Dem Untergang geweiht? Die Wahrnehmung der Europäischen Union in Zentralasien im Wandel

Von Zhanibek Arynov (St. Andrews)

Zusammenfassung
2018 ist es ein Vierteljahrhundert her, dass die Europäische Union und die zentralasiatischen Staaten diplomatische Beziehungen aufgenommen haben. Obwohl die EU in diesem Zeitraum ihre Präsenz in der Region quantitativ wie qualitativ stetig ausgebaut hat, ist sie nach wie vor kein einflussreicher Akteur in Zentralasien. Verglichen mit anderen externen Mächten, insbesondere Russland, China und den USA, ist der politische und wirtschaftliche Einfluss Europas beschränkt. Doch hat Brüssel den anderen Akteuren gegenüber einen relativen Vorteil: Die EU wird als Wohltäter wahrgenommen und hat ein sehr positives Image. Gerade aus ihrem »Softpower«-Ansatz und ihrer Anziehungskraft bezieht die EU ihre Stärke – doch haben diese Vorzüge zuletzt stark an Bedeutung verloren. Um einer Beschädigung ihres Ansehens entgegen zu treten und ihr positives Image zu bewahren, sollte die EU im Zusammenhang mit der Ausarbeitung ihrer neuen Zentralasienstrategie entsprechende Maßnahmen in Erwägung ziehen.

Im Februar 2018 haben die Europäische Union (EU) und die Staaten Zentralasiens feierlich den 25. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen begangen. Die EU nahm ihr Engagement in der Region bereits Anfang der 1990er Jahre auf, nachdem die fünf zentralasiatischen Republiken nach der Auflösung der Sowjetunion ihre Unabhängigkeit erlangt hatten. Ihr Hauptziel während der 1990er Jahre war es, die jungen Staaten beim Übergang zu Marktwirtschaft und Demokratie zu unterstützen. 1993 eröffnete die Union in Almaty (Kasachstan) ihr erstes Büro in der Region. Schon in den 1990er Jahren schloss sie Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PCA) mit Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan, Tadschikistan folgte 2004. Außerdem profitierten die zentralasiatischen Staaten von verschiedenen EU-Programmen; das wichtigste Instrument war TACIS (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States). Doch hielt sich die Aufmerksamkeit der Union für Zentralasien in den 1990er Jahren in Grenzen, denn Brüssel war mit europäischen Themen beschäftigt: der institutionellen Umgestaltung der EU, der deutschen Wiedervereinigung, den politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozessen in den Ländern Mittel- und Osteuropas sowie mit der Instabilität auf dem Balkan nach dem Zerfall Jugoslawiens. Vor diesem Hintergrund war Zentralasien eine weit entfernte Region, in der Brüssel keine unmittelbaren Interessen hatte.

Das änderte sich zu Beginn des neuen Jahrtausends. Erstens lenkten der Anschlag vom 11. September 2001 und die anschließende internationale militärische Intervention die Aufmerksamkeit der EU nicht nur auf Afghanistan, sondern auch auf die angrenzenden postsowjetischen Staaten. Zweitens ließen die EU-Erweiterungen von 2004 und 2007 Zentralasien näher an die Union heranrücken. Die fünf Länder waren nicht länger abgelegen, sondern wurden zu »Nachbarn unserer Nachbarn«. Und schließlich betrachtete die EU die kaspischen Staaten in Reaktion auf den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine Mitte der 2000er Jahre zunehmend als Länder, die potentiell zur Diversifizierung des Energiesektors der EU beitragen könnten. Alle diese Faktoren motivierten die EU, der Region mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aber nicht nur das Interesse an Zentralasien nahm zu. Der Fokus der Union verlagerte sich auch inhaltlich von den Themen Marktwirtschaft und Demokratie hin zu Sicherheitsfragen – Sicherheit und Stabilität der zentralasiatischen Länder (und Afghanistans) und Energiesicherheit für Europa.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung Zentralasiens rief die EU 2007 ihre »Strategie für eine neue Partnerschaft« mit den zentralasiatischen Staaten (Zentralasienstrategie) ins Leben. Die Annahme dieses strategischen Dokuments wurde allgemein als echter Durchbruch in den Beziehungen zwischen der EU und Zentralasien bewertet – als Beginn einer neuen, möglicherweise besseren Phase der Zusammenarbeit. Unter anderem richtete die EU drei weitere Büros in Bischkek, Duschanbe und Taschkent ein; sie etablierte neue Formate für Dialog und Kooperation und stockte ihre finanzielle Unterstützung für die Region beträchtlich auf (von 750 Mio. Euro im Zeitraum 2007–2013 auf 1 Mrd. Euro für die Jahre 2014–2020). Trotz der Kritik externer Beobachter betonte die EU selbst stets die Richtigkeit der Ziele und Inhalte ihrer Zentralasienstrategie. Zehn Jahre nach Annahme des ersten Dokuments wurde dann in den Beschlüssen des Rats von 2017 die Ausarbeitung einer neuen Strategie für Zentralasien gefordert. Es wird erwartet, dass das neue Dokument, das in der zweiten Jahreshälfte 2019 verabschiedet werden soll, die veränderten Rahmenbedingungen in der EU wie in Zentralasien berücksichtigen wird.

