Von Mikita Merzlou (Ruhr-Universität Bochum)
Zusammenfassung
Jahrzehntelang war in Belarus eine untertänig geprägte und fürsorgeorientierte politische Kultur der Bevölkerung vorherrschend. Eine solche politische Kultur fördert eine spezifische sozialpaternalistische Reziprozitätsbeziehung zwischen den Regierten und dem Regierendem. Die meisten Belarussen betrachten ihren
Präsidenten nicht als ihren höchsten Repräsentanten, der verfassungsgemäß abgewählt werden kann. Vielmehr wird der Präsident als eine väterliche Figur wahrgenommen, der so lange an der Macht bleiben darf,
wie er ein hohes Wohlstandsniveau gewährleistet sowie seinen Diskurs nach fürsorgeorientierten Mentalitäten der Bevölkerung ausrichtet. Rückt der Präsident einmal von dieser Reziprozitätsbeziehung ab, kann
sein Thron ins Wackeln geraten. Dies verspricht jedoch keine Demokratisierung. Eine gründliche Demokratisierung von Belarus ist nur dann möglich, wenn an die Stelle einer politischen Kultur von Untertanen
eine politische Kultur von Bürgern tritt und die demokratiehemmende sozialpaternalistische Reziprozitätsbeziehung auflöst.