Im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs sowie der darauf folgenden Grenzverschiebung, Aussiedlung und Auswanderung ist Polen heute ein ethnisch und national de facto homogenes Land. Dies belegen die Untersuchungen von Ethnografen und Soziologen sowie die offiziellen statistischen Daten. Bei der letzten Volkszählung von 2011, auf der diese Daten beruhen, konnten die Befragten erstmals komplexe ethnisch-nationale Identitäten benennen, das heißt sich einer oder auch zwei ethnischen Kategorien zugehörig erklären. Die Mehrheit der Einwohner in Polen bekennt sich zu einer polnischen nationalen Identität (36.522.000, das sind 94,83 % der Bevölkerung). Nur 917.000 Befragte gaben eine zweifache ethnisch-nationale Identifikation an. Zu einer ausschließlich nichtpolnischen nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit bekannten sich 597.000 Personen (1,55 %), von denen 46.000 (0,12 %) zwei nichtpolnische Nationalitäten anführten. Obwohl zahlreiche Vorbehalte gegen die Volkszählung (darunter schwerwiegende Bedenken gegen die Erhebungsmethoden) laut wurden, so gibt sie doch das Größenverhältnis der einzelnen Minderheiten, ihre geografische Verteilung sowie generell den niedrigen Prozentsatz von Personen, die sich zu einer nichtpolnischen Nationalität bekennen, gut wieder.
Offiziell anerkannt sind in Polen neun nationale und vier ethnische Minderheiten; die Rechte einer Minderheit genießen darüber hinaus die Kaschuben, die sich des Kaschubischen als Regionalsprache bedienen. Da die zahlenmäßige Stärke der Minderheiten für die Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften von Bedeutung ist, hat das Hauptamt für Statistik (GUS) ein besonderes Berechnungsverfahren angewendet: Es berücksichtigt die Antworten auf die erste und zweite Frage nach der Nationalität. Dort, wo ein Befragter die Zugehörigkeit zu zwei Minderheiten angab, wurde jedoch nur die Antwort auf die erste Frage gezählt. Die zahlenmäßige Stärke der Gruppe, die sich einer Regionalsprache (des Kaschubischen) bedient, wurde aufgrund der Antworten auf die Frage nach der in häuslichen Kontakten verwendeten Sprache ermittelt. Zu den 14 ethnisch-nationalen Minderheitengruppen gehören insgesamt 1,02 % der Bewohner Polens (s. Tabelle im Anhang).
Trotz des geringen Anteils an Minderheiten betreibt Polen eine aktive Minderheitenpolitik. Die aktuellen rechtlichen und institutionellen Verhältnisse sind die Frucht langjähriger Arbeit, die von heftigen Emotionen und Konflikten begleitet war. Der Grund dafür liegt in dem besonderen historischen Erbe, mit dem sich die Polen nach 1989 auseinandersetzen mussten. Bevor wir zu einer detaillierten Beschreibung der aktuellen Regelungen kommen können, müssen einige Worte zur polnischen Erinnerungspolitik und zum Modell der nationalen Identität gesagt werden, da beide auch heute noch die Einstellungen gegenüber den Minderheiten und die praktische Anwendung der Gesetze beeinflussen. Es sei betont, dass dieser Artikel eine Einführung in das Thema darstellt und lediglich die wichtigsten Aspekte aufgreift. Insbesondere das Rechtssystem ist um einiges komplizierter.