Im Laufe der 25-jährigen Zusammenarbeit ist das Engagement der EU in Zentralasien stetig gewachsen. Obwohl sich das Profil der Union allmählich sowohl quantitativ als auch qualitativ verbessert hat, gehört die EU nach wie vor nicht zu den einflussreichen Akteuren in der Region. Viele Beobachter meinen, dass es der Politik der EU immer noch an einer strategischen Vision fehlt, an verfügbaren Ressourcen, Einheitlichkeit und Sichtbarkeit. Verglichen mit früheren Jahren hat das EU-Engagement zugenommen, es ist jedoch nicht vergleichbar mit dem der Großmächte in der Region, vor allem Russland und China. Die Union kann weder mit der historischen Rolle Russlands und seinem politischen Gewicht noch mit dem wirtschaftlichen Einfluss Chinas konkurrieren. Obwohl die EU selbst immer wieder Konkurrenzdenken in ihrer Politik abstreitet, führen einige der Ziele ihrer Politik (z. B. Demokratisierung, Energiesicherheit) doch unvermeidlich zu Interessenkonflikten mit Russland und China. Auch wenn die EU sich nicht an einem »Great Game« [Rivalität zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien im 19. Jh., Anm. d. Übers.] beteiligen will, wird es immer eine gewisse Konkurrenz zwischen diesen Akteuren geben.

Der relative Vorteil der Europäischen Union

Die Europäische Union spielt in Zentralasien nicht die Rolle einer Großmacht und hat auch keine diesbezüglichen Absichten. Wie ein in Zentralasien tätiger europäischer Diplomat in einem Gespräch mit mir einmal sagte: Großmacht zu sein bzw. als solche wahrgenommen zu werden, würde Misstrauen gegenüber Brüssel und Ängste vor den Plänen der EU schüren. In der Tat hat die EU in Zentralasien gegenüber stärkeren und selbstbewussteren Akteuren aufgrund ihres positiven Images ganz klar einen relativen Vorteil, denn sie wird als Wohltäter wahrgenommen. Besonders deutlich ist dies in Kasachstan und Kirgistan.

