Lesetipps: Lehren aus den Minsker Abkommen

In den vergangenen Monaten sind zahlreiche Artikel erschienen, die angesichts der aktuellen Friedensbemühungen im russisch-ukrainischen Krieg sowie dem zehnjährigen »Jubiläum« der Minsker Abkommen diese noch einmal daraufhin analysieren, was bei der Umsetzung der Minsker Abkommen schief gelaufen ist – und welche Lehren sich daraus für heute ziehen lassen. Im Folgenden ist eine – unvollständige – Auflistung einiger Aufsätze renommierter Expert:innen zum Thema.

Die Redaktion der Ukraine-Analysen


Kristian Åtland (2024): War, diplomacy, and more war: why did the Minsk agreements fail?

Trotz erheblichem westlichem Engagement, insbesondere durch Deutschland, Frankreich und die OSZE, scheiterten die diplomatischen Bemühungen 2014 und 2015 um einen dauerhaften Waffenstillstand im Donbas. Die Minsker Abkommen blieben weitgehend wirkungslos. Der Artikel analysiert die Ursachen ihres Scheiterns und beleuchtet anhand von Verhandlungstheorie sowohl den Entstehungsprozess als auch die praktischen Hürden bei der Umsetzung.

International Politics, https://doi.org/10.1057/s41311-024-00637-x .

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Marie Dumoulin (2024): Ukraine, Russia, and the Minsk agreements: A post-mortem

Marie Dumoulin untersucht das Scheitern der Minsker Abkommen und hebt zwei zentrale Probleme hervor: Russlands Darstellung als neutraler Vermittler trotz seiner aktiven Rolle im Konflikt sowie die unklare Reihenfolge bei der Umsetzung der Vereinbarungen. Diese Unklarheiten ermöglichten es Russland, seinen Einfluss auf die Ostukraine aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Verantwortung von sich zu weisen. Die Abkommen scheiterten letztlich, als Russland die Separatistengebiete offiziell anerkannte und im Februar 2022 die großangelegte Invasion startete, womit es das Bemühen um scheinbare Nichteinmischung aufgab. Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass künftige Friedensbemühungen die fehlerhaften Prämissen des Minsker Prozesses zurückweisen und die Souveränität sowie territoriale Integrität der Ukraine wahren müssen.

European Council on Foreign Relations, https://ecfr.eu/article/ukraine-russia-and-the-minsk-agreements-a-post-mortem/.

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Jesse Driscoll, Dominique Arel (2025): The Minsk Game

Jesse Driscoll und Dominique Arel analysieren ebenfalls die Gründe für das Scheitern der Minsker Abkommen zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine. Die Autoren argumentieren, dass die Vereinbarungen aufgrund unvereinbarer Verpflichtungsprobleme zwischen Russland und dem Westen gar nicht erfolgreich sein konnten. Die Abkommen konnten zwar die Frontlinien stabilisieren, jedoch keine nachhaltige Lösung bieten, da Russland seine Einflussnahme fortsetzte und die vorgesehenen Wahlen sowie der Abzug ausländischer Truppen nicht umgesetzt wurden.

Public Choice, https://doi.org/10.1007/s11127-025-01259-4 .

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Julia Friedrich, Łukasz Mackiewicz (2025): Presence without Power. Lessons from the OSCE Special Monitoring Mission (SMM) for Ceasefire Monitoring in Ukraine

Julia Friedrich und Łukasz Mackiewicz diskutieren die Möglichkeit eines internationalen Waffenstillstandsmonitorings zwischen Russland und der Ukraine als mögliche Lösung bei Verhandlungen über eine Feuerpause. Eine solche Mission könnte trotz ihrer Schwächen wirksam sein, wenn sie durch militärische Präsenz oder wirtschaftliche Sanktionsmechanismen gestützt wird. Erfahrungen mit der OSZE-Mission in der Ukraine (2014–2022) liefern dabei wichtige Lehren für das Design und die Umsetzung künftiger Einsätze.

GPPI Policy Brief, https://gppi.net/assets/Presence-without-Power_Lessons-from-the-OSCE-SMM.pdf.

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Alexander Hug (2024): Ceasefire Monitoring and Verification and the Use of Technology: Insights from Ukraine 2014–2022

Alexander Hug besitzt als langjähriger stellvertretender Leiter der OSZE SMM in der Ukraine wie kaum ein zweiter Einblicke in die Arbeit der Sonderbeobachtungsmission und ihre Erfahrungen. In seinem Buch geht er der Frage nach, wie Technologie eingesetzt werden kann, um die Überwachung von Konflikten und die Überprüfung, ob sich die Parteien an ihre Vereinbarungen halten, zu verbessern und geht dabei auf Fragen ein wie: Welche Optionen stehen derzeit zur Verfügung, um einen Waffenstillstand mithilfe von Technologie zu überwachen und zu verifizieren? Wie viel Überwachung und Verifizierung ist erforderlich, um die Umsetzung eines nachhaltigen Waffenstillstands zu unterstützen? Kann die Technologie dazu beitragen, vertrauensbildende Maßnahmen und Dialoginitiativen zu stärken?

