Neuer Präsident, altes Präsidialsystem? Kirgistan am Scheideweg zwischen Reformmöglichkeiten und weiterer Instabilität

Von Shairbek Dzhuraev (Crossroads Central Asia, Bischkek)

Zusammenfassung
Im Oktober 2020 führten Proteste gegen die manipulierten Parlamentswahlen in Kirgistan zum Rücktritt von Präsident Sooronbaj Dscheenbekow. Im Januar 2021 wurde der ehemalige Parlamentsabgeordnete Sadyr Dschaparow nach einem erdrutschartigen Wahlsieg neuer Präsident. Die Ergebnisse des parallel durchgeführten Referendums bestätigen zudem die breite Zustimmung für ein präsidiales Regierungssystem in der kirgisischen Bevölkerung. Der Artikel beurteilt die jüngsten Entwicklungen und versucht, die wichtigsten Chancen und Gefahren herauszuarbeiten, die sich aus den Abstimmungsergebnissen für die Entwicklung und Stabilität Kirgistans ergeben.

Einleitung

Im Januar 2021 wurde in Kirgistan ein neuer Präsident gewählt. Der frühere Parlamentsabgeordnete Sadyr Dschaparow konnte sich mit knapp 80 % der Wählerstimmen eine überwältigende Mehrheit sichern. Zudem stimmten die meisten Wähler*innen in einem parallel abgehaltenen Referendum für den Vorschlag Dschaparows, zu einem präsidialen Regierungssystem zurückzukehren. Die politischen Entwicklungen, die im Oktober 2020 ihren Anfang nahmen, sind damit auf zwei entscheidende Ergebnisse hinausgelaufen: Zum einen wurde das Präsidentenamt nun vorzeitig neu besetzt und zum anderen der Weg für eine grundlegende Verfassungsänderung freigemacht.

Welche Faktoren trugen zu den rasanten Veränderungen in der kirgisischen Politik bei und mit welchen Konsequenzen der Ereignisse ist in den kommenden Jahren zu rechnen? Diese Frage soll im Folgenden in drei Teilen beantwortet werden. Der erste Teil fasst kurz die Ereignisse zusammen, welche zur Präsidentschaftswahl am 10. Januar führten. Mit 80 % der Stimmen besitzt eine neue Regierung unter Dschaparow theoretisch genug Rückhalt in der Bevölkerung, um dringend erforderliche Reformen effektiv durchzusetzen. Im zweiten Teil des Artikels soll deshalb ein Blick auf die Chancen geworfen werden, die sein Wahlsieg dem Land eröffnen könnte. Im letzten Teil soll anhand von drei Aspekten dargestellt werden, welche möglichen Gefahren dem Land drohen, falls der neue Präsident, bestärkt durch die hohe Zustimmung der Wähler*innen, weiterhin auf populistische Machtdemonstrationen setzen sollte.

Von Oktober 2020 bis Januar 2021: der Aufstieg von Sadyr Dschaparow

Gegen Ende des Jahres 2020 wurde Kirgistan von politischen Turbulenzen erfasst. Massenproteste führten zur Annullierung der Parlamentswahlen vom 4. Oktober. Vom Schlimmsten ausgehend zogen sich Präsident Dscheenbekow und seine Regierung vollständig zurück und verschwanden für mehrere Tage von der Bildfläche. Die demonstrierenden Parteien fanden sich jedoch schon bald in einer politischen Sackgasse wieder. Während die einen »Lustrationen« (aus dem Lateinischen »erhellen«, »reinigen«; gemeint ist hier die Entfernung von politisch oder juristisch vorbelasteten Mitarbeitern aus dem öffentlichen Dienst) und die anderen Neuwahlen forderten, konnte Sadyr Dschaparow aus der verfahrenen Situation politischen Profit schlagen. Dschaparow, der gerade erst aus dem Gefängnis befreit worden war und auf den Straßen des Landes über eine treue Anhängerschaft verfügte, ging als großer Gewinner aus den politischen Unruhen hervor und schaffte es, die höchsten Staatsämter an sich zu reißen. Am 14. Oktober wurde er vom Parlament als neuer Premierminister bestätigt und am nächsten Tag zum Übergangspräsidenten ernannt.

