Kirgistan ist anders? Anmerkungen zur Präsidentenwahl am 15. Oktober 2017

Von Beate Eschment

In Kirgistan wurde am 15.10.2017 mit Sooronbaj Dscheenbekow ein neuer Präsident gewählt – ohne dass am Vortag bekannt gewesen wäre, wer gewinnt! Viele Beobachter waren sogar noch davon ausgegangen, dass ein zweiter Wahlgang nötig werden würde. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird damit im Dezember ein verfassungsgemäß von der Bevölkerung gewählter Präsident sein Amt, für das er nicht wieder kandidieren durfte, an einen ebenso demokratisch gewählten Nachfolger übergeben. (Die Vorgängerin des jetzigen Präsidenten, Rosa Otunbajewa, war nach dem Sturz Kurmanbek Bakijews 2010 nicht per Wahl, sondern durch ein Referendum von der Bevölkerung für ein Jahr zur Übergangspräsidentin bestimmt worden.) Durch beide Phänomene unterscheidet sich Kirgistan deutlich nicht nur von seinen zentralasiatischen Nachbarn, sondern auch von vielen anderen Staaten im eurasischen Raum.

Der Wahlausgang ist insofern überraschend, als noch im Frühjahr 2017 niemand mit einem Sieg Dscheenbekows gerechnet hätte. Der 58jährige Politiker der Sozialdemokratischen Partei Kirgistans stammt aus einem Dorf im Gebiet Osch. Er war unter Präsident Bakijew Landwirtschaftsminister, später Gouverneur von Osch, bevor er im April 2016 Premierminister wurde. Im August 2017 trat er nach seiner Zulassung zur Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen zurück. Er gilt als Vertrauter, manche sagen auch Protegé oder Marionette, des noch amtierenden Präsidenten Atambajew. Mit wenig Charisma ausgestattet, gilt er eher als guter Manager, denn als Leitfigur. Im Wahlkampf wie auch in ersten Stellungnahmen nach der Wahl versprach er die Fortsetzung der Politik seines Vorgängers.

Neben Dscheenbekow hatten sich im Frühsommer weitere 58 Personen bei der Zentralen Wahlkommission um die Zulassung zur Kandidatur bei den Wahlen beworben. Nachdem einige ihre Bewerbung selber zurückgezogen hatten und die Kommission viele andere wegen Nichterfüllung der gesetzlichen Bedingungen (erfolgreicher Kirgisisch-Sprachtest, keine Vorstrafen, die Vorlage von 30.000 Unterschriften von Unterstützern etc.) abgewiesen hatte, standen zum offiziellen Beginn des Wahlkampfs am 10.9. 13 Kandidaten fest. Zwei von ihnen zogen dann noch ihre Kandidatur zugunsten anderer Kandidaten zurück. Als Favorit startete Omurbek Babanow, 47, Geschäftsmann und einer der reichsten Männer Kirgistans, in den Wahlkampf. Auch er war schon einmal, zu Beginn der Amtszeit Atambajews, von Dezember 2011 bis September 2012 Premierminister und ist Abgeordneter der Partei von ihm gegründeten Partei Respublika (zwischenzeitlich vereint mit Ata-Dschurt). Für die Präsidentschaft bewarb er sich allerdings als Selbstnominierter. Obwohl er viel Geld in seinen Wahlkampf investieren konnte, gelang es ihm u. a. deshalb nicht die Wähler zu überzeugen, weil er sich nicht ausdrücklich als Gegenkandidat zur gegenwärtigen Führung positionierte.

Ohne Zweifel hatten die mehr als 3 Mio. Wähler am 15.10. also eine echte Wahl. Zwar wurde schon im Vorfeld von versuchtem Stimmenkauf in Osch berichtet und die OSZE/ODIHR-Mission monierte in ihrer vorläufigen Stellungnahme beispielsweise örtliche Probleme bezüglich einer geheimen Stimmabgabe oder bei der Auszählung der Stimmen, doch wird das Ergebnis dadurch nicht infrage gestellt.

