Flüchtlingsschutz in Zentralasien: Befunde und Vorschläge zu seiner wirkungsvolleren und menschenwürdigeren Gestaltung

Von Khalida Azhigulova (Leicester)

Zusammenfassung
Die Autorin dieses Beitrags zeigt auf Grundlage eigener empirischer Forschungen in Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan, dass die Asylverfahren in diesen Staaten juristisch zwar internationalen Standards entsprechen, in der Realität das Leben der Geflüchteten aber sehr schwierig ist, weil ihnen der Flüchtlingsstatus keine menschenwürdige Existenz ermöglicht. Die Führungen der zentralasiatischen Staaten gestehen Geflüchteten absichtlich nur minimale Rechte und materielle Hilfen zu, um potentielle Neuankömmlinge zu entmutigen. Die abschreckenden Bedingungen halten jedoch Asylsuchende, von denen 98% aus Afghanistan kommen, nicht davon ab, weiterhin in der angrenzenden Region Zentralasien Zuflucht zu suchen. Die Autorin schlägt alternative Lösungen für den Flüchtlingsschutz in Zentralasien vor, wie z. B. Ausbildung, Erwerbstätigkeit und legale Wege für Arbeitsmigration.

Aufgrund seiner geographischen Lage war Zentralasien in der Geschichte häufig Schauplatz massiver Bevölkerungsbewegungen. Im Süden hat die Region eine 2.000 km lange gemeinsame Grenze mit Afghanistan, einem Land, das in den vergangenen 40 Jahren immer wieder von bewaffneten Konflikten heimgesucht wurde und Herkunftsland von Millionen von Flüchtlingen ist. Im Norden und Westen grenzt Zentralasien an Russland und im Osten an China. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) von 2018 zählen Afghanistan, aber auch China und Russland, weltweit zu den Ländern, aus denen viele Menschen flüchten. In Zentralasien selbst kann es aufgrund der inneren Instabilität und der fragilen Staatlichkeit ebenfalls zu Konflikten kommen, die massive Flüchtlingsströme und interne Vertreibungen von Bevölkerungsgruppen in Gang setzen. Zu den jüngsten Beispielen hierfür gehören der Exodus von über 100.000 tadschikischen Bürgerkriegsflüchtlingen zwischen 1992–1997 und die Massenflucht von über 100.000 Menschen aus Südkirgistan nach Usbekistan im Verlauf der ethnisch motivierten Zusammenstöße im Jahr 2010.

Vier der fünf zentralasiatischen Staaten – Usbekistan bildet die Ausnahme – sind Vertragsparteien der sog. Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und haben das »Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen« sowie das Zusatzprotokoll von 1967 in den 1990er Jahren unterzeichnet (Tadschikistan am 7.12.1993, Kirgistan am 8.10.1996, Turkmenistan am 2.3.1998 und Kasachstan am 19.1.1999). Zurzeit haben nur drei zentralasiatische Staaten (Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan) ein spezielles Flüchtlings- und Asylrecht, ein funktionierendes Asylverfahren und eine eigene Migrationsbehörde zum Schutz von Geflüchteten.

Seit 2010 liegt die Gesamtzahl aller anerkannten Flüchtlinge in ganz Zentralasien immer unter 3.500, davon durchschnittlich 2.500 Geflüchtete in Tadschikistan, 600 in Kasachstan und 400 in Kirgistan (s. Tabellen im Anhang). Afghanische Staatsangehörige machen 98 % dieser Flüchtlinge aus; die restlichen 2 % stammen aus Syrien, dem Irak und aus anderen nicht-zentralasiatischen Staaten. Geflüchtete aus einem zentralasiatischen Land haben noch nie in einem der Nachbarstaaten wirklichen Schutz erhalten und sind gezwungen, außerhalb der Region Asyl zu suchen. Nach Angaben von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie FIDH (Fédération Internationale des Ligues des Droits de l’Homme/International Federation for Human Rights) und UNHCR schützt der Flüchtlingsstatus in Zentralasien nämlich nicht vor der Anwendung regionaler Auslieferungsabkommen, wie beispielsweise des Minsker Abkommens über Rechtshilfe in Zivil-, Familien- und Strafsachen von 1993, das in allen zentralasiatischen Staaten gilt.

