Warschau – postmoderne Entwicklungen nach der sozialistischen Moderne

Von Olaf Kühne (Hochschule Weihenstephan Triesdorf)

Zusammenfassung
Im Kontext der Systemtransformation vollzog sich in der Stadtlandschaft Warschau der Übergang vom Leitbild der »sozialistischen Stadt« zu einer Eigenentwicklung, die sich an konsumkapitalistischen Mustern orientierte, ohne dass ein übergreifender städtebaulicher Plan erkennbar wäre. Auf diese Weise wird eine zunehmende Fragmentierung der Stadtlandschaft in unterschiedliche funktionale, strukturelle und gestalterische Einheiten begünstigt, was mit einem grundlegenden Wandel der Versorgungsinfrastruktur sowie des Wohnens einhergeht. Die spezifische Kombination aus dynamischer postmoderner Raumentwicklung und Hinterlassenschaften aus der sozialistischen Vergangenheit sowie früherer Zeitschichten gibt Impulse, die auch in anderen Städten Polens umgesetzt werden.

Seit mehr als 40 Jahren werden in Sozial- und Kulturwissenschaften, in Philosophie, Architektur und Raumwissenschaften postmoderne Entwicklungen diskutiert. Eine zentrale Bedeutung im Kontext der Untersuchung urbaner Postmodernisierungsprozesse nimmt dabei die »Los Angeles School of Urbanism« (z. B. Soja 1995 und 2005, Dear/Flusty 2002, Dear 2000 und 2005) ein. Am Beispiel Los Angeles wurden räumliche Aspekte gesellschaftlicher Postmodernisierungsprozesse untersucht und als mehr oder minder allgemeingültig gedeutet. Auch in ostmitteleuropäischen Transformationsstaaten wie Polen lassen sich entsprechende räumliche Veränderungsprozesse beobachten (vgl. z. B. Kühne 2010 und 2014). Mit dem Einsetzen der Systemtransformation vor einem Vierteljahrhundert haben sich die Prinzipien der Raumproduktion fundamental gewandelt: Nicht mehr die sozialistische Zentralverwaltung entschied über die räumliche Entwicklung, sondern konsumkapitalistische Muster. Zugleich persistieren Raumstrukturen aus der sozialistischen und der vorsozialistischen Ära. Das entstehende postsozialistisch-postmoderne Raumpatchwork wird in diesem Beitrag am Beispiel Warschaus, als einem der Entwicklungspole der Staaten Ostmitteleuropas, einer genaueren Betrachtung unterzogen. Dabei wird zunächst ein Blick auf postmoderne Raumentwicklungen gelenkt, anschließend werden Mechanismen der sozialistischen Raumproduktion in Warschau untersucht. Alsdann werden Aspekte der Postmodernisierung räumlicher Strukturen in Warschau betrachtet.

Postmoderner Urbanismus

Als wesentliches Element postmodernen Denkens lässt sich die Ablehnung großer Ideologien oder – wie François Lyotard (1987) sie nennt – der »Großen Erzählungen« verstehen. An die Stelle dieser »Finalitätsmythen« (Beck/Bonss/Lau 2001: 17) treten die »Kleinen Erzählungen« (Lyotard 1987), Sprachspiele mit begrenztem Wahrheitsanspruch. Im sozioökonomischen Kontext wird die postindustrielle Ökonomie (Bell 1973) durch den Übergang von fordistischer zu postfordistischer Regulation geprägt. Die Globalisierung unterminiert »die ökonomische Selbstdefinition« (Beck/Bonss/Lau 2001: 23) des modernen Staates im Sinne einer containerhaft gedachten Einheit von Staat und Volkswirtschaft. Eine wesentliche Konsequenz der Globalisierung ist die Entstehung von Global Cities (Sassen 2001), die weltweite Steuerungsfunktionen übernehmen und so eine Bedeutung erhalten, die nicht allein aus dem nationalstaatlichen Kontext ableitbar ist (wie bei London oder sogar New York). Doch scheint der Prozess der Globalisierung »keine kulturelle Uniformität zu erzeugen, vielmehr lassen sich neue Ebenen der Diversität feststellen« (Featherstone 1995: 13–14). Im globalen (aber auch kontinentalen oder auch nationalen) Kontext konkurrieren Städte um Aufmerksamkeit, die sie mit der Inszenierung von Besonderheiten zu belegen trachten (Häußermann/Siebel 1993), wodurch Stadtlandschaften den Charakter eines Themenparks annehmen können (Knox/Pinch 2010).

