Die Wirtschaftskrise in Turkmenistan stärkt die Rolle des Präsidenten-Clans

Von Slavomír Horák (Prag)

Die turkmenische Wirtschaft sieht sich nach einer von offiziellen Pressemeldungen begleiteten Phase schnellen Wachstums von 6–8 % pro Jahr nun mit einer Wirtschaftskrise konfrontiert, die öffentlich seltener kommentiert wird. Das Land ist noch immer stark vom Öl- und Gasexport abhängig und leidet dementsprechend unter dem weltweiten Preisverfall seit 2013/14. Außerdem wandert ein immer größerer Teil der Exporteinnahmen in die Hände »der Familie«, wie eine Clan ähnliche, aus Verwandten des Präsidenten sowie ihm nahestehenden Unternehmern bestehende, Gruppierung genannt wird. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der letzten Jahre führten zu einem steigenden Einkommen des »Clans«, während Staatsausgaben sowie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise die turkmenische Bevölkerung belasten.

Kaum Informationen

Es ist nahezu unmöglich auch nur die ungefähre Höhe des turkmenischen Haushalts zu ermitteln. Das Finanzministerium (seit Oktober 2017: Finanz- und Wirtschaftsministerium) veröffentlicht bis auf die Gesamteinnahmen und -ausgaben keinerlei Zahlen. Nach offiziellen Angaben betrug der Staatshaushalt im letzten Jahr etwa 27,2 Mrd. US-Dollar, was 11,2 Mrd. US-Dollar zum damaligen Schwarzmarktkurs entspricht, zum aktuellen Schwarzmarktkurs noch weniger. Über die Budgets einzelner staatlicher Organisationen und Unternehmen gibt es keine Informationen. Außerdem werden staatliche Zahlungen über etliche nicht zum Staatshaushalt gehörige Fonds und Organisationen abgewickelt, deren Vermögen streng geheim ist. Weiterhin sind auch grundlegende Wirtschaftsdaten entweder nicht öffentlich zugänglich oder erscheinen unzuverlässig bzw. unwahrscheinlich. Angesichts dieser Lage kann über die tatsächliche Situation der turkmenischen Wirtschaft nur spekuliert werden. Anhand etlicher indirekter Indikatoren können die Wirtschaftskrise und ihre Folgen jedoch umrissen werden.

Finanzkrise

In den letzten drei Jahren wurden Devisengeschäfte immer stärker eingeschränkt. So hat ausschließlich die Elite Zugang zu Devisen, etwa zum Kauf und Verkauf von US-Dollar oder anderen Währungen, und auch der Transfer von Geld nach und vor allem aus Turkmenistan heraus wurde stark beschränkt. Tausende von Studierenden an Bildungseinrichtungen außerhalb Turkmenistans (die beliebtesten Länder sind die Türkei mit 10.000 und Belarus mit etwa 8.000 turkmenischen Studierenden), Arbeitsmigranten außerhalb Turkmenistans (die meisten von ihnen in der Türkei) oder grenzüberschreitend pendelnde Händler und Unternehmer hatten zunehmend Probleme, im Ausland mit ihren in Turkmenistan ausgegebenen Karten Geld abzuheben. Gleichzeitig werden aus dem turkmenischen Haushalt pompöse Projekte finanziert, wie etwa neue Prachtbauten in Aschgabat, ein neuer (und weitgehend ungenutzter) Flughafen oder, ein Beispiel aus der jüngsten Zeit, neue Gebäude für die »Asian Indoor and Martial Arts Games«, die im September 2017 in Aschgabat stattfanden und deren Kosten fast die Dimension Olympischer Spiele erreichten. Die Gelder für die Bauprojekte gingen häufig zu Lasten der Ausgaben des Staatshaushalts für die breitere Bevölkerung.

Fehlende Exporteinnahmen

Diese Einsparungen kompensieren fehlende Deviseneinnahmen aus dem Erdgasexport. Schätzungen zufolge (die genauen Zahlen sind geheim) stammen etwa 80 % der turkmenischen Exporteinnahmen aus dem Export von Erdgas. Diese extreme Abhängigkeit hat die Wirtschaftskrise verschärft – nicht nur wegen der gefallenen Weltmarktpreise für Öl und Gas, sondern auch weil Turkmenistan nicht in der Lage war, sein Gas ins Ausland zu verkaufen. Seine ehemals größten Kunden – Russland und Iran – haben den Gasimport aus Turkmenistan aus verschiedenen Gründen eingestellt. Teilweise wird das turkmenische Gas nicht mehr benötigt (im Falle Russlands), teilweise gab es Streit zwischen Turkmenistan und seinen russischen und iranischen Partnern über Preise, angebliche oder tatsächliche Zahlungsrückstände und technische Lieferdetails.