Drei Monate später wurde Dschaparow dann auch zum regulären Präsidenten des Landes gewählt. Mühelos setzte er sich gegen 16 weitere Kandidat*innen durch. Das Rennen war mehr oder weniger symbolischer Art, da Dschaparow keine ernsthafte Konkurrenz hatte. Er konnte sich fast 80 % der Stimmen sichern, während der Zweitplatzierte Adachan Madumarow auf weniger als 7 % kam. Obwohl es wenig zielführend ist, die kirgisische Politik aus dem Blickwinkel konkurrierender Ideologien zu betrachten, ist dennoch bemerkenswert, dass es keiner der liberal gesonnenen Kandidat*innen geschafft hat, mehr als ein Prozent der Stimmen zu erreichen. Die Ergebnisse des am selben Tag abgehaltenen Referendums über die zukünftige Regierungsform des Landes entsprachen den Ergebnissen der Präsidentschaftswahl. Über 80 % der Wähler*innen sprachen sich für ein Präsidialsystem aus und ebneten so einer grundlegenden Revision der kirgisischen Verfassung den Weg.

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Für einige waren die Wahlergebnisse ein ernüchternder Schock. Die Demonstrant*innen hatten am 5. Oktober 2020 lediglich eine Wiederholung der Parlamentswahlen gefordert, jedoch weder eine Neuwahl des Präsidenten noch eine Änderung der Verfassung. Man kann also sagen, dass die Proteste von Dschaparow gekapert wurden. Kirgistan hatte für seine Versuche, ein parlamentarisches System zu etablieren, international viel Zuspruch erhalten. Nun stimmten die Menschen plötzlich dafür, zum alten Präsidialsystem zurückzukehren. Zweifel häuften sich, ob die gesamte Diskussion über die »parlamentarische Demokratie« in Kirgistan nicht nur von vorneherein fehlgeleitet und überzogen, sondern ihrer Natur nach auch nur auf einige wenige Viertel im Zentrum Bischkeks beschränkt gewesen war.

Gleichzeitig waren die Ergebnisse der Wahl keineswegs eine Überraschung. Erstens handelt es sich bei Dschaparow, ähnlich wie bei Kurmanbek Bakijew 2005 und Almasbek Atambajew 2011, de facto um einen »postrevolutionären Führer«, der vom Sturz seines unbeliebten Vorgängers profitiert. Die beispiellos niedrige Wahlbeteiligung von unter 40 % verdeutlicht, dass es sich bei der Präsidentschaftswahl sowieso eher um einen symbolischen Akt handelte. Zweitens richtete sich Dschaparows Wahlkampf vor allem an Wähler*innen in ländlichen Gebieten, wo seine populistische Rhetorik und seine demonstrative Geringschätzung rechtsstaatlicher Standards auf offene Ohren stießen. Wenig überraschend ist, dass sein Stimmenanteil unter den Wählern in Bischkek am niedrigsten war. Gleichzeitig waren die Zustimmungswerte für ein parlamentarisches Regierungssystem in der Hauptstadt am höchsten.

Zu guter Letzt offenbarten die Wahlergebnisse eine tiefer sitzende Unzufriedenheit der Bevölkerung über den vorherigen amtierenden Präsidenten, aber auch über das politische System im Ganzen. In den Augen der Demonstrant*innen, die im Oktober 2020 in Bischkek auf die Straße gingen, mögen die gefälschten Wahlen das Hauptproblem gewesen sein, für breite Teile der Bevölkerung waren sie jedoch gewiss nicht das einzige.

Viele politische und zivilgesellschaftliche Aktivist*innen zweifeln die Legitimität der Wahl weiterhin an. Manche kritisieren die fragwürdige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, Dschaparow im Oktober 2020 freizusprechen. Andere behaupten, er hätte als amtsführender Interimspräsident überhaupt nicht zur Wahl antreten dürfen. In jedem Fall war es politisch verantwortungslos von Dschaparow, die Bevölkerung vor die beiden Alternativen »Parlamentarismus« oder »Präsidialsystem« zu stellen.

Zwischen Popularität und Populismus: ein Blankoscheck für Reformen?

