Der Kurultai im historischen Wandel: von der Adelsversammlung zum Organ öffentlicher Willensbildung
»Kurultai« ist ein Wort mongolischen Ursprungs und bedeutet sinngemäß nichts anderes als »Versammlung«. Für die türkischen und mongolischen Völker diente der Kurultai als vom Khan einberufener Rat, der die Oberhäupter der ranghöchsten Adelsfamilien aus verschiedenen Teilen des Landes versammelte, um die wichtigsten Fragen der Innen- und Außenpolitik zu diskutieren, Widersprüche zu klären und Konflikte zu lösen. In dieser Hinsicht kann der Kurultai mit den englischen Parlamenten des Mittelalters[1] verglichen werden. Eine der frühesten Erwähnungen des Kurultai stammt aus der Zeit von Dschingis Khan, der im Jahr 1206 den mongolischen Großadel versammelt hat und von diesem zum Großkhan aller Mongolen gewählt wurde. Für die Geschichte des kirgisischen Volkes war der Kurultai von 1842 wegweisend, der von Ormon Khan aus dem Haus der Sarybagysch in Kotschkor (heutiges Gebiet Naryn) einberufen wurde, um sich zum ersten und einzigen Khan des Kara-Kirgisischen Khanates krönen zu lassen.
Im selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staat der Sowjetunion spielte der Kurultai als traditionelle Institution zu Versammlung des Adels keine Rolle mehr. Auf die Gründung der Kirgisischen SSR 1936 folgte nach dem Vorbild der anderen Sowjetrepubliken 1938 die konstituierende Sitzung des Obersten Sowjets. Der unikamerale Oberste Sowjet stellte das formal höchste gesetzgebende Organ der Republik dar und hatte diese Funktion bis 1994 inne. Mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung im Mai 1993 ging die Legislative der Kirgisischen Republik auf den Dschogorku Kenesch als neuem Einkammerparlament des nun unabhängigen Landes über.
Der erste Präsident der Kirgisischen Republik, Askar Akajew, hat während seiner Amtszeit versucht, den Kurultai als im Grunde herrschaftslegitimierendes Organ wiederzubeleben. Dafür hat er die ursprünglich dem Adel vorbehaltene Institution, von der die einfache Gefolgschaft ausgeschlossen blieb, in eine Volksversammung mit Massencharakter uminterpretiert. So hat Akajew 1992 den »ersten Weltkurultai des kirgisischen Volkes« einberufen, 1994 folgte die Einberufung des »ersten Nationalkurultai des kirgisischen Volkes«. In beiden Fällen ging es u. a. um die »Stärkung der interethnischen Harmonie und Freundschaft zwischen den Völkern der Kirgisischen Republik«. Mit dieser Strategie wollte Akajew die Lage im Land stabilisieren und seine eigene Macht konsolidieren, nachdem es im Jahr 1990 in Osch infolge von Streitigkeiten über die Zuteilung von Farmland einer ehemaligen Kolchose zu interethnischen Zusammenstößen zwischen Kirgisen und Usbeken gekommen war.
Den nächsten offiziellen Kurultai unter dem Motto »Kirgisische Staatlichkeit: Frieden und Stabilität« berief Akajew 2003 ein, nachdem er wegen des Aksy-Vorfalls unter massiven Druck geraten war. Ein Jahr zuvor hatte die Polizei im südlichen Bezirk Aksy auf friedlich gegen einen Land-Deal mit China protestierende Demonstranten geschossen und dabei fünf Menschen getötet und Dutzende verletzt. Als Reaktion auf den Aksy-Vorfall begann die Opposition ab 2002 ihre eigenen Kurultais abzuhalten, die von informellen Gruppen wie »Einheit des kirgisischen Volkes« organisiert wurden. Am 16. November 2002 hat die Opposition einen Kurultai einberufen, bei dem ein geplantes Referendum über die Ausweitung der präsidialen Machtbefugnisse Akajews und der Prozess um den Aksy-Vorfall diskutiert wurden. Der Kurultai wurde schließlich von den Behörden gestört. Über die folgenden Jahre fanden vor allem im Süden des Landes immer wieder oppositionelle Kurultais statt, die von ehemaligen Beamten und pensionierten Politikern unterstützt und finanziert wurden. Wenige Tage vor dem Sturz Akajews im Jahr 2005 hielt die Opposition erfolgreich einen weiteren Kurultai in Osch ab, bei dem Demonstranten auch die Regionalverwaltung besetzten. Einer der Redner war Kurmanbek Bakijew, der seine Popularität durch den Auftritt noch einmal steigern konnte und im Zuge der Tulpenrevolution kurz darauf die Macht ergriff.
