Russische Föderation die Problematik der Krym und Sewastopol nicht mit militärischen Mitteln lösen, sondern weiterhin politische und diplomatische Bemühungen zur Lösung dieses Problems unternehmen werden.
- 5. Die Parteien werden ihre Konsultationen (unter Einbeziehung anderer Garantiegeberstaaten) fortsetzen, um die Bestimmungen des Vertrags über Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Modalitäten für einen Waffenstillstand, den Abzug von Truppen und anderen paramilitärischen Kräften, die Eröffnung und Gewährleistung des sicheren Funktionierens humanitärer Korridore auf Dauer sowie den Austausch von Leichen und die Freilassung von Kriegsgefangenen und inhaftierten Zivilisten vorzubereiten und zu vereinbaren.
- 6. Die Parteien halten es für möglich, am … 2022 ein Treffen zwischen den Präsidenten der Ukraine und Russlands abzuhalten, um eine Vereinbarung zu unterzeichnen und/oder politische Entscheidungen zu den noch offenen Punkten zu treffen.
Dieser Text stellt lediglich eine in der Redaktion der Ukraine-Analysen angefertigte Arbeitsübersetzung des Originaldokuments dar ohne Gewähr auf Richtigkeit. Es gilt das englische bzw. russische Original, abrufbar unter: https://static01.nyt.com/newsgraphics/documenttools/ba6c7377883d7829/f5aff231-full.pdf
Vertragsentwurf vom 15.04.2022
Der zweite Vertragsentwurf, der in der Verhandlungsrunde von März bis Mitte April 2022 erarbeitet wurde, stellt wiederum zahlreiche Forderungen an die Ukraine hinsichtlich territorialer Zugeständnisse, sprachlicher Rechte und kultureller Regelungen sowie rechtlicher und militärischer Verpflichtungen. Bemerkenswert ist, dass in dieser Fassung des Vertragsentwurfs nur noch wenige Differenzen zwischen den beiden Konfliktparteien farblich markiert sind. Dennoch wird deutlich, dass sich die Positionen in mindestens drei Punkten grundlegend unterscheiden.
Erstens – und das war wohl entscheidend für das Scheitern der Verhandlungen – war die Forderung Russlands, dass alle Garantiemächte, also insbesondere auch Russland, einer militärischen Unterstützung der Ukraine zustimmen müssten, falls die Ukraine als dauerhaft neutraler Staat durch einen militärischen Angriff bedroht würde. Mit anderen Worten: Würde Russland nach Abschluss des Friedensvertrages erneut angreifen, könnte Russland sein Veto gegen militärische Hilfe durch die anderen Garantiegeberstaaten Großbritannien, China, USA und Frankreich einlegen (Artikel 5 des Entwurfs). Wie ein Mitglied der ukrainischen Delegation gegenüber der New York Times erklärte, hatte die Ukraine aufgrund dieser Bestimmung »kein Interesse mehr an der Fortsetzung der Verhandlungen«.
Zweitens waren sich die Kriegsparteien zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht darüber einig, ob Absatz 1 des Artikels 2 und die Artikel 2, 4, 5 und 11 des Vertrags auch auf die in der Karte in Anhang 6 (die der NYT nicht zur Verfügung gestellt wurde) dargestellten Gebiete Anwendung finden sollten.
Drittens konnten sich die Konfliktparteien nicht auf die Größe der ukrainischen Streitkräfte und die Anzahl der Waffensysteme einigen, mit denen sie ausgestattet werden sollten. Die Ukraine bestand auf einer Obergrenze von 250.000 Soldaten, während Russland auf einer Zahl von 85.000 beharrte. Auch bei den Waffensystemen lagen die beiden Delegationen weit auseinander: Bei den Kampfpanzern beispielsweise bestand Russland auf 342 Stück, während die Ukraine 800 Stück forderte. Unterschiede gab es auch bei der maximal zulässigen Schussweite von MLRS und Raketen aller Typen.
Darüber hinaus enthält der Entwurf die folgenden Anhänge:
Anlage Nr. 1 (unterschiedliche Positionen Russlands und der Ukraine): Die maximale Anzahl von Personal, Waffen und militärischer Ausrüstung, die die Kampfstärke der Streitkräfte der Ukraine in Friedenszeiten ausmachen.
Anlage Nr. 2 (konsolidierte Fassung): Liste der Gesetze der Ukraine zur Sprachenfrage.
Anlage Nr. 3 (konsolidierte Fassung): Liste der Gesetze der Ukraine über die »Nazifizierung« und die Verherrlichung der Nazi-Ideologie.
Anlage Nr. 4 (Stand: Ausarbeitung auf Expertenebene mit der ukrainischen Seite): Erläuterungen zu den Verpflichtungen der Vertragsparteien im Bereich der chemischen und biologischen Sicherheit
Anlage 5 (konsolidierte Fassung): Bestimmungen über die vorläufige Anwendung des Vertrages
Diese Zusammenfassung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und detailgenaue Richtigkeit in der Übersetzung. Für eine vollständige Darstellung des Inhalts empfiehlt die Redaktion, das englischsprachige Originaldokument zu konsultieren: https://static01.nyt.com/newsgraphics/documenttools/a456d6dd8e27e830/e279a252-full.pdf
[7] Rede des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin bei dem Treffen mit den Führungskräften des Außenministeriums Russlands, Moskau, 14. Juni 2024 (Ausschnitte)
[…]
Am 24. Februar 2022 musste Russland den Beginn der militärischen Spezialoperation verkünden. Als ich mich an die Bürger Russlands, an die Einwohner der Republiken Donezk und Lugansk, an die ukrainische Gesellschaft wandte, bestimmte ich die Ziele dieser Operation: die Menschen in Donbass zu beschützen, den Frieden wiederherzustellen, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren und dadurch Gefahren für unseren Staat zu verhindern sowie die Sicherheitsbilanz in Europa wiederherzustellen.
Dabei hielten wir es nach wie vor für unsere Priorität, die erwähnten Ziele mit politischen bzw. diplomatischen Methoden zu erreichen. Ich darf erinnern, dass unser Land gleich in der ersten Phase der militärischen Spezialoperation Verhandlungen mit Vertretern des Kiewer Regimes akzeptierte, die zunächst in Weißrussland und dann in der Türkei stattfanden. Wir versuchten dabei, unsere wichtigste Idee zu vermitteln: Man sollte die Wahl der in Donbass lebenden Menschen respektieren, die Truppen abziehen, Angriffe auf friedliche Städte und Dörfer stoppen. Mehr war nichts nötig – alle anderen Fragen sollten später gelöst werden. Doch dann kam die Antwort: Wir werden weiter den Krieg führen. Offensichtlich war das das Kommando der westlichen Schutzherren, und dazu sage ich gleich noch etwas.
Damals, im Februar und März 2022, haben unsere Truppen bekanntlich Kiew erreicht. Diesbezüglich gab es in der Ukraine und auch im Westen damals, aber auch jetzt, viele Spekulationen.
Was kann ich dazu sagen? Unsere Truppen standen tatsächlich bei Kiew, und unsere bewaffneten Strukturen hatten verschiedene Vorschläge bezüglich unseres weiteren Vorgehens, allerdings gab es keine politische Entscheidung zum Sturm der Stadt mit drei Millionen Einwohnern, egal was man darüber sagen oder hineininterpretieren sollte.
Im Grunde war das nichts als Einsatz zur Friedensnötigung des ukrainischen Regimes. Unsere Truppen befanden sich dort, um die ukrainische Seite zu Verhandlungen zu zwingen, damit man akzeptable Lösungen finden könnte, die den von Kiew gegen Donbass 2014 entfesselten Krieg einstellen würden; und es sollten Fragen geregelt werden, die die Sicherheit Russlands gefährden könnten.
Damals konnten im Ergebnis tatsächlich Vereinbarungen getroffen werden, die grundsätzlich sowohl Moskau als auch Kiew passten. Diese Vereinbarungen wurden auf dem Papier formuliert und vom ukrainischen Unterhändler in Istanbul paraphiert. Das bedeutet, dass eine solche Lösung den Kiewer Behörden passte.
Das Dokument hieß »Vertrag über ständige Neutralität und Sicherheitsgarantien für die Ukraine«. Das war ein Kompromiss, doch seine Schlüsselpunkte entsprachen unseren prinzipiellen Forderungen und lösten die Aufgaben, die als wichtigste galten, selbst am Anfang der militärischen Spezialoperation. Ich muss unter anderem darauf verweisen, dass es um die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine ging. Auch da konnten Auswege gefunden werden, auch wenn das schwierig gewesen war. Es ging nämlich darum, dass in der Ukraine ein Gesetz über Verbot der nazistischen Ideologie und deren Erscheinungen verabschiedet werden sollte. Da stand alles geschrieben.
Außerdem sollte die Ukraine, die internationale Sicherheitsgarantien bekommen würde, den Umfang ihrer Streitkräfte reduzieren und sich verpflichten, an keinen militärischen Bündnissen teilzunehmen, keine ausländischen Militärstützpunkte auf ihrem Territorium zu stationieren und keine Militärmanöver auf ihrem Territorium zu organisieren. Das alles stand geschrieben.
Wir hatten Verständnis für die Besorgnisse der Ukraine im Sicherheitsbereich und würden zustimmen, dass die Ukraine ohne formellen Nato-Beitritt Garantien bekommen würde, die praktisch identisch den Garantien für die Mitglieder dieser Allianz wären. Das war für uns keine leichte Entscheidung, doch wir erkannten die Legitimität der Forderungen der Ukraine im Sicherheitsbereich und hätten grundsätzlich nichts gegen die von Kiew initiierten Formulierungen. Denn wir verstanden, dass die wichtigste Aufgabe war, das Blutvergießen und den Krieg in Donbass zu stoppen.
Am 29. März 2022 zogen wir unsere Truppen von Kiew ab, denn man hatte beteuert, es müssten Bedingungen für den Abschluss des politischen Verhandlungsprozesses her. Außerdem sagten unsere westlichen Kollegen, es wäre falsch, wenn eine der Seiten solche Abkommen unterschreiben würde, wenn sie dabei mit einer Schusswaffe bedroht wird. Gut, das haben wir auch akzeptiert.
Doch gleich am nächsten Tag nach dem Abzug der russischen Truppen von Kiew stellte die ukrainische Führung ihre Teilnahme am Verhandlungsprozess ein, indem sie eine Provokation in Butscha organisierte und an die große Glocke hängte und die vorbereitete Fassung der Vereinbarungen ablehnte. Ich denke, es ist jetzt klar, wozu diese schmutzige Provokation nötig war – dadurch sollte die Ablehnung der bis dahin getroffenen Vereinbarungen begründet werden. Der Weg zum Frieden wurde wieder abgelehnt.
Wie wir jetzt wissen, wurde das auf Verfügung der westlichen Strippenzieher gemacht, insbesondere des ehemaligen britischen Ministerpräsidenten, der während seines Besuchs in Kiew offen sagte: Es darf keine Vereinbarungen geben, Russland sollte auf dem Schlachtfeld besiegt werden, und man sollte ihm eine strategische Niederlage beibringen. Dann begann man, die Ukraine mit Waffen vollzustopfen, und redete immer wieder davon, dass man uns, wie ich eben gesagt habe, eine strategische Niederlage beibringen sollte. Und noch einige Zeit später hat der ukrainische Präsident bekanntlich einen Erlass unterschrieben, dem zufolge seine Vertreter – und sogar er selbst – keine Verhandlungen mit Moskau führen durften. Auch diese Episode mit unserem Versuch zu einer friedlichen Regelung dieses Problems endete also erfolglos.
Apropos Verhandlungen: Ich möchte ausgerechnet hier noch eine Episode ans Licht bringen. Ich habe mich dazu bisher nie geäußert, aber manche von den hier Anwesenden wissen davon. Als die russische Armee einen Teil der Gebiete Cherson und Saporoschje unter ihre Kontrolle nahm, haben viele westliche Politiker ihre Vermittlung bei der friedlichen Konfliktregelung angeboten. Einer von ihnen weilte am 5. März 2022 zu einem Arbeitsbesuch in Moskau. Und wir haben sein Angebot akzeptiert, zumal er bei unseren Gesprächen behauptete, er hätte schon die Zustimmung der deutschen und französischen Spitzenpolitiker sowie hochrangiger US-Vertreter eingeholt.
Dabei stellte dieser Gast eine Frage: Wenn Ihr Donbass unterstützt, warum befinden sich die russischen Truppen im Süden der Ukraine, insbesondere in den Gebieten Cherson und Saporoschje? Unsere Antwort bestand darin, dass dies die Entscheidung des russischen Generalstabs gewesen war, der für die Planung der Operation zuständig war. Und jetzt kann ich noch ergänzen, dass die Idee darin bestand, einen Teil der befestigten Räume zu umgehen, die die ukrainischen Behörden in den vorigen acht Jahren in Donbass errichtet hatten, so dass dann Mariupol befreit werden könnte.
Dann präzisierte unser ausländischer Kollege etwas, und ich muss sagen, dass er ein Profi war: Würden die russischen Truppen in den Gebieten Cherson und Saporoschje weiter bleiben? Und was sollte aus diesen Regionen nach dem Erreichen der Ziele unserer militärischen Spezialoperation werden? Ich sagte darauf, dass ich generell eine ukrainische Souveränität dort nicht ausschließen könnte, allerdings unter der Bedingung, dass Russland eine Verbindung mit der Krim auf dem Land haben würde.
Also sollte Kiew eine Dienstbarkeit garantieren, nämlich Russlands juristisches Recht auf den Zugang zur Halbinsel Krim durch die Gebiete Cherson und Saporoschje. Das wäre eine äußerst wichtige politische Entscheidung. Und natürlich sollte sie am Ende nicht von mir allein, sondern erst nach entsprechenden Beratungen mit dem Sicherheitsrat und anderen Strukturen sowie natürlich nach einer Besprechung mit unseren Mitbürgern getroffen werden, und vor allem mit Einwohnern der Gebiete Cherson und Saporoschje.
Am Ende haben wir es auch so gemacht: Wir haben die Menschen nach ihrer Meinung gefragt, indem die entsprechenden Referenden organisiert wurden. Und wir haben das gemacht, was die Einwohner der Gebiete Cherson und Saporoschje und der Volksrepubliken Donezk und Lugansk gesagt hatten.
Damals, im März 2022, teilte unser Verhandlungspartner mit, dass er nach Kiew reisen würde, um das Gespräch mit den Kollegen in der ukrainischen Hauptstadt fortzusetzen. Wir begrüßten das als einen Versuch, eine friedliche Konfliktlösung zu finden, denn jeder Tag der Gefechte bedeutete ja neue Opfer und Verluste. Doch die Ukraine hat das Angebot des westlichen Vermittlers abgelehnt, und wie wir später erfahren haben, warf man ihm sogar vor, auf einer prorussischen Position zu stehen.
Jetzt hat sich die Situation grundsätzlich verändert, wie ich schon sagte. Die Einwohner der Gebiete Cherson und Saporoschje haben ihre Position zum Ausdruck gebracht, und die Gebiete Cherson und Saporoschje sind neben den Volksrepubliken Donezk und Lugansk der Russischen Föderation beigetreten. Eine Verletzung unserer staatlichen Einheit kommt nicht infrage. Die Willensäußerung dieser Menschen zum Leben in Russland ist unerschütterlich. Diese Frage ist für immer und ewig weg vom Tisch.
[…]
Ich darf auch erinnern, dass der Westen nach dem Beginn unserer militärischen Spezialoperation eine unverschämte Kampagne begonnen hat und versucht, Russland in der internationalen Arena zu isolieren. Alle verstehen inzwischen, dass dieser Versuch gescheitert ist, aber der Westen verzichtet nicht auf seine Idee zur Bildung einer antirussischen Koalition – das verstehen wir natürlich auch.
Wie Sie wissen, bringt man die Initiative zur Organisation einer so genannten internationalen Konferenz für Friedensfragen in der Ukraine intensiv voran, die in der Schweiz stattfindet. Dabei will man sie gleich nach dem G7-Gipfel durchführen, also der Gruppe derjenigen, die mit ihrer Politik den Konflikt in der Ukraine ausgelöst hat. Was die Organisatoren des Treffens in der Schweiz vorschlagen, ist ein weiterer Trick, um alle von den wahren Gründen und Folgen der Ukraine-Krise abzulenken, die Diskussion in eine falsche Richtung zu lenken und zudem die aktuelle Exekutive in der Ukraine quasi zu legitimieren.
Deshalb ist es logisch, dass in der Schweiz keine wirklich fundamentalen Fragen besprochen werden, die die Krise der internationalen Sicherheit und Stabilität verursachten – trotz aller Versuche, die Tagesordnung der Konferenz mehr oder weniger anständig zu formulieren.
Man kann schon jetzt erwarten, dass dabei wieder nur allgemeine Gespräche geführt werden, wobei man neue Vorwürfe gegen Russland formulieren wird. Das ist ja klar: Man will mit allen möglichen Mitteln maximal viele Länder daran teilnehmen lassen und die Situation so darstellen, dass die westlichen Rezepte und Regeln von der ganzen Weltgemeinschaft geteilt werden – und unser Land sollte sie deshalb ohne jegliche Fragen akzeptieren.
Wir wurden zum Treffen in der Schweiz natürlich nicht eingeladen. Denn das sind im Grunde keine Verhandlungen, sondern es geht um die Absicht einer Gruppe von Ländern, ihre Linie auch weiter voranzubringen und Fragen, die unsere Interessen und unsere Sicherheit betreffen, willkürlich zu entscheiden.
Ich muss aber in diesem Zusammenhang betonen: Ohne Russland, ohne einen fairen und verantwortungsvollen Dialog mit uns ist eine friedliche Regelung in der Ukraine unmöglich, wie auch eine Lösung der Frage um die globale europäische Sicherheit.
Vorerst ignoriert der Westen unsere Interessen und verbietet Kiew Verhandlungen, wobei er uns scheinheilig zu irgendwelchen Verhandlungen aufruft. Das sieht wirklich idiotisch aus: Einerseits verbietet man ihnen, mit uns zu verhandeln, aber andererseits ruft man uns zu Verhandlungen auf und behauptet, wir würden Verhandlungen verweigern. Das ist doch Unsinn! Das ist ja wie im Spiegelland!
Erstens sollte man Kiew befehlen, sein eigenes Verbot für Verhandlungen mit Russland wieder außer Kraft zu setzen, und zweitens sind wir bereit, schon morgen Platz am Verhandlungstisch zu nehmen. Wir verstehen die Eigenartigkeit der juristischen Situation, aber dort gibt es selbst in Übereinstimmung mit der Verfassung legitime Behörden, mit denen wir verhandeln könnten. Das habe ich eben gesagt. Wir sind dazu bereit. Unsere Bedingungen sind klar und deutlich.
Wissen Sie, ich werde gleich einige Zeit bei der Aufzählung von Ereignissen verbringen, damit es klar wird, dass es für uns dabei nicht um die momentane Konjunktur geht, sondern um unsere klare und deutliche Position: Wir strebten immer den Frieden an.
Unsere Bedingungen sind klipp und klar: Die ukrainischen Truppen sollten vom Territorium der Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie der Gebiete Cherson und Saporoschje vollständig abgezogen werden. Ich betone dabei: vom ganzen Territorium dieser Region in ihren administrativen Grenzen, wie sie während ihrer Mitgliedschaft in der Ukraine waren.