Der »Pole = Katholik« im Staat der einen Nation
Im Vergleich mit den anderen Europäern sind die Polen als Nation ein Sonderfall. 123 Jahre lang (1795–1918), in jener Epoche, als die modernen Nationalstaaten entstanden, waren sie ihrer Souveränität beraubt und Bürger der drei Teilungsmächte Preußen (später Deutschland), Russland und Österreich. Zahlreiche gescheiterte Aufstände in Verbindung mit einem politisierten Katholizismus und dem Gedankengut der Romantik führten zur Entstehung eines nationalistischen Diskurses, in dem das Opfer heroisiert und sakralisiert wurde. Auch wenn schon früher eine Verbindung zwischen Polentum und Katholizismus gezogen wurde, ein gutes Beispiel dafür ist die Ausrufung der Gottesmutter zur »Königin Polens« durch König Johann II. Kasimir 1656, so haben wir es doch im 19. Jahrhundert mit einer intensiven Entwicklung des Diskurses »Pole = Katholik« zu tun. Die Teilungsmächte wurden unter dem Gesichtspunkt der vorherrschenden Religion wahrgenommen: das zaristische Russland als orthodoxes Imperium, Preußen und später Deutschland als protestantische Staaten (auch wenn der Anteil der Katholiken bekanntlich beträchtlich war). Die religiöse Differenz wurde zum Ausgangspunkt für die Konstruktion einer ethnischen Grenze. Dieser Diskurs lebt bis heute fort. Die Zweite Republik – ein vollkommen souveräner Staat – existierte nur zwei Jahrzehnte; danach folgten ein totaler Krieg und eine verbrecherische Besatzung (nicht nur durch das Dritte Reich, sondern auch durch die UdSSR). Nach dem Krieg war die Volksrepublik Polen 45 Jahre lang ein von Moskau abhängiger Staat, in dem die historischen Debatten den Klischees der Propaganda folgten und der Zensur unterlagen. Dabei suchten die kommunistischen Eliten nach einer nationalistischen Legitimation ihrer Macht und beförderten damit die Reproduktion zahlreicher nationalistischer Mythen. Erst seit dem Jahr 1989 haben wir es mit der Entwicklung eines freien öffentlichen Lebens und einer neuen Erinnerungspolitik zu tun. Dieser Prozess war nicht selten konfliktträchtig, was auch damit zu tun hatte, dass die Polen die dunklen Seiten ihrer nationalen Geschichte entdeckten.
Die Einstellung gegenüber den Minderheiten ist in hohem Maße von der in Polen nach wie vor lebendigen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg beeinflusst. Nach einer Erhebung des Zentrums zur Erforschung der Öffentlichen Meinung von 2009 ist für 72 % der Befragten der Zweite Weltkrieg ein »immer noch lebendiger Teil der polnischen Geschichte, an den immer wieder erinnert werden muss«. 2009 war ich an dem Forschungsprojekt »Der Zweite Weltkrieg in der Erinnerung der modernen polnischen Gesellschaft« beteiligt, das im Auftrag des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig vom Meinungsforschungsinstitut Pentor Research International durchgeführt wurde. Im Rahmen dieses Projekts wurden von einer Stichprobe von 1.200 erwachsenen Polen über 18 Jahren quantitative und (in zwölf fokussierten Diskussionsgruppen) qualitative Daten erhoben. Die Teilnehmer wurden u. a. danach gefragt, ob es in der Familienerinnerung Geschichten über Kontakte von Familienmitgliedern mit anderen Nationen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gibt und, wenn ja, welcher Art diese Erinnerungen sind. Im Familiengedächtnis wurden Erzählungen vor allem über vier Nationen bewahrt: über Deutsche (48,7 %), Russen (40,8 %), Juden (32,3 %) und Ukrainer (14,7 %). Andere Nationen sind mit weniger als 10 % vertreten. Wie sich herausstellte, wurde die Rolle der Feinde mit drei Nationen besetzt: Deutschen, Russen und Ukrainern. Überraschenderweise kommen, was eindeutig negative Erinnerungen betrifft, die Ukrainer an erster Stelle, erst an zweiter die Deutschen und an dritter Stelle die Russen. Addiert man die Prozentzahlen der Antworten »eindeutig negativ« und »eher negativ«, ändert sich an der Reihenfolge nichts: Ukrainer (63,8 %), Deutsche (62,6 %), Russen (57 %). In absoluten Zahlen stellt sich die Situation natürlich anders dar. So beschuldigen viele die Ukrainer des Völkermords an den Polen in Wolhynien und anderen Gegenden im Südosten der