Wie Akajew hat auch Bakijew versucht, der zunehmenden Kritik an seiner korrupten Herrschaft durch Einberufung eines Kurultai den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ein im März 2010 von Bakijew einberufener »Kurultai des Konsens«, welcher der Opposition eigentlich zuvorkommen sollte, ging jedoch spektakulär nach hinten los: anstatt die öffentliche Kritik an seiner Person zu adressieren erklärte Bakijew dem Publikum, dass »Kirgistan nicht für Demokratie, Wahlen und individuelle Menschenrechte gemacht ist.« Mit dieser Ansprache hat Bakijew schließlich sein eigenes Schicksal besiegelt, dessen Regime zwei Wochen später in der Aprilrevolution gestürzt wurde. Die nach der Revolution eingesetzte Interimsregierung begann mit der Ausarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfes, der die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems vorsah. Parallel dazu initiierten regionale Kurultais im Land die Vorbereitung eines alternativen Verfassungsentwurfes, der statt des parlamentarischen Regierungssystems eine Form der direkten Demokratie mit dem Nationalkurultai als oberster Exekutivinstanz vorsah. Der Entwurf wurde jedoch von der Interimsregierung abgelehnt und im Juni 2010 per Referendum das parlamentarische Regierungssystem angenommen. Die neue Verfassung definierte den Kurultai zwar als »Organ der Volksregierung«, ohne legalen Rahmen blieben offiziell einberufene Kurultais jedoch weiterhin sporadische Ausnahmen. Die ausbleibende Institutionalisierung war schließlich ein Grund dafür, dass die graswurzelbasierte Kurultai-Bewegung auch nach den Parlamentswahlen im Oktober 2010 weiter anwuchs. Im Januar 2011 tagte der Kurultai von Talas und bis September 2011 wurden Kurultais in allen sieben Regionen und ein weiterer auf Landesebene abgehalten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Kurultais als starke außerparlamentarische Kraft etabliert, die wirkmächtig öffentliche Anliegen vertrat und von den Behörden nicht länger ignoriert werden konnte.
Der Nationalkurultai als offizielles Verfassungsorgan ab 2021
Der entscheidende Schub zur verfassungsmäßigen Institutionalisierung des Kurultai kam mit der Revolution von 2020 und der anschließenden Machtergreifung Sadyr Dschaparows. Der Leiter des Fachbereich Internationales und Verfassungsrecht an der Kirgisisch-Russischen Slawischen Universität in Bischkek, Bekbosun Börübaschew, wurde von Dschaparow zum Vorsitzenden des damals neu eingesetzten Verfassungsrates ernannt. Börübaschew galt bereits seit Jahren als Befürworter einer Etablierung des Kurultai als verfassungsmäßigem Organ. Der Verfassungsrat bestand aus 89 Personen, darunter Vertretern der wissenschaftlichen Gemeinschaft, der Zivilgesellschaft, nichtstaatlicher Organisationen, sowie Juristen, Parlamentariern und anderen Experten. Der Verfassungsrat sah im Kurultai einen Weg zu mehr bürgerlicher Machtbeteiligung, des Ausgleichs demokratischer Defizite, der Stärkung lokaler Gemeinschaften sowie der öffentlichen Kontrolle von Präsident und Regierung. Die Befürworter einer neuen Verfassung vertraten die Meinung, dass die Kirgisen vor 30 Jahren einen »falschen«, »fremden« Entwicklungspfad eingeschlagen hätten; dieser sei zu westlich oder pro-westlich gewesen, oder hätte einfach nicht den »echten kirgisischen Werten« entsprochen. Der Nationalkurultai stellt demnach die Rückkehr zu einem »traditionellen Mechanismus« der Machtteilhabe dar, der besser mit der »authentischen kirgisischen Mentalität« vereinbar ist.