Die breite öffentliche Unterstützung, die Dschaparow genießt, bringt wesentliche Vorteile mit sich. Er könnte diese Ausgangssituation nutzen, um Reformen durchzusetzen, welche das Land dringend benötigt, die teilweise jedoch äußerst unbeliebt sind. In vielen Bereichen ist ein solches Vorgehen notwendig. Um den Kampf gegen die Korruption voranzubringen, effektiver Steuern einzutreiben und die öffentlichen Ausgaben zu verringern, wird eine Politik erforderlich sein, die für viele Menschen erst einmal mit weiteren Verlusten verbunden sein wird. In den letzten Jahrzehnten ist Kirgistan wirtschaftlich stark von äußeren Einnahmequellen abhängig geworden. Der Staatshaushalt wird zum Teil durch externe Geldgeber finanziert und viele Privathaushalte sind von den Rücküberweisungen kirgisischer Arbeitsmigrant*innen abhängig. Bisherigen Reformprozessen standen meist die weitverbreitete Korruption, Inkompetenz und die hohen politischen Kosten im Weg, die das jeweilige Regime für die Reformen zu zahlen hatte.

Dschaparows Wahlsieg beseitigt, zumindest für den Moment, ein Hindernis erfolgreicher Reformen: die politische Unsicherheit. Auch die überwältigende Unterstützung der Bevölkerung für ein Präsidialsystem könnte die Chancen verbessern, Reformen erfolgreich durchzusetzen. In kurzer Zeit staatliche Ressourcen mobilisieren und verteilen zu können, ist einer der wenigen Vorteile eines vertikalen Machtgefüges mit einer dominanten Stellung des Präsidenten. Für den Erfolg umstrittener Reformen ist es entscheidend, dass in den unterschiedlichen Bereichen deutliche Verbesserungen für die Menschen wahrnehmbar werden. Wenn Dschaparow es bewerkstelligen sollte, die allgegenwärtige Korruption spürbar zu senken und neue Arbeitsplätze im Land zu schaffen, könnten auch schmerzhafte Reformen auf genügend Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen.

Ein populärer Präsident, der über weitreichende Machtmittel verfügt, wäre tatsächlich in der Lage, solche Reformen anzustoßen. Allerdings gibt es einen – gar nicht mal so schmalen – Grat zwischen Popularität und Populismus. Dschaparows Wahlsieg beruhte weniger auf seinen Leistungen oder Ideen, sondern vielmehr darauf, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort in Erscheinung trat. Sein Wahlkampf stützte sich vorwiegend auf populistische Slogans und seine Biografie. Als Politiker*in persönlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein, gilt in Kirgistan als Qualitätssiegel. Um den Rückhalt, den er in der Bevölkerung genießt, positiv zu nutzen, muss Dschaparow eine Vision für die Zukunft seines Landes formulieren, Schlüsselreformen anstoßen und ein bestmöglich qualifiziertes Team zusammenstellen, um die vor ihm liegenden Aufgaben meistern zu können.

Drei Gefahren, die Kirgistan nach der Wahl drohen

Im Nachgang der Wahlen häufen sich düstere Prognosen über die Zukunft des Landes. Einige Beobachter wiesen auf die Vorwürfe gegen Dschaparow hin, sowohl mit Kriminellen als auch mit dem früheren Präsidenten Bakijew in Kontakt zu stehen. Andere werfen ihm vor, hohe Ämter mit seinen Freunden und Verwandten besetzen zu wollen. Welche dieser Vorwürfe tatsächlich berechtigt sind, wird sich vor allem in den nächsten Tagen nach seiner Amtseinführung zeigen. Es gibt allerdings auf einer allgemeineren Ebene drei zentrale Bereiche, in denen ein populistischer, durch Rückkehr zum Präsidialsystem mit enormer Macht ausgestatteter Präsident eine Gefahr darstellen kann. Diese Gefahren sind nicht unausweichlich, es wird jedoch besonderer Anstrengungen bedürfen, ihnen vorzubeugen.

