Seit Beginn der von Nikita Chruschtschow initiierten »Neulandkampagne« zur Ausweitung der Getreideflächen in den eurasischen Kontinentalgebieten der ehemaligen Sowjetunion schwanken die Bewertungen des landwirtschaftlichen Potenzials Kasachstans zwischen Euphorie und Zurückhaltung. Riesige Flächenreserven mit fruchtbaren Steppenböden versprechen enorme Möglichkeiten im Ackerbau, während die große Variabilität der natürlichen Bedingungen erhebliche Risiken birgt. Zu diesen Risiken trägt inzwischen in spürbarem Maße auch der Klimawandel bei. Er könnte die Wahrscheinlichkeit von Dürren durch Hitze und zurückgehende Niederschläge in den ohnehin von Versalzung und starken Temperaturschwankungen betroffenen abflusslosen Becken Zentralasiens erhöhen.
Mehr als in anderen Agrargebieten der Welt haben in Kasachstan neben den Standortbedingungen auch politische Entscheidungen weitreichenden Einfluss auf die landwirtschaftliche Erzeugung genommen. Die Neulandkampagne verschob die Grenze des Ackerbaus massiv und fügte sich ein in das sowjetische Modell der staatlich gelenkten Agrarproduktion im industriellen Maßstab. Nach der politischen Unabhängigkeitserklärung folgte ein Jahrzehnt des wirtschaftlichen Niedergangs, bis Präsident Nursultan Nasarbajew im neuen Jahrtausend die Landwirtschaft erneut zur Schlüsselbranche erklärte, in die die Regierung seitdem kräftig Kapital pumpt.
Der Klimawandel stellt die politischen Entscheidungsträger nun vor weitere Herausforderungen, die dieser Beitrag näher beleuchtet. Er liefert zunächst einen Überblick über die aktuellen Prognosen zum Klimawandel in Kasachstan, betrachtet dann dessen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und geht schließlich auf mögliche Anpassungsstrategien und politische Handlungsoptionen ein.
Aktuelle Vorhersagen zum Klimawandel in Kasachstan
Zentralasien gehört zu den Weltregionen, für die der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) die vorhandenen Vorhersagen als besonders unsicher und unvollständig ansieht. Dies betrifft besonders die Prognose der für die Landwirtschaft so wichtigen Niederschlagsmengen und der Frischwasserverfügbarkeit.
Um diese Unsicherheit zu verringern, untersuchte eine aktuelle Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) die regionalen Auswirkungen einer globalen Durchschnittserwärmung um 2° und 4° C gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Diese für die internationalen Klimaverhandlungen besonders wichtigen Szenarien sagen für Ende des 21. Jahrhunderts eine überdurchschnittliche Erwärmung in Zentralasien um 2,5° bzw. 6,5° C voraus. Diese wirkt sich in den südlichen Regionen stärker aus als im Norden. Andererseits erwartet diese Studie weniger ausgeprägte Temperatursteigerungen in den Höhenlagen als in den Ebenen und den Bergtälern. Unter diesen Bedingungen der Temperaturverschiebung nimmt die Verdunstung erheblich zu, Böden trocknen aus und der Anteil hyperarider Böden könnte um 20 % steigen. Besonders im Süden des Landes kommt es vermehrt zu Hitzeextremen. Südlich des fünfzigsten Breitengrads (ca. Höhe Karaganda) nimmt die Anzahl der Tropennächte in einem 2°-Szenario jährlich um 20 bis 30 Tage zu, in einem 4°-Szenario um 50 bis 60 Tage.
Während die Niederschläge im Südwesten des Landes zurückgehen, nimmt die Feuchtigkeit im Norden Kasachstans diesen Prognosen zufolge jedoch zu, besonders im Winter. Eine Studie für Kirgistan erwartet mildere Winter und höhere Niederschläge auch in Höhenlagen oberhalb von 1500 m. Diese Projektionen haben auch für die südlichen Bergregionen Kasachstans Aussagekraft. Die Prognosen für die Häufigkeit von Starkregen bewegen sich eher unterhalb des globalen Durchschnitts. Zur Veränderung der Häufigkeit von Dürren machen die Modelle keine klare Aussage.