Die Ergebnisse der Feldforschungen, die die Autorin in den Jahren 2016–2017 in Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan zur Klärung der Frage durchgeführt hat, inwieweit die jeweiligen Asylverfahren internationalen Standards des Flüchtlingsschutzes entsprechen, zeigen, dass Flüchtlingsschutz überall eine politisch heikle Angelegenheit ist und dass die drei Staaten Maßnahmen ergriffen haben, um einen massenhaften Zustrom von Geflüchteten in ihre Länder zu verhindern. Der großen Mehrheit der Asylbewerber, auch aus Kriegsgebieten wie Syrien, Irak und Afghanistan, wurde aus politischen Erwägungen, wie der nationalen Sicherheit, Asyl verweigert, und nicht, weil sie den geltenden Asylkriterien dafür nicht entsprochen haben.

Die erfolgreichen Schutzsuchenden hatten meistens eine familiäre Beziehung zum Asylland: ihre Ehefrauen und/oder Kinder waren Staatsangehörige des jeweiligen zentralasiatischen Landes. Im Verlauf der Feldforschung wurde jedoch auch deutlich, dass die tatsächliche Qualität des Flüchtlingsstatus für anerkannte Geflüchtete ebenfalls eine der Ursachen für die niedrige Zahl von Geflüchteten in der Region ist.

Kasachstan: Leben im Ein-Jahres-Rhythmus

Die Anerkennung als Geflüchteter ist in Kasachstan auf ein Jahr befristet, und es besteht auch nur ein Anspruch auf einen befristeten Aufenthalt. Der Flüchtlingsstatus muss jährlich erneuert werden, was bedeutet, dass die Geflüchteten im Grunde jedes Jahr aufs Neue das Asylprüfungsverfahren durchlaufen müssen. Der offizielle Status erlaubt Geflüchteten in allen Landesteilen, die Ausländern zugänglich sind, zu wohnen und zu reisen sowie zu arbeiten und ein Gewerbe auszuüben, in beschränktem Umfang medizinische Hilfe zu erhalten und ihre Kinder kostenlos auf weiterführende Schulen zu schicken. Das UNHCR hat jedoch immer wieder seine Beunruhigung darüber zum Ausdruck gebracht, dass ihr Status den Geflüchteten weder gestattet Haus- und/oder Grundbesitz zu erwerben noch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht oder die Staatsbürgerschaft zu erlangen und dass er auch keinen Zugang zu Sozialleistungen, wie staatlich gefördertem Wohnungsbau oder Renten, beinhaltet. Da staatliche Unterstützung fehlt, erhalten die schutzbedürftigsten Personen finanzielle Hilfen vom lokalen UNHCR-Büro und seinen NGO-Partnerorganisationen. Das UNHCR übernimmt auch die Krankenversicherung für alle Geflüchteten, organisiert Sprach- und Berufsqualizierungskurse und stellt Zuschüsse für unternehmerische Aktivitäten bereit.

Die Entscheidung der kasachstanischen Regierung, anerkannten Flüchtlingen keinerlei soziale Unterstützung zukommen zu lassen, hat keine wirtschaftlichen Gründe, wie in Kirgistan und Tadschikistan. Im Gegenteil, Kasachstan verfügt sogar über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Integration ausländischer Staatsbürger durch das nationale Rückkehrprogramm Oralman [›Rückkehrer‹] für ethnische Kasachen. Wie Deutschland und Israel fördert Kasachstan aktiv die Rückkehr von Landsleuten; die Vorfahren der oralman mussten während der Kolonialisierung durch das Russische Reich im 19. Jahrhundert oder während der sowjetischen Repressionen in den 1920er bis 1940er Jahren aus dem Land flüchten. Nach Regierungsangaben sind seit 1991 mehr als 1 Mio. ethnischer Kasachen nach Kasachstan zurückgekehrt. Anders als anerkannte Geflüchtete bekommen die anerkannten oralman ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und soziale und wirtschaftliche Leistungen einschließlich finanzieller Hilfe, mietfreier Wohnungen und kostenloser Grundstücke für den Hausbau, Universitätsstipendien sowie Arbeitsvermittlung. Sie können zudem in einem beschleunigten Verfahren kasachstanische Staatsbürger werden. Der größte Teil der oralman stammt aus Usbekistan (62 %) und China (15 %); beides Länder, denen der UN-Menschenrechtsrat und internationale NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen und die Unterdrückung von Minderheiten vorwerfen. Die im Vergleich zur Repatriierung ethnischer Kasachen ziemlich strikte Behandlung von Geflüchteten lässt vermuten, dass die Staatsführung Flüchtlinge nicht permanent auf ihrem Territorium haben und einen weiteren Zustrom verhindern möchte. Es gibt jedoch eine relativ kleine Gruppe anerkannter Geflüchteter (ca. 600–700 Personen), deren Zahl sich seit 2001 kaum verändert hat. Dies erlaubt es der kasachstanischen Führung zu behaupten, dass sie ihren Verpflichtungen im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention nachkomme. Tatsächlich lebt die Mehrzahl dieser ca. 600 Flüchtlinge seit 15–20 Jahren mit befristetem Aufenthaltsrecht in Kasachstan, erhält aber keinen dauerhaften Aufenthaltstitel bzw. keine Staatsbürgerschaft. Ein Experte vermutet dahinter Absicht: Wenn die Behörden diesen 600 Geflüchteten die Staatsbürgerschaft zuerkennen würden, müssten sie neue, also mehr Flüchtlinge anerkennen – das versuchen sie aus politischen Gründen zu vermeiden.