Erosion von Institutionen und Rechtsstaatlichkeit

Die wichtigste unmittelbare Gefahr ist eine mögliche populistische Attacke auf die politischen Institutionen des Landes, insbesondere den Rechtsstaat. Der Aufstieg von Populisten wird meist dadurch ermöglicht, dass die bestehenden Institutionen eines Landes in den Augen der Bevölkerung versagt haben. Gleichzeitig tragen Populisten selbst aktiv zur Erosion dieser Institutionen bei. Sadyr Dschaparows erdrutschartiger Wahlsieg wird ihn wohl in der Annahme bestärken, im Namen »des Volkes« zu sprechen. Wenn der »Wille des Volkes« jedoch gegen die Gewaltenteilung und das bestehende System politischer Regeln in Stellung gebracht wird, entsteht eine gefährliche Situation. Die ersten Anzeichen einer populistischen Geringschätzung politischer Institutionen wurden bereits sichtbar. So ließ Dschaparow vor Kurzem verlautbaren, dass allen, die gegen das Referendum protestiert haben, »eine Lektion erteilt werden sollte«. Schließlich würden sie den Menschen ihr Recht absprechen wollen, sich selbst für eine Regierungsform zu entscheiden. Außerdem haben seine Verbündeten bereits deutlich gemacht, dass sie im Kampf gegen die Korruption eher auf Verhandlungen mit den Verdächtigen hinter verschlossenen Türen setzen wollen, anstatt den vorgeschriebenen Rechtsweg zu nutzen und ordnungsgemäße Gerichtsverfahren gegen sie einzuleiten.

Dabei wäre es ein Missverständnis, anzunehmen, dass sich Dschaparows Vorgänger an rechtsstaatliche Standards gehalten hätten. Vielmehr lässt sich das hohe Maß an öffentlicher Unterstützung für außerrechtliche Maßnahmen gerade durch die chronische Missachtung und Geringschätzung des geltenden Rechts durch sämtliche Präsidenten der letzten Jahre erklären. Der entscheidende Unterschied, den die neue Situation bringen könnte, ist ein anderer, nämlich die Möglichkeit, dass sich der neue Präsident bei der Missachtung von Normen und Gesetzen in populistischer Weise auf ein explizites »Mandat des Volkes« beruft. Einige Maßnahmen werden tatsächlich mit öffentlicher Zustimmung rechnen können. Die Verhaftung von Raimbek Matraimow, seinerseits Protagonist eines der größten Korruptionsskandale der Geschichte Kirgistans, und die Festnahme des berüchtigten Kriminellen Kamchi Kolbajew wirkten inszeniert. Sie signalisierten der allgemeinen Öffentlichkeit jedoch Dschaparows Bereitschaft, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen sich Dscheenbekow nicht durchringen konnte. Die Missachtung rechtsstaatlicher Verfahren, um Gerechtigkeit walten zu lassen, führt aber schnell zur wiederkehrenden Überschreitung immer neuer roter Linien. Wird die Rechtsstaatlichkeit im Namen »des Volkes« ausgehöhlt, stellt dies zunächst für vulnerable Gruppen und Minderheiten eine Gefahr dar, wovon später jedoch auch schnell weitere Bevölkerungsteile betroffen sein könnten.

»Teufelskreise« des Präsidentialismus

Das Referendum vom Januar könnte den anhaltenden Kreislauf politischer Instabilität, welche Kirgistan seit Jahren erlebt, weiter fortsetzen. Obwohl Kirgistan dafür bekannt ist, demokratischer als die anderen Länder der Region zu sein, hat bisher noch keine Regierung ihre Macht friedlich an die Opposition übergeben. Bei vergangenen Wahlen wurde entweder der Amtsinhaber wiedergewählt oder die Macht an einen seiner engen Verbündeten übergeben. Nach dem Sturz Kurmanbek Bakijews im April 2010 beschrieb der Politikwissenschaftler Eric McGlinchey die Dynamik der Regimewechsel in Kirgistan als einen Staffellauf im Kreis, bei dem sich eine kleine Gruppe von Leuten immer wieder gegenseitig ablöse. Die zukünftige Rückkehr zum Präsidialsystem könnte weitere solcher Instabilitätszyklen hervorbringen, die Guillermo O’Donnell auch die »Teufelskreise des Präsidentialismus« genannt hat.

Um der »Coup-Falle« zu entrinnen, braucht Kirgistan die Erfahrung und Institutionalisierung friedlicher Machtwechsel. Dies zu ermöglichen ist besonders dann schwierig, wenn in einer schwachen Demokratie ein starker Präsidentialismus herrscht. Da in einem solchen System das Prinzip The Winner Takes It All gilt, sind die politischen Kosten einer verlorenen Wahl zu hoch. In einem parlamentarischen System kann die Regierungspartei oder -koalition einen unbeliebten Premierminister problemlos austauschen. Dementgegen zeigt die Erfahrung Kirgistans, dass ungeliebte Präsidenten ihren Posten nicht räumen, solange sie nicht dazu gezwungen werden.