Mit der Entwicklung einer flexiblen postfordistischen Produktion schwindet die Plan- und Berechenbarkeit des modernen Lebens. Dies hat auch Einfluss auf das Selbstverständnis der Menschen: »Subjektivitäts­collagen bewahren abwechslungsreiche Lebendigkeit, und die Techniken des balancierenden und kreativ-virtuosen Rollenspiels werden im bunten Mix als ›Patchwork-Karriere‹, ›Patchwork-Persönlichkeit‹ und ›Patchwork-Identität‹« (Ferchhoff/Neubauer 1997: 29–30) neu arrangiert. Die Multioptionalität der Postmoderne lässt sich jedoch durchaus auch als ambivalent beschreiben: Die Möglichkeit der Wahl geht mit dem Zwang zu Flexibilität und Anpassung einher und ist nicht zuletzt mit der Erzeugung von Unsicherheit verbunden (Bauman 2000): Neben dem Gefühl der Ungewissheit (uncertainty), also des Verlustes der Kenntnis »des Unterschieds zwischen vernünftig und dumm, glaubwürdig und irreführend, nützlich und nutzlos, passend und unpassend oder vorteilhaft und schädlich« (Bauman 2000: 31), greift das Gefühl nicht vorhandener Sicherheit (insecurity) um sich. Diese Abwesenheit von Sicherheit (im Sinne von security) lässt die Welt nicht mehr »beständig und verlässlich« (Bauman 2000: 31) erscheinen, das Vertrauen in die Verlässlichkeit der eigenen Wertmaßstäbe, Deutungs- und Handlungsmuster ist gestört (Bauman 2000 und 2009). Hinzu kommt das Gefühl der Schutzlosigkeit (unsafety), das sich auf die Abwesenheit jener Gewissheit bezieht, mit einem angemessenem Verhalten Schaden von dem eigenen Körper »und seinen Verlängerungen – Besitz, Zuhause und Nachbarschaft – wie auch dem Raum, dem all diese Elemente eines ›größeren Ich‹ eingeschrieben sind« (Bauman 2000: 31), fernhalten zu können. Gerade diese Angst produzierende Unsicherheit äußert sich als Bestreben, Sicherheit durch räumliche Strukturen herzustellen (Kühne 2012). Ein solches Handeln lässt sich als nicht allein bewusst dominiert verstehen, es umfasst – im Sinne Paretos (2006[1916]) – einen residualen nichtlogischen Kern: »Während Derivate die dem Akteur bewussten Aspekte seines Handelns darstellen, kann man die Residuen als mentale Entitäten mit emotionalem und kognitiven Anteilen auffassen, die die unbewusste Grundstruktur nicht-logischen Handelns verkörpern« (Albert 2005: 129–130; Hervorh. i. O.).