Sobald man in Kiew die Bereitschaft zu solchem Beschluss signalisiert und den realen Abzug der Truppen aus diesen Regionen beginnt, und zudem den Verzicht auf den Nato-Beitritt offiziell verkündet, werden wir sofort den Befehl zur Feuereinstellung und zum Beginn der Verhandlungen abgeben. Natürlich garantieren wir dabei den störungsfreien und sicheren Abzug der ukrainischen Kräfte.«
[…]
Heute machen wir ein weiteres konkretes Friedensangebot. Falls Kiew und die westlichen Hauptstädte wieder »nein« sagen, wird das ihre Sache – und ihre politische und moralische Verantwortung für das weitere Blutvergießen – sein. Es ist offensichtlich, dass sich die Situation auf dem Boden auch weiter nicht zugunsten des Kiewer Regimes verändern wird. Und die Verhandlungsbedingungen werden dann wieder anders sein.
Ich muss das wichtigste unterstreichen: Bei unserem Angebot geht es nicht um eine provisorische Waffenruhe, was der Westen will, um sich von seinen Verlusten zu erholen und das Kiewer Regime für eine neue Offensive aufzurüsten. Es geht, wie gesagt, nicht darum, den Konflikt auf Eis zu legen, sondern darum, ihm ein Ende zu setzen.
Und ich sage wieder: Sobald man in Kiew unser Angebot akzeptiert und dem vollständigen Abzug seiner Truppen aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk und den Gebieten Saporoschje und Cherson zustimmt, sind wir bereit, sofort die Verhandlungen zu beginnen.
Ich wiederhole: unsere prinzipielle Position besteht darin, dass die Ukraine einen neutralen, blockfreien nuklearfreien Status hat und entmilitarisiert bzw. entnazifiziert wird, zumal diesen Momenten alle noch 2022 bei den Verhandlungen in Istanbul zugestimmt haben. Hinsichtlich der Entmilitarisierung wurde damals alles vereinbart: die Zahl der Panzer, anderer Waffen usw. Das wurde schon abgesprochen.
Natürlich sollen die Rechte, Freiheiten und Interessen der russischsprachigen Einwohner der Ukraine eingehalten werden; die neue territoriale Realität, der Status der Krim, Sewastopols, der Volksrepubliken Donezk und Lugansk und der Gebiete Cherson und Saporoschje sollten anerkannt werden. Künftig sollen alle diese prinzipiellen Bestimmungen als fundamentale internationale Vereinbarungen verankert werden. Natürlich sieht das auch die Abschaffung aller westlichen Sanktionen gegen Russland vor.
Meines Erachtens bietet Russland eine Variante an, die dem Krieg in der Ukraine tatsächlich ein Ende setzen könnte – wir plädieren dafür, dieses tragische Kapitel der Geschichte zu beenden und Schritt für Schritt die gegenseitigen Vertrauensbeziehungen zwischen Russland und der Ukraine, und in Europa generell wiederherzustellen.
Durch die Regelung der Ukraine-Krise könnten wir uns gemeinsam mit unseren OVKS- und SOZ-Partnern, die einen wichtigen Beitrag zur Suche nach Wegen zur Lösung der Ukraine-Krise beitragen, wie auch mit unseren westlichen (auch europäischen) Staaten mit der Lösung der fundamentalen Aufgabe beschäftigen, die ich schon am Anfang erwähnt habe – wir könnten nämlich die Einrichtung eines unteilbaren Systems der eurasischen Sicherheit beginnen, die die Interessen absolut aller Staaten auf dem Kontinent berücksichtigen würde.
Natürlich ist eine vollständige Rückkehr zu unseren Initiativen im Sicherheitsbereich vor 25, 15, sogar vor zwei Jahren unmöglich – zu viele Dinge haben sich in dieser Zeit ereignet, und die Umstände haben sich verändert. Aber die Basisprinzipien und der Gegenstand des Dialogs bleiben dieselben. Russland begreift seine Verantwortung für die Stabilität in der Welt und bestätigt abermals seine Bereitschaft, mit allen Ländern zu verhandeln. Aber das sollte keine Imitation des Friedensprozesses sein, was den Interessen einzelner Länder dienen würde, sondern ein substantielles Gespräch über den ganzen Komplex der Fragen der globalen Sicherheit.«
Quelle: Wladimir Putin. Rede des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin bei dem Treffen mit den Führungskräften des Außenministeriums Russlands, Moskau, 14. Juni 2024. Deutsche Übersetzung: Außenministerium der Russischen Föderation. https://mid.ru/en/foreign_policy/news/1957107/?lang=de
[8] Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Selenskyj beim G20-Summit, 15 November 2022
Sehr geehrter Herr Präsident Widodo!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Großteil der Welt ist mit uns!
Ich spreche jetzt zu Ihnen auf Ukrainisch, aber jeder von Ihnen hat unsere Vorschläge auf dem Tisch – in Ihrer Sprache. Dies ist ein Zeichen des Respekts gegenüber Ihnen. Ich bin soeben in unsere Hauptstadt zurückgekehrt – aus der Stadt Cherson. Cherson ist eine der wichtigsten Städte im Süden unseres Landes und das einzige regionale Zentrum, das Russland nach dem 24. Februar erobern konnte. Und jetzt ist Cherson wieder frei.
Was bedeutet das? Diese Befreiungsoperation unserer Verteidigungskräfte ist für die Ukraine eine Analogie zu vielen Schlachten der Vergangenheit, die Wendepunkte in Kriegen waren. Sie symbolisierten solche Veränderungen, nach denen den Menschen bereits klar war, wer siegen würde, obwohl sie noch dafür kämpfen mussten.
Das ist wie der D-Day – die Landung der Alliierten in der Normandie. Er setzte noch keinen Wendepunkt im Kampf gegen das Böse, aber bestimmte bereits den gesamten weiteren Verlauf des Geschehens. Genau das spüren wir jetzt, wo Cherson frei ist.
Um unser gesamtes Land von den Raschisten zu befreien, werden wir noch eine Weile kämpfen müssen … Kämpfen! Aber wenn der Sieg doch unser sein wird, und dessen sind wir uns sicher, sollten wir dann nicht versuchen, unsere Friedensformel umzusetzen, um Tausende von Leben zu retten und die Welt vor neuen Destabilisierungen zu bewahren? Deshalb möchte ich unsere Vision vom Weg zum Frieden vorstellen – wie er real zu erreichen ist. Und nicht nur für uns, sondern auch für Sie alle, Ihre Verbündeten und Partner. In meiner Rede im September dieses Jahres auf der Sitzung der UN-Generalversammlung habe ich die ukrainische Formel für Frieden vorgestellt. Eine Formel des Friedens für die Welt. Gerade als die Welt hoffte, sich von den Schlägen der Pandemie zu erholen, provozierte Russlands Krieg eine ganze Reihe neuer globaler Schläge. Das muss gestoppt werden!
Es gibt eine Reihe von Entscheidungen, die implementiert werden müssen. Und ich möchte, dass das Gespräch darüber öffentlich stattfindet, nicht hinter den Kulissen. Ich möchte, dass es konkret und nicht in langen Zügen diskutiert wird. Vielleicht nehme ich mir dafür etwas mehr Zeit, als es die Tagesordnung vorsieht. Aber das Thema Frieden ist es wert.
Ich möchte, dass dieser aggressive russische Krieg gerecht und auf der Grundlage der UN-Charta und des Völkerrechts endet, und nicht »irgendwie« – wie es UN-Generalsekretär Antonio Guterres treffend formulierte. Der Ukraine sollten keine Kompromisse mit Gewissen, Souveränität, Territorium und Unabhängigkeit vorgeschlagen werden. Wir respektieren Regeln und stehen zu unserem Wort. Die Ukraine war schon immer führend bei Bemühungen zur Friedenssicherung, und die Welt hat das gesehen. Und wenn Russland sagt, es wolle diesen Krieg angeblich beenden, dann soll es dies mit Taten beweisen. Es ist offensichtlich, dass man den Worten Russlands nicht trauen kann, und es wird kein »Minsk-3« geben, gegen welches Russland sofort nach Unterzeichnung verstoßen wird.
Wenn es KEINE entsprechenden Maßnahmen zur Wiederherstellung von Frieden geben wird, dann bedeutet dies, dass Russland Sie alle erneut täuschen will, die Welt täuschen und den Krieg gerade dann einfrieren will, wo seine Niederlagen besonders spürbar geworden sind. Wir werden nicht zulassen, dass Russland abwartet, seine Streitkräfte aufbaut und dann mit einer neuen Serie von Terror und globaler Destabilisierung beginnt. Ich bin sicher, dass der zerstörerische Krieg Russlands jetzt gestoppt werden muss und kann.
Also, die Vorschläge der Ukraine:
Der Erste bezieht sich auf die Strahlen- und Nuklearsicherheit. Niemand hat das Recht, die Welt mit einer Strahlenkatastrophe zu erpressen. Dies ist ein Axiom. Aber vor den Augen der ganzen Welt hat Russland unser Kernkraftwerk Saporischschja in eine radioaktive Bombe verwandelt, die jeden Moment explodieren kann. Wohin wird die Strahlenwolke ziehen? Vielleicht zum Territorium der EU. Vielleicht in die Türkei. Vielleicht in den Nahen Osten. Ich halte auch die hypothetische Möglichkeit eines solchen Szenarios schon für kriminell! Die nukleare Sicherheit muss wiederhergestellt werden. Die IAEA hat bereits entsprechende Empfehlungen abgegeben und alle Risiken bestätigt, über die wir wiederholt gesprochen haben. Daher muss Russland unverzüglich alle seine Einheiten aus dem Gebiet des AKW Saporischschja zurückziehen. Das Werk muss unverzüglich unter die Kontrolle der IAEO und des ukrainischen Personals übergeben werden. Der normale Anschluss des Werks an das Stromnetz muss sofort wiederhergestellt werden, damit nichts die Stabilität der Reaktoren gefährdet. Wir haben vorgeschlagen, IAEO-Missionen in alle ukrainischen Kernkraftwerke zu schicken – es gibt insgesamt vier mit 15 Atomblöcken. Plus das stillgelegte und konservierte AKW Tschernobyl. Solche Missionen können überprüfen, ob jegliche feindselige Aktivitäten gegen ukrainische Nuklearanlagen tatsächlich eingestellt wurden. Wie lange könnte die Umsetzung dauern? Russland kann schon morgen mit der Demilitarisierung des Kernkraftwerks Saporischschja beginnen, wenn es wirklich bereit ist, die von ihm verletzte Strahlensicherheit wiederherzustellen. Dasselbe gilt für die wahnsinnigen Drohungen mit Atomwaffen, zu denen russische Amtsvertreter greifen. Es gibt und darf keine Ausreden für nukleare Erpressung geben. Und ich danke Ihnen, liebe G-19, dass Sie dies deutlich gemacht haben. Aber setzen Sie bitte Ihre ganze Kraft ein, um Russland zu zwingen, jede nukleare Bedrohung aufzugeben. Grundlage für solche Bemühungen können das Budapester Memorandum und die entsprechenden Möglichkeiten der Unterzeichnerstaaten sein.
Die zweite Herausforderung ist die Ernährungssicherheit. Dank der starken Beteiligung der UNO, der Türkei und anderer Partner haben wir gezeigt, wie durch die Zusammenarbeit von Wenigen die Ernährungssicherheit für Viele wiederhergestellt werden kann. Ich glaube, unsere Getreideexport-Initiative verdient eine unbefristete Verlängerung – unabhängig davon, wann der Krieg endet. Das Recht auf Nahrung ist ein Grundrecht aller Menschen auf der Welt. Seit Juli hat die Ukraine mehr als 10 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Seeweg exportiert. Wir können den Export um eine weitere Million Tonnen pro Monat steigern. Zu diesem Zweck schlage ich vor, die Getreideexport-Initiative auf unsere anderen Häfen auszuweiten, insbesondere auf die Häfen von Mykolajiw und »Olvia« in der Region Mykolajiw.
Ich rufe auch alle Länder – und insbesondere Ihre Länder, liebe Staats- und Regierungschefs der G-19 – auf, sich unserer Initiative anzuschließen, um den Ärmsten mit Nahrungsmitteln zu helfen. Diese Initiative – »Grain From Ukraine« – wurde bereits von uns gestartet. Und das erste Schiff – Nord Vind – fährt mit 27.000 Tonnen Weizen an Bord nach Äthiopien. Das ist eine Nahrungsmenge für fast 100.000 Menschen pro Jahr. Es können viele solcher Schiffe aus der Ukraine kommen und daher können viele Menschen in armen Ländern vor dem Hunger gerettet werden. Die Ukraine kann in diesem Jahr 45 Millionen Tonnen Lebensmittel exportieren. Und ein erheblicher Teil soll an diejenigen gehen, die am meisten leiden. Was genau bieten wir an? Jedes Land kann sich mit einem konkreten Beitrag anschließen und zum Mitgestalter des Sieges über den Hunger und die Ernährungskrise werden.
Das Dritte ist die Energiesicherheit. Sie alle sehen jetzt, worauf der russische Terror abzielt. Dies ist ein Versuch, Kälte in eine Waffe zu verwandeln. Eine Waffe gegen Millionen von Menschen. Etwa 40 % unserer Energieinfrastruktur wurden durch Angriffe russischer Raketen und iranische Drohnen zerstört, die von den Besatzern eingesetzt wurden. Woche für Woche sprengt Russland unsere Kraftwerke, Transformatoren und Stromversorgungsleitungen in die Luft. Ein weiteres Ziel dieses Terrors ist es, den Export unseres Stroms in die Nachbarländer zu verhindern, der ihnen erheblich helfen könnte, die Energiesituation zu stabilisieren und die Preise für die Verbraucher zu senken. Russland ist an einer Energiekrise interessiert. Und wir alle sollten daran interessiert sein, den Terror zu beenden. Ich danke allen unseren Partnern, die der Ukraine bereits mit der Lieferung von Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystemen geholfen haben. Dadurch können wir einige der russischen Raketen und iranischen Drohnen abschießen. Aber wir müssen unseren Luftraum vollständig schützen. Ich bitte Sie, die entsprechende Hilfe zu erhöhen! Wir haben bereits vorgeschlagen, eine Mission von UN-Experten zu Objekten der kritischen Energieinfrastruktur der Ukraine zu entsenden, um die Zerstörung und die Notwendigkeit der Wiederherstellung zu bewerten und ihre weitere Zerstörung zu verhindern. Wir müssen die Entsendung dieser Mission beschleunigen!
Dies wird ein konkreter Beitrag der internationalen Gemeinschaft zur Stabilisierung der Energiesituation in der Ukraine und in Europa und damit auf dem globalen Energiemarkt sein. Unabhängig von den Entscheidungen der Welt kann Russland jedoch jeden Tag die Angriffe auf die ukrainische Energieerzeugung und auf Anlagen einstellen, die an der Wasser- und Wärmeversorgung der Menschen beteiligt sind. Russland sollte durch Ablehnung von Terror beweisen, dass es wirklich an der Rückkehr zu Frieden interessiert ist. Wir müssen auch einen grundlegenden Schritt tun, damit Energieressourcen nicht länger als Waffen eingesetzt werden. Es müssen Preisbeschränkungen für russische Energieressourcen eingeführt werden. Wenn Russland versucht, die Ukraine, Europa und alle Energieverbraucher auf der Erde der Planbarkeit und Preisstabilität zu berauben, sollte die Antwort darauf eine erzwungene Begrenzung der Exportpreise für Russland sein. Damit der Export nicht höher ist als der Selbstkostenpreis. Das ist fair. Wenn man wegnimmt, dann hat die Welt das Recht, einem etwas wegzunehmen.
Die vierte Herausforderung ist die Freilassung aller Gefangenen und Deportierten. Tausende unserer Bürger – Militärs und Zivilisten – befinden sich in russischer Gefangenschaft. Sie werden brutal gefoltert – das ist eine massenhafte Misshandlung! Darüber hinaus kennen wir namentlich 11.000 Kinder, die zwangsweise nach Russland deportiert wurden. Sie sind von ihren Eltern getrennt, wohl wissend, dass sie Familien haben. Und neben diesen Kindern, deren Daten wir kennen, gibt es Zehntausende von denen, die gewaltsam weggebracht wurden und von denen wir nur indirekt wissen. Unter ihnen sind viele, deren Eltern durch russische Angriffe getötet wurden. Sie werden jetzt in einem mörderischen Zustand festgehalten. Hinzu kommen Hunderttausende von deportierten Erwachsenen, und Sie werden sehen, was für eine humanitäre Katastrophe Russlands Krieg angerichtet hat. Hinzu kommen politische Gefangene – ukrainische Staatsbürger, die in Russland und in den vorübergehend besetzten Gebieten, insbesondere auf der Krim, festgehalten werden. Wir müssen alle diese Leute freibekommen!
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir keine Unterstützung vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz gefunden haben. Wir sehen nicht, dass es uneingeschränkt für den Zugang zu den Lagern kämpft, in denen ukrainische Kriegsgefangene und politische Gefangene festgehalten werden, oder dass sie dabei helfen, deportierte Ukrainer zu finden. Eine solche Selbstbeseitigung ist eine Selbstzerstörung des Roten Kreuzes als einer Organisation, die einst respektiert wurde. Wir können nicht warten. Deshalb müssen wir uns zusammentun für das einzig realistische Modell der Freilassung von Gefangenen – »alle gegen alle«. Und auch für die Freilassung aller Kinder und Erwachsenen, die nach Russland deportiert wurden.
Ich danke den Partnern für ihre Bemühungen, die die Freilassung vieler Ukrainer und ausländischer Bürger ermöglicht haben, die von den Russen gefangen genommen wurden. Und lassen Sie Ihre Führung und das aufrichtige Herz anderer Führer, die jetzt anwesend sind, auch dazu beitragen, andere Ukrainer zu befreien.
Der Fünfte – die Umsetzung der UN-Charta und Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine und der Weltordnung. Der zweite Artikel der UN-Charta definiert alles ganz klar. Alles, was Russland mit diesem Krieg gebrochen hat.
Deshalb müssen wir die Kraft des Völkerrechts wiederherstellen – und zwar ohne Kompromisse mit dem Aggressor. Denn die UN-Charta kann nicht partiell, punktuell oder »nach Belieben« agieren. Russland muss die territoriale Integrität der Ukraine im Rahmen der entsprechenden Resolutionen der UN-Generalversammlung und der entsprechenden Vertrags- und Rechtsdokumente bestätigen. Es ist absolut konkret.
Das Sechste ist die Herausforderung der Einstellung der Kampfhandlungen. Es gibt ein klares Verständnis dafür, wie dies sichergestellt werden kann. Russland muss alle seine Truppen und bewaffneten Formationen vom Territorium der Ukraine abziehen. Die Kontrolle der Ukraine über alle Abschnitte unserer Staatsgrenze zu Russland muss wiederhergestellt werden. DIES wird zu einer echten und vollständigen Einstellung der Kampfhandlungen führen. Jeder Tag der Verzögerung bedeutet neue tote Ukrainer, neue Bedrohungen für die Welt und eine wahnsinnige Zunahme der Verluste durch weiter Fortsetzung der russischen Aggression – Verluste für alle auf der Welt.