Zweiten Republik (wo die Ukrainische Aufstandsarmee UPA in den Jahren 1943/44 75.000 bis 100.000 Polen tötete). Die Erinnerung an den verbrecherischen Krieg und die deutsche Besatzung spielte eine wichtige Rolle in der Propaganda der Volksrepublik und prägt auch heute noch das Verhältnis vieler Polen zur deutschen Minderheit und zu deutschen Staatsangehörigen. Den Russen wiederum werden die Invasion des Jahres 1939, die Besatzung und die Deportationen von Polen in die Sowjetunion sowie – das ist das wichtigste Symbol im polnischen nationalistischen Diskurs – die Ermordung von kriegsgefangenen Offizieren der polnischen Armee und Polizisten vorgehalten, die auf den Friedhöfen in Katyn, Mednoje und Charkiw begraben liegen. Was schließlich die polnisch-jüdischen Beziehungen angeht, so kann man hier von einer eigenartigen Konkurrenz um den Status als größeres Opfer des Zweiten Weltkriegs sprechen. Die Polen tun sich auch schwer mit den dunklen Seiten ihrer eigenen Geschichte: mit der Erpressung bzw. Auslieferung versteckt lebender Juden an die deutschen Besatzer (szmalcownictwo), der Beteiligung an der Ermordung von Juden (der bekannteste Fall, der Mord von Jedwabne, ist dank Jan T. Gross’ Buch Nachbarn ins öffentliche Bewusstsein gedrungen) sowie den Nachkriegspogromen an zurückkehrenden und aus ihren Verstecken auftauchenden Juden (am bekanntesten ist der Pogrom von Kielce, den Gross in seinem Buch Angst beschrieben hat).
Dieses schwierige Erbe stellte – im Zusammenspiel mit dem Propagandabild von Polen als homogenem Nationalstaat, in dem es fast keine Minderheiten mehr gebe – ein erhebliches Hemmnis dar für die offizielle Anerkennung der Minderheiten nach 1989 und die Verabschiedung eines Gesetzes, das ihnen die Freiheit sichern sollte, ihre ethnische und nationale Identität zu bewahren und zu entwickeln. Zum Glück ist es – nach jahrelangen hitzigen Auseinandersetzungen, darunter auch symbolischen Kriegen um Denkmäler, Tafeln und andere Erinnerungsorte – gelungen, ein Modell zu entwickeln, das zwar nicht perfekt ist, aber im Vergleich mit vielen Staaten Ostmitteleuropas doch als vorbildlich gelten kann. Die Geschichte ist nach wie vor belastend, manchmal erschwert sie auch die Durchsetzung von Recht und Gesetz, aber nach 25 Jahren der Dritten Polnischen Republik befinden wir uns in einer völlig neuen Wirklichkeit, in der pragmatische Diskussionen über die Formen gesetzlichen Schutzes und konkrete institutionelle Regelungen an die Stelle unrealistischer Streitigkeiten um die Erinnerung getreten sind.
Das System des rechtlichen Minderheitenschutzes in Polen
Schon in der Verfassung der Republik Polen vom 2. Juni 1997 wurden die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten festgeschrieben. Art. 27 lautet: »In der Republik Polen ist die polnische Sprache Amtssprache. Diese Vorschrift verletzt nicht die Rechte der nationalen Minderheiten, die sich aus ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen ergeben«, und in dem hier besonders wichtigen Art. 35 heißt es: »1. Die Republik Polen gewährleistet den polnischen Staatsangehörigen, die nationalen und ethnischen Minderheiten angehören, die Freiheit der Erhaltung und der Entwicklung der eigenen Sprache, der Erhaltung von Bräuchen und Traditionen sowie der Entwicklung der eigenen Kultur. 2. Nationale und ethnische Minderheiten haben das Recht auf Bildung eigener Ausbildungs- und Kultureinrichtungen sowie der Einrichtungen, die dem Schutz der religiösen Identität dienen. Sie haben auch das Recht, an Entscheidungen in solchen Angelegenheiten beteiligt zu werden, die ihre kulturelle Identität betreffen.«
Auch wenn die Begriffe der nationalen und der ethnischen Minderheit in der Verfassung nicht definiert sind, so bestimmt Art. 35 die Angehörigen dieser Minderheiten doch eindeutig als polnische Staatsbürger. Damit wurde das System des rechtlichen Schutzes nationaler und ethnischer Minderheiten von der Ausländergesetzgebung getrennt. Das bedeutet, dass zum Beispiel Roma, die als Ausländer nach Polen einreisen, nicht von den Rechten Gebrauch machen können, die der ethnischen Minderheit der Roma zustehen.