Die Gliederung von Stadtlandschaften folgt in der Postmoderne immer weniger »großen städtebaulichen Entwürfen«, zu deren Durchsetzung die Macht der Stadtpolitik nicht mehr ausreicht. Sie orientiert sich immer mehr an inkrementalistischem planerischem Begleiten von Einzelprojekten – häufig als Public-Private-Partnerships umgesetzt –, bis hin zur »Nicht-Planung«, wie sie Banham (1999[1971]) für Los Angeles attestierte. Entsprechend der Aufgabe des Projektes, Raum durch »große planerische Erzählungen« umgestalten zu wollen, erfolgt in der postmodernen Agglomeration eine »großflächige Rekonfiguration von Grenzen« (Soja 2005: 40), die sich aus einer Melange aus ökonomischem Verwertungsinteresse und individuellen (sozial vermittelten) Wünschen entwickelt (Hayden 2009). Dabei wird das pädagogische moderne Prinzip von form follows function durch die Vielheit der Prinzipien von form follows fiction, form follows fear, form follows finesse und form follows finance ersetzt (Ellin 1999). Hier erhält das Historische eine besondere Wertschätzung: »Während die Moderne sich von aller Geschichte zu befreien suchte und Architektur zu einer Sache der reinen Gegenwart werden ließ, haben wir in der Postmoderne die Erinnerung zurückgewonnen. Die Geschichte als wiedererlangte Perspektive erlaubt es nicht länger, der Interessantheit der reinen Formen Reize abgewinnen zu wollen, sondern sich stattdessen einzulassen auf den Geist der Ironie« (Klotz 1985: 423; Tabelle 1, S. 4).

Die sozialistische Modernisierung Warschaus

Infolge der weitgehenden Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg und der Massenabrisse großer Teile der Stadt zu Beginn der sozialistischen Ära blieben nur wenige physischen Repräsentanten des bürgerlichen Warschaus des 19. Jahrhunderts erhalten (Borodziej 2008). Die Rekonstruktion der Altstadt wie auch des Königswegs auf der Grundlage von historischen Fotos, Bildern und Plänen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit dem Ziel verfolgt, zu verdeutlichen, »trotz aller Demütigungen eine stolze Nation zu sein« (Koch 2010: 153). Auch wenn sich Warschau daher »nicht auf das Merkmal der typisch sozialistischen Stadt« (Koch 2010: 143; ähnl. Koch 2012) reduzieren lässt, dominierten zum Ende der sozialistischen Ära doch die räumlichen Manifestationen der forcierten sozialistischen Industrialisierung als Symbole des Sozialismus und der sozialistischen Verstädterung (Domański 1997). Allerdings fand das Leitbild der sozialistischen Stadt – im Sinne Lyotards als eine »Große (städtebauliche) Erzählung« zu deuten – nur selten und dann eher annäherungsweise eine Konkretisierung im physischen Raum. Auch blieb das Leitbild nicht unverändert: War die – für die polnische Urbanisierung der Nachkriegszeit bestimmende – städtische Architektur der stalinistischen Ära durch einen »monumentalen Historismus national verbrämter traditioneller Stilformen« (Kadatz 1997: 15) geprägt, wurde dieser von einer funktionalistisch geprägten Phase abgelöst. Die städtebaulich dominanteste Manifestation der stalinistischen architektonischen Leitvorstellung stellt der 1952 bis 1955 gebaute 234 Meter hohe Kultur- und Wissenschaftspalast dar (siehe Abbildung 1, S. 5). Das die Vormachtstellung der Sowjetunion symbolisieren sollende (Koch 2010), den Maßstab der baulichen Umgebung sprengende Bauwerk prägt bis heute die Skyline Warschaus (Koch 2012). Seine ästhetisch-erhabene Dominanz wird durch die Dominanz von Plätzen und Parkanlagen in seiner Umgebung unterstützt, deren Anlage durch die Ausschaltung des städtischen Bodenmarktes erleichtert wurde.

In der Phase funktionalistischen Städtebaus wurde der Planungs- und Bauaufwand durch das modernistische Streben nach Skalenvorteilen minimiert. Sie ist geprägt durch monofunktionale Großwohnsiedlungen (vgl. Smith 1996, Häußermann 1994), die »eine vereinheitlichende Decke über die städtischen Siedlungen gebreitet und damit auch die neue Gesellschaftsklasse einer egalitär-gewerkschaftlich organisierten kommunistischen Arbeiterschicht erzeugt« (Lichtenberger 1995: 30) haben. Der Schwerpunkt der Siedlungstätigkeit wurde dabei vom Stadtzentrum an die Ränder der Stadt verlegt. In Warschau war die größte Siedlungserweiterung jener Ära die im Jahre 1975 fertiggestellte Großsiedlung Ursynów für rund 130.000 Einwohner (Koch 2010).