Das Siebte ist Gerechtigkeit. Das ist, was die größten Emotionen hervorruft. Überall, wo wir unser Land befreien, sehen wir nur eines: Russland hinterlässt Folterkammern und Massengräber mit getöteten Menschen. So war es in Butscha und anderen Städten im Norden des Landes nach der Besatzung. Dies war in der Oblast Charkiw der Fall. Das Gleiche erleben wir jetzt in der Oblast Cherson. Mit Stand von heute liegen uns vollständige Informationen über 430 durch russische Angriffe getötete Kinder vor. Allein Kinder! Und nur über die, von denen wir mit Sicherheit wissen. Und wie viele Massengräber gibt es in dem Gebiet, das noch unter russischer Kontrolle steht? Was werden wir in Mariupol sehen? Deshalb muss die Welt ein Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression Russlands gegen die Ukraine und die Einrichtung eines internationalen Mechanismus zur Entschädigung für alle durch diesen Krieg verursachten Schäden anerkennen. Es muss eine Entschädigung auf Kosten der russischen Vermögenswerte sein, da der Aggressor alles tun muss, um die von ihm verletzte Gerechtigkeit wiederherzustellen.
Wir haben bereits eine Resolution der UN-Generalversammlung über einen internationalen Entschädigungsmechanismus für die durch den russischen Krieg verursachten Schäden vorgeschlagen. Sie wurde verabschiedet. Wir bitten darum, sie einzusetzen. Wir bereiten eine zweite Resolution vor – über das Sondertribunal. Ich bitte Sie, sich ihr anzuschließen und sie zu unterstützen. Denn jedes Volk auf dieser Welt schätzt Gerechtigkeit.
Die achte Herausforderung ist der Ökozid, also die Notwendigkeit eines sofortigen Umweltschutzes. Millionen von Hektar Wald sind durch Beschuss verbrannt worden. Fast 200.000 Hektar unseres Landes sind mit Minen und nicht explodierten Granaten verseucht. Dutzende von Kohlebergwerken wurden geflutet, darunter auch das Bergwerk, in dem 1979 eine unterirdische Atomexplosion durchgeführt wurde. Dies ist die Mine Junkom in der Oblast Donezk. Sie befindet sich auf dem von Russland besetzten Gebiet. Sie ist seit mehreren Jahren überschwemmt – wegen der Besatzer. Obwohl jedem in Moskau bekannt ist, welche Gefahr dies nicht nur für die Flüsse in der Oblast Donezk, sondern auch für das Asowsche Meer und damit für das Schwarzmeer-Becken darstellt. Nur die Rückeroberung unseres Territoriums kann die Voraussetzungen schaffen, um diese Bedrohung zu beseitigen. So wie auch für die anderen.
Es ist unmöglich, den Umfang der Luftverschmutzung durch abgebrannte Öllager und andere Brände genau zu berechnen… Außerdem wurden Kläranlagen in die Luft gesprengt, Chemiewerke niedergebrannt und viele tote Tiere vergraben. Stellen Sie sich das vor – 6 Millionen Haustiere starben infolge der russischen Aggression. 6 Millionen! Dies sind offizielle Angaben. Mindestens 50.000 Delfine im Schwarzen Meer. Tausende Hektar Böden sind mit Schadstoffen belastet – die meisten davon sind fruchtbare Böden. Es waren fruchtbare Böden. Letzte Woche habe ich auf dem Klimagipfel in Ägypten vorgeschlagen, eine Plattform zur Bewertung der durch den Krieg verursachten Umweltschäden zu schaffen. Wir müssen sie umsetzen.
Wir müssen auch gemeinsame Antworten auf alle durch den Krieg verursachten Umweltbedrohungen finden. Ohne dies wird es keine Rückkehr zu einem normalen, stabilen Leben geben, und der Nachhall des Krieges wird noch lange Zeit zu spüren sein – in Form von Minenexplosionen, die Kindern und Erwachsenen das Leben fordern werden, sowohl in Form der Verschmutzung von Wasser als auch von Boden und Atmosphäre. Ich danke allen Ländern, die uns bereits bei der Minenräumung unterstützen. Wir müssen dringend die Zahl der Geräte und Fachkräfte für diesen Zweck erhöhen. Wir brauchen auch Mittel und Technologien für die Erneuerung der Kläranlagen. Dies ist nicht nur ein ukrainisches Problem. Dies ist eine Herausforderung für die europäische und globale Umweltsicherheit.
Das nächste – der neunte Vorschlag – ist die Verhinderung einer Eskalation. Das Risiko ist und bleibt so lange bestehen, bis unsere Sicherheit auf angemessene Weise gewährleistet wird. Die Ukraine gehört keiner Allianz an. Und dieser russische Krieg konnte gerade deshalb beginnen, weil die Ukraine in einer Grauzone zwischen der euro-atlantischen Welt und dem russischen Imperialismus blieb. Auch jetzt haben wir keine Sicherheitsgarantien. Wie lässt sich also eine Wiederholung einer solchen russischen Aggression gegen uns verhindern? Wir brauchen wirksame Sicherheitsgarantien. Deshalb haben wir einen Entwurf für ein Abkommen – Kyiv Security Compact (den Kyjiwer Sicherheitspakt) – ausgearbeitet und ihn unseren Partnern bereits angeboten. Deshalb müssen wir eine internationale Konferenz abhalten, um die Schlüsselelemente der Nachkriegs-Sicherheitsarchitektur im euro-atlantischen Raum festzulegen, einschließlich Garantien für die Ukraine, um eine Wiederholung der russischen Aggression zu verhindern. Das wichtigste Ergebnis der Konferenz dürfte die Unterzeichnung des Kyiv Security Compact (des Kyjiwer Sicherheitspakts) sein. Wir können das jederzeit tun – auch in diesem Jahr. Und ich versichere Ihnen – danach werden Sie nie wieder etwas über den Krieg in unserem Teil Europas hören. Denn der Angreifer wird es nicht wagen, dies zu wiederholen.
Der Zehnte – die Festschreibung des Kriegsendes. Wenn alle Antikriegsmaßnahmen umgesetzt sind, wenn Sicherheit und Gerechtigkeit wiederhergestellt sind, muss von den Parteien ein Dokument unterzeichnet werden, dass das Kriegsende festschreibt. Ich betone, dass jede dieser Herausforderungen auf dem Weg zum Frieden nicht viel Zeit in Anspruch nehmen kann. Maximal – einen Monat für einen Punkt. Für manche reichen ein paar Tage. Wir haben bereits positive Erfahrungen mit der Getreideexportinitiative gemacht. Wie funktioniert das? Es gibt die UNO und zwei Vertragsparteien: auf der einen Seite sind die Ukraine, die Türkei und die UNO, auf der anderen Seite sind Russland, die Türkei und die UNO. In ähnlicher Weise kann die Umsetzung jedes der von mir genannten Punkte funktionieren, wobei die Parteien verschiedene Staaten sein können, die bereit sind, bei einer bestimmten Entscheidung die Führung zu übernehmen.
Noch einmal:
Strahlen- und Nuklearsicherheit; Ernährungssicherheit; Energiesicherheit; Freilassung aller Gefangenen und Deportierten; Umsetzung der UN-Charta und Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine und der Weltordnung; Abzug der russischen Truppen und Einstellung der Feindseligkeiten; Wiederherstellung der Gerechtigkeit; Bekämpfung des Ökozids; Verhinderung einer Eskalation; und als Letztes: die Festschreibung des Kriegsendes.
Sehr geehrte Leader!
Ich habe die Richtungen skizziert, die jeder von Ihnen für sich selbst wählen kann – wie man zum Mitschöpfer des Friedens wird. Bitte wählen Sie ihre Richtung fürs Leadership – und gemeinsam werden wir die Formel des Friedens definitiv umsetzen. Was wird das uns bringen?
Das ist die Rettung Tausender Leben. Das ist die Wiederherstellung des Völkerrechts. Das ist die Erneuerung der Sicherheitsarchitektur. Das ist die Rückkehr zur globalen Stabilität, ohne die alle weltweit leiden. Und das ist der Sinn – der Sinn dessen, wofür gewissenhafte Länder der Welt zusammenarbeiten. Frieden ist ein globaler Wert, was für jeden Menschen auf der Erde von Bedeutung ist. Ich bin sicher, dass dies für jeden von Ihnen, den G-19-Leadern, wichtig ist. Ich habe konkrete, klare Lösungen skizziert. Man kann sie umsetzen. Ganz schnell. Sie sind wirksam. Und wenn Russland sich unserer Friedensformel widersetzt, dann werden Sie sehen, dass es nur Krieg will. Die Ukraine ist allen in der Welt dankbar, die uns helfen, die Freiheit zu verteidigen und den Frieden wiederherzustellen.
Mögen unsere gemeinsamen Bemühungen so bald wie möglich von Erfolg gekrönt sein und sich darin wiederfinden, welche Schlussfolgerungen dieser Gipfel zieht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ruhm für die Ukraine!
Quelle: https://germany.mfa.gov.ua/de/news/ukrayina-zavzhdi-bula-liderom-mirotvorchih-zusil-vistup-prezidenta-ukrayini-na-samiti-grupi-dvadcyati
[9] G7: Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine, 12. Juli 2023
Wir, die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der Gruppe der Sieben (G7), bekräftigen unser unerschütterliches Bekenntnis zum strategischen Ziel einer freien, unabhängigen, demokratischen und souveränen Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen, die fähig ist, sich selbst zu verteidigen und künftige Aggressionen abzuschrecken.
Wir betonen, dass die Sicherheit der Ukraine wesentlich für die Sicherheit des euroatlantischen Raums ist.
Wir betrachten Russlands illegale und unprovozierte Invasion der Ukraine als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit, als eklatante Verletzung des Völkerrechts, einschließlich der VN-Charta, und als unvereinbar mit unseren Sicherheitsinteressen. Wir werden der Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen die russische Aggression zur Seite stehen, solange es nötig ist.
Wir sind geeint in unserer beständigen Unterstützung für die Ukraine, die auf unseren gemeinsamen demokratischen Werten und Interessen gründet, vor allem auf der Achtung der VN-Charta und den Grundsätzen der territorialen Unversehrtheit und der Souveränität.
Heute bringen wir Verhandlungen mit der Ukraine auf den Weg, um durch bilaterale Sicherheitszusagen und Sicherheitsarrangements entsprechend diesem multilateralen Rahmen und im Einklang mit unseren jeweiligen rechtlichen und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen unsere beständige Unterstützung für die Ukraine auf eine formale Grundlage zu stellen, während sie ihre Souveränität und territoriale Unversehrtheit verteidigt, ihre Wirtschaft wieder aufbaut, ihre Bevölkerung schützt und die Integration in die euroatlantische Gemeinschaft verfolgt. Wir werden unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit beauftragen, diese Gespräche unverzüglich aufzunehmen.
Wir werden einzeln mit der Ukraine in Bezug auf konkrete, bilaterale, langfristige Sicherheitszusagen und Sicherheitsarrangements zusammenarbeiten, um auf Folgendes hinzuwirken
a) Sicherstellung langfristig stabiler Kräfte, die fähig sind, die Ukraine in der Gegenwart zu verteidigen und russische Aggression in der Zukunft abzuschrecken, und zwar durch die fortgesetzte Bereitstellung von
- Sicherheitsunterstützung und modernem militärischen Gerät in den Bereichen Land, See und Luft – mit Schwerpunkt auf Flugabwehr-, Artillerie- und Langstreckenwaffen, gepanzerten Fahrzeugen und weiteren Schlüsselfähigkeiten, beispielsweise im Luftkampf, sowie durch Förderung größerer Interoperabilität mit euroatlantischen Partnern;
- Unterstützung für die Weiterentwicklung der verteidigungsindustriellen Basis der Ukraine;
- Ausbildung und Ausbildungsübungen für ukrainische Streitkräfte;
- nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit;
- Unterstützung bei Initiativen für Cyberabwehr, -sicherheit und -resilienz, auch, um hybriden Bedrohungen entgegenzuwirken.
b) Stärkung der wirtschaftlichen Stabilität und Resilienz der Ukraine, auch durch Bemühungen um Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung, damit günstige Voraussetzungen für die Förderung wirtschaftlichen Wohlstands in der Ukraine geschaffen werden, was auch ihre Energiesicherheit umfasst.
c) technische und finanzielle Unterstützung zur Deckung des sich aus Russlands Krieg ergebenden unmittelbaren Bedarfs der Ukraine und Befähigung der Ukraine, die wirksame Reformagenda weiter umzusetzen, welche das für den weiteren Fortschritt auf dem Weg ihrer euroatlantischen Bestrebungen nötige verantwortungsbewusste staatliche Handeln unterstützen wird.
Im Falle eines zukünftigen bewaffneten Angriffs durch Russland beabsichtigen wir, uns unmittelbar mit der Ukraine zu beraten, um weitere angemessene Schritte festzulegen.
Wir beabsichtigen, der Ukraine im Einklang mit unseren jeweiligen rechtlichen und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen rasch und langfristig Sicherheitsunterstützung, modernes militärisches Gerät in den Bereichen See, Land und Luft sowie wirtschaftliche Unterstützung zur Verfügung zu stellen, Russland wirtschaftliche und anderweitige Kosten aufzuerlegen und uns mit der Ukraine hinsichtlich ihres Bedarfs zu beraten, während sie ihr in Artikel 51 der VN-Charta verbrieftes Recht zur Selbstverteidigung ausübt. Zu diesem Zweck werden wir mit der Ukraine an einem verstärkten Paket von Sicherheitszusagen und Sicherheitsarrangements im Falle einer zukünftigen Aggression zusammenarbeiten, um die Ukraine zu befähigen, ihr Hoheitsgebiet und ihre Souveränität zu verteidigen.
Über die oben dargelegten Aspekte hinaus setzen wir uns weiterhin dafür ein, die Ukraine zu unterstützen, indem wir Russland zur Verantwortung ziehen. Dazu gehören Bemühungen mit dem Ziel, sicherzustellen, dass die Kosten, die Russland durch seine Aggression entstehen, weiter steigen, auch durch Sanktionen und Ausfuhrkontrollen, sowie die Unterstützung für Bemühungen, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für in der Ukraine begangene und gegen die Ukraine gerichtete Kriegsverbrechen und andere völkerrechtliche Verbrechen, darunter Angriffe auf kritische zivile Infrastruktur, verantwortlich sind. Für Kriegsverbrechen und andere Gräueltaten darf es keine Straflosigkeit geben. In diesem Zusammenhang bekräftigen wir unser Bekenntnis, die Verantwortlichen im Einklang mit dem Völkerrecht zur Rechenschaft zu ziehen, auch durch die Unterstützung der Bemühungen internationaler Mechanismen wie des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH).
Wir bekräftigen erneut, dass im Einklang mit unseren jeweiligen Rechtssystemen Russlands staatliche Vermögenswerte in unseren Hoheitsgebieten eingefroren bleiben, bis Russland den Schaden begleicht, den es der Ukraine zugefügt hat. Wir erkennen an, dass ein internationaler Mechanismus für die Wiedergutmachung von durch die russische Aggression verursachten Schäden, Verlusten oder Verletzungen eingerichtet werden muss, und erklären unsere Bereitschaft, Möglichkeiten für die Entwicklung geeigneter Mechanismen zu prüfen.
Die Ukraine bekennt sich ihrerseits dazu,
- positiv zu partnerbezogener Sicherheit beizutragen und Maßnahmen in den Bereichen Transparenz und Rechenschaftspflicht im Hinblick auf partnerbezogene Unterstützung zu verstärken;
- die Umsetzung der Reformen in den Bereichen Gesetzesvollzug, Justiz, Korruptionsbekämpfung, Unternehmensführung, Wirtschaft, im Sicherheitssektor und in der staatlichen Verwaltung weiterzuverfolgen, die ihr Bekenntnis zur Demokratie, zu Rechtsstaatlichkeit sowie zur Wahrung der Menschenrechte und der Pressefreiheit unterstreichen und ihre Wirtschaft auf einen nachhaltigen Pfad lenken;
- Reformen und die Modernisierung im Verteidigungssektor voranzubringen, auch durch Stärkung der demokratischen zivilen Kontrolle des Militärs und durch verbesserte Wirksamkeit und Transparenz in der Gesamtheit der ukrainischen Verteidigungsinstitutionen und Verteidigungsindustrie.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten stehen bereit, zu diesen Bemühungen beizutragen, und werden die Modalitäten für einen solchen Beitrag rasch prüfen.
Diese Bemühungen werden unternommen, während die Ukraine den Weg zu einer künftigen Mitgliedschaft in der euroatlantischen Gemeinschaft verfolgt.
Weitere Staaten, die zu diesen Bemühungen zugunsten einer freien, starken, unabhängigen und souveränen Ukraine beitragen wollen, können sich dieser gemeinsamen Erklärung jederzeit anschließen.
Quelle: G7: Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine, 12 Juli 2023, (Arbeitsübersetzung der Bundesregierung), https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975256/2202016/e809ec86097d56525ad4ad5b457e94b9/2023-07-12-g7-leaders-statment-deu-data.pdf.
[10] Gipfeltreffen zum Frieden in der Ukraine: Gemeinsames Kommuniqué über einen Friedensrahmen, Bürgenstock, Schweiz, 16. Juni 2024
Der anhaltende Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine verursacht weiterhin großes menschliches Leid und Zerstörung und schafft Risiken und Krisen mit globalen Auswirkungen. Wir sind am 15. und 16. Juni 2024 in der Schweiz zusammengekommen, um einen hochrangigen Dialog über Wege zu einem umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine zu fördern. Wir haben die von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Resolutionen A/RES/ES-11/1 und A/RES/ES-11/6 bekräftigt und unser Engagement für die Einhaltung des Völkerrechts einschließlich der Charta der Vereinten Nationen unterstrichen. Dieses Gipfeltreffen baute auf den vorangegangenen Diskussionen auf, die auf der Grundlage der ukrainischen Friedensformel und anderer Friedensvorschläge stattfanden, die im Einklang mit dem Völkerrecht, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, stehen.
Wir wissen die Gastfreundschaft der Schweiz und ihre Initiative, dieses hochrangige Gipfeltreffen auszurichten, als Ausdruck ihres festen Engagements für die Förderung des internationalen Friedens und der Sicherheit sehr zu schätzen.
Wir hatten einen fruchtbaren, umfassenden und konstruktiven Meinungsaustausch über Wege zu einem Rahmen für einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden, der auf dem Völkerrecht, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, beruht. Insbesondere bekräftigen wir unser Bekenntnis zum Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates, zu den Grundsätzen der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Staaten, einschließlich der Ukraine, innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen, einschließlich der Hoheitsgewässer, und zur Beilegung von Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln als Grundsätze des Völkerrechts.
Darüber hinaus haben wir eine gemeinsame Vision zu den folgenden entscheidenden Aspekten:
Erstens muss jede Nutzung der Kernenergie und der kerntechnischen Anlagen sicher, gesichert, bewacht und umweltverträglich sein. Die ukrainischen Kernkraftwerke und -anlagen, einschließlich des Kernkraftwerks Saporischschja, müssen unter der uneingeschränkten souveränen Kontrolle der Ukraine und im Einklang mit den Grundsätzen der IAEO sowie unter deren Aufsicht sicher und geschützt betrieben werden.