Die Verfassung der Republik Polen hat die Rahmenbedingungen für den Schutz der Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten in Polen geschaffen. Sie spricht jedoch vor allem von Freiheiten und garantiert den Angehörigen der Minderheiten nur sehr wenige konkrete Rechte. Daher forderten trotz der Annahme der Verfassung in einem Referendum weite Kreise von Minderheitenangehörigen die Verabschiedung eines Gesetzes zur detaillierten Regelung der Minderheitenrechte. Die Arbeit an diesem Gesetz dauerte viele Jahre. Viele Parlamentarier der politischen Rechten vertraten die Auffassung, es würde die Souveränität Polens bedrohen. Mehrere Entwürfe landeten am Ende der jeweiligen Legislaturperiode im Papierkorb des Sejm, erst in der 4. Legislaturperiode wurde das Gesetz verabschiedet, das am 24. Januar 2005 vom Präsidenten feierlich unterzeichnet wurde. Der Gesetzgebungsprozess löste Emotionen und Verdächtigungen aus, die – aus dem Abstand eines Jahrzehnts betrachtet – verblüffen mögen. Doch gerade der heutige Dialog und die Bereitschaft zur Verständigung sind in hohem Maße dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zu verdanken.
Bevor ich zu einer detaillierteren Besprechung des Gesetzes übergehe, das (zusammen mit weiteren Verordnungen) heute den wichtigsten Rechtsakt in Bezug auf die Minderheitenrechte darstellt, muss darauf hingewiesen werden, dass in ihm Regelungen für Polen übernommen wurden, die in zwei internationalen Verträgen des Europarats festgehalten sind: dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, das am 1. Februar 1995 in Straßburg ausgefertigt wurde, und der am 5. November 1992 in Straßburg zur Unterzeichnung aufgelegten Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Das Rahmenübereinkommen wurde von Polen relativ zügig unterschrieben und ratifiziert: Der Präsident vollzog die Ratifizierung am 10. November 2000, und am 1. April 2001 trat sie in Polen in Kraft. Weniger glatt verlief dieser Prozess im Falle der Charta: Die Republik Polen unterzeichnete sie am 12. Mai 2003, ratifiziert wurde sie jedoch erst am 12. Februar 2009, als das Minderheitengesetz bereits in Kraft getreten war. Die Charta trat in Polen zum 1. Juni 2009 in Kraft. Das polnische Minderheitengesetz folgt damit zwei Logiken: einerseits dem Schutz der nationalen und ethnischen Minderheiten und andererseits dem Schutz ihrer Sprachen wie auch der Regionalsprachen. Dass es bis zur Ratifizierung der Charta so lange dauerte, lag zweifellos daran, dass die sprachlichen Rechte der Minderheiten – die die wichtigste Veränderung im polnischen Rechtssystem darstellten – gewisse Befürchtungen weckten.
Der wichtigste Rechtsakt zur Regelung der Rechte und Pflichten der nationalen und ethnischen Minderheiten in Polen ist das Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten sowie die Regionalsprache vom 6. Januar 2005. Es regelt – abgesehen von den politischen Rechten und Fragen der Bildung, die Teil des allgemeinen Bildungssystems sind – alle Fragen, die die nationalen und ethnischen Minderheiten sowie die Sprecher einer Regionalsprache betreffen. Auch enthält es präzise Definitionen der Begriffe »nationale Minderheit«, »ethnische Minderheit« und »Regionalsprache«.