Die Einstellung gegenüber den Vereinigten Staaten in den zentralasiatischen Staaten ist bekanntermaßen überwiegend negativ. Der Antiamerikanismus in der Region ist seit den frühen 2000er Jahren aufgrund der amerikanischen Militäroperationen in Afghanistan und im Irak und wegen der »Farbrevolutionen« in mehreren postsowjetischen Staaten gewachsen. Washington ist heute weit davon entfernt, als bevorzugter und vertrauenswürdiger Akteur wahrgenommen zu werden. Auch die Sinophobie ist in fast allen Ländern Zentralasiens weiterhin stark ausgeprägt. China wird oft in negativen, stereotypen Bildern und Mythen gesehen. Diese negative Wahrnehmung nimmt mit dem wachsenden Einfluss Chinas in der Region stetig zu. Die Proteste gegen die Novellierung des Bodengesetzbuchs in Kasachstan 2016 [die sich gegen längere Pachtverträge für Ausländer richteten, Anm. d. Übers.] sind exemplarisch für diese antichinesische Stimmung in Zentralasien. Was Russland betrifft, so ist die Mehrheit der Öffentlichkeit zwar weiterhin Moskau wohlgesonnen, doch besteht Grund zur Annahme, dass dieses positive Image angesichts des Konflikts mit der Ukraine allmählich Risse bekommt. Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Konflikt in einzelnen Segmenten der Gesellschaften der Staaten Zentralasiens Misstrauen und Furcht vor Russland hervorgerufen hat. Dieses Misstrauen kommt in der breiten Öffentlichkeit nicht sehr zum Vorschein, aber in den mehr als 80 Interviews, die ich 2015 und 2016 in Kasachstan und Kirgistan mit Politikern, Experten, Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft geführt habe, kam es klar zum Ausdruck.

Verglichen mit diesem Meinungswandel ist die Wahrnehmung der EU in den meisten Staaten Zentralasiens auch weiterhin relativ positiv. So zeigte beispielsweise das Integrationsbarometer (eine Erhebung im Auftrag der Eurasischen Entwicklungsbank) im Jahr 2017, dass einzelne EU-Mitgliedsstaaten (Großbritannien, Deutschland und Frankreich) nur von weniger als 3 % der Befragten in Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan als »feindselig« eingestuft wurden. Das ist nur mit Russland vergleichbar: seine Bewertungen als »feindselig« lagen in Kasachstan und Tadschikistan bei 2 % und in Kirgistan bei 0 %. Im Gegensatz dazu erreichten die USA mit 17 %, 22 % und 8 % in Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan bedeutend höhere Werte. Das gilt auch für die Wahrnehmung Chinas, hier nahmen 15 %, 11 % und 2 % der Befragten das Land als feindselig war. Auch die Meinungsumfragen des US-amerikanischen International Republican Institute (IRI) in Kirgistan zeigen nur ein geringes Bedrohungsgefühl gegenüber der EU. 2017 sahen nur 13 % der Befragten die EU als Bedrohung für Kirgistan an – im Gegensatz dazu betrugen die entsprechenden Werte für die USA 45 %, für China 37 % und für Russland 6 %.

Außerdem zeigen die Interviews mit Vertretern der politischen und gesellschaftlichen Elite in Kasachstan und Kirgistan, dass die EU bei diesen gesellschaftlichen Gruppen ein recht positives Image hat. Brüssel wird als »wohlwollender« internationaler Akteur anerkannt, der keine politische oder wirtschaftliche Bedrohung darstellt. Man vertraut der EU und möchte, dass sie in Zentralasien eine größere Rolle spielt. Und man bewundert den Wohlfahrtsstaat in den europäischen Ländern, ihre Kultur, Geschichte und »Standards«. In diesem Kontext wurde in Kasachstan und Kirgistan oft die Forderung laut, dass die beiden Länder sich in Richtung des europäischen Entwicklungsmodells bewegen sollten, um Teil eines größeren Europa zu werden. Tatsächlich haben die von mir interviewten Vertreter der Elite häufig die Meinung geäußert, dass Kasachen bzw. Kirgisen in ihrer Mentalität und in ihrem grundsätzlichen Zugehörigkeitsgefühl eher europäisch als asiatisch seien. Interessant war auch zu beobachten, dass sogar die Idee des »Eurasismus« (weder europäisch noch asiatisch zu sein, sondern vielmehr ein Brückenglied zwischen beiden), die in offiziellen Diskursen eifrig propagiert wird, bei den Befragten offenbar wenig Unterstützung fand. Das gleiche gilt für die Eurasische Wirtschaftsunion, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen »eurasischen« Ländern vorantreiben soll. Stattdessen wurde von der Mehrheit der Meinungsführer und Experten Europa als »Leitstern« und als Zielvorstellung für ihre Länder gesehen. Die generell positive Wahrnehmung der Europäischen Union ist jedoch nicht unbedingt Ergebnis einer erfolgreichen politischen Strategie und Kommunikationspraxis der EU als Institution. Sie resultiert vielmehr aus dem historisch gewachsenen Bild von »Europa«. Traditionell haben nicht nur Zentralasiaten, sondern auch Vertreter anderer postsowjetischer Länder »Europa« idealisiert. In diesem Sinne beeinflusst das romantisch verklärte Bild von »Europa« auch die Wahrnehmung der »Europäischen Union«.