Jede Androhung oder jeder Einsatz von Atomwaffen im Zusammenhang mit dem laufenden Krieg gegen die Ukraine ist unzulässig.
Zweitens: Die weltweite Ernährungssicherheit hängt von der ununterbrochenen Herstellung und Lieferung von Nahrungsmitteln ab. In diesem Zusammenhang sind die freie, uneingeschränkte und sichere Handelsschifffahrt sowie der Zugang zu den Häfen im Schwarzen und Asowschen Meer von entscheidender Bedeutung. Angriffe auf Handelsschiffe in Häfen und entlang der gesamten Route sowie auf zivile Häfen und zivile Hafeninfrastruktur sind nicht hinnehmbar.
Die Ernährungssicherheit darf in keiner Weise zur Waffe werden. Die ukrainischen Agrarprodukte sollten sicher und ungehindert an interessierte Drittländer geliefert werden.
Drittens müssen alle Kriegsgefangenen durch vollständigen Austausch freigelassen werden. Alle deportierten und unrechtmäßig vertriebenen ukrainischen Kinder und alle anderen ukrainischen Zivilisten, die unrechtmäßig inhaftiert wurden, müssen in die Ukraine zurückgebracht werden.
Wir sind der Auffassung, dass die Erreichung des Friedens die Einbeziehung aller Parteien und den Dialog zwischen ihnen erfordert. Wir haben daher beschlossen, in Zukunft konkrete Schritte in den oben genannten Bereichen zu unternehmen und die Vertreter aller Parteien weiter einzubeziehen.
Die Charta der Vereinten Nationen, einschließlich der Grundsätze der Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten, kann und wird als Grundlage für die Erreichung eines umfassenden, gerechten und dauerhaften Friedens in der Ukraine dienen.
Liste der Staaten und internationalen Organisationen, die das Gemeinsame Kommuniqué unterstützen
Stand: 31. Juli 2024
Albanien, Andorra, Antigua und Barbuda, Argentinien, Australien, Österreich, Barbados, Belgien, Benin, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Cabo Verde, Kanada, Chile, Komoren, Costa Rica, Côte d’Ivoire, Europarat, Kooperative Republik Guyana, Kroatien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Dominikanische Republik, Ecuador, Estland, Europäische Kommission, Europäischer Rat, Europäisches Parlament, Föderierte Staaten von Mikronesien, Fidschi, Finnland, Frankreich, Gambia, Georgien, Deutschland, Ghana, Griechenland, Guatemala, Ungarn, Island, Unabhängiger Staat Papua-Neuguinea, Irland, Israel, Italien, Japan, Kenia, Königreich Tonga, Kosovo, Lettland, Liberia, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Moldawien, Monaco, Montenegro, Niederlande, Neuseeland, Nordmazedonien, Norwegen, Organisation Amerikanischer Staaten, Palau, Peru, Philippinen, Polen, Portugal, Katar, Republik Botswana, Republik Korea, Republik Malawi, Republik Mauritius, Republik der Marshallinseln, Rumänien, San Marino, São Tomé und Príncipe, Serbien, Singapur, Slowakische Republik, Slowenien, Somalia, Spanien, Surinam, Schweden, Schweiz, Timor-Leste, Türkiye, Ukraine, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten, Uruguay, Sambia
Quelle: https://www.eda.admin.ch/eda/en/home/das_eda/aktuell/dossiers/konferenz-zum-frieden-ukraine/Summit-on-Peace-in-ukraine-joint-communique-on-a-peace-framework.html
[11] Chinas Standpunkt zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise, 24. Februar 2023
1. Respektierung der Souveränität aller Länder. Das allseits anerkannte Völkerrecht, einschließlich der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, muss strikt eingehalten werden. Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit aller Länder müssen wirkungsvoll gewahrt werden. Alle Länder, ob groß oder klein, stark oder schwach, reich oder arm, sind gleichberechtigte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Alle Parteien sollten gemeinsam die grundlegenden Normen für die internationalen Beziehungen aufrechterhalten und für internationale Gleichberechtigung und Gerechtigkeit eintreten. Die gleichmäßige und einheitliche Anwendung des Völkerrechts sollte vorangetrieben werden, während Doppelstandards zurückzuweisen sind.
2. Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer Länder gehen. Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder Ausweitung von Militärblöcken erreicht werden. Die legitimen Sicherheitsinteressen und -anliegen aller Länder müssen ernst genommen und angemessen berücksichtigt werden. Es gibt keine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Alle Parteien sollten gemäß der Vorstellung von gemeinsamer, umfassender, kooperativer und nachhaltiger Sicherheit und mit Blick auf den langfristigen Frieden und die Stabilität in der Welt dazu beitragen, eine ausgewogene, effektive und nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen. Alle Parteien sollten sich dem Streben nach eigener Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer entgegenstellen, eine Blockkonfrontation verhindern und sich gemeinsam für Frieden und Stabilität auf dem eurasischen Kontinent einsetzen.
3. Einstellung der Kampfhandlungen. Konflikte und Kriege nützen niemandem. Alle Parteien müssen besonnen bleiben und Zurückhaltung üben, den Konflikt nicht weiter befeuern, die Spannungen nicht verschärfen und verhindern, dass sich die Krise weiter zuspitzt oder gar außer Kontrolle gerät. Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine dabei unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und den direkten Dialog so schnell wie möglich wieder aufzunehmen, um die Situation schrittweise zu deeskalieren und schließlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen.
4. Wiederaufnahme der Friedensgespräche. Dialog und Verhandlungen sind die einzige tragfähige Lösung für die Ukraine-Krise. Alle Bemühungen, die zu einer friedlichen Beilegung der Krise beitragen, müssen gefördert und unterstützt werden. Die internationale Gemeinschaft sollte sich weiterhin für den richtigen Ansatz zur Förderung von Friedensgesprächen einsetzen, den Konfliktparteien helfen, so schnell wie möglich die Tür zu einer politischen Einigung zu öffnen, und Bedingungen und Foren für die Wiederaufnahme von Verhandlungen schaffen. China wird in dieser Hinsicht weiterhin eine konstruktive Rolle spielen.
5. Beendigung der humanitären Krise. Alle Maßnahmen, die zur Linderung der humanitären Krise beitragen, müssen gefördert und unterstützt werden. Humanitäre Maßnahmen sollten den Grundsätzen der Neutralität und Unparteilichkeit folgen, und humanitäre Angelegenheiten sollten nicht politisiert werden. Die Sicherheit der Zivilbevölkerung muss wirksam geschützt werden, und es sollten humanitäre Korridore für die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den Konfliktgebieten eingerichtet werden. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um die humanitäre Hilfe in den betroffenen Gebieten zu verstärken, die humanitären Bedingungen zu verbessern und einen schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten, um eine humanitäre Krise größeren Ausmaßes zu verhindern. Die Vereinten Nationen sollten bei der Koordinierung der humanitären Hilfe für die Konfliktgebiete unterstützt werden.
6. Schutz von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen. Die Konfliktparteien sollten sich strikt an das humanitäre Völkerrecht halten, Angriffe auf Zivilpersonen oder zivile Einrichtungen vermeiden, Frauen, Kinder und andere Opfer des Konflikts schützen und die elementaren Rechte von Kriegsgefangenen achten. China unterstützt den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen Russland und der Ukraine und fordert alle Parteien auf, günstigere Bedingungen für diesen Austausch zu schaffen.
7. Sicherheit von Kernkraftwerken. China lehnt bewaffnete Angriffe auf Kernkraftwerke oder andere Anlagen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie ab und fordert alle Parteien auf, das Völkerrecht, einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit, einzuhalten und von Menschen verursachte nukleare Unfälle unbedingt zu vermeiden. China unterstützt die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) dabei, eine konstruktive Rolle bei der Gewährleistung der Sicherheit friedlicher Nuklearanlagen zu spielen.
8. Verminderung strategischer Risiken. Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt werden und Atomkriege dürfen nicht geführt werden. Die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen ist abzulehnen. Die Weiterverbreitung von Kernwaffen muss verhindert und eine nukleare Krise vermieden werden. China lehnt die Erforschung, Entwicklung und den Einsatz von chemischen und biologischen Waffen durch jedes Land unter jedweden Umständen ab.
9. Ermöglichung von Getreideexporten. Alle Parteien müssen die von Russland, Türkiye, der Ukraine und den Vereinten Nationen unterzeichnete Schwarzmeer-Getreide-Initiative vollständig und wirksam in einem ausgewogenen Maß umsetzen und die Vereinten Nationen dabei unterstützen, eine wichtige Funktion in dieser Angelegenheit zu übernehmen. Die von China vorgeschlagene Initiative zur Zusammenarbeit im Bereich der globalen Ernährungssicherheit bietet eine durchführbare Lösung für die weltweite Nahrungsmittelkrise.
10. Aufhebung einseitiger Sanktionen. Einseitige Sanktionen und größtmöglicher Druck können keine Lösung für das Problem sein, sondern schaffen nur neue Probleme. China lehnt einseitige, vom UN-Sicherheitsrat nicht gebilligte Sanktionen ab. Die betroffenen Länder sollten nicht länger unilaterale Sanktionen und die »extraterritoriale Hoheitsgewalt« gegen andere Länder missbrauchen, um ihren Teil zur Deeskalation der Ukraine-Krise beizutragen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Entwicklungsländer ihre Wirtschaft ausbauen und die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerungen verbessern können.
11. Wahrung der Stabilität der Industrie- und Lieferketten. Alle Parteien sollten sich ernsthaft für den Erhalt des bestehenden Weltwirtschaftssystems einsetzen und sich dagegen wehren, die Weltwirtschaft als Instrument oder Waffe für politische Zwecke zu missbrauchen. Gemeinsame Anstrengungen sind erforderlich, um die Auswirkungen der Krise einzudämmen und zu verhindern, dass sie die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Finanzen, Nahrungsmittelaußenhandel und Güterverkehr stört und den weltweiten Wirtschaftsaufschwung untergräbt.
12. Unterstützung des Wiederaufbaus nach Konflikten. Die internationale Gemeinschaft muss Maßnahmen ergreifen, um den Wiederaufbau nach Konflikten in Konfliktgebieten zu unterstützen. China ist bereit, dabei eine konstruktive Rolle zu spielen und Unterstützung zu leisten.
Quelle: Außenministerium der Volksrepublik China. Chinas Standpunkt zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise, 24. Februar 2023, https://www.fmprc.gov.cn/eng/gjhdq_665435/3265_665445/3250_664382/3251_664384/202302/t20230224_11030713.html.
[12] Gemeinsame Vereinbarungen zwischen China und Brasilien zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise, 23. Mai 2024
Am 23. Mai 2024 traf S.E. Wang Yi, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas und Außenminister Chinas, in Peking mit S.E. Celso Amorim, Chefberater des brasilianischen Präsidenten, zusammen. Die beiden Gesprächspartner führten einen intensiven Meinungsaustausch über die Bemühungen um eine politische Lösung der Ukraine-Krise und die Forderung nach einer Deeskalation der Lage und erzielten dabei folgende gemeinsame Vereinbarungen:
- Beide Seiten fordern alle beteiligten Parteien auf, drei Grundsätze zur Deeskalation der Lage zu befolgen, nämlich keine Ausweitung des Schlachtfelds, keine Eskalation der Kämpfe und keine Provokation durch keine der beteiligten Parteien.
- Die beiden Seiten sind der Meinung, dass Dialog und Verhandlungen die einzige tragfähige Lösung für die Ukraine-Krise sind. Alle Parteien sollten die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des direkten Dialogs schaffen und auf eine Deeskalation der Lage bis zur Umsetzung eines umfassenden Waffenstillstands drängen. China und Brasilien unterstützen eine internationale Friedenskonferenz, die zu einem geeigneten Zeitpunkt stattfindet und sowohl von Russland als auch von der Ukraine anerkannt wird, mit gleichberechtigter Teilnahme aller Parteien sowie einer angemessenen Diskussion aller Friedenspläne.
- Es sind Anstrengungen erforderlich, um die humanitäre Hilfe für die betroffenen Regionen zu erhöhen und eine humanitäre Krise größeren Ausmaßes zu verhindern. Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder zivile Einrichtungen müssen vermieden werden, und die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kinder sowie Kriegsgefangene, muss unbedingt geschützt werden. Beide Seiten unterstützen den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen den Konfliktparteien.
- Den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, insbesondere von Atomwaffen sowie chemischen und biologischen Waffen, lehnen wir ab. Es müssen alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden, um die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern und eine nukleare Krise zu vermeiden.
- Angriffe auf Kernkraftwerke und andere Anlagen zur zivilen Nutzung der Kernenergie sind abzulehnen. Alle Parteien haben das Völkerrecht einzuhalten, einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit, und von Menschen verursachte nukleare Unfälle müssen entschlossen verhindert werden.
- Die Aufteilung der Welt in isolierte politische oder wirtschaftliche Gruppen sollte verhindert werden. Beide Seiten fordern Anstrengungen zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Währung, Finanzen, Handel, Ernährungssicherheit und Sicherheit kritischer Infrastrukturen, einschließlich Öl- und Gaspipelines, Unterwasser-Glasfaserkabeln, Strom- und Energieanlagen sowie Glasfasernetzen, um die Stabilität der globalen Industrie- und Lieferketten zu schützen.
Beide Seiten begrüßen es, wenn Mitglieder der internationalen Gemeinschaft die oben genannten gemeinsamen Vereinbarungen unterstützen und befürworten und gemeinsam eine konstruktive Rolle bei der Deeskalation der Situation und der Förderung von Friedensgesprächen spielen.
Quelle: http://web.archive.org/web/20240626042001/https:/www.mfa.gov.cn/eng/zxxx_662805/202405/t20240523_11310698.html oder https://www.gov.br/planalto/en/latest-news/2024/05/brazil-and-china-present-joint-proposal-for-peace-negotiations-with-the-participation-of-russia-and-ukraine
[13] BRICS-Erklärungen
Johannesburg II Erklärung der BRICS, 24. August 2023
Die Johannesburg II Erklärung der BRICS vom August 2023 drückt Besorgnis über den Ukraine-Konflikt und dessen globale Auswirkungen, insbesondere auf die Lebensmittel- und Energiesicherheit, aus. Die BRICS-Staaten betonen die Bedeutung von Frieden und Diplomatie und rufen zu einer Lösung durch Dialog und Verhandlungen auf. Sie bekräftigen das Prinzip der territorialen Integrität und Souveränität gemäß internationalem Recht, vermeiden jedoch eine direkte Verurteilung der beteiligten Parteien:
»Wir erinnern an unsere nationalen Standpunkte zum Konflikt in der und um die Ukraine, wie sie die in den entsprechenden Gremien, einschließlich des UN-Sicherheitsrates und der UN-Generalversammlung, zum Ausdruck gebracht wurden. Wir würdigen die einschlägigen Vorschläge für Vermittlungsbemühungen und gute Dienste, die auf eine friedliche Lösung des Konflikts durch Dialog und Diplomatie abzielen, einschließlich der African Leaders Peace Mission und den vorgeschlagenen Weg zum Frieden.«
Quelle: http://brics2023.gov.za/wp-content/uploads/2023/08/Jhb-II-Declaration-24-August-2023-1.pdf
Kasan Erklärung der BRICS vom 23. Oktober 2024
»Wir erinnern an die nationalen Standpunkte zur Lage in und um die Ukraine, wie sie in den entsprechenden Foren, einschließlich des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und der Generalversammlung der Vereinten Nationen, zum Ausdruck gebracht wurden. Wir betonen, dass alle Staaten im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit und in ihrem Kontext handeln sollten. Wir nehmen die einschlägigen Vorschläge für Vermittlung und gute Dienste, die auf eine friedliche Lösung des Konflikts durch Dialog und Diplomatie abzielen, mit Anerkennung zur Kenntnis.«
Quelle: https://cdn.brics-russia2024.ru/upload/docs/Kazan_Declaration_FINAL.pdf?1729693488349783
[14] Afrikanische Staats- und Regierungschefs streben einen Verhandlungsfrieden im Russland-Ukraine-Konflikt an, 19. Juni 2023
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Südafrika,
ich bin gerade aus der Ukraine und der Russischen Föderation zurückgekehrt, wo ich einer Delegation aus sieben afrikanischen Ländern angehörte, die sich für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzt. Der Mission gehörten die Präsidenten von Senegal, den Komoren, Sambia und Südafrika sowie der ägyptische Premierminister und Abgesandte aus der Republik Kongo und Uganda an. Am vergangenen Freitag trafen wir mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Hauptstadt Kyjiw und am Samstag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in St. Petersburg zusammen. Wir haben einen Zehn-Punkte-Vorschlag vorgelegt, von dem wir als afrikanische Staats- und Regierungschefs glauben, dass er zu den Bemühungen verschiedener Parteien um eine Beilegung des Konflikts beitragen kann. Der Vorschlag, der im Rahmen der Afrikanischen Friedensinitiative vorgelegt wurde, enthält Forderungen nach einer Deeskalation der Kampfhandlungen und der dringenden Aufnahme von Verhandlungen, nach der Freilassung von Kriegsgefangenen und der Rückführung von Kindern, nach verstärkter humanitärer Hilfe und nach einer stärkeren Ausrichtung auf den Wiederaufbau. Wir bekräftigten, dass die Souveränität der Länder im Einklang mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen geachtet werden muss. Wir betonten die dringende Notwendigkeit, die Sicherheit beider Nationen zu gewährleisten. Eine der wichtigsten Errungenschaften der Friedensmission war die positive Resonanz auf beiden Seiten, die wir als ermutigend empfanden und die uns zuversichtlich stimmt, dass die Vorschläge berücksichtigt werden. Als afrikanische Staats- und Regierungschefs sind wir in erster Linie um das Leben der Menschen besorgt, die direkt von dem Konflikt betroffen sind. Wir sind der Meinung, dass alles getan werden sollte, um die Kämpfe zu beenden und weitere Verluste an Menschenleben, Verwundungen, Vertreibung und Zerstörung zu verhindern. Als internationale Gemeinschaft müssen wir zusammenarbeiten, um weiteres Leid zu unterbinden. Es besteht der Irrglaube, dass dieser Konflikt weit von den Realitäten in unseren eigenen Ländern entfernt ist. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat sehr spürbare Auswirkungen auf die afrikanischen Länder und Volkswirtschaften. Wir haben dem ukrainischen und dem russischen Präsidenten gegenüber deutlich gemacht, dass wir diese Mission zwar als Mitglieder der internationalen Gemeinschaft unternommen haben, die sich der Friedenssicherung verschrieben haben, dass aber auch wir als afrikanischer Kontinent ein wesentliches Interesse an einer Beilegung des Konflikts haben. Sowohl Russland als auch die Ukraine sind wichtige Getreidelieferanten und Düngemittelproduzenten für den afrikanischen Markt. Nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank hat der Konflikt »auf dem afrikanischen Kontinent zu einer Unterversorgung mit etwa 30 Millionen Tonnen Getreide geführt, was mit einem starken Anstieg der Kosten einhergegangen ist.« Infolge dieses Konflikts sind die afrikanischen Länder von den steigenden Kosten für Lebensmittel und Energie stark betroffen. Die Unterbrechung der Versorgungskette hat zu einer Verknappung von landwirtschaftlichen Gütern wie z. B. Düngemitteln geführt, was die Ernährungssicherheit einer Reihe von afrikanischen Ländern bedroht. Ein weiterer Punkt des von den afrikanischen Staats- und Regierungschefs unterbreiteten Friedensvorschlags ist die Öffnung des Getreideverkehrs über das Schwarze Meer, damit Getreide aus Russland oder der Ukraine auf die Weltmärkte gelangen kann. Diese Initiative ist insofern von historischer Tragweite, als es das erste Mal ist, dass sich afrikanische Staats- und Regierungschefs zu einer Friedensmission jenseits der Grenzen des Kontinents aufmachen. Obwohl der Delegation Länder angehörten, die unterschiedliche Positionen zu den verschiedenen UN-Resolutionen bezüglich des Konflikts vertreten, haben alle vertretenen Länder eine blockfreie Haltung zu diesem Thema eingenommen. Dies hat der Mission Glaubwürdigkeit verliehen und das Vertrauen beider Seiten gestärkt. Als Südafrika halten wir weiterhin an unserer Position fest, dass dieser Konflikt im Einklang mit den Gründungsprinzipien der Bewegung der Blockfreien Staaten auf dem Verhandlungsweg und mit diplomatischen Mitteln beigelegt werden sollte und dass es im kollektiven Interesse aller liegt, ihn bald zu beenden. Der Tribut an Menschenleben, die umfassenden Zerstörungen und die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft machen deutlich, dass kein Land verschont geblieben ist. Der Konflikt hat zu Instabilität geführt, eine humanitäre Krise ausgelöst und die schwachen Volkswirtschaften in Mitleidenschaft gezogen. So wie wir als afrikanische Staats- und Regierungschefs die Ukraine und Russland besucht haben, um die Auswirkungen des Konflikts auf unsere Bürger:innen zu erläutern, glauben wir auch, dass wir einen Beitrag zu den internationalen Bemühungen leisten können, um die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Beide Präsidenten, Selenskyj und Putin, vereinbarten weitere Gespräche im Anschluss an diesen ersten Besuch. Wir hoffen, dass mit der Fortsetzung der Gespräche mit beiden Parteien und den afrikanischen Staats- und Regierungschefs eine Grundlage für eine Deeskalation des Konflikts und für Verhandlungen, die beiden entscheidenden Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden, geschaffen werden kann.