Eine beschleunigte Gletscherschmelze führt in einem 2°-Szenario zum Verlust etwa der Hälfte der Eismasse und erhöht zunächst den Abfluss in den für die Bewässerung in der Landwirtschaft entscheidenden Flüssen, der sich gegen Ende des 21. Jahrhunderts jedoch drastisch verringert. Das Risiko von Überflutungen und Schlammlawinen nimmt zu und stellt eine Gefahr bspw. für die Passierbarkeit von Verkehrswegen dar. Im nördlichen Tien Shan Gebirge wird sich der Prozess der Eisschmelze voraussichtlich besonders schnell vollziehen. In einem 4°-Szenario erwarten Forscher die Schmelze von ca. zwei Dritteln der zentralasiatischen Eismassen bis zum Jahr 2100. Diese Projektionen stimmen qualitativ mit früheren Prognosen des Weltklimarats und des hydrometeorologischen Dienstes der kasachstanischen Regierung überein.
Die Verringerung des Wasserzuflusses wird erhebliche Auswirkungen auf die Bewässerungslandwirtschaft im Süden Kasachstans haben, etwa entlang des Syrdaryas. Davon ebenfalls betroffen ist das Ökosystem des Aralsees, dessen Wasserverfügbarkeit neben den geringeren Zuflüssen auch durch Verdunstung und Niederschlagsänderungen beeinflusst wird.
Physische und ökonomische Auswirkungen des Klimawandels
Die Veränderungen des Klimas ereignen sich in Kasachstan gegenüber einem Status Quo, der bereits von erheblichen Ertragsschwankungen gekennzeichnet ist. Besonders in den Regenfeldbaugebieten Nordkasachstans gehören seit Beginn der Neulandkampagne regelmäßige Ernteschwankungen bis hin zu Ausfällen zum Produktionsrisiko der Landwirte (Grafik 1). Hierzu tragen Witterungsrisiken traditionell ebenso bei wie Fehler in der Betriebsleitung oder marode Feldtechnik. Im Süden erzielen die Bewirtschafter gleichmäßigere Erträge, die jedoch auf eine verlässliche Versorgung mit Bewässerung angewiesen sind. Den derzeit bekannten Projektionen zufolge sind es besonders diese Bewässerungsgebiete, die gegen Ende des Jahrhunderts durch ausbleibende Wasserversorgung bedroht werden. Dagegen könnten die wichtigsten Getreideanbaugebiete im Norden des Landes vom Klimawandel profitieren.
Unter dem generellen Vorbehalt der Unsicherheit der Prognosen könnte sich die für den Regenfeldbau geeignete Fläche vergrößern und die Wachstumsperiode verlängern. Die Winter könnten weniger hart ausfallen und die Niederschläge zunehmen. Damit einher gehen vorteilhafte Effekte einer CO2-Düngung und die Verringerung von Frostschäden. Dementsprechend sagen manche Berechnungen eine Steigerung der Weizenerträge um durchschnittlich 12 % voraus. Unter diesen Bedingungen könnten auch die Einkommen aus dem Ackerbau im Norden Kasachstans um mehr als ein Drittel steigen. Im Süden gilt dies auch für bewässerte Baumwolle und Kartoffeln, sofern ausreichende Bewässerung sichergestellt ist. Ungewöhnliche Hitzeextreme und extreme Niederschlagsereignisse (z. B. Hagel) könnten die Ertragsunsicherheit hingegen vergrößern.
Die besondere Fruchtbarkeit der Steppenböden hat ihre Ursache unter anderem im hohen Kohlenstoffgehalt der Böden. Der im Humus gebundene Kohlenstoff stellt Nährstoffe bereit, verringert die Bodenerosion und verbessert die Wasserverfügbarkeit für die Pflanzen. Vom Klimawandel verursachte zunehmende Trockenheit verringert den Bestand an Kohlenstoff im Boden. Insbesondere unter der noch immer verbreitet praktizierten sog. Schwarzbrache kann es so zu einer Verarmung an Nährstoffen, Zerstörung der Bodenstruktur und Erosion kommen. Bei der Schwarzbrache werden die Flächen durch Pflügen oder andere Formen der Bodenbearbeitung vegetationsfrei gehalten, um Wasservorräte zu speichern.
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die sich erst allmählich vom Bestandsabbau während der Transformationsperiode erholende Tierhaltung dürften ebenfalls ungünstig sein. Weideflächen könnten einem zunehmenden Degradationsprozess ausgesetzt sein, während die Tiere einen höheren Hitzestress zu befürchten haben und die Konkurrenz um Trinkwasser generell zunehmen dürfte. In ohnehin bereits degradierten oder von Versalzung und Trockenheit betroffenen Gebieten im Becken des Aralsees und in den dort gelegenen Waldgebieten dürfte der Klimawandel die angespannte Situation weiter verschärfen. In Berggebieten oberhalb von 1500 m dürften sich die Bedingungen für die Tierhaltung mancher Studien zufolge durch eine längere Vegetationsperiode und eine bessere Feuchtigkeitsversorgung dagegen verbessern.