Sprachliche Rechte
Laut Gesetz haben die Angehörigen der Minderheiten das Recht, ihre Vor- und Nachnamen gemäß den orthografischen Regeln der Minderheitensprache zu verwenden und zu schreiben; dies betrifft insbesondere die Registrierung in standesamtlichen Akten und in Ausweispapieren. Vor- und Nachnamen von Angehörigen der Minderheiten, deren Sprachen ein anderes als das lateinische Alphabet verwenden, unterliegen der Transliteration. Der polnische Staat garantiert den Angehörigen der Minderheiten also das aus der Perspektive der ethnischen Identität fundamentale Recht, Vor- und Nachnamen in der »Sprache des Herzens« zu schreiben. Die zwangsweise Änderung von Vor- und Nachnamen, ihre Anpassung an die phonetischen Regeln der polnischen Sprache wurde von den Angehörigen der Minderheiten immer als schwere persönliche Demütigung, als Verlust eines Teils der eigenen Biografie und als schmerzhafter Angriff auf die persönliche Identität empfunden (so beispielsweise in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg).
Die Angehörigen der Minderheiten haben insbesondere das Recht, sich ihrer Sprache im privaten wie im öffentlichen Raum frei zu bedienen, Informationen in der Minderheitensprache zu verbreiten und auszutauschen, Informationen privater Natur in der Minderheitensprache zu veröffentlichen, die Minderheitensprache zu lernen oder in ihr unterrichtet zu werden.
Das Gesetz bestimmt weiterhin, dass gegenüber den Organen der Gemeindeverwaltung neben der Amtssprache auch eine Minderheitensprache als Hilfssprache verwendet werden kann. Damit eine Minderheitensprache den Status einer Hilfssprache erlangen kann, muss eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. Eine Hilfssprache kann nur in Gemeinden verwendet werden, in denen die Angehörigen der Minderheit, deren Sprache als Hilfssprache verwendet werden soll, nicht weniger als 20 % der Gesamteinwohnerzahl ausmachen; diese Gemeinden müssen in ein amtliches Register eingetragen sein. Die Quelle für die zahlenmäßige Stärke der betreffenden Minderheit in einer Gemeinde ist die jeweils letzte Volkszählung.
Die Möglichkeit der Verwendung einer Hilfssprache bedeutet, dass Angehörige einer Minderheit – mit Ausnahme eines Berufungsverfahrens, das ausschließlich in der Amtssprache abläuft – das Recht haben: 1.) sich in schriftlicher oder mündlicher Form in der Hilfssprache an die Organe der Gemeindeverwaltung zu wenden, 2.) auf ausdrücklichen Antrag auch Antworten in schriftlicher oder mündlicher Form in der Hilfssprache zu erhalten. Auch das Einreichen von Gesuchen in der Hilfssprache ist zugelassen. Es gibt jedoch zugleich den eindeutigen Vorbehalt, dass niemand sich der Ausführung einer in der Amtssprache, d. h. in polnischer Sprache gegebenen, rechtmäßigen Anordnung oder amtlichen Entscheidung entziehen kann, wenn die Umstände die unverzügliche Ausführung dieser Anordnung oder Entscheidung verlangen. Jegliche Zweifelsfälle werden auf der Grundlage des in der Amtssprache ausgestellten Dokuments entschieden.
Das Gesetz hat darüber hinaus die Möglichkeit eingeführt, zusätzliche traditionelle Bezeichnungen in der Minderheiten- oder Regionalsprache zu verwenden. Sie können neben den amtlichen Bezeichnungen für Ortschaften und physiografische Objekte sowie Straßennamen verwendet werden. Solche zusätzlichen Bezeichnungen können nur auf dem Gebiet von Gemeinden verwendet werden, die in ein entsprechendes Register bei dem für religiöse Bekenntnisse sowie nationale und ethnische Minderheiten zuständigen Minister eingetragen sind. Das Gesetz führt also zwei verschiedene Register ein.
Angesichts der Tatsache, dass die Verwendung von in der Zeit des Nationalsozialismus eingeführten Ortsnamen durch Angehörige der deutschen Minderheit – z. B. bei der Restaurierung und Errichtung von Denkmälern für Soldaten der Wehrmacht – starke Emotionen hervorrief, hat der Gesetzgeber beschlossen, solchen Praktiken, die nach Auffassung vieler Abgeordneter eine Provokation gegenüber der polnischen nationalen Identität darstellen, entgegenzutreten. Deshalb wurde festgelegt, dass zusätzliche Bezeichnungen nicht an Namen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 anknüpfen dürfen, die von den Behörden des Dritten Reichs oder der UdSSR vergeben wurden.