Die sozialistische Industrialisierung mittels großindustrieller Komplexe fand in Warschau in Form der Errichtung der Huta Warszawa ihren Niederschlag – jenseits des ökonomischen Kalküls, schließlich verfügt die Region Warschau weder über Kohle noch nennenswerte Eisenerzvorkommen. Der Auf- und Ausbau randstädtischer monofunktionaler Großwohnsiedlungen ging mit der Degradation der älteren Siedlungsteile einher (Prawelska-Skrzypek 1988), weswegen ihn Juchnowicz (1990) als »pathologische Urbanisierung« charakterisiert.

Gemäß dem modernen Planungsverständnis (nicht nur dem sozialistischen, sondern auch dem westlichen) sah der Masterplan für die Entwicklung Warschaus von 1961 eine »klare funktionale Trennung von Wohnen und Arbeiten, die Ausweisung der Innenstadt als Standort für oberzentrale Dienstleistungen sowie eine hierarchische Anordnung von Service-Centren für die Güter des täglichen Bedarfs« (Koch 2010: 159) vor. Den steigenden Verkehrsbedarf infolge der Funktionstrennung sollte ein leistungsfähiger Öffentlicher Personennahverkehr leisten, dessen Ausbau jedoch eher schleppend erfolgte (Czesak/Pazdan/Różycka 2014). Ähnliches galt für die Modernisierung von Kraftwerken, die Errichtung von Kläranlagen und ähnlichen technischen Infrastrukturen – mit einer entsprechenden Zunahme von ökologischen Belastungen (Cierpiński 1993).

Postmoderne Raumproduktionen in Warschau

Die Postmodernisierung Warschaus steht im Kontext eines weitgehenden Rückzugs des polnischen Staates aus Wirtschaft und Raumentwicklung (Lorens 2005, Degórska 2007, Kühne 2010, Koch 2010 und 2012, Jałowiecki 2012). Im Vergleich zu anderen Kommunen Polens weist die Entwicklung Warschaus zwei Spezifika auf:

Erst seit 2003 erfolgte eine politische Administrierung auf gesamtstädtischer Ebene der Politik. Davor wurde die Stadtlandschaft extrem zersplittert administriert: Auf den Ebenen des Woiwodschaftsrates, der Stadtkommunen des gesamtstädtischen Rates, der Stadtkommunenversammlung sowie der Bezirke der Stadtkommune Zentrum waren insgesamt 779 Räte für die Entwicklung der Stadtlandschaft zuständig (Koch 2010). Eine solche Fragmentierung von politisch-administrativen Zuständigkeiten ermöglichte insbesondere Unternehmen die Durchsetzung eigener Interessen. Hier zeigt sich eine Parallele zum »Prototypen« postmoderner Stadtlandschaftsentwicklung, Los Angeles (vgl. Kühne 2012): Dieser weist einen extremen territorialen Zersplitterungsgrad auf (mit mehr als 200 eigenständigen Kommunen) und verschiedene bi- und multilokale Kooperationen.Gegenwärtig finden sich zahlreiche elaborierte Planwerke (von Masterplänen über Entwicklungsstrategien bis hin zu einer neuen Raumbewirtschaftungsstudie) für die Stadtlandschaft Warschau. Da sich jedoch die Pläne und Planinhalte sehr häufig ändern, werden »die Aussagen beliebig und weitgehend bedeutungslos« (Koch 2010: 229). Darüber hinaus weisen die Pläne die Tendenz auf, weniger künftige Zustände zu planen, sondern die ausgehandelten Ergebnisse der räumlichen Entwicklung nachzuvollziehen (vgl. Koch 2010; vgl. Abbildung 2).