Im April 2021 wurde per Referendum eine neue Verfassung verabschiedet, die nicht nur das präsidiale Regierungssystem re-etabliert hat, sondern in der auch zum ersten Mal ein legaler Rahmen für die Einberufung und Durchführung von Kurultais definiert wurde. Mit dieser Formalisierung wollte Dschaparow den Kurultai, als Organ der Vertretung öffentlicher Anliegen, von Anfang an in sein neues politisches System integrieren und zur Legitimierung seiner eigenen Herrschaft nutzbar machen. Durch die herrschaftliche Einbindung von lokalen öffentlichen Vertretern wurde die bisherige Funktion des Kurultai, oppositionelle Ansichten der Bevölkerung zu vertreten, weitgehend neutralisiert. Der letzte oppositionelle Kurultai fand am 15. Oktober 2022 am Ufer des Kempir-Abad-Stausee im Gebiet Dschalal-Abad statt. Die dort versammelten Bürger forderten die Regierung auf, eine kurz zuvor auf Präsidentenebene ausgehandelte Übereinkunft rückgängig zu machen, in der sich Dschaparow und sein usbekischer Amtskollege Mirsijojew auf die Abtretung des Stausees an Usbekistan geeinigt hatten. Das Staatliche Komitee für Nationale Sicherheit (GKNB) reagierte auf die Demonstration mit massiver Gewalt und nahm mehr als zwei Dutzend Teilnehmer fest, die später wegen der angeblichen »Planung von Massenunruhen« angeklagt wurden. Die Tradition der graswurzelorganisierten Bewegung von oppositionellen Kurultais hatte damit ihr vorläufiges Ende gefunden.
Der von den Menschen gehegte Wunsch nach Einführung eines offiziellen Nationalkurultai ist das Ergebnis der jahrelangen Unzufriedenheit mit korrupten Behörden, einer ineffizienten Verwaltung und einem dysfunktionalen Regierungssystem, das nicht mehr zur Lösung der dringendsten Probleme in der Lage schien. Trotz der Revolutionen von 2005 und 2010 und der Einführung eines parlamentarischen Systems blieb das Volk, der eigentliche Souverän, von der staatlichen Macht ausgeschlossen und dieser untergeordnet. Um diese klaffende Lücke zwischen Staat und Souverän zu schließen, wurde die neue Verfassung von 2021 mit einer Reihe populistischer Klauseln gefüllt, die u. a. Passagen aus dem Epos von Manas und vage Bezüge zu »moralischen Werten und traditioneller Mentalität« beinhalten. In diesem Zusammenhang erschien die offizielle Einführung des »Nationalkurultai« als besonders signifikant und weckte hohe Erwartungen. Die Hoffnungen über eine rechtliche Ausstattung des Nationalkurultai mit weitgehenden Kompetenzen wurden jedoch schnell enttäuscht. Am 24. Juli 2023 hat Dschaparow das Verfassungsgesetz »Über den Nationalkurultai« unterzeichnet, in dem dieser nun als beratendes, beobachtendes und öffentlich repräsentatives Gremium definiert wird, das die Rechte und Freiheiten der Bürger gegenüber dem Staat vertreten soll und befugt ist, unverbindliche Empfehlungen zu sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsfragen abzugeben. Die Mitglieder des Kurultai sollen staatliche und rechtliche Angelegenheiten diskutieren und die Absetzung von Ministern oder leitenden Beamten empfehlen. Die tatsächliche Umsetzung von Empfehlungen obliegt jedoch ausschließlich dem Präsidenten, der auch das Alleinrecht zur Einberufung des Kurultai besitzt.