Der mit 33,42 % der Stimmen zweitplatzierte Kandidat Babanow hat zwar Benachteiligungen während des Wahlkampfs kritisiert, das Ergebnis aber anerkannt. In seiner Heimat, im Gebiet Talas, wo er mehr als 85 % der Stimmen bekommen hatte, demonstrierten am Tag nach der Wahl mehrere Hundert Menschen für eine Annullierung des Ergebnisses. Sie stellten ihren Protest aber offensichtlich ein nachdem Babanow sich öffentlich von ihnen distanziert hatte. Adachan Madumarow von Butun-Kyrgyzstan, der mit 6,49 % der Stimmen Drittplatzierte, hat alle Unzufriedenen aufgefordert, aufzustehen und sich zusammenzuschließen. Eine größere Reaktion scheint aber eher unwahrscheinlich, da die Bevölkerung von Unruhen aller Art genug hat und Politiker immer mehr als Mitglieder einer abgeschotteten Elite wahrnimmt.

Es sieht also so aus, als ob das politische Kirgistan nun wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Allerdings hat der Wahlkampf ungute Belastungen für die nahe Zukunft hinterlassen: Schon seit Jahresbeginn, vor allem aber in den allerletzten Wochen vor der Wahl, haben Stil und Ton der politischen Auseinandersetzung eine bedenkliche, die innere wie äußere Stabilität gefährdende Form angenommen. Das begann schon mit der Verhaftung des einflussreichen Ata-Meken-Führers Omurbek Tekebajew im Frühjahr (und seiner Verurteilung zu acht Jahren Haft wegen Korruption im August). Kritische Medien und Journalisten wurden zunehmend mit Klagen überzogen und verfolgt. Und es gipfelte in der Festnahme des Abgeordneten Kanatbek Isajew, eines Unterstützers Babanows, am 30.9. wegen des Verdachts, Unruhen für den Fall, dass Babanow nicht gewählt wird, vorzubereiten. Als sich immer mehr abzeichnete, dass die Wahl auf eine Art Zweikampf zwischen dem vom Präsidenten und der Administration unterstützten Dscheenbekow und Babanow hinauslief, verschärfte sich der Ton zwischen beiden Seiten. Persönliche Diskreditierung und nicht politische Argumente wurden zum wichtigsten Mittel des Wahlkampfs. Neben Unterstützung durch »administrative Ressourcen« (d. i. Druck auf Staatsbedienstete und Studenten für Dscheenbekow zu stimmen, Berichterstattung der staatlichen Medien pro Dscheenbekow) sah sich vor allem Präsident Atambajew offenbar immer weniger in der Rolle des neutralen Staatsoberhauptes, sondern unterstützte »seinen« Kandidaten Dscheenbekow unüberhörbar. Besonders bedenklich erscheint, dass er dabei eine Belastung des zwischenstaatlichen Verhältnisses zu Kasachstan in Kauf nahm. Das bislang immer freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Staaten erreichte im Oktober, befördert von Atambajews Wahlkampfaussagen, einen völlig unnötigen Tiefpunkt. Auslöser des Konfliktes war, dass der kasachstanische Präsident Nursultan Nasarbajew Mitte September, also schon während des offiziellen Wahlkampfes in Kirgistan, den Kandidaten Babanow empfangen hatte. Auf einen kirgisischen Protest wegen Einmischung in innere Angelegenheiten reagierte man in Astana mit Ablehnung, woraufhin Atambajew beispielsweise öffentlich erklärte, Kasachstan werde von korrupten Sultanen regiert, die das Land ausplündern. Die kasachstanischen Behörden beschlossen daraufhin nicht nur, keine Wahlbeobachter nach Kirgistan zu entsenden, sondern richteten auch wegen der »Sicherheitsgefährdung durch die kirgisischen Wahlen« verstärkte Kontrollen an der gemeinsamen EEU-Binnengrenze ein, die zu stundenlangen Wartezeiten führten – Kirgistan wiederum lehnte fest vereinbarte kasachstanische Unterstützungszahlungen ab …

Dscheenbekow, der mit 54,3 % der Stimmen das bislang niedrigste Ergebnis bei einer Präsidentenwahl in Kirgistan für sich verbuchen konnte, muss jetzt also innen- wie außenpolitisch die Scherben des Wahlkampfs beseitigen, bevor er sich der Lösung der eigentlichen und zweifellos erheblichen Probleme Kirgistans widmen kann. Der Preis für die Andersartigkeit des Landes (?)

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