Kirgistan: Nur Transitland?

Anerkannte Geflüchtete haben in Kirgistan denselben Status wie alle ausländischen Staatsbürger. Die gesetzlichen Regelungen sehen eigentlich vor, dass sie Anspruch auf bestimmte Rechte und Sozialleistungen haben, einschließlich des Rechts auf Bewegungsfreiheit, auf legale Beschäftigung und Ausübung eines Gewerbes, auf wirksamen Rechtsschutz, auf Gesundheitsversorgung und Bildung, auf Familiennachzug sowie auf den Erwerb von Grundbesitz. In der Praxis werden die meisten dieser Ansprüche jedoch nicht umgesetzt und weder Asylsuchende noch Geflüchtete haben Zugang zu staatlichen Sozialleistungen wie Wohnungen oder finanzielle Hilfen. Der Zugang zu Bildung und Gesundheitswesen ist in der Realität ebenfalls sehr eingeschränkt. Die Kosten für Krankenversicherung und Sprachkurse werden vom UNHCR übernommen. Die staatliche Migrationsbehörde betrieb früher ein Empfangszentrum für Asylbewerber, in dem die schutzbedürftigsten Antragsteller unterkommen konnten, während ihr Asylantrag bearbeitet wurde. Die Kosten wurden zu 100 % vom UNHCR getragen. Doch im Januar 2017 weigerte sich die Migrationsbehörde trotz der Finanzierung durch das UNHCR, das Zentrum weiter zu betreiben. Seitdem unterstützt das Hilfswerk Asylsuchende individuell durch zusätzliche Barzahlungen für Miete.

Das kirgisische Gesetz über Staatsbürgerschaft sieht vor, dass anerkannte Flüchtlinge ihren Antrag auf Einbürgerung nach einem verkürzten Aufenthaltszeitraum stellen können (nach drei Jahren – andere Ausländer nach fünf Jahren). Doch in der Praxis stehen die Geflüchteten bei ihren Einbürgerungsanträgen vor diversen Hürden, wie zum Beispiel langen Bearbeitungszeiten und bürokratischen Verfahren. 2013 wurden nur neun Flüchtlinge eingebürgert, verglichen mit 17 im Jahre 2011 und 29 in 2012. Angesichts dieses sehr eingeschränkten Schutzes verlassen viele Asylsuchende und Geflüchtete Kirgistan in Richtung Drittländer oder betrachten es von Anfang an nur als Transitland auf dem Weg nach Europa oder in andere Länder mit einem großzügigeren Flüchtlingsstatus.

Tadschikistan: Armut und Aufenthaltsbeschränkungen

Wie in Kirgistan und Kasachstan gewährt die offizielle Anerkennung als Geflüchteter in Tadschikistan nur das Recht auf befristeten Aufenthalt. Es gilt für drei Jahre und kann unbegrenzt für jeweils drei weitere Jahre verlängert werden, solange die Situation im Herkunftsland des Asylsuchenden, die zu ihrer/seiner Verfolgung geführt hat, unverändert ist. Die Aufenthaltsdauer als Flüchtling bringt nicht automatisch einen Anspruch auf Einbürgerung mit sich. Nach dem tadschikischen Staatsbürgerrecht haben Angehörige anderer Staaten eigentlich nach drei bis fünf Jahren durchgehenden Aufenthalts im Land ein Recht auf Einbürgerung. Doch selbst afghanischen Flüchtlingen, die schon in den frühen 1990er Jahren ins Land gekommen sind, wird die Staatsbürgerschaft mit dem Hinweis auf ihren nur befristeten Aufenthaltsstatus als Geflüchtete verweigert.