Auch wenn der Kurultai ein überwiegend repräsentatives Organ ohne bindende Kompetenzen bleibt, zeugt dessen verfassungsmäßige Institutionalisierung von Dschaparows Wunsch, die Fehler seiner Vorgänger zu vermeiden und einen möglichst großen Teil der Bevölkerung in das eigene Regierungshandeln einzubinden. Dschaparow sieht den Kurultai als Mittel, öffentliche Debatten »von der Straße« in einen institutionalisierten Rahmen zu bringen und so dem Entstehen von oppositionellen Proteststimmungen zuvorzukommen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Kurultai, der auf die elitäre Adelsversammlung von Dschingis Khan zurückgeht, heute als Instrument angesehen wird, dem Demokratiedefizit im Land entgegenzuwirken und die Arbeit der Behörden besser an die Bedürfnisse und Erwartungen der Bevölkerung anzupassen. Der Kurultai soll dabei nicht nur als Organ der öffentlichen Willensbildung fungieren, sondern als kollektives System zur Kontrolle der Arbeit des Präsidenten, der Regierung sowie von Richtern, Beamten und anderen staatlichen Stellen. Die formale Kompetenz, unverbindliche Misstrauensvoten gegen die Regierung und den Präsidenten zu initiieren, stärkt, zumindest in der Theorie, die von der Regierung zu erbringende Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit. Der Nationalkurultai soll auch die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen stimulieren und die Stimme der Gemeinden auf der nationalen Ebene stärken, insbesondere von den Bezirken, die keinen Vertreter im nationalen Parlament haben. Das Mandat der Delegierten, die von den Dorf- und Bezirksräten gewählt werden, beinhaltet die ausdrückliche Aufgabe, lokale Probleme an den Präsidenten und die Regierung zu vermitteln. Auch können sie von Gemeinde- und Bezirksbeamten Berichte anfordern, was wiederum jene Rechenschaft stärkt, die von Lokalbehörden gegenüber dem Zentralstaat erbracht werden muss.
Am 25. November 2022 fand in Bischkek der erste Nationalkurultai statt, einschließlich der Teilnahme von Präsident Dschaparow. Die wichtigste Resolution beinhaltete einen Aktionsplan, der aus 3.182 Punkten bestand und Maßnahmen zu Fragen der Gerichtsarbeit und Rechtsdurchsetzung, der Lösung sozioökonomischer Probleme, der Landverteilung und der wirtschaftlichen Entwicklung umfasste. Im Dezember 2023 fand der zweite Nationalkurultai statt, bei dem 695 Delegierte aus allen Regionen des Landes teilnahmen, darunter 30 Vertreter ethnischer Minderheiten und 30 Vertreter von im Ausland tätigen Arbeitsmigranten. Diese landesweite Versammlung war insgesamt besser organisiert als der erste Nationalkurultai im Vorjahr und hat einmal mehr die hohe Nachfrage der Gesellschaft nach direktem Austausch zwischen Regierung und Bevölkerung verdeutlicht. Das Format des offenen Dialogs »ohne Vermittler« wurde von den Rednern als wichtiger kommunikativer Aspekt des neuen Systems der Staatsführung anerkannt. Der Präsident legte, ähnlich einer großen Pressekonferenz, Rechenschaft über seine Arbeit und den Fortschritt bei der Umsetzung des Aktionsplans vom ersten Nationalkurultai ab. Dabei konnte man beobachten, wie Dschaparow tatsächlich versucht hat, die Stimmung in der Gesellschaft »von unten« zu erfassen und zu verstehen, wo der bürokratische Apparat ineffizient arbeitet und wo Amtsträger Täuschungsmanöver betreiben. Für die aus den Regionen angereisten Bürger bot die Versammlung eine Gelegenheit, direkt und offen mit dem Staatsoberhaupt über eine breite Palette von Fragen – von kleineren Alltagsproblemen bis hin zu politischen und sozioökonomischen Angelegenheiten – zu diskutieren. Die Übertragungen der Kurultai-Sitzungen in TV und Radio erzielten die höchsten Einschaltquoten und keine andere Veranstaltung im Land hat jemals ein so großes Publikum angezogen. All dies impliziert, dass der Nationalkurultai durchaus in der Lage ist, Transparenz und Rechenschaftspflicht der staatlichen Verwaltung zu erhöhen. Durch die Förderung einer offenen politischen Debatte trägt das Gremium dazu bei, das politische Bewusstsein und die Bürgerbeteiligung zu stärken und ein Mindestmaß an demokratischer Regierungsführung im Land zu gewährleisten. Zu guter Letzt haben einzelne Beiträge von Delegierten gezeigt, dass es im Land weiterhin Widerspruch gegen Dschaparows Pläne gibt, den Staat als autoritären Wächter[2] vermeintlich allgemeingültiger »Werte« und »Moralvorstellungen« zu etablieren.
