Ouvertüren für Friedensangebote und zur Beendigung von Russlands Krieg gegen die Ukraine liegen in der Luft. Sie gehen im Wesentlichen von Washington aus. Es gibt viel Rhetorik und große Reden, aber kaum klare Vorstellungen darüber, wie man zu einem Friedensabkommen kommen soll. Die meisten Expert:innen beteiligen sich am Ratespiel und versuchen zu entschlüsseln, welche Worte was genau bedeuten – und ob sie überhaupt etwas bedeuten.
Auch die US-Regierung von Joe Biden war der Meinung, dass dieser Krieg eines Tages höchstwahrscheinlich mit einer Verhandlungslösung enden wird. Aber es gibt natürlich große Unterschiede zwischen den Vorstellungen der alten und neuen US-Regierung, von denen im Folgenden vier zentrale Punkte aufgegriffen werden, um den Kurswechsel im Weißen Haus zu verdeutlichen.
Die Position der USA hat sich dramatisch gewandelt
- Bisher gab es stets Gewissheit darüber, dass die USA fest an der Seite der Ukraine stehen. Nun aber wecken Aussagen, die nicht mehr länger zwischen Aggressor und Opfer unterscheiden oder zwischen traditionellen Verbündeten und Gegnern der USA, Zweifel daran.
- Die Regierung Biden hatte erkannt, dass Kyjiw zur Erreichung eines Abkommens von Washington dazu bewegt werden müsste. Aber die Rolle und Handlungsfähigkeit der Ukraine wurde respektiert und anerkannt, denn schließlich ging es um die Zukunft der Ukraine. Das Drängen wäre außerdem wohl eher subtil und sanft erfolgt. Beim neuen Präsidenten Donald Trump hingegen gibt es keine Subtilität – stattdessen könnte er die Interessen der Ukraine sogar völlig vernachlässigen, Kyjiws Befürchtungen, dass eine mögliche Einigung nicht fair oder dauerhaft sein könnte, ignorieren und eine schroffe »Zuckerbrot und Peitsche«-Taktik anwenden, um eine Einigung zu erzielen. Die offensichtlichste »Peitsche« wäre die Kürzung der militärischen Unterstützung für die Ukraine. Trump könnte aber auch in einen transaktionistischen Modus wechseln, wie der jüngste Vorstoß – Forderungen an ukrainischen Seltenen Erden im Gegenzug für die weitere Unterstützung – zeigt.
- In Washington war man sich darüber im Klaren, dass man die Ukraine sowohl militärisch als auch humanitär unterstützen muss, um zu versuchen, das Kräfteverhältnis und den Status quo auf dem Schlachtfeld auszugleichen und so die Ukraine am Verhandlungstisch in eine Position der Stärke zu bringen. Von der neuen US-Regierung sehen wir in diesem Punkt keine Klarheit. Einerseits hat Trump in der Vergangenheit gedroht, wenn Putin sich nicht auf Frieden einlässt, können die USA die Ukraine mit weiteren Waffen »überschwemmen« und Russland mit strengen Sanktionen treffen . Andererseits gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Trump-Administration sich darauf vorbereitet, den Kongress um mehr Mittel für die Lieferung von Waffen an die Ukraine zu bitten (auch wenn sich das im Laufe der Zeit ändern könnte).
- Die Biden-Administration war sich stets einig, dass die wichtigsten Verbündeten und Unterstützer der Ukraine Teil des Friedensprozesses sein müssen. Schließlich war in den letzten drei Jahren die Schaffung und Aufrechterhaltung der pro-Ukraine-Koalition die vielleicht größte Leistung dieser Regierung. Bei der neuen US-Administration hat man den Eindruck, dass das Weiße Haus den Entscheidungsprozess monopolisieren und so verhindern will, dass die Ukrainer und Europa eine zu wichtige Rolle dabei spielen. Gleichzeitig will Washington aber die Umsetzung letztlich an Europa delegieren: Europa soll für die Kosten aufkommen, der Ukraine Sicherheitsgarantien geben, bei Bedarf Friedenstruppen schicken und vieles mehr. Mit anderen Worten, es sieht so aus, als ob Washington das Abkommen mit Moskau über die Köpfe der Ukrainer:innen und Europäer:innen hinweg aushandeln und dann die eigenen Hände in Unschuld waschen will, indem die ganze »echte« Arbeit und Umsetzung delegiert wird. Es gibt gute Gründe daran zu zweifeln, dass es so funktionieren wird. Es ist auch kein Wunder, dass Kyjiw und seine wichtigsten europäischen Verbündeten gegen solch ein Vorgehen protestiert haben.