Zusätzliche Namen können auf dem Gebiet einer ganzen Gemeinde oder in einzelnen Ortschaften eingeführt werden. Sie dürfen nur nach dem Namen in der polnischen Version angeführt und somit nicht selbstständig verwendet werden. Die Festsetzung eines zusätzlichen Namens in einer Minderheitensprache erfolgt gemäß den orthografischen Regeln dieser Sprache.
Im Falle doppelter Ortsnamen sind die Voraussetzungen für den Eintrag einer Gemeinde in das entsprechende Register einfacher zu erfüllen als in Bezug auf eine Hilfssprache im behördlichen Verkehr. Die zusätzliche Bezeichnung einer Ortschaft oder eines physiografischen Objekts in einer Minderheitensprache kann auf Antrag des Gemeinderats festgelegt werden, wenn die Gemeindebewohner, die der jeweiligen Minderheit angehören, einen Anteil von nicht weniger als 20 % der Gesamtbevölkerung in dieser Gemeinde ausmachen oder wenn sich mindestens die Hälfte der teilnehmenden Ortsbewohner für eine solche zusätzliche Bezeichnung ausgesprochen hat. Der Antrag des Gemeinderats muss von der Kommission für die Bezeichnung von Ortsnamen und physiografischen Objekten positiv beschieden werden. Zusätzliche Bezeichnungen können also auch von den Bewohnern einer Ortschaft eingeführt werden, in der keine zahlenmäßig starke Minderheitengruppe lebt. Die Motive können unterschiedlicher Natur sein: von dem Wunsch, die Forderungen von ortsansässigen Angehörigen einer Minderheit, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung der Gemeinde unter 20 % liegt, zu unterstützen, bis hin zur Schaffung eines multikulturellen Image einer Ortschaft, was für den Tourismus von Bedeutung sein kann.
Gegenwärtig sind im Amtsregister 33 Gemeinden eingetragen, in denen eine Hilfssprache verwendet wird. Vier Gruppen ist dies gelungen: Deutschen, Litauern, Kaschuben und Weißrussen. Deutlich mehr Gemeinden, nämlich 58, verzeichnet das zweite Register. Insgesamt sind mehrere hundert Ortschaften eingetragen, in denen doppelte Bezeichnungen verwendet werden (in deutscher, kaschubischer, litauischer, lemkischer und weißrussischer Sprache). Diese Initiativen haben das ethnische Gesicht vieler Regionen in Polen verändert und sind ein greifbarer Beleg für die Wirksamkeit des Minderheitengesetzes.
Eine symbolische, da für polnische Bürger eher nicht praxisrelevante Dimension hat Art. 16, der dem für religiöse Bekenntnisse sowie nationale und ethnische Minderheiten zuständigen Minister die Übersetzung der Gesetze in die Minderheitensprachen aufträgt. Im Falle seltener anzutreffender Sprachen stellte diese Aufgabe eine große Herausforderung dar. Auch bedienen sich manche Gruppen mehr als einer Sprache (z. B. die Roma Bergitka-Romani und Polnisches Romani).
Rechte im Bildungsbereich
Die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten sowie der Sprecher von Regionalsprachen sind im Minderheitengesetz für den Bildungsbereich nicht detailliert geregelt. Man verfolgte das Ziel, das Bildungswesen der Minderheiten nicht aus dem allgemeinen Schulsystem auszugliedern. Daher wurde festgelegt, dass das Recht der Angehörigen von Minderheiten, die Minderheitensprache zu lernen oder in ihr unterrichtet zu werden, und ihr Recht auf Unterricht in »Geschichte und Kultur der Minderheit« nach den Grundsätzen und Verfahrensweisen realisiert werden, die im Gesetz über das Bildungssystem vom 7. September 1991 festgelegt sind. Dieses Gesetz bestimmt, dass Schulen und öffentliche Bildungseinrichtungen »den Schülern die Bewahrung des Gefühls ihrer nationalen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Identität und insbesondere Unterricht in der Sprache sowie der eigenen Geschichte und Kultur« ermöglichen sollen. Auf Antrag der Eltern muss dieser Unterricht durchgeführt werden: 1.) in eigenen Gruppen, Klassen oder Schulen; 2.) in Gruppen, Klassen oder Schulen mit zusätzlichem Sprach- sowie Geschichts- und Kultur-Unterricht; 3.) in schulübergreifenden Unterrichtsgruppen.