Mit freundlichen Grüßen,
Cyril Ramaphosa
Quelle: https://www.gov.za/blog/african-leaders-seek-negotiated-peace-russia-ukraine-conflict
[15] Katar als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland
Washington Post: Die ukrainische Invasion in das Gebiet Kursk beendete vorläufig Gespräche hinsichtlich eines Abkommens über die Einstellung von gegenseitigen Angriffen auf Energie- und Strominfrastruktur, 17. August 2024
Die Washington Post berichtete Mitte August 2023 über den gescheiterten Versuch der Ukraine und Russlands, sich unter katarischer Vermittlung zu Geheimgesprächen in Doha zu treffen. Ziel der Gespräche war es, ein Abkommen zur Beendigung der gegenseitigen Angriffe auf die Energie- und Strominfrastruktur auszuhandeln, was einem teilweisen Waffenstillstand gleichgekommen wäre. Nach dem Einmarsch ukrainischer Truppen in das russische Gebiet Kursk Anfang August brach Russland die Gespräche jedoch ab. Die WP beleuchtet die Motive beider Länder, sich auf die Gespräche einzulassen und stellt fest, dass selbst ein begrenzter Waffenstillstand bereits eine Abkehr von den bisherigen Positionen der Kriegsparteien bedeutet hätte. Die Ukraine hatte zuvor einen Waffenstillstand nur unter der Bedingung eines vollständigen Rückzugs Russlands in Aussicht gestellt, während Russland den Verzicht auf vier ukrainische Regionen forderte. Das Scheitern der Gespräche macht deutlich, wie schwierig es ist, ein Friedensabkommen zwischen den beiden Kriegsparteien zu vermitteln. Die WP geht auf frühere Verhandlungsformate ein, darunter die Geheimgespräche in Istanbul, das Getreideabkommen und die humanitären Korridore, die alle gescheitert sind. Die Reaktion Russlands auf den Vorstoß in Kursk zeigt, wie fragil der Friedensprozess ist. Moskau bezeichnete den Einmarsch der Ukraine in die Region Kursk als »Eskalation« und verschob seine Teilnahme an den Gesprächen auf unbestimmte Zeit. Der Artikel analysiert die unterschiedlichen Perspektiven auf die Erfolgsaussichten der Verhandlungen, wobei einige ukrainische Beamte die Erfolgswahrscheinlichkeit vor dem Einmarsch in die Region Kursk auf unter 20 Prozent schätzten. Die WP berichtet, dass es das strategische Ziel der Ukraine gewesen sei, durch den Einmarsch in das Kursker Gebiet die Verhandlungsposition der Ukraine zu stärken. Allerdings seien die Erfolgsaussichten der ukrainischen Truppen, die Kontrolle über das russische Territorium zu behalten, ungewiss und öffentliche Äußerungen Putins deuteten auf eine härtere Verhandlungslinie hin. Katar habe in den vergangenen zwei Monaten als Vermittler die Gespräche vorangetrieben. Moskau sei möglicherweise weniger motiviert, einem Abkommen über die Energieinfrastruktur zuzustimmen, da es glaube, der Ukraine mehr Schaden zufügen zu können als die Ukraine den russischen Ölraffinerien. Die WP betont die verheerenden Auswirkungen der russischen Angriffe auf das ukrainische Stromnetz und die Befürchtungen, dass die Ukraine ohne verlässliche Energieversorgung den Winter nicht überstehen könne. Die Ukraine bevorzuge ein Abkommen ähnlich dem von der Türkei und den Vereinten Nationen vermittelten Getreideabkommen, dessen Einhaltung von internationalen Partnern garantiert werden sollte. Hintergrund der von Katar vermittelten Gespräche sind der 10-Punkte-Friedensplan der Ukraine und der Friedensgipfel in der Schweiz im Juni. Laut WP argumentieren einige russische Experten, dass die Einnahme russischen Territoriums der Ukraine einen Vorteil in zukünftigen Verhandlungen verschaffen könnte.
Quelle: Isabelle Khurshudyan, Siobhán O’Grady, John Hudson and Catherine Belton. Ukraine’s offensive derails secret efforts for partial cease-fire with Russia, officials say, in: The Washington Post, 17. August 2024, https://www.washingtonpost.com/world/2024/08/17/kursk-ukraine-russia-energy-ceasefire/.
Financial Times: Katar vermittelt Gespräche über Einstellung von gegenseitigen Angriffen auf Energieinfrastruktur, 29. Oktober 2024
Die Financial Times berichtete Ende Oktober von Vorgesprächen zwischen der Ukraine und Russland über ein mögliches Ende der gegenseitigen Angriffe auf die Energieinfrastruktur. Ziel der von Katar vermittelten Gespräche ist die größte Deeskalation seit Beginn des Krieges im Frühjahr 2022. Der Artikel beleuchtet die Beweggründe beider Seiten und die Hindernisse auf dem Weg zu einer Einigung. Für die Ukraine ist der Schutz ihrer Energieinfrastruktur angesichts des nahenden Winters und der massiven Schäden durch russische Raketenangriffe von größter Dringlichkeit. Die Ukraine ist derzeit vor allem auf Kernenergie und Energieimporte aus Europa angewiesen. Ein Abkommen zum Schutz der Energieanlagen könnte Russland möglicherweise dazu bewegen, sich auf umfassendere Friedensverhandlungen einzulassen, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj andeutete. Die FT betont jedoch, dass Russland unter Präsident Wladimir Putin ein mögliches Abkommen an den Rückzug der ukrainischen Truppen aus der Region Kursk knüpft. Die Ukraine plant zudem weiterhin Angriffe auf russische Einrichtungen, einschließlich Ölraffinerien, um Druck auszuüben und Russland zu Verhandlungen zu zwingen.
Die FT fasst die bisher gescheiterten Versuche zusammen, entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Ein stillschweigendes Abkommen im Herbst 2022, in dem beide Seiten von Angriffen auf Energieanlagen absahen, scheiterte, nachdem Kyjiw Anfang 2023 erneut Drohnenangriffe auf russische Ölförderanlagen gestartet hatte. Diese Eskalation führte zu russischen Vergeltungsschlägen, die die ukrainischen Stromerzeugungskapazitäten stark beeinträchtigten. Der Artikel unterstreicht die gegensätzlichen Positionen beider Länder in Bezug auf weitergehende Friedensverhandlungen. Während Putin darauf besteht, dass die Ukraine die »Realitäten vor Ort« akzeptiert, einschließlich territorialer Zugeständnisse und der Aufhebung westlicher Sanktionen, hält die Ukraine solche Bedingungen für inakzeptabel. Die FT erwähnt die jüngsten Vermittlungsvorschläge der Türkei, die von der Ukraine laut Wladimir Putin umgehend zurückgewiesen wurden, was auf die großen Herausforderungen für eine dauerhafte Lösung des Konflikts hinweist.
Quelle: Max Seddon, Christopher Miller, Andrew England. Ukraine and Russia in talks about halting strikes on energy plants, in: Financial Times, 29. Oktober 2024, https://www.ft.com/content/69a57022-aeed-4bfe-8ada-b2ccd38f162a.
[16] Aussagen des Papstes zu Russlands Krieg gegen die Ukraine und zur Rolle des Heiligen Stuhls als Mediator (Auswahl)
[17] Ausschnitte aus den Friedensgutachten der Jahre 2022, 2023 und 2024 mit Bezug auf Verhandlungslösungen für Russlands Krieg gegen die Ukraine
Friedensgutachten 2022
Druck auf Russland mit dem Ziel, ernsthafte Verhandlungen zu ermöglichen (S. 6)
Der Westen hat mit außerordentlich harten Sanktionen und der Lieferung zunehmend schwerer Waffen dazu beigetragen, dass Russland bislang (Stand 4. Mai 2022) militärisch nur begrenzt erfolgreich war. Mit dem Stocken des russischen Vormarschs haben sich aber nicht nur Russlands Kriegsziele, sondern auch die Kriegsziele des Westens gewandelt. Verstärkt ist von der Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine und der Schwächung Russlands über den gegenwärtigen Krieg hinaus die Rede. Abgesehen davon, dass damit das Rechtfertigungsnarrativ Putins bedient wird, der Westen habe es schon immer auf die Niederwerfung Russlands abgesehen gehabt, könnten solche Absichten die Risikobereitschaft der russischen Führung erhöhen. Angesichts nicht zuletzt nuklearer Eskalationsgefahren sollte das Ziel des Westens deshalb sein, die Kosten des Krieges für Russland durch militärische Unterstützung der Ukraine, ökonomische Sanktionen und diplomatische Isolierung zwar hoch zu treiben, gleichzeitig aber diplomatische Auswege aus dem Krieg aufzuzeigen, so dass sich die russische Führung zu Verhandlungen bereitfindet. Auch wenn ein Waffenstillstand und sogar ein Friedensschluss gelängen, gibt es keinen einfachen Weg zurück zu einer kooperativen Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa. Die Beziehungen zu Russland werden sich zunächst auf Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung stützen und erst langsam, wenn überhaupt, wieder kooperative Elemente aufweisen können. Die notwendige »Zeitenwende« sollte sich aber nicht allein auf militärische Aspekte konzentrieren, sondern auch zur Entwicklung neuer diplomatischer und rüstungskontrollpolitischer Konzepte dienen. Gleichzeitig darf der neue Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung nicht auf Kosten der Bereitschaft gehen, international Verantwortung zu übernehmen. Zu diesem Zweck sind angemessene Investitionen in Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und zivile Krisenprävention notwendig.
Fakten und Interpretationen (S. 27–30)
Russland hat mit seinem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 einen völkerrechtswidrigen Krieg begonnen. Dieser Krieg ist von langer Hand vorbereitet worden, und er wird von Russland mit aller Macht und Rücksichtslosigkeit geführt. Trotzdem ist der Widerstand der Ukraine ungebrochen. Die russische Armee musste von der Eroberung Kiews wieder Abstand nehmen, um sich auf Geländegewinne im Südosten des Landes zu konzentrieren. Eine Verurteilung des Überfalls im VN-Sicherheitsrat hat Russland mit seinem Veto verhindert. Aber die VN-Generalversammlung hat Russland verurteilt. Die zwischenzeitlichen Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine blieben bislang ergebnislos. Gleichzeitig hat Russland wiederholt und in bislang beispielloser Weise mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht. Der Krieg ist noch längst nicht zu Ende und eine weitere Eskalation nicht ausgeschlossen. Was sich aber schon jetzt zeigt, ist, dass die bestehende europäische Sicherheitsarchitektur in Trümmern liegt. Der Westen hat ein direktes militärisches Eingreifen bislang ausgeschlossen aus Sorge vor einer nuklearen Eskalation des Krieges. Jedoch verhängte er massive Sanktionen, die die russische Wirtschaft und individuelle politische Entscheidungsträger:innen empfindlich treffen. Vor allem aber liefert er leichte und zunehmend auch schwere Waffen zur Unterstützung der ukrainischen Verteidigung.
Deutschland hat eine »Zeitenwende« in der Außen- und Sicherheitspolitik eingeleitet. Es beteiligt sich an den Waffenlieferungen in die Ukraine und investiert massiv in den Ausbau der Bundeswehr. Darüber hinaus beabsichtigt Deutschland, die Abhängigkeit von russischem Erdgas und Erdöl zu reduzieren und schneller auf regenerative Energiequellen umzusteigen. So klar die Fakten sind, so umstritten ist ihre Interpretation. Für seinen Militäreinsatz macht Russland sich rhetorisch Normen zu eigen, die in der Vergangenheit von westlichen Staaten als Rechtfertigung von Interventionen dienten. Russland behauptet, im Donbass habe ein »Genozid« an der russischstämmigen Bevölkerung stattgefunden und sein militärisches Eingreifen sei eine Friedensmission. Der Kreml nimmt damit vordergründig etablierte Begriffe auf, verwendet sie aber in anderem Kontext und in missbräuchlicher Weise. Dabei wird auf angebliche »Präzedenzfälle« verwiesen, die von westlichen Staaten vor allem im Zusammenhang mit dem postjugoslawischen Bürgerkrieg geschaffen worden seien. Die taktische Aneignung internationaler Normen kann das russische Verhalten in der Ukraine aber nicht rechtfertigen. Allerdings sollten auch westliche Staaten bedenken, dass Ausnahmen vom Interventions- und Gewaltverbot, die sie selbst in Anspruch nehmen, von revisionistischen Staaten wie Russland instrumentalisiert werden können. Auch innerhalb des Westens und insbesondere in Deutschland wird über die Bedeutung dieses Krieges für die Zukunft gestritten. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie es zu diesem Krieg kommen konnte, ob er hätte verhindert werden können und welche Fehler und Versäumnisse des Westens die russische Aggression verursacht oder begünstigt haben. Dabei stehen sich – idealtypisch – zwei Positionen gegenüber: eine sieht die »Schuld« vor allem aufseiten der NATO, die Russland strategisch in die Enge getrieben habe; die andere kritisiert vor allem die Beschwichtigungspolitik des Westens, die Russland zu immer offensiveren und riskanteren Handlungen ermutigt habe. Die erste Position behauptet, der Westen habe sein Versprechen gebrochen, nach Ende des Ost-West-Konflikts die NATO nicht nach Osten auszudehnen. Spätestens ab Mitte der 1990er Jahre habe der Westen die Idee einer gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitsordnung aufgegeben und mit der schrittweisen Erweiterung der NATO Russland in die Defensive gedrängt. Der Krieg sei eine absehbare (wenn auch nicht legitime) Reaktion Russlands auf den einseitigen Machtgewinn des Westens gewesen. Warnungen habe es genug gegeben. Insbesondere Wladimir Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 habe unmissverständliche Drohungen enthalten, dass neuerliche Erweiterungsrunden von Russland nicht hingenommen werden würden. Die Einladung 2008 an Georgien und die Ukraine, der NATO beizutreten, habe den Kaukasuskrieg 2008, die Annexion der Krim 2014 und den jetzigen Krieg mitverursacht.
Die zweite Position argumentiert umgekehrt. Der Westen habe nicht zu viel, sondern zu wenig Druck auf Russland ausgeübt. 2008 hätte man der Ukraine und Georgien die NATO-Mitgliedschaft nicht nur in Aussicht stellen, sondern unmittelbar vollziehen sollen, anstatt dem Drängen Frankreichs und Deutschlands nachzugeben, zuerst das Einverständnis Russlands einzuholen. Die gesamte Friedens- und Sicherheitspolitik nach dem Ende des Kalten Krieges, die darauf ausgerichtet war, sich Russland anzunähern und das Land in die europäische Friedensordnung einzubeziehen, sei verfehlt und naiv gewesen. Russland lasse sich aufgrund seines autoritären politischen Systems und seiner geopolitischen Interessen nicht in ein System kooperativer Sicherheit integrieren. Beide Positionen sind in ihrer Argumentation überzogen und in ihren Konsequenzen problematisch. Beide haben aber auch einen wahren Kern. Man muss kein Anhänger der These sein, die NATO trage die Schuld am Krieg in der Ukraine, um einzusehen, dass mehr als ein Akteur an der Erosion der europäischen Sicherheitsordnung beteiligt war. Die jüngste Forschung hat gezeigt, dass es zwar keine schriftliche Zusicherung an Russland gab, die NATO nicht nach Osten auszudehnen. Dennoch ist Russlands Behauptung nicht ganz von der Hand zu weisen, dass mündliche Zusicherungen nicht eingehalten wurden und das Prinzip missachtet wurde, die Sicherheit der einen Seite nicht auf Kosten der anderen Seite zu erhöhen (→ Trachtenberg 2020). Man muss allerdings umgekehrt kein Anhänger der These sein, Russland verkörpere das Reich des Bösen, um zu konstatieren, dass Russland sich in den letzten Jahren konsequent von der normativen Weltordnung verabschiedet, systematisch Völkerrecht gebrochen und wiederholt Kriegsverbrechen begangen hat. Und es ist auch richtig, dass der Westen diesem Handeln früher und konsequenter hätte entgegentreten müssen, insbesondere nach der Annexion der Krim 2014. Es erfordert viel Phantasie sich vorzustellen, wie mit Russland wieder vertrauensvolle Beziehungen aufgebaut werden können, die über Abschreckung und konfrontative Koexistenz hinausgehen. Und doch ist es nötig, genau dies in den Blick zu nehmen. Die Gefahr der aktuellen Debatte ist, dass Diplomatie, Kooperation und politischem Vertrauen generell eine Absage erteilt wird. Die Behauptung, westliche – und vor allem deutsche – Vertrauensseligkeit habe zum Krieg geführt und es wäre besser gewesen, Russland konsequent als Gegner zu behandeln, blendet die Erfolge von Entspannungspolitik und Annäherung an Russland aus. Ohne die Politik der kooperativen Sicherheit wäre Deutschland heute nicht vereint, wären zahlreiche Staaten Osteuropas heute nicht Demokratien und wäre die nukleare Rüstungsspirale nicht – vorübergehend – angehalten worden. Eine kooperative Friedens- und Sicherheitsordnung ist möglich und nicht schon deshalb verfehlt, weil Wladimir Putin sie gerade zertrümmert. Allerdings: Einen schnellen Weg zurück zu dieser Ordnung wird es nicht geben. Die Herausforderung für die Zukunft der internationalen Beziehungen ist der Aufbau neuer Kooperationsstrukturen – in Europa und in der Welt. Solche Strukturen werden in Europa nach dem Krieg zunächst ganz basalen Charakter haben und auf Verteidigungsfähigkeit, Abschreckung und rüstungskontrollpolitischen Minimalstandards basieren. Erst in einem weiteren Schritt wird man vielleicht zu einer friedlichen Koexistenz übergehen können, die bedeuten würde, auf gegenseitige Destabilisierung zu verzichten. Auch wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag, ist jetzt der Zeitpunkt, sich über die Schritte zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa Gedanken zu machen. Auch wenn gegenüber Russland in der aktuellen Lage eine harte Haltung notwendig ist, muss schon heute überlegt werden, auf welche Weise langfristig Sicherheit und Frieden nicht nur gegen, sondern mit Russland gestaltet werden können.
