Auf der englischen Version der offiziellen Website von Aschgabat ist über die Geschichte der Stadt zu lesen: »Mit der Unabhängigkeitserklärung Turkmenistans begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte von Aschgabat. Aschgabat hat sich seitdem in hohem Tempo zu einer qualitativ anderen Stadt entwickelt – rasch wurde eine umfassende Infrastruktur geschaffen und das Erscheinungsbild der Stadt verbesserte sich im Laufe weniger Jahre deutlich. (…) In Aschgabat weht ein frischer Wind und die Stadt erreicht in vieler Hinsicht Weltstandard; unser Präsident Gurbanguly Berdymuchammedow hat dafür viel geleistet. Die Veränderungen sind das Ergebnis seines politischen Willens, seiner Diplomatie, seiner enormen organisatorischen Fähigkeiten und seiner ständigen Aufmerksamkeit für die Probleme der Hauptstadt und natürlich für die Architektur. Die Liebe aller Einwohner Aschgabats zu ihrer Heimatstadt wird immer in ihren Herzen wohnen. Es ist ein starkes [Zeugnis] des Erfolgs, dass die Stadt alle Schwierigkeiten überwinden und selbstbewusst in die Zukunft schreiten wird.«
Die Regierung von Turkmenistan hat tatsächlich viel Wert auf die Schaffung eines pompösen Aschgabat-Bilds gelegt – die Investitionen in die Umgestaltung der Stadt sind keinesfalls nur hochtrabende Rhetorik. Warum ist das so? Warum hatte der ehemalige Präsident Saparmurat Nijasow so ein großes Interesse daran, eine Stadt aus weißem Marmor am Rande der Karakum-Wüste zu bauen? Und warum hat sein Nachfolger Gurbanguly Berdymuchammedow die pompöse Entwicklung der Hauptstadt fortgeführt, trotz der weit verbreiteten Armut in den ländlichen Regionen Turkmenistans?
Viele ausländische Beobachter bescheinigen den führenden turkmenischen Regierungsmitgliedern sehr schnell, komplett irrational zu handeln. Die Antworten auf die genannten Fragen erweisen sich jedoch als durchaus logisch, nimmt man sich die Zeit, die Schichten der komplexen politischen Struktur des Landes abzutragen. Die beträchtlichen finanziellen Anreize, die mit der Transformation Aschgabats im Sinne der ikonischen Architektur einhergehen, können in diesem kurzen Kommentar nicht behandelt werden. De facto profitieren Eliten in ganz Zentralasien in hohem Maße von groß angelegten Stadtentwicklungen; die Bedeutung von Ideologie sollte dabei aber nicht unterschätzt werden; sie ist auch ein Schlüssel zum Verständnis der monumentalen Logik des ikonischen Charakters von Aschgabat.
Monumentalität und Moderne
Die Veränderung des baulichen Erscheinungsbilds von Aschgabat war eines der ersten Projekte, die Saparmurat Nijasow, der erste Präsident Turkmenistans, in Angriff nahm. Er und sein Team aktualisierten die Sowjettradition der monumentalen Stadtplanung im Sinne der Ära der Unabhängigkeit, indem sie den sehr bekannt gewordenen Auftrag vergaben, alle Gebäude der sowjetisch standardisierten Hauptstadtlandschaft von Aschgabat mit weißem Marmor zu verkleiden. Nijasow war bewusst, dass die einheitlichen Fassaden der Stadt eine dramatische Ausstrahlung verleihen würden – und dass diese in der postsowjetischen Periode von opulenter Natur und verglichen mit den grauen Betonblocks, dem Markenzeichen des post-stalinistischen Sowjetwohnungsbaus, optisch überwältigend sein würde. Das vielleicht dramatischste Element der Stadt ist jedoch ihr Grad an Leere und Verlassenheit, der in starkem Kontrast zur umfangreichen Stadtentwicklung und Bautätigkeit der letzten Jahre steht. Die neuen Stadtviertel sind größtenteils frei vom Chaos der Straßenhändler, des Verkehrs und der Fußgänger. Enorme Distanzen zwischen riesigen Gebäuden und breite, mehrspurige Straßen machen Aschgabat zu einer auf Autos orientierten Großstadt, in der Fußgänger und ein lebhaftes Straßenleben nicht willkommen sind.
