Angriffe russischer Drohnen auf die ukrainische Zivilbevölkerung entlang des Dnipro

Zusammenfassung
Die ukrainische Menschenrechtsorganisation Truth Hounds hat am 17. November 2025 einen Bericht vorgelegt mit dem Titel »Killzone: How Russian Drones Are Devastating the River Dnipro’s Right Bank«. Er beruht auf 39 Interviews mit Opfern und Zeug:innen russischer Drohnenangriffe entlang des Dnipro. Der Bericht zeigt, wie ziviles Leben und Infrastruktur zunehmend unter Beschuss geraten, während die Region durch Drohnenüberwachung und -angriffe immer mehr zu einer tödlichen Zone wird – inzwischen hat sich dafür der Begriff »human safari« bzw. Menschenjagd etabliert. Die permanente Bedrohung hat massive und nachhaltige Auswirkungen auf Sicherheit, Alltag, Logistik und Versorgung der Bevölkerung. Nachfolgend dokumentieren wir die maschinell ins Deutsche übersetzte Zusammenfassung des Berichts.

Angriffe russischer Drohnen auf die ukrainische Zivilbevölkerung entlang des Dnipro

Die Studie untersucht den Einsatz von Kurzstreckendrohnen durch russische Streitkräfte gegen Zivilpersonen und zivile Objekte am unteren Dnipro im Süden der Ukraine. Dieses Gebiet bildet einen rund 400 Kilometer langen Frontabschnitt, an dem ukrainisch kontrolliertes Territorium direkt gegenüber von russisch besetztem Gebiet liegt, getrennt durch den Dnipro. Die Kampfhandlungen sind hier zwar weniger intensiv als an anderen Frontabschnitten, dennoch leben in vielen Orten noch 20–50 % der Vorkriegsbevölkerung. Gleichzeitig verzeichnet die Region laut der UN-Menschenrechtsbeobachtungsmission einige der höchsten zivilen Opferzahlen durch Drohnenangriffe in der gesamten Ukraine.

So kam es allein im März 2025 in der Stadt Cherson zu etwa 600–700 Drohnenangriffen pro Woche; zwischen März und Mai desselben Jahres wurden dort mindestens 313 Zivilpersonen, 135 Fahrzeuge (darunter Einsatzfahrzeuge) und 106 Wohngebäude durch Drohnen getroffen. Im Landkreis Nikopol in der Oblast Dnipropetrowsk lag die durchschnittliche Zahl der Angriffe durch Kamikazedrohnen und Drohnen mit Abwurfmunition zwischen September 2024 und März 2025 bei 459 pro Monat.

Trotz ihrer vergleichsweise einfachen Technik haben Kurzstreckendrohnen mit ihrer Genauigkeit, Manövrierfähigkeit und Geschwindigkeit die Fähigkeit hochpräziser Schläge. Die Ergebnisse der Studie zeigen jedoch, dass sie zunehmend nicht mehr für gezielte Angriffe auf militärische Ziele eingesetzt werden, sondern als Mittel willkürlicher Gewalt oder für vorsätzliche Angriffe auf Zivilpersonen.

Für Menschenrechtsverteidiger:innen und Ermittler:innen stellt dies neue Herausforderungen dar, denn der Nachweis der Absicht hinter Angriffen erfordert technisches Wissen über Drohnen-Systeme sowie die Fähigkeit zu unterscheiden, wie Drohnen sich bei kontrollierten Angriffen oder beim Verlust der Steuerung verhalten. Der Bericht sammelt entsprechende Indikatoren als praktische Leitlinien für Ermittler:innen und Analyst:innen – nicht als ausreichenden Beweis, sondern als zusätzliche Datenpunkte, die helfen, die Intentionalität einzelner Angriffe besser einzuschätzen. Er ermöglicht zudem eine vertiefende Analyse dokumentierter Vorfälle und verbessert die Methoden von Truth Hounds bei der Erfassung von Drohnenangriffen.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass russische Angriffe auf Zivilpersonen systematisch erfolgen und mittlerweile ein fester Bestandteil der russischen Taktik in diesem Gebiet sind. Das Muster der Angriffe – darunter regelmäßige Attacken auf Zivilpersonen, zivile Fahrzeuge, Ersthelfende, medizinisches Personal und Freiwillige – zeigt, dass die russischen Streitkräfte das Unterscheidungsgebot missachten und in vielen Fällen Zivilpersonen und zivile Objekte bewusst ins Visier nehmen.

Die Auswertung von Nachrichten russischer Telegram-Kanäle, insbesondere solcher bestimmter Einheiten oder Soldaten, bestätigt, dass diese Angriffe Teil einer russischen militärisch legitimierten Praxis sind. Küstennahe Gebiete bis zu etwa 2,5 Kilometer landeinwärts entlang des Dnipro, die im Wirkungsbereich russischer Drohnen liegen, werden dort als »rote Zone« bezeichnet. Russische Quellen betonen wiederholt, dass jeglicher Transport und jede Person, die dort von einer Drohne erfasst werde, angegriffen werde. Diese Darstellung, nach der jede Bewegung als legitimes Ziel gilt, rechtfertigt faktisch systematische Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Sie zeigt, dass Russland ganz gezielt Bereiche in Frontnähe in Räume ohne Recht auf Leben verwandelt, in denen der Schutz von Zivilpersonen vom militärischen Imperativ des hemmungslosen Angreifens verdrängt wird.