Fazit: die Kehrseite vom Nationalkurultai
Trotz der positiven Entwicklungen im Zusammenhang mit dem zweiten Nationalkurultai bleiben eine Reihe kritischer Punkte und Fragen offen. Ein Hauptkritikpunkt bezieht sich auf den Umstand, dass der Nationalkurultai im Wesentlichen das Parlament dupliziert und eine Parallelstruktur zum Dschogorku Kenesch schafft – mit noch weniger Befugnissen. Der Nationalkurultai bietet dem Präsidenten eine Plattform, sich in einer für ihn bequemen Form vor der Bevölkerung zu rechtfertigen und in vorteilhafter Weise die besten Ergebnisse der Regierungsarbeit vorzustellen. Wie die KPdSU-Parteitage zu Sowjetzeiten ist der Nationalkurultai eine im TV übertragene Massenshow, bei der Delegierte aus den Bezirken, Städten und Regionen etwas sagen können, aber im Großen und Ganzen die Regierung loben und dann wieder auseinandergehen. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die dominante Rolle des Präsidenten. Ein Beispiel hierfür ist die hitzige Debatte über die Änderung der Staatsflagge, wobei direkt am ersten Tag deutlich wurde, dass eine Einigung unter den Delegierten schwierig wird. Fast zwei Drittel der Anwesenden sprachen sich vehement gegen die Änderung der Flagge aus. Nach einer Stellungnahme des Präsidenten am zweiten Tag zugunsten einer Änderung fiel es plötzlich jedoch viel leichter, zu einem Konsens zu gelangen und einen Beschluss zu fassen – zugunsten der Änderung. Der Fall verdeutlicht, dass es vielen Delegierten an Grundsätzen und Konsequenz mangelt, was wiederum vom Präsidenten zur Steigerung seiner eigenen Legitimität ausgenutzt wird. Der Kurultai bleibt somit ein vom Präsidenten und seinen Interessen dominiertes Organ.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Wahl der Delegierten. Der Auswahlprozess ist undurchsichtig und stark von der Lokalpolitik der jeweiligen Gemeinde geprägt. Die Wahl der Delegierten durch die etablierten Gemeinderäte präferiert finanziell erfolgreiche oder offen pro-präsidentielle Aktivisten und Lokalpolitiker, die sich durch ein Mandat Zugang zum Präsidenten und damit zu persönlicher Macht und staatlichen Ressourcen erhoffen. In diesem Zusammenhang kommen berechtigte Zweifel auf, ob der Nationalkurultai tatsächlich die Interessen der Bevölkerung zu vertreten vermag, oder es sich doch nur um ein populistisches Machtwerkzeug zur weiteren Konsolidierung und Legitimierung des herrschenden Regimes handelt. Die anhaltende Erosion der Rechtsstaatlichkeit und die zunehmende Repression von politischen Gegnern, Aktivisten und Journalisten lässt auf letzteres rückschließen. Auch wenn er die Möglichkeiten zur politischen Bürgerbeteiligung tatsächlich stärkt, ist der Nationalkurultai am Ende ein rein repräsentatives Organ ohne die Kompetenz zur tatsächlichen Durchsetzung von staatlicher Rechenschaftspflicht. Damit etabliert der Nationalkurultai nur eine weitere Fassade von »Volkskontrolle«, hinter der weiterhin jene Machtstrukturen etablierter Patron-Klient-Netzwerke stehen, die bisher jeden Machtwechsel überstanden und sich noch jede verfassungsmäßige Institution angeeignet haben.
Verweise
[1] http://www.historyofparliamentonline.org/periods/medieval
[2] https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-spotlight/unter-dem-vorwand-der-tradition-die-unterdrueckung-der-medien-in-kirgistan