Detailliert geregelt sind die Fragen, die die Bildung der Minderheiten betreffen, in einer Vielzahl von Verordnungen. Vorschulen, Schulen und öffentliche Bildungseinrichtungen ermöglichen Schülern, die zu einer nationalen oder ethnischen Minderheit oder zur Gemeinschaft einer Regionalsprache gehören, die Bewahrung und Entwicklung des Gefühls ihrer nationalen, ethnischen und sprachlichen Identität, indem sie die Sprache der nationalen oder ethnischen Minderheit bzw. die Regionalsprache sowie die jeweilige Geschichte und Kultur unterrichten. Vorschulen, Schulen und öffentliche Bildungseinrichtungen können Unterricht in der Geografie des Staates, mit dessen Kulturraum sich die nationale Minderheit identifiziert, sowie künstlerischen und anderen zusätzlichen Unterricht organisieren. Die entsprechende Verordnung bietet den Schülern eine breite Palette von Lernformen – von sehr ambitionierten, die die allseitige Bewahrung der nationalen Identität ermöglichen (Schulen mit Unterricht in der Minderheitensprache), bis hin zu Formen, die nur einige zusätzliche Stunden Sprachunterricht beinhalten. Ähnlich ist die Situation in Bezug auf die Vorschulen. Voraussetzung für die Organisation der erwähnten Abteilungen ist eine ausreichende Zahl angemeldeter Schüler, auch wenn die Untergrenzen sehr niedrig sind (7–14 Kinder). Selbst diese Grenzen stellen für die kleineren Minderheiten jedoch häufig ein Problem dar. Das betrifft insbesondere verstreut lebende Minderheitengruppen wie etwa die Ukrainer und die Lemken. Im Schuljahr 2014/15 machten nach Angaben des Bildungsinformationssystems (Stand: 30. September 2014) 62.161 Schüler in 1.154 Schulen aller Stufen von der Möglichkeit Gebrauch, eine Minderheiten- oder Regionalsprache zu lernen.
Seit Kurzem ist für Absolventen von Schulen oder Klassen, in denen eine Minderheitensprache unterrichtet wird, diese ein Pflichtfach im schriftlichen und mündlichen Teil der Abiturprüfung. Absolventen von Schulen und Klassen, in denen eine Minderheiten- als Unterrichtssprache verwendet wird, sowie von Schulen und Klassen mit bilingualem Unterricht können Fachprüfungen in der Sprache der jeweiligen Minderheit ablegen – außer im Fach Polnisch sowie in polnischer Geschichte und Geografie. In den Schuljahren 2010–2014 wurden Abiturprüfungen in Weißrussisch, Ukrainisch und Litauisch als Pflichtfächer durchgeführt. Nur wenige Absolventen entschließen sich dazu, das Abitur in einer Minderheitensprache abzulegen – im Schuljahr 2013/14 waren es nur sechs Schüler, die sich auf Litauisch prüfen ließen.
Schul- und Lehrbücher können, soweit sie für die Bewahrung des Gefühls nationaler, ethnischer und sprachlicher Identität unverzichtbar sind, aus dem Staatshaushalt bezuschusst werden, was auch geschieht. In der Praxis bedeutet dies, dass die Auflagen der Lehrbücher, die zum Zwecke des Unterrichts für die Minderheiten entstehen, vom Ministerium aufgekauft und an die Schulen weitergeleitet werden. 2010 wurden für solche Lehrbücher aus dem Haushalt des Bildungsministeriums 381.882 Zloty ausgegeben; im Jahr 2011 waren es 931.140 Zloty. Die niedrigen Auflagen führen zu hohen Einzelpreisen der Schulbücher – 2011 kostete ein Exemplar ca. 370 Zloty. Dies zeigt, dass eine entsprechende Bildung ohne staatliche Hilfe eine übermäßige Belastung für die Eltern darstellen würde.