Schätzungen für Zentralasien gehen von bis zu fünf Millionen Menschen aus, die keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Der Klimawandel stellt durch steigende Temperaturen, schwankende Niederschläge und geringere Flussabläufe ebenso ein Risiko für die Ernährungssicherheit dar, wie die Bodenerosion aufgrund von Starkregen und Stürmen, Veränderungen im Krankheits- und Schädlingsbefall von Pflanzen und Tieren, zunehmende Wasserknappheit und die Überschreitung von kritischen Schwellenwerten der Hitzetoleranz von Pflanzen. Von diesen Risiken sind sowohl ländliche als auch städtische Bevölkerungsgruppen betroffen, da letztere sich nicht selbst mit Nahrungsmitteln versorgen können. In Zentralasien führen die teils wenig ausgebaute Transportinfrastruktur sowie staatliche Handelsbarrieren und die kontinentale Lage zu einem erhöhten Risiko von Preisausschlägen auf Lebensmittelmärkten, sollte es lokal aufgrund von Klimarisiken zu Angebotsverknappungen kommen. Kasachstan kommt als einzigem Land in der Region mit einem Exportüberschuss bei Getreide eine Schlüsselrolle in der regionalen Ernährungssicherung zu.
Anpassungsstrategien und politische Handlungsoptionen
Bereits seit den Anfängen unterliegt der Ackerbau in den Trockengebieten Kasachstans erheblichen Ertragsrisiken. Die meisten der im folgenden empfohlenen Anpassungsmaßnahmen erscheinen daher unabhängig vom Ausmaß und den genauen Folgen des Klimawandels sinnvoll. Jedoch erlaubt die vorhergehende Analyse auch eine gezielte Schwerpunktsetzung.
- Angepasste Auswahl der Kulturpflanzen. Auf Basis aktueller Feldforschung in Kasachstan empfehlen Fachleute die Einführung und Förderung vielfältiger Fruchtfolgen, die einen höheren Anteil Leguminosen enthalten (beispielsweise Phacelia oder Linse). Auch Hartweizen (Durum) oder Sommergerste könnten bei zunehmendem Trockenstress Vorteile gegenüber Sommerweizen aufweisen. Durum widersteht der Trockenheit und liefert eine hohe Produktqualität, wobei die Erträge unter denen des Sommerweizens liegen. Sommergerste ermöglicht höhere Erträge, kann jedoch nicht in Monokultur angebaut werden. Anstrengungen zur Züchtung trockenheitsresistenter Getreidesorten sollten verstärkt werden. Im Futterbau sollte die Hitzetoleranz der Futterpflanzen erhöht werden, z. B. durch Einkreuzung von lokal angepassten Wildsorten. In bestimmten Regionen könnte die Erzeugung von trockenheitsresistenten Edelgehölzen wie etwa Maulbeere oder Paulownie wirtschaftlich interessant werden. Dem Waldschutz sollte allgemein eine hohe Priorität eingeräumt werden.
- Verbesserte Anbautechniken im Ackerbau. Anstelle der noch immer verbreitet praktizierten Schwarzbrache sprechen sich mehrere Experten für den vermehrten Einsatz von Direktsaatverfahren (»no-till« oder »mini-till«) gemeinsam mit zeitgemäßen Pflanzenschutzmaßnahmen aus. Daneben ist ein verbessertes Nährstoffmanagement erforderlich, das eine Kenntnis der Nährstoffverfügbarkeit im Boden voraussetzt. Auf dieser Basis sollten fehlende Nährstoffe ersetzt werden, wobei eine Flüssigdüngung und die Kombination mit Zwischenfrüchten und organischen Düngern aus der Tierhaltung vorteilhaft erscheint. Häufiger Nährstoffmangel besteht bei Stickstoff, Phosphor, Schwefel und Mikronährstoffen. Weiteres Potenzial zur Verringerung der Produktionsrisiken besteht in der Verbesserung der Transport- und Lagerungsinfrastruktur.