Der Verzicht auf eine – auf einen finalen Zustand gerichtete – modernistische Planung (im Sinne einer »Großen Erzählung«) begünstigt eine zunehmende Fragmentierung der Stadtlandschaft in ein Patchwork unterschiedlicher funktionaler, struktureller und gestalterischer Einheiten: Gated Communites, Urban Entertainment Center, ungenutzte Industrieruinen, gentrifizierte Quartiere und Quartiere der Transformationsverlierer, dazu Siedlungen der nachholenden Suburbanisierung verändern die Stadtlandschaft nachdrücklich (vgl. Kühne 2006). Insbesondere altindustrielle Objekte dokumentieren einen zentralen Aspekt der forcierten Postmodernisierung Polens: die De-Industrialisierung. In Warschau sank der Anteil der im sekundären Wirtschaftssektor Beschäftigten von 60,0 % im Jahre 1989 über 36,0 % im Jahre 2000 auf 26,9 % im Jahre 2011 (Angaben des Statistischen Hauptamtes – GUS). Gleichzeitig wurde der Aufbau einer Dienstleistungsökonomie vollzogen: Keine andere Stadtlandschaft in Polen war in vergleichbaren Maße Ziel des Zustroms von Auslandsdirektinvestitionen (ADI). So entfielen in den frühen 1990er Jahren 30 % der ADI auf die Hauptstadt, was ihre Einbindung in die globale Ökonomie sprunghaft intensivierte. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt Warschaus verdeutlicht die ökonomische Sonderstellung der Hauptstadt: Im Jahr 2012 erreichte es 111.696 Złoty und damit 301,1 % des polnischen Durchschnitts (GUS).

Die sich seit Beginn der Systemtransformation entwickelnde segmentierte Polyzentralität stellt – wie Piątek zeigt (2008: 30) – einen radikalen Gegenentwurf zum sozialistischen Verständnis von Stadtentwicklung dar: »Das kapitalistische Warschau hatte im Gegensatz zum kommunistischen Warschau keinen großen städtebaulichen Plan. Alles, was nach dem Jahr 1989 passierte, war die Folge spontaner Energie und des starken Widerspruchs gegenüber den Regeln, die 40 Jahre geherrscht hatten« (siehe Abbildung 3). Der als »Nicht-Planung« (Banham 1999[1971]) beschreibbare Rahmen der Raumentwicklung hat zu einem grundlegenden Wandel der Versorgungsinfrastruktur beigetragen: »Westeuropäische und nordamerikanische multinationale Konzerne kämpfen mit strategisch an neuen Ausfallstraßen platzierten Hypermärkten und anderen Big-Box-Einzelhandelsangeboten auf der grünen Wiese um zukünftige Marktanteile in der Region und fördern damit ein zunehmend autoabhängiges Konsumverhalten« (Altrock et al. 2005: 9; ähnl. Loegler 2012; siehe Abbildung 4, S. 7). Dabei erhält Warschau in Polen eine besondere Bedeutung bei der Einführung und Erprobung von Betriebskonzepten von Einzelhandels- und Freizeiteinrichtungen; sie werden zunächst in Warschau eingeführt, um danach hierarchisch über das polnische Städtesystem verteilt zu werden (Walter 2005).