Die Wahrnehmung der EU verändert sich

Das generell positive Europa-Bild der Zentralasiaten ist aktuell zunehmend in Auflösung begriffen. Das heutige Europa wird weniger und weniger mit Wohlstand für den Normalbürger assoziiert, sondern eher mit Krisen und Niedergang. Immer stärker wird Europa mit dem Bild eines »alten Mannes« verbunden, der seine besten Jahre hinter sich hat und seinem Ende entgegensieht. Das »sterbende Europa« wird zum dominanten Narrativ in Bezug auf die EU und Europa – wirtschaftlich, politisch, demographisch, kulturell und moralisch.

Die Volkswirtschaften einiger europäischer Länder wie auch der EU insgesamt gelten als im Niedergang befindlich und ruiniert. Diese Wahrnehmung wurde insbesondere durch die Schuldenkrise in Griechenland ausgelöst. Ebenso ist man der Meinung, dass Europa unter schwindender interner politischer Homogenität leidet. Die zunehmenden politischen Meinungsverschiedenheiten werden immer mehr als Anfang vom Ende der EU als einheitliche Institution gesehen. Dem Glauben an ein vereintes Europa wird heute in Zentralasien mit großer Skepsis begegnet. Ein weiterer Aspekt ist die Vorstellung vom in demographischer Hinsicht »sterbenden« Europa. Einerseits wird dies mit niedrigen Geburtenraten in Europa in Verbindung gebracht, die man als nahezu gegeben annimmt. Andererseits hat dies mit der wachsenden Zahl von Menschen in Europa zu tun, die nichteuropäische Wurzeln haben. Es ist der Eindruck entstanden, dass Europa sein Erscheinungsbild ändert. Dieser Aspekt wird sehr negativ bewertet, denn Europa verliert damit für die Zentralasiaten eine seiner am meisten bewunderten Eigenschaften – nämlich sein »Europäertum«: seine Kultur, seine Traditionen und Werte. Man stellt sich vor, dass die Straßen von Paris und Madrid jetzt von Menschen bevölkert werden, deren Sprachen und Traditionen Europa »fremd« sind. Noch ausgeprägter ist die Auffassung, dass in Europa ein moralischer Verfall um sich greift. Gleichgeschlechtliche Ehen, Rechte für LGBT (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) und der Verfall von Familienwerten sind schon jetzt zum negativsten Aspekt des Gesamtbilds der EU in Zentralasien geworden. Bestimmte Komponenten der EU-Politik in Zentralasien werden deshalb mit der Verbreitung und dem Aufdrängen dieser negativ besetzten Werte assoziiert. In diesem Zusammenhang wird das heutige Europa oft als »Gayropa« bezeichnet (eine Zusammensetzung aus »gay« und »Europa«). EU-Repräsentanten in Zentralasien haben wiederholt beklagt, dass dies ein sehr starkes Narrativ ist, dem die EU nur schwer etwas entgegensetzen kann. All diese Aspekte haben zu einem negativen Wandel der Wahrnehmung der EU in den Ländern Zentralasiens beigetragen.