Der Flüchtlingsstatus beinhaltet das im Vergleich zu den anderen zentralasiatischen Staaten niedrigste Niveau an Sozialleistungen und Rechtsschutz. Anerkannte Geflüchtete haben ein Recht auf eine eingeschränkte medizinische Versorgung, auf Arbeit, auf die Ausübung eines Gewerbes und auf Zugang zu Grund- und Sekundarschulbildung. Sie bekommen aber keine finanzielle Unterstützung oder Mietzuschüsse von der Regierung. Das UNHCR stellt seit langem finanzielle Hilfen für die Schutzbedürftigsten bereit.

Hinzu kommt, dass Flüchtlinge in Tadschikistan ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen dürfen. Gemäß dem Regierungserlass Nr. 325 dürfen Geflüchtete und Asylsuchende nur in ausgewiesenen Gebieten leben, wobei die Hauptstadt und andere Großstädte ausgeschlossen sind. Eine solche Vorschrift existiert in keinem anderen zentralasiatischen Staat. Nach Angaben von UNHCR wurde diese Beschränkung eingeführt, damit der Staat die Binnenwanderungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern besser kontrollieren kann, um sowohl ihre Sicherheit wie auch die der einheimischen Bevölkerung zu gewährleisten. Die Übertretung dieses Dekrets zieht Geldstrafen und Abschiebungen nach sich. Von der Autorin interviewte internationale NGO-Experten berichten, dass Flüchtlinge gezwungen sind, auf der Suche nach Jobs in die großen Städte zu ziehen, dass ihnen dort aber die Abschiebung droht, wenn sie außerhalb ihrer Arbeitszeit von der Polizei aufgegriffen werden.

Vorschläge zum besseren Schutz von Geflüchteten

Die rechtliche und praktische Ausgestaltung des Flüchtlingsstatus in den zentralasiatischen Staaten gibt Anlass zu der Sorge, dass anerkannte Geflüchtete in keinem dieser Länder wirkungsvollen und menschenwürdigen Schutz erhalten. Es ist nicht auszuschließen, dass die Regierungen Kirgistans und Tadschikistans, den ärmsten Ländern der Region, absichtlich eine Politik der Verelendung gegenüber Flüchtlingen konzipieren und aufrechterhalten, da sie noch nicht einmal die Bedürfnisse ihrer eigenen Bevölkerungen befriedigen können.

Dabei wäre es möglich, den Schutz von Geflüchteten in Zentralasien zu verbessern und menschenwürdiger zu gestalten. Das könnte erreicht werden, wenn die Regierungen die Gruppe der Geflüchteten als integralen Bestandteil ihrer politischen Konzepte und Strategien für den Erhalt der politischen Stabilität und sozioökonomischen Entwicklung betrachten würden.

Die Feldforschung hat gezeigt, dass Kasachstan einerseits seit langem nur etwa 600 offiziell anerkannte Geflüchtete beherbergt, die Regierung aber andererseits seit 2010 insgesamt 1.000 Vollstipendien für afghanische Studierende zum Studium an angesehenen kasachstanischen Universitäten bereitstellt. Diese Studierenden könnten potentiell auch Anspruch auf Asyl haben. Aber statt das einjährige Asylverfahren zu durchlaufen, erhielten sie sofort eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu Studienzwecken für fünf Jahre. Nach Ablauf der fünf Jahre konnten die Absolventen wählen, ob sie in Kasachstan nach einer Anstellung suchen, nach Hause zurückkehren oder in ein anderes Land gehen wollten.