Center for Security Studies, Swiss Federal Institute of Technology, ETH Zürich: CSS Mediation Resources, https://css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/MediationResources21_CeasefireMonitoringTechnology.pdf.

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Tetiana Kyselova (2024): Including Civil Society in Peace Negotiations: The War in the Ukraine Donbas Region (2014–21)

Tetiana Kyselova zeigt, wie von Vermittlern und Konfliktparteien auf die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den Minsker Verhandlungen eingegangen wurde. Die daraus resultierenden Einbindungsformen gaben der Zivilgesellschaft keine echte Stimme, was zum Scheitern der Verhandlungen beitrug. Der Artikel plädiert dafür, bei der Regulierung zwischenstaatlicher Konflikte Beteiligungsformate zu wählen, die für beide Seiten gleichermaßen gelten.

Journal of Intervention and Statebuilding, 19(2), https://doi.org/10.1080/17502977.2024.2364309 .

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Tetiana Kyselova, Yuna Potomkina (2025): How Not to End the War in Ukraine. Past Failures Make Clear That an Imposed Peace Won’t Last

Tetiana Kyselova und Yuna Potomkina analysieren, warum aufgezwungene Friedenslösungen, wie die Minsker Abkommen, langfristig scheitern. Die Autorinnen warnen davor, dass zukünftige Friedenspläne, die der Ukraine Neutralität oder territoriale Verluste aufzwingen, lediglich Russlands Ziele fördern und die Souveränität der Ukraine untergraben. Stattdessen plädieren sie für einen gerechten Frieden, der auf der vollständigen Wiederherstellung der ukrainischen Kontrolle und der Rechenschaftspflicht Russlands basiert.

Foreign Affairs, https://www.foreignaffairs.com/russia/how-not-end-war-ukraine.

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Mykhailo Soldatenko (2025): In the Shadow of the Minsk Agreements: Lessons for a Potential Ukraine-Russia Armistice. Ukraine will need security guarantees if it is to commit to a ceasefire

Mykhailo Soldatenko analysiert die Lehren aus den gescheiterten Minsker Vereinbarungen und betont, dass ein zukünftiger Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine nur mit glaubwürdigen Sicherheitsgarantien für die Ukraine erfolgreich sein kann. Es werden zwei Hauptmodelle für solche Garantien diskutiert: die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine oder bilaterale Verteidigungsabkommen mit Ländern wie den USA, Großbritannien oder Frankreich. Die Garantien müssen rechtlich bindend sein und klare Verpflichtungen enthalten, um Russland von weiteren Aggressionen abzuhalten. Zudem wird empfohlen, einen Waffenstillstand ausschließlich auf die Beendigung der Feindseligkeiten zu beschränken und politische Fragen wie den Status besetzter Gebiete für spätere Verhandlungen vorzubehalten.

Carnegie Endowment for International Peace, https://carnegieendowment.org/research/2025/02/ukraine-russia-ceasefire-security-agreement?lang=en.

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Analyse

Lehren aus den Minsk-Verhandlungen für die Beilegung des aktuellen Krieges

Von Tetiana Kyselova, Josh Nadeau
Dieser Artikel versucht – aus einer ukrainischen Perspektive heraus – im Kontext der aktuellen Friedensbemühungen die Lehren aus dem von der OSZE vermittelten Minsker Verhandlungsprozess zwischen der Ukraine und Russland (2014–2021) zu ziehen. Dabei werden das Format der Verhandlungen, die Konfliktparteien und ihre jeweiligen Interessen, die Klarheit der Vereinbarungen und die Abfolge der darin enthaltenen Maßnahmen, die Wirksamkeit der Überwachungs- und Verifizierungsmechanismen, die Einbeziehung der Zivilgesellschaft sowie die Akzeptanz der Vereinbarungen und des Verhandlungsprozesses durch die ukrainische Gesellschaft analysiert. Diese Faktoren sind für zukünftige Abkommen wichtig, wenn sie wirklich auf einen dauerhaften und nachhaltigen Frieden abzielen.
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Analyse

Das Minsk-Abkommen von 2015 – zehn Lehren für 2025

Von Johannes Regenbrecht
Putin setzt nicht auf Verhandlungen, sondern auf Ausweitung des Krieges. »Minsk« hat gezeigt: Selbst für Verhandlungen bleiben Waffengewalt und militärischer Druck für Russland unverzichtbar, um Vorteile an der diplomatischen Front zu erpressen. Einer Waffenruhe vor Verhandlungen würde Putin nur dann zustimmen, wenn Russland militärisch nichts mehr zu gewinnen hätte. Angesichts der schwankenden, tendenziell pro-russischen Haltung Washingtons tun die europäischen Verbündeten der Ukraine gut daran, Kyjiw weiter zu unterstützen, gleichzeitig weiter – vor allem auch gegenüber Trump – auf Waffenstillstand und Verhandlungen zu drängen.
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