Grundsätzlich ist die Veränderung durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren in drei Bereichen entstanden. Erstens wird die wachsende Skepsis gegenüber der Europäischen Union durch »objektive« Faktoren und Entwicklungen innerhalb der Union selbst hervorgerufen. Die EU hat lange unter einer Wirtschafts- und Finanzkrise gelitten; sie wurde vom Zustrom von Migranten und Flüchtlingen überrascht und vom Schock des Brexit erschüttert. Es ist nicht verwunderlich, dass diese Ereignisse die Europa-Skepsis sowohl in den Mitgliedsstaaten der EU als auch in vielen Drittländern beträchtlich verstärkt haben, wie verschiedene Studien belegen. Daher ist es nicht überraschend, dass man den gleichen Trend auch in Zentralasien finden kann. Zweitens gibt es auch Zentralasien-spezifische Faktoren, die eine negative Wahrnehmung bewirken. Die offizielle Rhetorik in einigen Ländern der Region verknüpft z. B. diskursiv die Propagierung von demokratischen Werten und Menschenrechten durch die EU mit der Ausbreitung und dem Aufdrängen »nichttraditioneller und fremder« Praktiken wie gleichgeschlechtliche Ehen und Rechte für sexuelle Minderheiten. Das Bild eines moralisch im Niedergang begriffenen Europa zielt auf die Delegitimierung der EU und ihrer normativen Ziele ab. Drittens werden die negativen Veränderungen in der Wahrnehmung der EU auch noch durch den geopolitischen Kontext der Region befördert – nämlich durch russische Einflussnahme. Es ist kein Geheimnis, dass die russische Propaganda ihre negative Berichterstattung über die Entwicklungen in Europa seit dem Beginn des Ukraine-Konflikts intensiviert hat. Die Einrichtung der East StratCom Taskforce, die den russischen Desinformationskampagnen entgegenwirken soll, zeigt, wie ernst Brüssel dieses Thema nimmt. Da die russischen Medien in den meisten zentralasiatischen Staaten einen gewaltigen Einfluss haben, verbreitet sich die negative Berichterstattung über Europa entsprechend schnell. Ein Beispiel ist, um es erneut zu zitieren, das Konzept von »Gayropa«, das in Russland geprägt wurde und durch die Medien seinen Weg in die anderen Staaten der Region gefunden hat.

Was kann die EU tun?

Wie bereits erwähnt wird 2019 mit großer Wahrscheinlichkeit eine neue Zentralasienstrategie verabschiedet werden. Es wäre aber naiv anzunehmen, dass Zentralasien dadurch mehr Aufmerksamkeit von Seiten der EU bekommen wird. Brüssel muss sich jedoch mit der Verschlechterung seines früher positiven Images in der Region befassen und Gegenmaßnahmen ergreifen. Eine mögliche Option könnte in der Verbesserung seiner Kommunikationspolitik gegenüber bestimmten Zielgruppen liegen sowie in der Entwicklung neuer, auf Zentralasien zugeschnittener Instrumente, um das Wissen über die EU zu vergrößern. Mehrere Studien haben belegt, dass ein Individuum umso weniger zu stereotypen Vorstellungen neigt, je mehr es über den betreffenden Gegenstand weiß. Meine Interviews mit kasachstanischen und kirgisischen Meinungsführern und Experten zeigen ebenfalls, dass die Gesprächspartner, die in direkterem Kontakt mit der Union standen und mehr Kenntnisse über sie besaßen, meist ein tendenziell ausgewogeneres und positiveres Bild der Europäischen Union hatten. Sie ließen sich außerdem nicht so leicht von Narrativen wie »Gayropa« beeinflussen, sondern verstanden sie als ein Ergebnis absichtlicher Verzerrung der Realität. Es ist offenkundig, dass das Problem negativer Wahrnehmungen nicht einfach durch verbesserte Kommunikation gelöst werden kann, denn es handelt sich nicht nur um falsche Vorstellungen, sondern dahinter stehen, wie oben beschrieben, »objektive« Gründe. Eine verbesserte Kommunikation könnte aber das Ausmaß stereotyper Wahrnehmungen der EU und der Geschehnisse in der EU verringern, indem der Einfluss von Propaganda beschränkt wird und alternative Darstellungen der EU propagiert werden. Im Zeitalter der Technologien und des Internets wäre vielleicht die Entwicklung internetbasierter Informationskanäle eine Option, die zudem für die EU keine großen Kosten erzeugen würde. Aber die Antwort auf die Frage, ob die Europäische Union an dieser Möglichkeit bzw. generell an ihrer Wahrnehmung in Zentralasien interessiert ist, bleibt weiterhin offen.

Aus dem Englischen von Brigitte Heuer

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