Zwischen den beiden Kriegsparteien gibt es zahlreiche Differenzen in praktisch allen Punkten. Im Moment gibt es keine Anzeichen, dass die Trump-Mannschaft bereit ist, diese Differenzen anzugehen (bzw. diese ihnen überhaupt bewusst sind), um ein Abkommen zu erzielen. Es scheint aber ein Verständnis dafür zu geben, dass Russland de-facto weiterhin Kontrolle über einige besetzte Gebiete der Ukraine behalten wird. Es gibt allerdings keine Gewissheit darüber, um welches Territorium genau es sich dabei handelt. Dies kann sich auch noch ändern im Laufe von weiteren Kampfhandlungen vor, während oder sogar noch nach einem möglichen Abkommen (wie es beim Kampf um Debalzewe der Fall war, wo – damals noch verdeckte – reguläre russische Einheiten nach der Unterzeichnung des Minsk II-Abkommens kämpften). Die Ukraine hat hingegen mehrfach klar formuliert, dass sie ihre Gebiete niemals formal an Russland abgeben werde. Und wird sich Moskau zufriedengeben mit der Teilkontrolle von vier ukrainischen Regionen (Luhansk, Donezk, Saporischschja, Cherson) entlang der Frontlinie, oder wird Moskau auf die Kontrolle über das gesamte Territorium der vier Regionen bestehen?
Die NATO-Frage und Sicherheitsgarantien
Noch mehr Differenzen bestehen hinsichtlich der potenziellen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Kyjiw hat erklärt, dass es nur dann einen Abkommen zustimmen wird, wenn es eine klare Beitrittsperspektive erhält – ein Ziel, das formal in der ukrainischen Verfassung verankert ist. Moskau hingegen will ein für alle Mal diese Perspektive begraben. Und wie steht Washington dazu? Scheinbar gibt es keine Unterstützung dafür, aber gilt dies nur für jetzt, mittelfristig oder für immer? Wird die Regelung dazu Teil eines möglichen Abkommens werden, und wenn ja, was wird der genaue Wortlaut? Die Ukraine hat in der Vergangenheit bereits mehrfach negative Erfahrungen mit Abkommen gemacht, darunter den Minsker Vereinbarungen, die so mehrdeutig formuliert waren, dass sie praktisch nicht umsetzbar waren. Und wenn die NATO-Frage nicht explizit im Abkommen erwähnt wird oder hinter vagen Aussagen versteckt – wäre das akzeptabel für Moskau? Andererseits gibt es bestimmte Formulierungen, die vermutlich für Kyjiw nicht akzeptabel sein werden. Ist die Idee eines temporären Moratoriums für die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, was in Washington bereits erwogen wurde, noch auf dem Tisch? Wenn ja, wie sollten die Details aussehen und was wäre der Zeitraum für solch ein Moratorium?
Die Sicherheitsgarantien, auf die Kyjiw drängt, sind ein weiteres großes Problem. Russland will die Ukraine »demilitarisieren« und ihre zukünftige militärische Kooperation mit westlichen Verbündeten unterbinden. Kyjiw hingegen verfolgt natürlich diametral entgegengesetzte Interessen. Aus Washington weiß man dazu nur wenig. Zuletzt hörte man von dort, Europa sollte die Sicherheit garantieren. Aber will Europa das überhaupt – und ist es dazu in der Lage? Die ehrlichste Antwort darauf lautet nein. Die USA müssten sich daran beteiligen, damit das klappt.
Viel Ungewissheit auf dem weiteren Weg
Dasselbe gilt für einen möglichen internationalen Friedenseinsatz. Selenskyj sprach von mindestens 100.000 Soldaten, die es für solch eine Mission bräuchte. Die europäischen Staaten haben schlicht nicht genügend Soldat:innen, Waffen und Ausrüstung, um es ohne die USA zu schaffen. Davon einmal abgesehen, dass Russlands Sichtweise auf solch eine Mission mit Sicherheit davon abhängen wird, ob die USA daran beteiligt sind, oder nicht.
Zusammengenommen lässt sich sagen, dass Präsident Trump zwar eindeutig das Ziel verfolgt, ein schnelles Abkommen zu erzielen, aber es keinen klaren, detaillierten »Friedensplan« gibt. Es gibt kaum eine Vorstellung über grundlegende Elemente eines solchen potenziellen Abkommens. »Der Teufel steckt im Detail«, lautet ein bekanntes Sprichwort, und das trifft in diesem Falle sicherlich zu.
Aus dem Englischen von Dr. Eduard Klein