Natürlich gibt es auch große Gebiete, die dem monumentalen Image der Hauptstadt nicht entsprechen. Diese Räume mitsamt ihrer Lebendigkeit einer weniger geplanten Stadt gelten als der modernen neuen Hauptstadt nicht »wirklich« zugehörig und werden stattdessen als inoffizielle Entwicklungen oder Überreste der alten städtischen Struktur der Sowjetzeit betrachtet und als moralisch überholt bezeichnet – obgleich (oder vielleicht weil) diese Räume von den ganz normalen Einwohnern der Stadt bewohnt werden, die hier ihr tägliches Leben verbringen.
Die monumentalen neuen Hochglanzbilder der Stadtlandschaft von Aschgabat werden dagegen als Beleg für Turkmenistans Fortschritt und Modernität in einer Zeit inszeniert, die offiziell als »Ära von Macht und Glück« tituliert wird. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt sind solche Behauptungen wichtig, da sie Beamten und Bürgern die Gelegenheit geben, vorgefertigte Lobreden vorzutragen über die angebliche Fürsorge der Regierung und ihre Fähigkeit, das Land zu modernisieren.
Die Stadt als Symbol
Die vom Regime beförderten Narrative über Aschgabat basieren auf einem Set von ineinander verzahnten räumlichen und zeitlichen Imaginationen, die die Stadt als Symbol positionieren – als mikrokosmisches Symbol dafür, wie gut es Turkmenistan im Vergleich zu seinen Nachbarn ergangen ist. Die zahlreichen offiziellen Diskurse, die Aschgabats Erfolg und Schönheit preisen, werden die Bürger häufig auch an die Armut und Unordnung, die in anderen Hauptstädten in der Region – etwa in Duschanbe oder Bischkek – vorherrschen, erinnert sowie an die extremen Härten in der Periode des Bardak (Chaos) in den 1990er Jahren, als sich der Übergang zur Unabhängigkeit vollzog. Den turkmenischen Bürgern werden häufig Bilder von Aschgabat vorgeführt, die zeigen, dass sich das Land in einer viel besseren Lage als seine ärmeren Nachbarn befindet, die auf klägliche Weise der sowjetischen Vergangenheit verhaftet seien.
Diese Darstellung von Hauptstädten als Indikator für den Fortschritt ganzer Länder soll bei den Menschen den Glauben hervorrufen, dass sie die Ergebnisse der von ihren postsowjetischen Führungspersonen mit wohlwollend starker Hand ausgeführten Entwicklungsprogramme konkret sehen könnten. Diese Sicht ist keine apolitische, sondern wurde von den politischen Eliten strategisch koordiniert und angeleitet. Aschgabat als Symbol ist eine politische Metapher, doch, wie Michael Mann in seinem 2004 erschienenen Buch »Fascists« betont: »In der Politik regiert die kleinstmögliche noch überzeugende Plausibilität – niemals ein höherer auf die Wahrheit bezogener Standard.« Im heutigen Turkmenistan erscheint das Symbol deutlich weniger plausibel als in den vergleichbaren Fällen Astana (Kasachstan) oder Baku (Aserbaidschan).
Wie dem auch sei – wenn Eliten ein Bild von ihren Städten als Wohlstandsikonen des Staates zeichnen, präsentieren sie gleichzeitig sich selbst als wohltätig. Wer außer einer großzügigen und fürsorglichen Führungsfigur würde so hart arbeiten, um eine schöne neue Hauptstadt für die Bürger zu schaffen? Das paternalistische Bild vom wohltätigen Staat besteht aus einer Reihe entwicklungspolitischer Regime, deren Legitimität sich auf das Ziel bezieht, eine gewisse politische Ordnung oder Nation oder eine andere imaginierte Gemeinschaft in Richtung Fortschritt voranzubringen. Während außenstehende Beobachter die Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit, die dem Spektakel in Aschgabat innewohnen, ohne weiteres wahrnehmen können, spricht die Idee der »Modernität«, die über die monumentalen urbanen Landschaften inszeniert wird, Autokraten häufig genau deshalb an, weil sie vage ist. Ihre nebulöse Natur ist die Quelle ihrer Macht: Personen, die sich in der Position befinden, Modernität definieren zu können, sind auch in der Lage, die Agenda der jeweils vorhandenen Gruppe zu definieren. Aus diesem Grund dominieren Führungsfiguren wie die im heutigen Turkmenistan nicht nur die Gegenwart, sondern kolonisieren in sehr aktiver Weise auch die Zukunft.
Aus dem Englischen von Sophie Hellgardt