Nicht allein in Bezug auf die Versorgungsinfrastruktur findet ein radikaler Wandel statt, auch das Wohnen differenziert sich im Übergang des Verständnisses von »Wohnung als sozialer Dienstleistung« zur Leitvorstellung »Wohnung als Wirtschaftsgut« (Sailer-Fliege 1999: 69) aus. Neben einer nachdrücklichen nachholenden Suburbanisierung – mit der Folge steigender Inanspruchnahme insbesondere von ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen und zunehmender sozialer Segregation. Die soziale Segregation, als Ausdruck postmoderner Fragmentierungsprozesse, findet ihren Höhepunkt in sich rasch entwickelnden Gated Communities, deren Zahl Kusiak (2012) auf über 400 beziffert. Kusiak (2012: 48) fasst die Motivation der aktiven Segregierer in Gated Communities als eine Mischung aus Distinktionsbedürfnis, Sehnsucht nach Sicherheit und Imagination zusammen: »Wer in eine Gated Community zog, konnte erstens mit der Adresse angeben, zweitens glauben, dass er dort sicher sei und sich drittens wie in einem amerikanischen Film fühlen«.

Die Diversifizierung und Differenzierung der Warschauer Stadtlandschaft vollzieht sich entlang unterschiedlicher räumlicher Entwicklungsschwerpunkte (Piątek 2008):

Die Shoppingmall »Złoty Terasy« (Goldene Terrassen) diversifiziert das Zentrum, indem neben dem Knoten des öffentlichen Verkehrs, dem Zentralbahnhof, ein Zentrum des Konsums errichtet wurde (siehe Abbildung 5, S. 7).In geringer räumlicher Distanz zu Zentralbahnhof und »Złoty Terasy«, um den Platz der Vereinten Nationen, erfolgte die Errichtung von insbesondere die Sitze internationaler Unternehmen beherbergenden Bürohochhäusern. Diese Ansiedlung erfolgte von öffentlicher Hand weitgehend ungeplant. Die einzelnen Bürokomplexe lassen keinen erkennbaren städtebaulichen Bezug untereinander erkennen (Pütz 2001, Czesak/Pazdan/Różycka 2014).Das Restaurant- und Kneipenviertel findet sich in der Gegend der Chmielna Straße.Südlich davon ist das Regierungsviertel im Bereich der Krucza Straße lokalisiert.Das Zentrum eines basarartigen Handels hat sich um das ehemalige Stadion Dziesięciolecia entwickelt.Das Nationalstadion Kazimierz Górski, zur Fußball-Europameisterschaft 2012 errichtet, fokussiert das Selbstverständnis Polens in sportlichem Kontext.Das touristische Zentrum findet sich im Bereich der wiederaufgebauten und in den letzten Jahrzehnten sanierten Altstadt (Piątek 2008). Gerade dieser inszenierte Teil Warschaus wird im globalen Wettbewerb um Aufmerksamkeit als »unique selling proposition« (USP) vermarktet (Paesler 2006).

Mit seinen vielfältigen Angeboten trifft Warschau wie wenige andere Stadtlandschaften Ostmitteleuropas die (sozial erzeugten) Bedürfnisse multioptionaler postmoderner »Vagabunden« (Bauman 2009): Die jeweils mit überschaubarem Aufwand konsumierbaren »Aktivitäts-Sinn-Pakete« (Eckert/Drieseberg/Willems 1990: 95) ergeben sich aus den Bereichen Kultur, Kulinarik, Sport, Shopping, Events u. a. (Hopfinger 2006). Architektonische Anleihen (in postmoderner Terminologie »Playgiate«) an westliche Gestaltungsmuster machen die Stadtlandschaft unschwer lesbar, wenn auch unter dem Verlust regionaler Architekturtraditionen (Loegler 2012).

Fazit

Im Kontext der Systemtransformation vollzog sich in der Stadtlandschaft Warschau der Übergang vom Leitbild der »sozialistischen Stadt« als »Große Erzählung« zu einer an »Nicht-Planung« grenzenden Eigenentwicklung der vielen »Kleinen Erzählungen«. Dabei vollzieht sich die Entwicklung im Wesentlichen auf Grundlage der Logik der global organisierten Ökonomie, die lokale Stadtpolitik erweist sich als zu fragmentiert und zu überfordert, um diese Entwicklungen mit planerischen Impulsen steuern zu können.