Diese Erfahrung könnte in anderen Ländern nachgeahmt werden. Anstelle der politisierten Asylverfahren könnten die zentralasiatischen Staaten eine bestimmte Anzahl von Universitätsstipendien für qualifizierte Personen aus Kriegsländern wie Afghanistan, Syrien, Irak etc. bereitstellen. Diese Lösung hätte mehrere Vorteile. Zum einen würde sie es den Flüchtlingen erlauben, ihre Selbstachtung und Würde zu bewahren und sich als nützliche Mitglieder der Gastgesellschaft zu sehen. Außerdem würden sie wichtige berufliche Kompetenzen erwerben und entwickeln, die ihren Herkunftsländern später in der Nachkriegszeit zugutekommen könnten. Und schließlich wären die Studierenden aus autoritäreren Regimen durch ihre Ausbildung in einem politisch stabileren und vergleichsweise demokratischeren Staat ständig mit höheren Menschenrechtsstandards und Rechtsstaatlichkeit konfrontiert. Diese Erfahrung könnte allmählich ihre Einstellungen verändern. Die Konfrontation mit demokratischeren Verfahren könnte den Studierenden helfen, Einfluss auf die Demokratisierungsprozesse in ihren Heimatländern zu nehmen. Die zentralasiatischen Staaten ihrerseits würden durch die Ausbildung dieser Studierenden zur nachhaltigen Entwicklung der Herkunftsländer in der Nachkriegsperiode beitragen und so die Sicherheitslage in der gesamten Region verbessern.

Die zweite Möglichkeit, Flüchtlingen effizienter zu helfen, könnte Business- und Arbeitsmigration sein. Die Feldforschung hat auch gezeigt, dass seit 2010 die meisten Asylsuchenden in Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan entweder wohlhabende Personen waren, deren Familienangehörige in ihrer Heimat durch Entführungen durch militante Gruppen bedroht waren, oder illegal eingeschleuste Zuwanderer aus Ländern mit bewaffneten Konflikten. Viele Flüchtlinge müssen heutzutage Schleuser bezahlen, weil sie nicht auf regulärem Wege in ihre Zielländer einreisen können: die notwendigen Ausweispapiere oder Visa fehlen ihnen ganz oder können nicht schnell genug beschafft werden. Ähnliche Situationen sind weltweit zu beobachten, die Schleuser erzielen dabei beträchtliche Profite. Nach Angaben von Interpol haben Menschenschmuggler allein im Jahr 2015 einen Gewinn von 6 Mrd. US-Dollar aus der Flüchtlingskrise in Europa erzielt.

Die zentralasiatischen Staaten sind für die Entwicklung ihrer Wirtschaft in hohem Maße auf ausländische Investitionen angewiesen, daher könnte man Programme für Business-Immigration und Arbeitsmigration für Menschen aus Kriegsländern ins Leben rufen. Sie könnten so auf einem legalen Weg nach Zentralasien kommen – nicht als Geflüchtete, sondern als ausländische Investoren oder Arbeitskräfte. Erstere würden in einheimische Betriebe und Firmen investieren und Arbeitsplätze für die Gastbevölkerung und für andere Flüchtlinge schaffen. Arbeitskräfte aus Kriegsländern würden neue berufliche Kompetenzen erwerben, die sie später in ihrer Heimat einsetzen könnten. Beide Formen der legalen Zuwanderung würden es den Geflüchteten erlauben, ihre Selbstachtung und Würde zu bewahren, zur Entwicklung des Gastlandes und der Flüchtlingsgemeinschaften beizutragen und potentiell einen Beitrag zum Wiederaufbau ihrer Länder nach Ende der Konflikte zu leisten.

Fazit

Zusammenfassend muss man feststellen, dass beim gegenwärtigen historischen Entwicklungsstand der zentralasiatischen Staaten Flüchtlinge keine Chance auf effektiven und würdigen Schutz in der Region haben. Die untersuchten Länder Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan haben zwar die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet und verfügen über entsprechende Gesetze und funktionierende Asylsysteme, doch der Schutz von Geflüchteten gehört nicht zu den Prioritäten ihrer Regierungen. Vielmehr liegt deren Fokus auf der sozioökonomischen Entwicklung. Ein effektiverer Flüchtlingsschutz könnte daher, so das Argument, nicht im Rahmen der Genfer Konvention verwirklicht werden, sondern eher durch alternative Lösungen, die auf Entwicklung abzielen: zwischenstaatliche Bildungsprogramme sowie Programme für Business-Immigration und Arbeitsmigration. Ein solcher Ansatz bietet mehr Chancen, dass Geflüchtete ihre Selbstachtung und Würde behalten und sich als nützliche Mitglieder ihrer Gastgesellschaft fühlen können.

Aus dem Englischen von Brigitte Heuer

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