Dschaparow muss laut und deutlich erklären, dass er die von der Verfassung vorgeschriebene Amtszeitbeschränkung respektieren, ordnungsgemäße und faire Wahlen sicherstellen und, sobald seine Amtszeit endet, abtreten wird. Nur dann kann Kirgistan der Gefahr weiterer politischer »Teufelskreise« entrinnen. Das setzt jedoch voraus, dass Dschaparow die Institutionen des Landes auch im politischen Tagesgeschäft respektiert und zu ihrer weiteren Festigung beiträgt.

Abdriften in eine internationale Außenseiterrolle

Falls die oben genannten Gefahren eintreten, könnte Kirgistan zudem in eine internationale Außenseiterrolle geraten. Bisher hat sich das Land eine recht eigene Rolle innerhalb der internationalen Politik gesichert: Wirtschaftlich schwach und von Armut geplagt, hat es Kirgistan dennoch geschafft, engagierte Entwicklungspartner an sich zu binden. Während die Regierungen Kirgistans in der Vergangenheit im Allgemeinen wenig demokratisch agierten, haben sie sich zugleich nicht gescheut, einige der erfolgreichsten Praktiken funktionalerer Demokratien zu übernehmen. International konnten sie so weitestgehend stabile Beziehungen mit verschiedenen Akteuren aufrechterhalten. Ob andere Länder in Kirgistan jedoch weiterhin einen verlässlichen Partner sehen werden, oder das Land international zunehmend als Belastung wahrgenommen wird, wird von den weiteren Entwicklungen in der Zeit nach Januar abhängen.

Dass es sich bei einigen staatlichen Strukturen in Kirgistan eher um Potemkinsche Dörfer handelt, hat bereits die Covid-19-Pandemie offenbart. Schon bevor das Virus Kirgistan erreichte, hat sich die Führung des Landes rasch um externe Hilfen bemüht, um überhaupt einigermaßen angemessen auf die Pandemie reagieren zu können. Diese Tatsache hätte für etwas weniger Entsetzen gesorgt, wenn die bereitgestellten Hilfen nicht massiv veruntreut worden wären. Zumindest behauptet die Regierung, dies herausgefunden zu haben. Vor diesem Hintergrund brauchen die internationalen Partner Kirgistans nichts weniger als einen weiteren Zyklus politischer Instabilität mit erneuten Umverteilungen von Ressourcen, auf die wiederum neue Hilfsgesuche folgen.

Um das Abdriften in eine Außenseiterrolle zu verhindern, reicht es nicht aus, den internationalen Partnern verbal ständig die eigenen guten Absichten zu versichern. Genauso wenig braucht es Versuche, ihnen gegenüber grundlos hart aufzutreten. Die neue Führung muss eine eindeutige Botschaft an die Welt senden, wie sie sich die künftige Entwicklung ihres Landes vorstellt, welche Strategie sie in ihren internationalen Beziehungen verfolgt und welche Normen sie bereit ist zu respektieren und zu verteidigen.

Fazit

Kirgistan steht nach den im Januar abgehaltenen Präsidentschaftswahlen an einem Scheideweg. Die bandenmäßige Machtübernahme im Oktober 2020 brachte Dschaparow international wenig Ansehen ein. Die Bevölkerung hat der neuen Regierung jedoch ein deutliches Vertrauensvotum ausgesprochen. Wird die neue Führung Wege finden, die einheimische Wirtschaft zu stärken und die äußere Abhängigkeit bei der Grundversorgung des Landes mit lebensnotwendigen Gütern zu verringern? Wird die neue Führung sicherstellen, dass sich die Politik künftig innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen bewegt oder neue Versuche starten, um auf extralegalem Weg ihre Macht zu erhalten? Wird die neue Führung die Rechtsstaatlichkeit gewährleisten und dem Land anstelle neuer Gefahren und Misserfolge neue Chancen ermöglichen? Wie die Antworten auf diese Fragen auch ausfallen mögen, nur die Zukunft wird zeigen, ob Kirgistan wirklich gestärkt aus den jüngsten politischen Unruhen hervorgegangen ist.

Übersetzung aus dem Englischen: Armin Wolking

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