Krieg und Diplomatie (S. 30–32)
Die ersten Anzeichen für einen russischen Angriff auf die Ukraine verdichteten sich im April 2021, als Russland seine Truppen an der Grenze zur Ukraine massiv verstärkte. Die Lage verschärfte sich im Herbst desselben Jahres, was US-Präsident Joe Biden im Dezember 2021 veranlasste, vor einem unmittelbar bevorstehenden russischen Einmarsch zu warnen. Die offiziellen Konfliktpunkte lagen spätestens Mitte Dezember 2021 auf dem Tisch. Die russische Führung forderte eine vertragliche Vereinbarung mit den USA und der NATO über eine Neuordnung der Europäischen Sicherheit (→ Teurtrie 2021: 8). Im Zentrum standen zwei Forderungen: erstens auf eine weitere Osterweiterung der NATO zu verzichten und zweitens, frühere Erweiterungsschritte teilweise rückgängig zu machen, insbesondere mit Blick auf die Stationierung von Truppen und schweren Waffensystemen. Bei der NATO und den USA stießen diese Forderungen unter Verweis auf das Recht auf freie Bündniswahl (verbrieft in der Europäischen Sicherheits-Charta von 1999) auf Ablehnung. In der Folge schriftlicher Korrespondenzen, in denen Russland seine Forderungen in zunehmend ultimativem Ton erneuerte, und der Erhöhung russischer Militärpräsenz in Belarus, verstärkte auch die NATO ihre Truppenpräsenz in Polen, Rumänien und den baltischen Staaten. Ab Januar 2022 standen die Zeichen auf Krieg. Offen schien vielen Beobachtern nur das Wann und Wie des Angriffs. Dabei standen zwei Optionen im Raum: der begrenzte Einmarsch und die vollständige Eroberung der selbsternannten »Volksrepubliken« Donezk und Lugansk, oder ein umfassender Krieg, der die Einnahme der gesamten Ukraine und die Etablierung eines von Moskau abhängigen Marionettenregimes in Kiew zum Ziel haben würde. Die offiziell gegenüber der NATO und den USA vertretene Linie Moskaus zielte lange Zeit auf eine Neutralität der Ukraine und ein Ende der NATO-Osterweiterung ab. Dieses Ziel war in gewisser Weise verhandlungsfähig, und es bleibt diskussionswürdig, warum der Westen und auch die Ukraine gezögert haben, nach Zwischenlösungen zu suchen. Klar ist zugleich: Es standen sich zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen einer Europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung gegenüber. Während Russland auf ein zweites Jalta-Abkommen drängte, bei dem die Großmächte ihre Einflusssphären abstecken, beharrte der Westen auf den Prinzipien von KSZE und OSZE (Konferenz/Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), die Souveränität und Selbstbestimmungsrecht aller Staaten garantieren (→ Garton Ash 2022). Fraglich ist, ob eine neutrale oder demilitarisierte Ukraine das einzige Kriegsziel war (und ist), oder ob Russland unter Putin, nicht schon von langer Hand vorbereitet, eine imperiale Politik verfolgt. Als Indiz dafür wird der im Juli 2021 erschienene Beitrag des russischen Präsidenten »Über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer« angeführt, der die Daseinsberechtigung der Ukraine bestreitet. Die russische Anerkennung der sogenannten Volkrepubliken im Donbass am 21. Februar 2022 hatte ähnliche Untertöne. Spätestens aber mit der Fernsehansprache Putins zum Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 war klar: Nicht nur die Demilitarisierung der Ukraine wurde angestrebt, sondern der Ukraine wurde das Existenzrecht abgesprochen. Hinzu kam der abwegige Begriff der »Entnazifizierung«, der auf das Ziel eines Regimewechsels hinwies. Schließlich deutete der russische Präsident eine mögliche nukleare Eskalation an sollte die NATO in den Krieg eintreten. Damit war klar, dass es um weit mehr als einen Krieg mit der Ukraine ging, sondern darum, dass dieser Krieg eine symbolische Bedeutung gegenüber der NATO erhielt (→ Nußberger 2022). Allerdings wandelten sich die russischen Kriegsziele im Verlauf des Krieges. Der dreifache Zangengriff in den ersten Kriegsmonaten war ein deutliches Indiz dafür, dass es Putin zunächst um die vollständige Kontrolle der Ukraine ging. Dabei prägten Fehlkalkulationen die russischen Kriegsplanungen. Sie hatten den militärischen Widerstand in der Ukraine ebenso unterschätzt wie die westliche Bereitschaft, die Ukraine militärisch zu unterstützen und weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen den Aggressor zu verhängen. Im April 2022 war die Lage ambivalent. Einerseits verdichteten sich die Hinweise, dass Russland einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führte, der durch Kriegsverbrechen geprägt war. Andererseits wurden die Truppen um Kiew abgezogen, um Geländegewinne im Osten und Süden des Landes zu konsolidieren. De facto war damit das militärische Ziel geändert worden und schien sich nun auf eine Verbindung vom Donbass bis zur Krim zu konzentrieren, die möglicherweise bis zur abtrünnigen Moldaurepublik Transnistrien weitergeführt werden könnte. Bei einem Erfolg wäre die Ukraine faktisch vom Schwarzen Meer abgeschnitten. Aber auch der Westen hat seine Ziele nur unscharf definiert und mehrfach verändert. Stabil geblieben ist die diplomatische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung der Ukraine, freilich ohne eine direkte Kriegsbeteiligung vorzusehen. Hintergrund ist die unverhohlene Drohung Russlands, Nuklearwaffen einzusetzen. Diese Drohung ist ernst zu nehmen. Die russische Nukleardoktrin sieht auch in konventionellen Kriegen einen frühen Ersteinsatz taktischer Nuklearwaffen vor, um den Gegner von einer weiteren Eskalation abzuhalten. Putin, Lawrow und andere Regierungsmitglieder haben wiederholt die Bereitschaft zum Nuklearwaffeneinsatz bekräftigt. Beschwichtigende Vermutungen, Putin selbst würde wahrscheinlich vor einem Nuklearwaffeneinsatz zurückschrecken, oder seine Generäle würden ihn im Zweifelsfall in den Arm fallen, sind Spekulation und letztlich nicht überzeugend begründet. Auch eine »geringe Wahrscheinlichkeit« eines russischen Nuklearwaffeneinsatzes sollte den Westen zu Zurückhaltung angesichts der Gefahr einer Eskalation veranlassen. Diese betrifft nicht nur eine aktive Kriegsbeteiligung (die die NATO ausgeschlossen hat, solange kein NATO-Territorium angegriffen wird), sondern beispielsweise auch die Einrichtung von Flugverbotszonen. Auch Waffenlieferungen bergen das Risiko, zum Ziel russischer Angriffe zu werden – und zwar umso mehr, je größer und moderner die Waffen sind, die geliefert werden. Insofern ist eine vorsichtige Abwägung in jedem Fall geboten. Wichtig ist, sich bewusst zu sein, dass das Risiko steigt, wenn Russland in die Defensive gerät. Anstatt auf eine militärische Niederlage Russlands zu setzen oder gar den Sturz von Wladimir Putin zu propagieren, sollte Russland zu einer Verhandlungslösung, das heißt einer diplomatischen Bearbeitung des Konflikts bewegt werden. Zu substanziellen Verhandlungen wird Putin allerdings erst dann bereit sein, wenn er einsieht, dass er durch Diplomatie mehr erreichen kann als durch Krieg. Solange Putin glaubt, dass die Kriegshandlungen ihm selbst und Russland Vorteile bringen, wird er den Krieg fortsetzen. Ziel des Westens muss es deshalb sein, die Kosten des Krieges für Russland möglichst hoch zu treiben, indem er die Verteidigung der Ukraine militärisch unterstützt, ökonomische Sanktionen verhängt und diplomatischen Druck ausübt. Gleichzeitig muss der Nutzen einer politischen Einigung auch für Russland so deutlich gemacht werden, dass Putin bereit ist zu verhandeln. Das heißt, auch Russland muss etwas angeboten werden, damit es sich auf Verhandlungen über ein Kriegsende einlässt. Der Westen sollte daher nicht allein auf eine militärische Lösung setzen, denn nur ein Verhandlungsfrieden (und nicht ein Siegfrieden) hat Aussicht, einigermaßen dauerhaft zu sein.
Quelle: Friedensgutachten 2022, S. 6 und S. 27–32, https://www.friedensgutachten.de/user/pages/03.archiv/2022/02.ausgabe/Friedensgutachten 2022 E-Book.pdf.
Friedensgutachten 2023
Noch lange kein Frieden (S. 5–6)
Im zweiten Jahr des russischen Krieges gegen die Ukraine zeichnen sich immer stärker seine globalen Verwerfungen ab: Der Krieg untergräbt die Funktionsfähigkeit internationaler Organisationen und erschwert dringend notwendige Kooperation in Politikfeldern wie dem Klimaschutz oder der Handelspolitik. Innenpolitisch nehmen auch bei uns Polarisierung und Verschwörungserzählungen zu – mit negativen Folgen für die Demokratie. Aber die Unterstützung für die Ukraine zu beenden, Waffenlieferungen einzustellen und den Aggressor Russland zu beschwichtigen, brächte noch lange keinen Frieden. Krieg hat das vergangene Jahr nicht nur in Europa, sondern in vielen Weltregionen bestimmt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist zwar ein regionaler Krieg auf dem europäischen Kontinent, seine Folgen sind dennoch weltweit zu spüren: im Anstieg der Kerninflation und in Preiserhöhungen für Energie und Lebensmittel, in Fluchtbewegungen und nicht zuletzt in den sich verschärfenden Konflikten im Indopazifik. Gleichzeitig war der Krieg in der Ukraine bei weitem nicht der einzige Gewaltkonflikt im vergangenen Jahr. Doch während in einigen der schon lange andauernden Konflikte jüngst die Gewalt abnimmt oder sogar Friedensbemühungen unternommen werden – etwa im Konflikt in Tigray oder im Jemenkrieg – ist der Krieg gegen die Ukraine durch ein sehr hohes Gewaltniveau geprägt. Russische Streitkräfte haben gezielt zivile Ziele angegriffen und ukrainische Energieinfrastrukturen zerstört. Seit dem Jahreswechsel 2022/2023 wandelt sich der Konflikt immer deutlicher zu einem Abnutzungskrieg. Immer lauter wurden gleichzeitig die Forderungen nach sofortigen Friedensverhandlungen und einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine in Manifesten, offenen Briefen und auf Demonstrationen. Diese Forderungen verkennen, dass ein Einstellen der internationalen militärischen Unterstützung der Ukraine nicht zu einem nachhaltigen Frieden führen würde; und dass Friedensverhandlungen momentan noch nicht auf der politischen Agenda stehen. So bekräftigte die russische Seite im Frühjahr 2023 erneut, dass sie von ihren Kriegszielen nicht abrücken will. Solche Äußerungen im Kontext immer neuer Gräueltaten in der Ukraine lassen auf ukrainischer Seite Friedensverhandlungen obsolet erscheinen. Schon im Oktober 2022 hatte deswegen die Ukraine per Dekret Verhandlungen mit Wladimir Putin verboten und diese Position wiederholt bestätigt. Starke externe Vermittlung wird zu einem späteren Zeitpunkt dazu beitragen können, dass Russland und die Ukraine in Verhandlungen eintreten. Eine internationale Kontaktgruppe zur Vermittlung zwischen Russland und Ukraine muss langfristig vorbereitet werden. Doch selbst wenn man all dies außer Acht ließe und jenen Aufrufen folgte, die ein sofortiges Ende von Waffenlieferungen fordern, wäre ebenfalls noch lange kein Frieden. Denn ohne die militärische Unterstützung der NATOStaaten würde die Ukraine militärisch unter liegen. Die Erfahrungen mit der russischen Besatzungspraxis in der Ukraine – von Folter, sexueller Gewalt, Verschleppung bis hin zu Tötungen – lassen Schlimmes erwarten. Es ist anzunehmen, dass Russland seine Säuberungspraxis auf die ganze Ukraine ausdehnen und die Ukraine in die russische Föderation zwangsintegrieren würde. Zudem steht zu befürchten, dass der Expansionsdrang Moskaus damit nicht beendet wäre. Die Sicherheitslage in ganz Europa würde sich verschlechtern. Angesichts dieser Ausgangslage ist noch lange kein Frieden in Sicht. Das entspricht der Prognose empirischer Forschung: Nur 20 % aller zwischenstaatlichen Kriege enden tatsächlich mit einer militärischen Niederlage oder einem Sieg; weitere 30 % haben kein klares Ergebnis, sondern erlahmen nach vielen Kriegsjahren aus Erschöpfung, weil den Konfliktparteien die Ressourcen ausgehen. Sie flammen schnell wieder auf, wenn eine Erholungsphase durchschritten ist. Immerhin knapp die Hälft aller zwischenstaatlichen Kriege endet mit Verhandlungen. Selbst von diesen fällt allerdings ein Großteil wieder zurück in die Gewalt. Hinzu kommt ein weiteres Faktum: Kriege, die nicht innerhalb des ersten Jahres beendet werden, haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, zu langen Kriegen zu werden, die sich im Mittel über zehn Jahre hinziehen. Übertragen auf den Ukrainekrieg deutet sich damit an, dass ein lange währender Abnutzungskrieg ein plausibles Szenario ist. Heiße und eingefrorene Phasen können einander abwechseln. Das bedeutet für die europäischen NATOStaaten, dass sie sich auf eine langfristige und kostenintensive Unterstützung der Ukraine einstellen und zugleich verhindern müssen, dass der Krieg auf ihre Territorien übergreift. Die Bundesregierung sollte unter diesen schwierigen Bedingungen eine Doppelstrategie verfolgen: die Ukraine militärisch, politisch und ökonomisch unterstützen und zugleich an der Vorbereitung einer internationalen Vermittlungsinitiative mitwirken. Dabei geht es explizit nicht um die Aufforderung zu »Verhandlungen jetzt und sofort«, sondern darum, die politischen und technischen Voraussetzungen für erwartungsgemäß sehr schwierige Statusgespräche zu schaffen. Hierbei muss aus den Fehlern des gescheiterten Minsk Prozesses gelernt werden, der 2014 startete, auf eine »Pazifizierung« der Situation abzielte und kurz vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 endete. Der zukünftige Erfolg solcher Verhandlungen wird sich daran entscheiden, ob externe Partner:innen – darunter auch Deutschland – der Ukraine glaubwürdige Sicherheitsgarantien geben können, dass sich ein Angriffskrieg auf ihr Territorium nicht wiederholen kann.
Quelle: Friedensgutachten 2023, S. 5–6, https://www.friedensgutachten.de/user/pages/03.archiv/2023/02.ausgabe/FGA2023_Gesamt.pdf.
Friedensgutachten 2024: Aussichten auf Verhandlungen in der Ukraine
Zusammenfassend zeigt die Forschung, dass erfolgreiche Friedensverhandlungen ein seltenes Ereignis sind, erst recht im ersten Anlauf. Dennoch gibt es Hinweise auf zentrale Faktoren, die diese Wahrscheinlichkeit erhöhen. Was lässt sich daraus für die Möglichkeit von Verhandlungen und ihre Erfolgsaussichten im russischen Krieg gegen die Ukraine gewinnen? Solange Konfliktparteien glauben, dass sie einen militärischen Sieg erringen können, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie sich auf ernsthafte Friedensverhandlungen mit ihren Gegnern einlassen. Zwar gibt es im gegenwärtigen Konflikt in der Ukraine durchaus Gründe anzunehmen, dass die Hoffnung auf einen militärischen Sieg auf beiden Seiten sinkt. Aber ein stabiles, für beide Seiten hinreichend schmerzhaftes militärisches Patt hat sich bisher nicht eingestellt. Das liegt an den Umstellungen ihrer Kriegstaktiken und nicht zuletzt auch an der Unterstützung, die beide Seiten innen- und außenpolitisch für sich mobilisieren können. Die Front hat sich seit den großen Geländegewinnen der Ukraine im Nordosten und Süden im Herbst 2022 nur geringfügig verändert, obwohl Russland seit dem Frühjahr 2024 zunehmend kleine Geländegewinne für sich verbuchen kann. Die lange erwartete ukrainische Frühjahrsoffensive 2023 hat keinen großen Durchbruch erbracht, aber zugleich die Zahl der Gefallenen nochmals ansteigen lassen. Mit der Winteroffensive Russlands seit Ende 2023 dürfte diese Zahl inzwischen noch höher liegen (→ Cooper et al. 2023). Vor diesem Hintergrund haben beide Seiten Schwierigkeiten, neue Soldat:innen für die Front zu mobilisieren, und beide Volkswirtschaften sind durch den Krieg schwer belastet (→ Lasocki 2023; → Shatz/Reach 2023). Im nunmehr dritten Kriegsjahr greift die Ukraine vermehrt strategische Ziele auf russischem Staatsgebiet an, während Russland die Bombardierung ziviler Infrastruktur in der Ukraine fortsetzt und versucht, die Munitionsknappheit der Ukraine auszunutzen. Beide Seiten bemühen sich um internationale Lieferungen von Waffen und Munition; Ebenso konnte Russland die eigene Waffenproduktion ankurbeln. Trotz der Abnutzungslogik, der beide Seiten ausgesetzt sind, hoffen sie weiterhin auf einen militärischen Sieg. Über die militärische Situation hinaus haben beide Seiten starke politische Anreize für eine Fortführung des Kriegs und eine kompromisslose Haltung bei den Kriegszielen. Russland kann die derzeitige Kriegswirtschaft wohl noch ein bis zwei Jahre aufrechterhalten, obgleich dies mit weiteren Einschnitten für die Zivilwirtschaft und Lebensstandards einhergehen würde. Aufgrund von Repression und Staatspropaganda ist keine Opposition erkennbar, die den russischen Machteliten kurzfristig gefährlich werden könnte. Schon lange ist eine steigende Risikobereitschaft des russischen Regimes bei Kriegsentscheidungen zu beobachten. Da die Regimepropaganda seit mittlerweile zehn Jahren das Bild eines vermeintlich feindseligen Westens und einer faschistischen Ukraine gezeichnet hat, würde Putin mit Zugeständnissen seine eigene Machtposition gefährden. Insbesondere durch die Annexion weiterer Territorien in der Ukraine hat sich Putin an einen militärischen Sieg gebunden. Auch für die ukrainische Regierung dürfte es innenpolitisch äußerst schwierig sein, von ihren erklärten Kriegszielen abzurücken. Trotz Erschöpfungstendenzen nach zwei Jahren Krieg ist die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin gegen territoriale Zugeständnisse (→ Driedger 2023; → Court/The Kyiv Independent 2023). Allerdings könnte die Überlegenheit von Russlands Industriebasis, Wirtschaftsleistung und Rekrutierungspotenzial die Ukraine einem stärkeren Druck aussetzen, Kompromissen zuzustimmen. Hinzu kommen die Rekrutierungsprobleme, die die Leistungsfähigkeit der ukrainischen Streitkräfte einschränken. Die lahmende internationale Unterstützung ist ein weiteres Problem für die Ukraine. Trotz anderslautender Ankündigungen aus dem letzten Jahr wird seit dem Frühjahr 2024 zunehmend deutlich, dass die Republikanische Partei in den USA die Unterstützung für die Ukraine einschränken will und wird. Erst im Februar blockierte die Mehrheit im Kongress ein Gesetzesvorhaben, das Milliardenhilfen für die Ukraine vorsah. Ohne die Unterstützung der USA oder eine entsprechende Kompensation wird die Ukraine ihre Verteidigung kaum auf dem gegenwärtigen Niveau aufrechterhalten können und wird gegenüber Russland über kurz oder lang unterlegen sein. Entsprechend groß ist der Druck, den die Ukraine auf ihre anderen Unterstützer ausübt, insbesondere auf die Europäische Union (EU), deren Rüstungsproduktion allerdings einen Wegfall der US-Hilfe noch nicht kompensieren kann. Neben diesen politischen Faktoren werden Friedensverhandlungen in der Ukraine durch klassische Verpflichtungsprobleme erschwert. Nach mittlerweile einem Jahrzehnt Krieg, Feindschaft und russischer Kriegsverbrechen ist jegliches Vertrauen zwischen beiden Gesellschaften zerstört. Gerade die spezifische Erfahrung der Ukraine mit nicht eingehaltenen russischen Zusagen, beginnend mit dem Budapester Memorandum und der Annexion der Krim oder der Unterwanderung des Donbass im Kontext des Minsk-Prozesses, sind große Hürden für Verhandlungen. Entsprechend versucht die Ukraine, eine starke internationale Unterstützung für einen Friedensprozess im Sinne ihres Zehnpunkteplans (→ Official Website of Ukraine 2023) zu gewinnen und wirbt um den Beitritt in EU und NATO (North Atlantic Treaty Organisation), um ihre Position zu verbessern. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beide Konfliktparteien derzeit nur geringes Interesse an ernsthaften Verhandlungen zeigen und beide auch kaum Willen zu Zugeständnissen signalisieren. Verhandlungen in naher Zukunft sind somit eher unwahrscheinlich.