Das bedeutet, dass der einzige Weg für turkmenisches Gas ins Ausland derzeit nach China führt. Die chinesischen Unternehmen haben jedoch Anspruch auf Rückzahlungen für ihre umfangreichen Investitionen in Turkmenistan sowie für den Bau des Gaspipelinesystems von Zentralasien nach China. Außerdem muss Turkmenistan die Kredite zurückzahlen, die chinesische Banken zur Erkundung von Gasfeldern und die Aufnahme der Förderung gewährt haben. Damit haben chinesische Unternehmen eine starke Verhandlungsposition gegenüber Turkmenistan. Der Exportpreis für China ist inoffiziellen Quellen zufolge weit niedriger als der für die Lieferungen nach Russland und in den Iran.

Allem Anschein nach fließen die Exporteinnahmen zudem nur teilweise in den Staatshaushalt. Die Kontrolle über den Energieexport und damit über die wichtigste Einnahmequelle des Landes lag bei der eigens dafür zuständigen Staatlichen Agentur für die Verwaltung und Nutzung der Kohlenwasserstoffressourcen, die unter direkter Kontrolle des Präsidenten stand und bis 2016 von seinen Verwandten geleitet wurde. Mittlerweile sind die Staatskonzerne »Turkmengaz« und »Turkmennebit« (TurkmenÖl) zuständig, die aber ebenfalls von Verwandten des Präsidenten kontrolliert werden.

Die Rolle des Familien-Clans

Die »Familie« trägt wesentlich zur Wirtschaftskrise in Turkmenistan bei. Verwandte des Präsidenten monopolisieren den Import von Gütern, vor allem den der rentabelsten, etwa Lebensmittel und Konsumgüter, aber auch Schmuck und Luxusartikel. Anders als Unternehmer, die nicht zum engeren Kreis gehören, leidet die »Familie« nicht unter einem beschränkten Zugang zum Devisentausch und ihre Unternehmen können die ansonsten komplizierten Zollabfertigungen und Gesundheitskontrollen umgehen – von undurchsichtigen Steuerzahlungen ganz zu schweigen.

Im Zuge der Monopolisierung des lokalen Markts hat die »Familie« auch verschiedene ausländische Unternehmen vom turkmenischen Markt verdrängt. Die Schließung des beliebten türkischen Einkaufszentrums »Yimpash« in Aschgabat (dessen Abriss angeblich geplant ist) und das ersatzweise errichtete und im Besitz der Familie befindliche Einkaufszentrum »Berkarar« ist einer der eindeutigsten Fälle. Einige ausländische und nicht der Familie zugehörigen Unternehmen haben außerdem mit Zahlungsrückständen von »Familien«-Unternehmen zu kämpfen, die auf Bauprojekte und andere Lieferungen und Leistungen zurückgehen. Sie gerichtlich einzuklagen ist nahezu unmöglich, da das Justizwesen komplett zugunsten der »Familie« arbeitet. Die Bestechungssumme nur für den Zugang zum Präsidenten liegt in der Regel bei etwa 15 % des vertraglich festgelegten Preises (was selbst über das Niveau in anderen autoritären Regimen hinausgeht). Jedes Projekt kalkuliert bis zu 50 % Bestechungsgelder für den Präsidenten und seine Familie ein. Diese Praktiken haben ausländische Investoren weitestgehend aus Turkmenistan vertrieben, so dass die »Familie« den lokalen Markt in weiteren Bereichen monopolisieren konnte.

Ausblick

Der turkmenische Präsident und seine Familie kontrollieren zwar die wichtigsten Bereiche der turkmenischen Wirtschaft – ihre Einnahmen und ihr räuberisches Verhalten können sie in Zukunft dennoch nur aufrechterhalten, wenn weitere restriktive Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung ergriffen werden. Gleichzeitig ist die in offiziellen Stellungnahmen proklamierte Diversifizierung der turkmenischen Wirtschaft ohne ausländische Investitionen kaum möglich, denn die Familie ist zu groß angelegten Investitionen im eigenen Land nicht in der Lage. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen verschlechtern sich tendenziell, so dass auch langfristig orientierte ausländische Investoren gezwungen sind, das Land zu verlassen. Die Gaspreise auf dem Weltmarkt sind instabil und Turkmenistan ist in hohem Maße vom Erdgasexport nach China abhängig.

In der Konsequenz ist davon auszugehen, dass sich die Lage der turkmenischen Wirtschaft in nächster Zeit weiter verschlechtert. Dies könnte sogar die ansonsten ruhige, geduldige und eingeschüchterte turkmenische Gesellschaft in Unruhe versetzen (möglicherweise von außen provoziert). Für diesen Fall ist anzunehmen, dass die Familie eine Strategie entwickelt, um sich ins Ausland abzusetzen – und dass sie das Land mit wenig Ressourcen zum Überleben zurücklässt.

Aus dem Englischen von Sophie Hellgardt

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