- Anpassungsmaßnahmen in der Tierhaltung. Die Versorgung von Weidegebieten mit Trinkwasser sollte flächendeckend überprüft und ggf. ausgebaut werden. Ähnliches gilt für den Schutz von Stallanlagen vor Temperaturschwankungen, wobei insbesondere lokal angepasste Maßnahmen in Frage kommen, so etwa die Beschattung durch Bäume oder Strohisolierung. Möglichkeiten der Wald-Weidewirtschaft sollten geprüft und ggf. gefördert werden, da sich diese günstig auf die Temperatur- und Feuchteregulation auswirken. Möglichkeiten zur Verringerung der Treibhausgasemissionen in der Tierhaltung durch verbessertes Weidemanagement und eine nachhaltige Intensivierung z. B. durch energiereichere Ergänzungsfutter sollten geprüft werden.
- Aus- und Weiterbildung. Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im Ackerbau empfehlen mehrere Studien eine verstärkte Förderung von Aus- und Weiterbildung an Universitäten und Beratungsdiensten, die Durchführung von Feldtagen, die Einrichtung eines Netzwerkes von Bodentestlaboren sowie die Einrichtung von Dauerversuchen mit neuen Fruchtfolgen und Düngungsverfahren, um lokal angepasste Empfehlungen ableiten zu können. Gemessen am landwirtschaftlichen Produktionswert nehmen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Kasachstan tendenziell ab (Grafik 2). Die vergleichbare Quote liegt bspw. in den USA über fünfundzwanzigmal höher.
- Institutionelle Reformen bei staatlichen Dienstleitungen. Die bisher meist breit und unspezifisch angelegte staatliche Subventionierung der Agrarerzeugung sollte sich auf besonders durch Klimarisiken verwundbare Erzeuger konzentrieren. Dazu gehören vor allem kleinere Betriebe. Der Zugang zu Finanzdienstleistungen sollte für alle Betriebsformen nachhaltig verbessert werden. Dies kann eher durch institutionelle Reformen als durch mehr Subventionen erreicht werden. Zu den angezeigten Maßnahmen gehören die Stärkung von Kreditgenossenschaften, die Reform der Agrarversicherung und die Stabilisierung des nationalen Bankensektors. Daneben sollte die Wirtschaftlichkeit der Agrarproduktion insgesamt durch die vermehrte Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen gesteigert werden, z. B. im Bereich Wassermanagement und Verkehrsinfrastruktur, aber auch den verbesserten Zugang zu Dienstleistungen im Bereich Tiergesundheit, Zugang zu Weidegebieten sowie Informationen über Wetter- und Preisrisiken.
- Administrative Reformen. Die Informationsgrundlage und Beratungskapazitäten nationaler und subnationaler Institutionen der Risikobewertung sollten verbessert und gestärkt werden. Lokale Umweltrisiken erfordern oft für vor Ort angepasste politische Lösungsansätze, die für eine Stärkung der lokalen politischen Selbstverwaltung in Kasachstan sprechen. Internationale Erfahrungen zum Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels und entsprechend ausgerichtete Finanzierungsprogramme wie etwa der Green Climate Fund sollten bei der weiteren Planung berücksichtigt werden.
- Zugang zum internationalen Emissionsrechtehandel. Aufgrund seiner enormen Flächenreserven könnte Kasachstan künftig eine bedeutende Rolle als globale Kohlenstoffsenke übernehmen. Das Bewusstsein der Landwirte für ihre Aufgabe als »Kohlenstoffwirt« sollte geschärft und der Zugang zum internationalen Handel mit Emissionsrechten ermöglicht werden.
Aussagen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Agrarproduktion in Kasachstan sind zurzeit noch mit großer Unsicherheit verbunden. Insbesondere die nördliche Getreideanbauregion könnte auch davon profitieren, während vor allem in der Weidewirtschaft und der Tierhaltung mit Ertragseinbrüchen gerechnet werden muss. Aufgrund der traditionell großen Bedeutung natürlicher Ertragsrisiken in Kasachstan sollte die Regierung den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Eindämmung dieser Risiken in jedem Fall ihre Aufmerksamkeit schenken.
Danksagung
Dieser Beitrag basiert auf den Ergebnissen des Seminars »Nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft angesichts des Klimawandels« und der Konferenz »Klimawandel und dessen Einfluss auf die Landwirtschaft«, die am 23. und 24. Oktober bzw. 28. November 2019 in Nur-Sultan (Kasachstan) vom Deutsch-Kasachischen Agrarpolitischen Dialog (APD) organisiert wurden. Der Autor dankt Katrin Dalitz, Jörg Dinkelaker, Martin Schäfer und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz für hilfreiche Anmerkungen. Die IAK Agrar Consulting GmbH führte den APD im Auftrag der GFA Consulting Group GmbH mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) durch.