Verhandlungschancen stärken
Wenn Europa verhindern will, dass es Russland gelingt, gewaltsam Grenzen in Europa zu verschieben und sich damit die Sicherheitslage für die EU- und NATO-Staaten maßgeblich verschlechtert, muss es sich darauf einstellen, dass es die Ukraine für geraume Zeit weiter und auch mehr unterstützen muss. Unabhängig davon, ob Donald Trump die nächste US-Präsidentschaftswahl gewinnen wird, haben die Republikaner schon jetzt deutlich gemacht, dass die US-Unterstützung für die Ukraine zurückgehen wird. Diesen Rückgang muss Europa auffangen, und das heißt auch, dass es seine Rüstungskapazitäten zügig steigern muss. Wenn das nicht gelingt, sind ernsthafte Friedensverhandlungen, in denen beide Seiten Zugeständnisse machen, nahezu ausgeschlossen. Die Ukraine würde sich mittelfristig vermutlich nicht gegenüber der russischen Aggression behaupten können. Damit wären nicht nur in Europa weiteren Versuchen, Grenzen gewaltsam zu verschieben, Tür und Tor weit geöffnet, sondern auch weltweit. Vorschläge, die Verhandlungen über einen sofortigen Stopp von militärischer Hilfe an die Ukraine fordern, müssen diese Konsequenzen mitbedenken. Das gilt auch für Ideen, den Konflikt »einzufrieren«. Ein »Einfrieren auf dem jetzigen Stand« ist keine Grundlage für Friedensverhandlungen. Nicht jegliche Form von Verhandlungen wird Frieden für die Ukraine oder Europa bringen. Russlands Verhalten in den besetzten Gebieten macht das ebenso deutlich wie die mittlerweile unzähligen Äußerungen aus dem Kreml zur Zukunft der Ukraine. Russland wird nur dann Zugeständnisse machen, wenn es dazu genötigt wird. Die Ukraine wird wiederum nur dann bereit zu Verhandlungen sein, wenn ihr Überleben nicht länger gefährdet ist. Aus europäischer und NATO-Sicht heißt ein Diktatfrieden Russlands schließlich, dass es sich an einer mehr als 2.000 km langen Grenze einem kampferprobten und hochgerüsteten Gegner gegenübersieht, der bereits jetzt anklingen lässt, dass sein Expansionswille keineswegs gestillt ist. Zugleich kann es sich Europa aber auch nicht leisten, in Wunschdenken zu verfallen. Wenn es nicht die nötige Kraft und Entschlossenheit aufbringt und auch seine Bevölkerung nicht davon überzeugen kann, die Ukraine militärisch deutlich mehr zu unterstützen als bislang, wird es dieses Ergebnis kaum verhindern können und muss dies frühzeitig gegenüber der ukrainischen Regierung signalisieren und Pläne entwickeln, wie es mit einer Niederlage der Ukraine umgehen will und kann. Unabhängig von diesem worst-case-Szenario kann und muss Europa sich auch für den günstigeren Fall vorbereiten. Europa muss die Weichen für Verhandlungen stellen und beginnen, mögliche Optionen einer Kompromisslösung auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, ohne der Ukraine die Modalitäten der Verhandlungen vorzuschreiben. Dazu zählt, den internationalen Konsultationsprozess, der 2023 im Juni in Kopenhagen begann, im August 2023 in Dschidda und im Januar 2024 in Davos weiterging und nun im Sommer 2024 in eine weitere Konferenz münden soll, nach Kräften zu fördern. Damit sollte eine breite internationale Unterstützung für Friedensverhandlungen erreicht werden, die Partner:innen mit sehr unterschiedlichen Positionen in diesem Konflikt zusammenbringt und auch solche einschließt, die Druck auf die Parteien ausüben können, wie die USA, Brasilien und China. Insbesondere die Einbindung Chinas ist zentral, denn je mehr China einen solchen Friedensprozess als sein Werk betrachtet, desto schwächer wird seine Unterstützung für den russischen Kriegskurs sein. Schon jetzt können auch die Verpflichtungsprobleme, die in diesem Konflikt besonders massiv ausgeprägt sind, bearbeitet werden. Ein wesentliches Element dafür sind Sicherheitsgarantien für die Ukraine als potenziell unterlegene Seite. Eine NATO-Mitgliedschaft ist kurzfristig aufgrund der Interessendivergenzen zwischen den Mitgliedsstaaten kaum zu realisieren, obwohl sie gerade mit Blick auf den EU-Beitrittsprozess für die Ukraine geboten wäre. Zielführender sind bilaterale Ausrüstungs- und Ausbildungsabkommen, die sicherstellen, dass die Ukraine auf NATO-Niveau gerüstet und ausgebildet ist, um jede konventionelle Bedrohung abwehren zu können. Im Frühjahr 2024 hat die Ukraine bereits eine Reihe solcher Sicherheitsabkommen geschlossen, die sich in ihren Grundlagen an der Erklärung der G7 vom Juli 2023 ausrichten (→ U.S. Department of State 2023). Darunter sind Abkommen mit Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, den Niederlanden sowie Kanada. Obwohl die Abkommen in ihren Grundlagen, der Reichweite und der Dauer sehr ähnlich sind, gibt es auch Differenzen. So ist das deutsche Abkommen deutlich weicher formuliert als das französische oder das britische. Zugleich weist das deutsche auch auf einen Haushaltsvorbehalt aller Mittelzusagen hin (→ President of Ukraine 2024). Hieran wird deutlich, dass es im eigentlichen Sinne noch keine Garantie ist, sondern eine Bemühenszusage, die unbedingt nachgehärtet werden muss, beispielsweise mit einem entsprechenden Bundestagsbeschluss. Der problematischste Aspekt ist schließlich die Frage des Zuschnitts einer möglichen Vereinbarung zwischen den Parteien. Das ist schon deshalb heikel, weil jede Diskussion dieser Frage als Schwächung der ukrainischen Position und als ermutigendes Signal an die russische Seite gewertet werden kann. Es ist aber ebenso problematisch, diese Frage nicht zu erörtern, denn früher oder später wird man sich mit ihr auseinandersetzen müssen, und dann wäre es gut, vorbereitet zu sein. Für diesen Fall werden Fragen über die Zukunft der von Russland widerrechtlich annektierten Regionen ganz oben auf der Agenda stehen. Dabei wird es angesichts der Ausgangslage vermutlich darum gehen, die Klärung des Status der Gebiete in die Zukunft zu verlegen, um überhaupt zu einer Einigung zu kommen. Das Hauptanliegen des Völkerrechts in der Frage territorialer Integrität ist nicht in erster Linie, territoriale Neuordnungen zu verhindern, sondern gewaltsame territoriale Neuordnungen zu unterbinden. Seit Inkrafttreten der VN-Charta haben Staaten insbesondere wegen des Gewaltverbots ihre Gebietskonflikte vor allem auf dem Wege der gerichtlichen und schiedsgerichtlichen Streitbeilegung zu lösen versucht. Das setzt voraus, dass sich die Konfliktparteien grundsätzlich darüber einig sind, eine externe Lösung für einen solchen Konflikt zu suchen. Ist eine solche Bereitschaft (noch) nicht da, ist es zumindest möglich, die Verwaltung eines umstrittenen Gebiets zu internationalisieren, ohne dass damit endgültig über die territoriale Zugehörigkeit eines solchen Gebiets zu einer der Konfliktparteien entschieden wird. Während dieses Instrument früher eingesetzt wurde, um Gebiete zu dekolonisieren (Mandatsgebiete, Treuhandverwaltungen), haben sich viele Fälle herausgebildet, in denen die Internationalisierung der Verwaltung nach dem Ende eines bewaffneten Konflikts genutzt wurde, um zur Friedenskonsolidierung beizutragen (→ Benzing 2010). Für die derzeit besetzten Gebiete der Ukraine wäre eine Treuhandverwaltung ein mögliches Szenario. Die Herausforderungen sind allerdings immens. Historisch wäre die Größe des Treuhandgebiets einmalig und damit auch die Ressourcen, die Treuhänder:innen aufbringen müssten, um es zu verwalten. Zuallererst müsste Russland sich aber bereit erklären, die widerrechtlichen Annexionen zumindest zu suspendieren und seine Truppen aus dem Gebiet abzuziehen, was das größte Hindernis darstellen dürfte. Zudem müssten eine internationale Organisation oder mehrere Staaten gefunden werden, die in der Lage sind und von den Konfliktparteien anerkannt werden, die Verantwortung für die Treuhandverwaltung zu übernehmen. Hierfür käme auch der existierende Treuhandrat der VN infrage, wenn er reaktiviert würde. Im Treuhandrat wird mit einfacher Mehrheit entschieden, und die VN-Generalversammlung hat die Möglichkeit, interessierte Mitglieder in den Rat als Mitglieder zu wählen. Daher wäre es möglich, eine sich eventuell formende internationale Kontaktgruppe zu Treuhänder:innen zu ernennen, die sowohl Einfluss auf die Konfliktparteien nehmen als auch internationale Unterstützung für eine Friedenslösung signalisieren kann. Schließlich müsste dafür eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, die auf vertraglicher Basis zwischen den Konfliktparteien vereinbart und etwa durch eine Resolution der VN-Generalversammlung abgesichert werden könnte. Auch wenn sich eine Treuhänderschaft prinzipiell auf Dauer festlegen lässt, ist das schon angesichts des Umfangs der Gebiete unplausibel. Den zukünftigen Status auf der Basis lange Zeit favorisierter Referenden über die Zugehörigkeit eines Gebiets zu einer der Streitparteien zu etablieren, ist im Lichte der Erfahrungen mit der Krim problematisch. Relevanter könnte es sein, diese Fragen von einer internationalen Schieds- oder Expertenkommission klären zu lassen oder über Leistungen und Gegenleistungen im Sinne der Aushandlung von Gebietsansprüchen nachzudenken. Abgesehen von Sicherheitsgarantien kommen etwa ökonomische Leistungen im Kontext von Aufbauverpflichtungen oder der Beteiligung beispielsweise an der Nutzung spezifischer Rohstoffe hinzu. Solche Leistungen können auch vonseiten der westlichen Unterstützer:innen etwa in Form fester Zusagen wie der Aufnahme in die EU und NATO erfolgen. Nach den Erfahrungen mit den Minsk-Abkommen, die aufgrund der vagen Bestimmungen und der Nichteinbindung aller Konfliktparteien (Russland) nie umgesetzt wurden, sind für jegliche Vereinbarungen neben einem international durch die OSZE, die EU oder die VN überwachten umfassenden Waffenstillstand kleinteilige Sequenzierungen notwendig. Sie ermöglichen Tit-For-Tat-Strategien, die Konfliktparteien dazu nötigen, sich sukzessive zu verpflichten und die für jeden nicht-kooperativen Schritt empfindliche Nachteile beinhalten. Die Strategie, auch sehr vage Abkommen abzuschließen, um mehr Zeit für diplomatische Lösungen zu gewinnen, hat sich in Minsk eher als Wegbereiter der russischen Aggression erwiesen. Nicht zuletzt setzt ein solcher Prozess voraus, dass die EU und die USA die Ukraine weiterhin so substanziell unterstützen, dass der Druck auf Russland aufrechterhalten werden kann und die russische Seite gesichert damit rechnen darf, dass sie sich bei Ausscheren auch langfristig nicht erholen wird. Auch hierfür ist es wichtig, zentrale Staaten wie China mit ins Boot zu holen. Schließlich bleibt die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz eines solchen Wegs. Beide Seiten haben sich öffentlich gebunden und damit den Weg zu Kompromissen erschwert. Für beide steht entsprechend auch das politische Überleben auf dem Spiel, sollten sie nicht vermitteln können, dass ein etwaiges Verhandlungsergebnis ihren Zielen entgegenkommt. Aus diesem Grund müssen Verhandlungen vertraulich geführt werden. Zugleich müssen jedoch – soweit möglich – bereits frühzeitig weitere Akteur:innen aus den jeweiligen Gesellschaften eingebunden werden, um Allianzen zu schaffen, die ein Verhandlungsergebnis innenpolitisch abstützen können. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, schon in den Friedensverhandlungen konkrete Maßnahmen der Wiedergutmachung und Aufarbeitung von Kriegsverbrechen einzubeziehen, die mithelfen können, die beiden Gesellschaften – über einen sicher sehr langen Zeitraum – wieder miteinander zu versöhnen.
Schlussfolgerungen
Verhandlungen sind weder in jedem Fall wünschenswert noch einfach zu bekommen. Gegenwärtig stehen die Chancen für Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland nicht gut. Wahrscheinlicher ist, dass dieser Konflikt sich noch sehr lange hinzieht oder aber bei Nachlassen der Unterstützung für die Ukraine sogar deren Niederlage bevorsteht, was mit massiven Konsequenzen für die europäische Sicherheit einherginge. Nichtsdestoweniger können die westlichen Verbündeten und insbesondere Europa die Chancen für offene Verhandlungen erhöhen, wenn sie bereit und in der Lage sind, die Ukraine stärker als bislang und nachhaltig militärisch und ökonomisch zu unterstützen. Dadurch könnten in der Zukunft Verhandlungen möglich werden. Auf diese Möglichkeit müssen sich die westlichen Verbündeten bereits jetzt mit internationalen Partner:innen vorbereiten, um auszuloten, wie solche Verhandlungen in Form und Inhalt aussehen könnten, damit die Chance auf Frieden nicht ebenso schnell verpufft wie sie auftauchen könnte.
Quelle: Friedensgutachten 2024, S. 123–129, https://www.friedensgutachten.de/user/pages/02.2024/02.ausgabe/01.gesamt/FGA2024_gesamt.pdf.
[18] Lesetipps
Cambridge Ukraine Peace Settlement Project
Die Cambridge Initiative for Peace Settlements versucht, den Friedensprozess in der Ukraine durch fundierte Analysen und Vorschläge für mögliche Friedensabkommen zu unterstützen. Auf ihrer Seite stellt das Projekt eine Vielzahl von Dokumenten und Ressourcen zur Verfügung, welche sich mit Friedensverhandlungen und der Konfliktlösung im Krieg gegen die Ukraine beschäftigen. Die auf der Webseite des Projekts vorzufindenden Daten umfassen:
- Einen Indikator des Friedensfortschritts: Diese Einschätzung versucht die Wahrscheinlichkeit abzubilden, mit der in näherer Zukunft ein Friedensabkommen verhandelt werden könnte.
- Entwürfe für Friedensvereinbarungen: Detaillierte Vorschläge für mögliche Friedensverträge und Vereinbarungen.
- Eine Sammlung rechtswissenschaftlicher Ansätze für die Gestaltung eines Friedensabkommens. Die Artikel decken eine breite Palette von Themen ab, darunter Neutralität, Sicherheitsgarantien, territoriale Fragen und der Umgang mit Kriegsverbrechen. Die ursprünglichen Versionen der Artikel wurden auf Opinio Juris veröffentlicht.
- Eine Sammlung von Schlüsseldokumenten der diplomatischen Friedensbemühungen und internationaler Abkommen, die einen Verhandlungsprozess unterstützen könnten.
- Eine Chronologie aktueller Entwicklungen über Verhandlungen und diplomatische Fortschritte.
- Zusätzliche Ressourcen: Diese beinhalten diverse wissenschaftliche Artikel und andere Publikationen mit Vorschlägen und Materialien für internationale Akteure und Konfliktparteien.