In die Stadtlandschaft Warschaus prägt sich die Postmodernisierung zunehmend als eine »Ästhetik der Angst« ein, sie macht »Angst unmittelbar greifbar« (Bauman 2008: 18): Gated Communities, die Überwachung von privaten, halböffentlichen und öffentlichen Räumen mit Kameras, Einlasskontrollen in Shoppingmalls und Bürogebäude etc. lässt Wyckoff (2010: 386) von »den Reichen als der enklavenproduzierenden Klasse« sprechen. Diese Produktion von Exklaven ist (in Anschluss an Pareto 2010 [1916]) als Ergebnis residualer Handlungsmuster zu verstehen: Der Wille zur Konstruktion von Eindeutigkeiten im Siedlungsverband (z. B. Gated Communities), das Bemühen um lokale Selbstvergewisserung (insbesondere in der Gemeinschaft der Gleichen in den Gated Communities), die Verbreitung von Haussicherheitstechnik sowie Forderungen nach einem härteren Durchgreifen der Sicherheitsorgane verdeutlicht die Sehnsucht nach Sicherheit. Die solchermaßen entstehenden physischen Manifestationen radikaler Intoleranz folgen einer eher modernistischen Geisteshaltung, womit sie einen zentralen Aspekt der Widersprüchlichkeit postmoderner Raumproduktion bilden – wie er auch in Los Angeles zu beobachten ist (vgl. Kühne 2012).

Im Vergleich zu Los Angeles weist Warschau jedoch mit seiner sozialistischen Vergangenheit eine Entwicklungsschicht auf, die dem »Prototypen« postmoderner Raumentwicklung fehlt. Die materiellen Hinterlassenschaften produzieren eine – insbesondere ästhetische – Polyvalenz der Stadtlandschaft Warschau. Dieser Gewinn an städtebaulicher und architektonischer Vielfalt lässt die Postmodernität der Stadtlandschaft Warschau in besonderer Intensität erscheinen. Die Postmodernisierungsprozesse von Warschau können damit nicht allein als »nachholend« hinreichend beschrieben werden; die Stadtlandschaft Warschau stellt wiederum einen spezifischen Prototypen postmoderner Entwicklungen dar: charakterisiert durch einen gesellschaftlichen Systembruch mit den spezifischen materiellen und gesellschaftlichen Persistenzen des alten Systems sowie durch eine höhere Geschwindigkeit im Vergleich zu jener der »alten« westlichen Welt und selbst jener von Los Angeles.

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Die kaschubische Minderheit in einer veränderten Umwelt

Von Arkadiusz Modrzejewski
Die Kaschuben sind eine autochthone, kulturell-ethnische Minderheit, die seit Jahrhunderten im östlichen Hinterpommern/Pommerellen lebt. Trotz Germanisierungs- und Polonisierungsprozessen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, die das Kaschubentum allenfalls als Folklore bestehen lassen wollten, verloren die kaschubische Sprache und Kultur jedoch nicht ihre identitätsbestimmende Bedeutung. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems wurde die Politik der Homogenisierung in Frage gestellt. Die kaschubische Identität ist zu einer von mehreren möglichen Identitäten geworden, neben der lokalen Identität, der polnischen oder der europäischen Identität. (…)
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Analyse

Wieviel Nähe, wieviel Distanz? Die Integration von Ausländern in Polen

Von Łukasz Łotocki
Polen gehört nicht zu den Ländern mit einem hohen Ausländeranteil. Die offiziellen Statistiken nennen weniger als 100.000 Ausländer, die eine Aufenthaltsgenehmigung für Polen besitzen. Gleichzeitig halten sich trotz Amnestien in den Jahren 2003 und 2007 viele Ausländer illegal in Polen auf bzw. arbeiten illegal in Polen. Da umfassende Datenerhebungen zur tatsächlichen Anzahl der Ausländer in Polen fehlen, ist diese Zahl nicht bekannt; manche Schätzungen gehen von einigen Hundertausend aus. (…)
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