Die Folgen zahlreicher Angriffe auf Energieanlagen, Rettungs- und medizinische Teams, Fahrzeuge mit Lebensmitteln, Freiwillige, Versorgungsdienste, öffentlichen Nahverkehr sowie Zivilpersonen und ihr Eigentum gehen weit über Todesopfer und Sachschäden hinaus. Sie verstärken Angst, erschweren den Zugang zu grundlegenden Diensten und lebenswichtigen Ressourcen, behindern humanitäre Hilfe und machen das Alltagsleben unerträglich. Letztlich führt dies zu erzwungener Migration, zur langsamen Entleerung der Gemeinden und zur sozialen wie wirtschaftlichen Degradation dauerhaft bedrohten Territoriums. Dass diese Taktiken trotz der bekannten hohen Zahl ziviler Opfer über einen langen Zeitraum unverändert bleiben, lässt den Schluss zu, dass sie dem Zweck dienen, die Zivilbevölkerung systematisch zu terrorisieren.

Wie in Abschnitt 6 des Berichts dargelegt, stellen die untersuchten Angriffe schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht dar, darunter wiederholte Missachtung des Unterscheidungsgebots und unzureichende Vorsichtsmaßnahmen bei Angriffen. Zudem könnten sie Kriegsverbrechen darstellen, insbesondere vorsätzliche Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte (Art. 8(2)(b)(i–ii) des Römischen Statuts) sowie das Verbrechen des Terrors nach Völkergewohnheitsrecht. Aufgrund ihres langanhaltenden, systematischen und weitverbreiteten Charakters könnten diese Handlungen außerdem potenziell als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeordnet werden, darunter Mord und die gewaltsame Vertreibung der Bevölkerung (Art. 7(1)(a) und (d) des Römischen Statuts). Die Echtzeitkontrolle und Live-Bildübertragung der Drohnen liefern starke Hinweise auf die Absicht der Operateure. Zugleich deutet die russische öffentliche Rhetorik und Untätigkeit des Kommandos darauf hin, dass nicht nur unmittelbare Täter, sondern auch ihre Vorgesetzten zur Verantwortung gezogen werden sollten.

Der Bericht untersucht außerdem, wie Drohnenangriffe Zivilpersonen und lokale Behörden dazu gezwungen haben, eigene Schutzmaßnahmen zu entwickeln. Viele Gemeinden haben sukzessive individuelle Warn-, Schutz- und Reaktions­systeme aufgebaut, die offizielle Maßnahmen mit lokalen Initiativen verbinden. Die Analyse dieser Praktiken kann auch anderen Gemeinschaften in bewaffneten Konflikten helfen, in denen der Einsatz von Drohnen weiter zunimmt.

Der wachsende Einsatz von Kurzstreckendrohnen gegen Zivilpersonen erfordert eine umgehende Reaktion der internationalen Gemeinschaft – nicht nur auf die Verletzungen des humanitären Völkerrechts in der Ukraine. Er macht zugleich deutlich, dass technologische, regulatorische und sicherheitspolitische Maßnahmen notwendig sind, um den Herausforderungen der sich wandelnden Konflikte zu begegnen, in denen unbemannte Luftfahrtsysteme zunehmend die Kriegsführung prägen und eine erhebliche Bedrohung für Zivilpersonen darstellen.

Der gesamte englischsprachige Bericht ist frei zugänglich auf der Website von Truth Hounds unter: https://truth-hounds.org/en/cases/killzone-how-russian-drones-are-devastating-the-river-dnipros-right-bank/.

Lesetipps / Bibliographie

Truth Hounds: Killzone: How Russian Drones Are Devastating the River Dnipro’s Right Bank, 2025. https://truth-hounds.org/en/cases/killzone-how-russian-drones-are-devastating-the-river-dnipros-right-bank/

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Analyse

Drohnenkrieg in der Ukraine: Das Zusammenspiel von High- und Low-Tech

Von Olena Kryzhanivska
Seit Beginn des russisch-ukrainischen Krieges prägen unbemannte Systeme zunehmend die militärischen Operationen an Land, in der Luft und zur See. Auch wenn Drohnen bislang keinen entscheidenden militärischen Durchbruch herbeigeführt haben, sind sie für das nationale Überleben der Ukraine unverzichtbar geworden. Trotz der Erwartungen an rasante, KI-getriebene Innovationen bleibt die massenhafte Produktion fortgeschrittener Systeme mit Stand von Sommer 2025 begrenzt. Im Gegensatz dazu haben Low-Tech- FPV-Drohnen (First-Person-View) eine deutliche Wirkung auf dem Schlachtfeld entfaltet. Ihre Rolle unterstreicht das dynamische Zusammenspiel von High- und Low-Tech-Lösungen in der modernen Kriegsführung.
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