Die Webseite des Ukraine Peace Settlement Projects ist unter diesem Link zu finden: https://cambridgepeace.org/projects/ukraine/
Samuel Charap und Sergey Radchenko: The Talks That Could Have Ended the War in Ukraine
Dieser Artikel von Samuel Charap (RAND Corporation) und Sergey Radchenko (Johns Hopkins University School of Advanced International Studies in Europe) in der renommierten amerikanischen Zeitschrift Foreign Affairs untersucht die Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine im Frühjahr 2022, die kurz nach Beginn der russischen Invasion stattfanden und deren Details der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbekannt waren. Die Autoren argumentieren, dass die beiden Parteien entgegen der gängigen Meinung tatsächlich kurz vor einer Einigung standen. Sie stützen diese Behauptung auf die Analyse von Vertragsentwürfen, Interviews mit Verhandlungsteilnehmer:innen und westlichen staatlichen Vertreter:innen sowie auf die Untersuchung öffentlicher Äußerungen ukrainischer und russischer Offizieller. Zentrales Element des kurz vor der Unterzeichnung stehenden Abkommens war die dauerhafte Neutralität der Ukraine, die von einer Reihe von Staaten, darunter Russland, garantiert wurde. Im Gegenzug würde die Ukraine der EU beitreten können. Die Autoren heben hervor, dass Russland sogar bereit war, über den Status der Krym zu verhandeln, was eine bedeutende Kehrtwende in der russischen Haltung darstellte. Aus Sicht der Autoren scheiterten die Verhandlungen letztlich aus mehreren Gründen. Erstens zeigten die westlichen Partner der Ukraine, insbesondere die USA und Großbritannien, unter diesen Bedingungen wenig Interesse an einer diplomatischen Lösung und verstärkten stattdessen ihre militärische Unterstützung für Kyjiw. Zweitens wuchs in der Ukraine der Optimismus, dass der Krieg auf dem Schlachtfeld gewonnen werden könne, was die Kompromissbereitschaft verringerte. Drittens erschwerten die Berichte über russische Gräueltaten in Butscha und Irpin die politische Durchsetzbarkeit eines Abkommens. Schließlich scheiterten die Verhandlungen auch an ihrem überambitionierten Ansatz, der die Lösung langjähriger Differenzen in Sicherheitsfragen vor die Beendigung der Kampfhandlungen stellte. Obwohl die Verhandlungen im Frühjahr 2022 scheiterten, bieten sie wertvolle Lehren für zukünftige Friedensbemühungen. Charap und Radchenko betonen, dass sowohl Putin als auch Selenskyj bereit waren, außerordentliche Kompromisse in Betracht zu ziehen. Das im Istanbuler Kommuniqué skizzierte Rahmenabkommen und die Vertragsentwürfe könnten als Grundlage für künftige Verhandlungen dienen. Der Artikel widerlegt die Behauptung, der Westen habe die Ukraine zum Abbruch der Gespräche gezwungen. Gleichzeitig zeigt er aber auch, dass die mangelnde Unterstützung des diplomatischen Prozesses durch den Westen und die verstärkte Militärhilfe für die Ukraine den Optimismus in Kyjiw gestärkt und die Kompromissbereitschaft verringert haben. Die Autoren schließen mit dem Appell, die notwendigen Lehren aus dem Scheitern der Verhandlungen zu ziehen und künftige Friedensbemühungen parallel zu organisieren, um sowohl die Beendigung der Kampfhandlungen als auch die Lösung des tiefer liegenden Konflikts um gegensätzliche Sicherheitsinteressen zu bewältigen.
Quelle: Samuel Charap und Sergey Radchenko. The Talks That Could Have Ended the War in Ukraine. A Hidden History of Diplomacy That Came Up Short—but Holds Lessons for Future Negotiations, in: Foreign Affairs, 16. April 2024, https://www.foreignaffairs.com/ukraine/talks-could-have-ended-war-ukraine.
Masha Hedberg: Comparing Pathways to Peace in Ukraine
Dieser Artikel der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Masha Hedberg von der Colgate University bietet einen umfassenden Überblick über 25 Vorschläge zur Rückkehr zum Frieden in der Ukraine, die von Regierungen, Think Tanks und unabhängigen Wissenschaftler:innen veröffentlicht wurden. Die Analyse unterteilt die Vorschläge in zwei Hauptkategorien: diejenigen, die einen bedingungslosen Sieg der Ukraine befürworten, und diejenigen, die eine Verhandlungslösung unterstützen.
Die Befürworter:innen eines bedingungslosen Sieges argumentieren, dass nur ein eindeutiger Sieg der Ukraine einen dauerhaften Frieden garantieren kann. Sie lehnen Zugeständnisse oder Kompromisse ab, die die Souveränität und Sicherheit der Ukraine untergraben könnten. Diese Vorschläge konzentrieren sich auf die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine, den Rückzug der russischen Truppen, die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen und zukünftige Sicherheitsgarantien, vorzugsweise durch eine NATO-Mitgliedschaft.
Im Gegensatz dazu betonen Vorschläge, die eine Verhandlungslösung bevorzugen, die Notwendigkeit gegenseitiger Kompromisse. Sie räumen ein, dass für einen dauerhaften Frieden die Sicherheitsbelange Russlands berücksichtigt werden müssen, und fordern diplomatische Bemühungen, um weitere Eskalationen und Blutvergießen zu vermeiden. Die Vorschläge betreffen den Status der Neutralität der Ukraine, den Umgang mit den umkämpften Gebieten, das Herbeiführen eines Waffenstillstands und die Gestaltung einer zukünftigen Sicherheitsarchitektur.
Der Artikel analysiert die Vor- und Nachteile beider Ansätze und untersucht ihre Durchführbarkeit im Kontext der derzeitigen militärischen und politischen Rahmenbedingungen. Die Autorin hebt die Herausforderungen hervor, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, einen Mittelweg zwischen Gerechtigkeit und Pragmatismus zu finden und wirft die Frage auf, wer letztendlich über die Bedingungen eines Friedensabkommens entscheiden wird.
Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass ein schrittweises Vorgehen, das sich zunächst auf überschaubare Bereiche wie einen Waffenstillstand und Gefangenenaustausch konzentriert. Dieser Ansatz, so die Autorin, sei derzeit am aussichtsreichsten. Komplexere Fragen wie der Neutralitätsstatus der Ukraine und die Zukunft ihrer Staatsgrenzen könnten in späteren Verhandlungen geklärt werden. Der Artikel betont die Notwendigkeit kreativer Lösungen und Kompromisse und argumentiert, dass die internationale Gemeinschaft einen Ansatz für einen spürbaren Fortschritt finden könnte, wenn sie sich auf die Chancen und weniger auf die Hindernisse konzentrieren würde.
Quelle: Masha Hedberg. Comparing Pathways to Peace in Ukraine, in: Belfer Center for Science and International Affairs, Harvard Kennedy School, 30. August 2024, https://www.russiamatters.org/analysis/comparing-pathways-peace-ukraine.
Jack Watling: Ukraine Must Turn the Tide Before It Can Negotiate
Der Artikel »Ukraine Must Turn the Tide Before It Can Negotiate« des britischen Militäranalysten Jack Watling vom Königliches Institut der Vereinigten Streitkräfte für Verteidigungs- und Sicherheitsstudien (RUSI) analysiert in der führenden amerikanischen Zeitschrift »Foreign Affairs« die aktuelle militärische Situation in der Ukraine und argumentiert, dass Kyjiw einen stabilen Frontverlauf im Donbas und Sicherheitsgarantien von westlichen Partnern benötigt, um in zukünftigen Verhandlungen mit Russland eine starke Position einzunehmen. Der Autor betont die Notwendigkeit, Russlands Überlegenheit in Bezug auf die Überwachung der Frontabschnitte mit Drohnen zu begrenzen, die ukrainische Artillerie zu verstärken und das Rekrutierungssystem im Zuge der Änderung der ukrainischen Gesetzgebung über die Mobilmachung im Jahr 2024 zu reformieren. Watling argumentiert, dass eine Situation, in der die Ukraine in Verhandlungen ohne solide Sicherheitsgarantien gedrängt wird, für die Ukraine zu einem Brest-Litowsk-Moment führen könnte, in der Russland die Ukraine mit Waffengewalt zum Nachgeben zwingt. Der Artikel endet mit einem Aufruf zu einer verstärkten militärischen Unterstützung für die Ukraine, um die diplomatische Verhandlungsposition zu stärken und eine für Russland ungünstige Beendigung des Krieges zu erreichen.
Quelle: Jack Watling. Ukraine Must Turn the Tide Before It Can Negotiate. To Gain Leverage, Kyiv Needs a Stable Front in the Donbas—and Western Security Guarantees, in: Foreign Affairs, 21. Oktober 2024, https://www.foreignaffairs.com/ukraine/ukraine-must-turn-tide-it-can-negotiate.
Angela Stent: How would Trump and Harris handle the Russia-Ukraine war?
Angela Stent fasst in ihrer Analyse für Brookings die möglichen Strategien von Donald Trump und Kamala Harris im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine zusammen. Trump verfolgt einen Ansatz, der auf ein sofortiges Ende des Krieges durch Verhandlungen abzielt, ohne die territoriale Integrität der Ukraine zu berücksichtigen. Er ist kritisch gegenüber der finanziellen Unterstützung der Ukraine durch die USA und würde die Sanktionen gegen Russland aufheben, um eine Verhandlungslösung zu fördern. Seine Haltung während seiner ersten Amtszeit war von widersprüchlichen Entscheidungen geprägt: Einerseits lieferte er Waffen an die Ukraine, andererseits machte er diese Hilfe von Ermittlungen gegen Joe und Hunter Biden abhängig. Trumps Vizekandidat J.D. Vance vertritt eine explizit ukrainekritische Position und schlägt einen Friedensplan vor, der die Entmilitarisierung der von Russland kontrollierten Gebiete und die Neutralität der Ukraine vorsieht.
Harris hingegen setzt auf Kontinuität mit der Politik der Biden-Administration, die die Ukraine militärisch, wirtschaftlich und politisch unterstützt und den Sanktionsdruck auf Russland aufrechterhält. Sie betont die Bedeutung der NATO und verurteilt Russlands Vorgehen als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Obwohl die Biden-Administration der Ukraine hilft, den Krieg zu gewinnen, bleibt unklar, was unter einem Sieg gemeint ist. Es ist unwahrscheinlich, dass die Ukraine in absehbarer Zeit ihre Grenzen von 1991 vollständig wiederherstellen kann. Harris könnte die Ukraine weiterhin unterstützen, aber möglicherweise nicht in dem Umfang, der für einen umfassenden Sieg erforderlich wäre.
Angela Stent kommt zu dem Schluss, dass sich die beiden Kandidaten in ihrer Herangehensweise an den Krieg in der Ukraine grundlegend unterscheiden: Trump priorisiere eine schnelle Beendigung des Krieges durch Verhandlungen, während Harris die Unterstützung der Ukraine und die Eindämmung Russlands in den Vordergrund stelle. Inwieweit der oder die gewählte Kandidat:in seine Wahlversprechen in die Tat umsetzen kann, bleibt abzuwarten, da die tatsächliche Politik von den Entwicklungen auf dem Kriegsschauplatz und den Positionen der NATO-Verbündeten beeinflusst wird.
Quelle: Angela Stent. How would Trump and Harris handle the Russia-Ukraine war?, in: The Brookings Institution, 1. Oktober 2024, https://www.brookings.edu/articles/how-would-trump-and-harris-handle-the-russia-ukraine-war/.
The Washington Post: Inside Donald Trump’s secret plan to end the Ukraine-Russia war
Im April 2024 berichtete die Washington Post exklusiv über den – zugegebenermaßen wenig ausgearbeiteten – Plan des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, den Krieg in der Ukraine zu beenden, indem er die Ukraine unter Druck setzt, einige Gebiete an Russland abzutreten. Trump behauptet, er könne innerhalb von 24 Stunden nach seiner Wiederwahl einen Friedensvertrag aushandeln, hat aber keine Einzelheiten darüber bekannt gegeben, wie er dies erreichen will. Vertrauliche Quellen der Washington Post berichteten, dass Trumps Plan vorsieht, die Ukraine dazu zu drängen, die Krym und den Donbas an Russland abzutreten. Dieser Ansatz würde die Politik von Präsident Biden, die darauf abzielt, die russische Aggression einzudämmen und der Ukraine Militärhilfe zu leisten, grundlegend umkehren. Einige außenpolitische Expert:innen kritisieren Trumps Plan, weil er den russischen Präsidenten Wladimir Putin für seine Aggression noch belohnen und die gewaltsame Verletzung international anerkannter Grenzen in Kauf nehmen würde. Emma Ashford vom Stimson Center argumentiert, dass ein Austausch von Territorium gegen einen Waffenstillstand die Ukraine in eine schlechtere Position bringen würde, ohne die Gewissheit, dass Russland nicht wieder aufrüsten und die Feindseligkeiten wieder aufnehmen würde. Die Washington Post hebt Trumps widersprüchliche Haltung gegenüber Russland und der Ukraine hervor. Während er Putin wiederholt lobte und bewunderte, erkannte er die Einmischung Russlands in die US-Wahlen 2016 nicht an und beschuldigte die Ukraine fälschlicherweise, seiner demokratischen Rivalin Hillary Clinton helfen zu wollen. Trumps Versuch im Jahr 2019, die Hilfe für die Ukraine zurückzuhalten, wenn Selenskyj nicht eine Untersuchung gegen Biden ankündige, führte zu Trumps erstem Amtsenthebungsverfahren. Expert:innen bezweifeln, dass Trumps Friedensbemühungen von Erfolg gekrönt würden. Fiona Hill, Trumps ehemalige Chefberaterin für Russland, vergleicht die Situation mit 2017, als Trump glaubte, er könne sich mit Russland und der Ukraine zusammensetzen und aufgrund seines persönlichen Charismas vermitteln. Hill kritisiert Trumps Team dafür, dass es die Situation als einen territorialen Disput betrachte und nicht als einen Krieg, der die Zukunft der europäischen Sicherheit und der Weltordnung insgesamt bedrohe. Die Washington Post kommt zu dem Schluss, dass sich die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten Trumps Bemühungen um ein Abkommen mit Moskau wahrscheinlich widersetzen würden. Michael Kofman vom Carnegie Endowment for International Peace argumentiert, dass die USA nur begrenzte Möglichkeiten für ein einseitiges Abkommen haben, da eine wirksame Aufhebung der Sanktionen von der Zusammenarbeit mit Europa abhängt.
Quelle: Isaac Arnsdorf, Josh Dawsey und Michael Birnbaum. Inside Donald Trump’s secret plan to end the Ukraine-Russia war, in: The Washington Post, 7. April 2024, https://www.washingtonpost.com/politics/2024/04/05/trump-ukraine-secret-plan/.
David J. Urban and Mike Pompeo: A Trump Peace Plan for Ukraine
David J. Urban und Mike Pompeo, der ehemalige US-Außenminister in der Trump-Administration 2018–2021, argumentieren, dass eine zweite Amtszeit von Donald Trump Frieden durch Stärke bringen könnte. Die Biden-Administration habe sich vor allem durch Schwäche ausgezeichnet, die der Ukraine geschadet habe. Der Plan betont die Notwendigkeit, die USA und ihre Verbündeten zu stärken, um aus einer Position der Stärke heraus verhandeln zu können.
Die Kernelemente dieses Plans sind laut Urban und Pompeo:
- Nutzung des amerikanischen Rohstoffsektors: Dies würde die US-Wirtschaft ankurbeln, die Preise senken und Putins Kriegsbudget schmälern.
- Wiederbelebung der Beziehungen zu Saudi-Arabien und Israel: Die Zusammenarbeit gegen den Iran könnte den Nahen Osten stabilisieren, die Gaza-Krise entschärfen und Saudi-Arabien dazu bewegen, Russland von den globalen Energiemärkten zu verdrängen.
- Echte Sanktionen gegen Russland: Die Autoren kritisieren die Sanktionen der Biden-Administration als ineffektiv und fordern härtere Maßnahmen, die den russischen Energiesektor direkt treffen.
- Stärkung der US-Rüstungsindustrie: Die USA müssen ihre militärische Überlegenheit gegenüber Russland und China ausspielen.
- Revitalisierung der NATO: Die europäischen Mitglieder sollten ihren Verteidigungshaushalt auf 3 % des BIP erhöhen.
- Einrichtung eines 500-Milliarden-Dollar-Leih- und Pachtprogramms für die Ukraine: Dieses Programm würde es der Ukraine ermöglichen, amerikanische Waffen zu kaufen, ohne amerikanische Steuerzahler:innen zusätzlich zu belasten.
- Aufhebung aller Beschränkungen für Waffenlieferungen an die Ukraine: Dies würde es der Ukraine ermöglichen, sich wirksamer zu verteidigen.
Unter diesen Voraussetzungen, so die Autoren, könnte Trump die Bedingungen für ein Friedensabkommen diktieren: sofortiger Waffenstillstand, Wiederaufbau der Ukraine mit russischen Reparationszahlungen, Nichtanerkennung der russischen Annexionen, Entmilitarisierung der Krim, NATO- und EU-Beitritt der Ukraine und schrittweise Aufhebung der Sanktionen gegen Russland.
Die Autoren glauben, dass dieser Plan den Krieg beenden, einen dauerhaften Frieden schaffen, die Last der Friedenssicherung auf Europa verlagern und Freiheit und Sicherheit auf dem Kontinent wiederherstellen würde.
Quelle: David J. Urban und Mike Pompeo. A Trump Peace Plan for Ukraine. Among the essentials are a lend-lease program, real sanctions on Russia, and a revitalized NATO, in: Wall Street Journal, 25. Juli 2024, https://www.wsj.com/articles/a-trump-peace-plan-for-ukraine-russia-foreign-policy-926348cf.
Kamala Harris über Russlands Krieg gegen die Ukraine
Öffentliche Äußerungen der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris in ihrer bisherigen politischen Laufbahn deuten darauf hin, dass sie eine starke militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine durch die USA befürwortet.
Harris betont die Notwendigkeit dieser Unterstützung, nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch aufgrund der strategischen Interessen der USA. Die Verteidigung der Ukraine wird als Verteidigung der Demokratie und der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen internationalen Ordnung dargestellt. Ihre Äußerungen zeigen auch die Bereitschaft der USA, Russland für seine Aggression zur Rechenschaft zu ziehen.
Harris verurteilt das russische Vorgehen in der Ukraine scharf als »ungeheuerliche Gräueltaten« und »Kriegsverbrechen«. Sie hebt die systematischen Angriffe auf die Zivilbevölkerung hervor und betont, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Die USA haben, so Harris, gemeinsam mit ihren Verbündeten beispiellose Sanktionen gegen Russland verhängt und russisches Vermögen eingefroren.
Harris äußert sich skeptisch über die Verhandlungsbereitschaft Russlands. Sie wirft Russland vor, »die Möglichkeiten der Diplomatie einzuschränken« und die Kapitulation der Ukraine statt echte Verhandlungen zu fordern. Die USA würden die Ukraine weiterhin bei der Suche nach einem »gerechten und dauerhaften Frieden« unterstützen und betonen gleichzeitig die Dringlichkeit, Russland für den angerichteten Schaden zur Verantwortung zu ziehen.
Zusammenfassend ergibt sich ein recht klares Bild von Kamala Harris’ Haltung zum Krieg Russlands gegen die Ukraine: entschiedene Unterstützung für die Ukraine, die Verurteilung der russischen Aggression und die Forderung, Russland zur Rechenschaft zu ziehen. Es bleibt jedoch zu bedenken, dass diese bisherigen Aussagen möglicherweise nicht alle Aspekte von Harris’ Haltung zum Krieg gegen die Ukraine vollständig abdecken und diese möglicherweise Änderungen erfahren kann. Zudem bleibt abzuwarten, ob sie im Falle ihrer Wahl zur nächsten US-Präsidentin ihren eher allgemein gehaltenen Äußerungen zur weiteren Unterstützung der Ukraine auch entschlossene Taten folgen lassen würde.
Quelle: Kamala Harris on Russia, in: Belfer Center for Science and International Affairs, Harvard Kennedy School, 8. August 2024, https://www.russiamatters.org/analysis/kamala-harris-russia.