Ab Ende der 1950er Jahre, also ab dem Zeitpunkt, an dem man davon ausgehen muss, dass Tadeusz Mazowiecki die Grundlage seiner politischen Haltung entwickelte, wird er zum Fürsprecher der polnisch-deutschen Versöhnung, und zwar nicht nur der Verbesserung der polnisch-deutschen Beziehungen, sondern der Umsetzung einer grundlegenden Wende in ihnen. Offenbar gab es hierfür zwei Voraussetzungen.
Die eine war vor allem politischer Natur. Die polnisch-deutsche Versöhnung war für den zukünftigen Ministerpräsidenten eine unerlässliche Bedingung dafür, dass Polen seine Selbständigkeit wiedererlangen und sich die unglückselige geopolitische Situation verändern wird. Das nach Westen verschobene Polen, ein Drittel des Territoriums auf ehemaligem deutschem Gebiet, schien eine Geisel Moskaus zu sein. Die real existierenden, aber auch unablässig von den Machthabern der Volksrepublik propagandistisch hervorgehobenen revisionistischen Tendenzen der Bundesrepublik Deutschland sollten dazu bewegen, unter den Fittichen des Großen Bruders zu bleiben. Dies war vielleicht das wichtigste Argument der Legitimierung der kommunistischen Machthaber in Polen. Jeder Schritt in Richtung Annäherung an die Deutschen hat also diese Legitimierung geschwächt und war insofern eine Annäherung an den Westen.
Klar war, dass der Weg hin zu besseren Beziehungen mit den Deutschen schwierig werden würde. Der damalige Redakteur des Magazins Więź suchte in Deutschland Dialogpartner für eine lange Stecke. Er fand sie im westdeutschen PAX Christi und dem Bensberger Kreis sowie in Günter Särchen und der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Ostdeutschland. In den 1960er und 70er Jahren schienen dies marginale und politisch bedeutungslose Kreise zu sein. Erst nach Abschluss des Warschauer Vertrages vom Dezember 1970 konnte man von den Mitgliedern des PAX Christi als Pionieren der Versöhnung sprechen. Im Falle von Günter Särchen war es eindeutig, dass er als Oppositioneller in Ostdeutschland am Rande der großen Politik bleiben würde. Mazowiecki wollte jedoch immer Politik mit Menschen guten Willens betreiben und Politik, die auf Hoffnung gründet und nicht nur auf den Bedingungen der Realpolitik.
Die Zeit, unmittelbar an der großen internationalen Politik teilzunehmen, kam für den nunmehr ehemaligen Redakteur von Więź und des Tygodnik Solidarność im Jahr 1989. Der Moment war auch deshalb von historischer Bedeutung, weil sich damals das Schicksal Deutschlands entschied. Er war Befürworter der deutschen Vereinigung, stellte aber gleichzeitig eindeutige Bedingungen, wozu die bedingungslose Anerkennung der territorialen Integrität der Republik Polen gehörte. Es scheint nicht so, als hätte Bundeskanzler Kohl bezüglich der Grenze Zweifel gehabt, allerdings wollte er die Angelegenheit bedingt durch die innenpolitische Situation auf für sich bequeme Art und Weise regeln. Mazowiecki erwies sich als harter Verhandler, der keine zweideutigen Situationen zuließ. Auf diese Weise schuf er auch die Voraussetzung für die weiteren gutnachbarlichen Beziehungen. Die Versöhnungsgeste in Kreisau (Krzyżowa) erwies sich infolge dessen als bedeutungsvoll, obgleich sich beide Politiker, Kohl und Mazowiecki, nie sympathisch fanden und ihr gegenseitiges Misstrauen bewahrten.
Bestimmender Faktor für Tadeusz Mazowieckis Haltung Deutschland gegenüber war nicht nur die Politik. Als Christ wollte er nicht Hass als gemeinsame Beziehung zwischen Menschen und Gesellschaften akzeptieren. Allerdings waren Antipathie und häufig Hass nach dem Krieg verbreitete Gefühle in der Einstellung der Polen und der Deutschen. Eine Voraussetzung dafür war, auf der jeweils anderen Seite nur ein Kollektiv im Lichte von Stereotypen zu sehen und nicht individuelle Menschen und ihre Gesichter.
Will man das Denken von Tadeusz Mazowiecki über das deutsche Problem erfassen, muss unbedingt an die von Więź herausgegebene Sammlung von Texten des von den Nazis hingerichteten Theologen Dietrich Bonhoeffer erinnert werden sowie an ein Buch, das Mazowiecki intellektuell ungeheuer nahe war, und zwar »Der Christ im Dritten Reich« von der heute etwas in Vergessenheit geratenen Publizistin Anna Morawska. Beide Bücher, die er selbst herausgegeben hat, gaben auch von den tiefsten Schichten seiner ideellen Einstellung Zeugnis. Es ging nicht nur um die Gestalt des guten Deutschen als Gegenbeispiel zum negativen Stereotyp. Die Person Bonhoeffer erscheinen zu lassen, war das Überschreiten einer künstlichen Grenze bei der Einteilung in Polen und Deutsche. Der deutsche Theologe wurde ein Partner in ein und derselben universalen Frage nach dem Widerstand des Einzelnen gegen eine Diktatur. Polen und Deutsche sollte der moralische Imperativ verbinden – der Christ im Dritten Reich hatte seine Entsprechung im Christen im Kommunismus – und nicht die schlechte und düstere Vergangenheit trennen. Dietrich Bonhoeffer war für Mazowiecki eine ungeheuer wesentliche Persönlichkeit, und er unternahm große Anstrengungen für die Herausgabe beider Bücher, wobei er die Zensur überwand.
Unbedingt erinnernswert ist auch, dass Mazowiecki die deutsche Frage in einem größeren europäischen Kontext betrachtete. Der Gedanke, der später mit der Gründung des »Weimarer Dreiecks« Früchte tragen wird, ist in den Diskussionen um Więź herum bereits in den 1970er Jahren präsent. Gesprochen wird über den Bedarf, ein Zentrum des europäischen Kontinents zu schaffen, zu dem Frankreich, Deutschland und Polen gehören sollen. Für die Anhänger der Realpolitik konnte das damals wie ein Plan, der auf Entwicklung konzipiert ist, wirken, ähnlich wie die Versöhnung mit Deutschland in die fernere Zukunft verlegt werden sollte. Auch Tadeusz Mazowiecki konnte nicht die Zeit vorhersehen, in der sich dieses Gedanken realisieren würden, jedoch war er ein Politiker der Hoffnung. Er dachte in der Kategorie der Hoffnung und war bestrebt, Politik mit Menschen guten Willens zu gestalten. Dies erwies sich überraschend als außerordentlich wirksam.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Quelle: <http://kazwoy.wordpress.com/2013/11/10/mazowiecki-polski-chrzescijanin-patrzy-na-niemcy-wspomnienia-6/>(abgerufen am 18.11.2013) sowie in: Tygodnik Powszechny, Nr. 45 (10.11.2013). S. 18.