Für die Bildung der Minderheiten sind zusätzliche Mittel vorgesehen. Insgesamt wurden 2012 für zusätzliche Aufgaben in diesem Bereich 270.558.000 Zloty zur Verfügung gestellt (im Vergleich zum Jahr 2011 ein Zuwachs von 19,6 %). Darüber hinaus konnten bislang vier Strategiepapiere zur Entwicklung der Minderheitenbildung (in Bezug auf die litauische, ukrainische, weißrussische und deutsche Minderheit) unterzeichnet werden. Besondere Erwähnung verdient die Bildungskomponente des Programms für die Gemeinschaft der Roma.
Kulturelle Rechte
Das Minderheitengesetz definiert auch die kulturellen Rechte der Minderheiten. Die staatlichen Organe sind verpflichtet, Aktivitäten, die auf den Schutz, die Bewahrung und Entwicklung der kulturellen Identität der Minderheiten abzielen, mit entsprechenden Maßnahmen zu unterstützen.
Außerdem ist zu erwähnen, dass laut Rundfunk- und Fernsehgesetz vom 29. Dezember 1992 zu den Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens insbesondere auch die Rücksicht auf die Bedürfnisse der nationalen und ethnischen Minderheiten sowie der Sprecher von Regionalsprachen gehört; dies beinhaltet die Ausstrahlung von Informationssendungen in den Sprachen der nationalen und ethnischen Minderheiten sowie der Regionalsprache. Rundfunk und Fernsehen sind verpflichtet, die Produktion und Ausstrahlung solcher Sendungen zu finanzieren. Bei der Berufung von Programmbeiräten der Regionalstudios, die Sendungen in den Sprachen der nationalen und ethnischen Minderheiten sowie in der Regionalsprache ausstrahlen, müssen die Direktoren Kandidaten berücksichtigen, die von den gesellschaftlichen Organisationen der nationalen und ethnischen Minderheiten sowie der Gemeinschaft der Regionalsprache benannt werden.
In den Staatshaushalt werden jedes Jahr Mittel für kulturelle Projekte der Minderheiten eingestellt. Die Ausschreibungen führt der Minister für Verwaltung und Digitalisierung durch. Gefördert werden sowohl einmalige Aktionen als auch mehrjährige Projekte, die Modernisierung von Objekten ebenso wie die laufenden Aktivitäten der Minderheitenorganisationen. Ein vollständiges Verzeichnis der finanzierten Aufgaben findet sich auf der Internetseite des Ministeriums.
Verwaltungsorgane für Fragen der Minderheiten
Die zuständige Regierungsbehörde für die vom Minderheitengesetz geregelten Fragen ist der für religiöse Bekenntnisse sowie nationale und ethnische Minderheiten zuständige Minister. Gegenwärtig ist dies der Minister für Verwaltung und Digitalisierung.
Ein überaus wichtiges Gremium, das mit dem Gesetz eingerichtet wurde, ist die Gemeinsame Kommission der Regierung und der Nationalen und Ethnischen Minderheiten. Auch wenn es sich nur um ein beratendes und begutachtendes Gremium beim Ministerpräsidenten handelt, so kommt dieser Kommission doch eine große praktische Bedeutung bei der Ausarbeitung der Grundlagen der polnischen Minderheitenpolitik zu. Der Kommission gehören Vertreter der einzelnen Ministerien und der Minderheitenorganisationen an. Den Minderheiten stehen ein oder zwei Vertreter zu; der Gesetzgeber hat sich dabei an der zahlenmäßigen Stärke der jeweiligen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Republik Polen orientiert. Jeweils zwei Vertreter haben die Weißrussen, Litauer, Deutschen, Ukrainer, Lemken, Roma sowie die Gemeinschaft der Kaschuben als Sprecher einer Regionalsprache. Den übrigen Minderheiten (den Tschechen, Armeniern, Russen, Slowaken, Juden, Karäern und Tataren) steht je ein Vertreter zu. Gleichberechtigte Kommissionsvorsitzende sind ein Vertreter des für religiöse Bekenntnisse sowie nationale und ethnische Minderheiten zuständigen Ministers sowie ein Vertreter der Minderheiten und der Gemeinschaft der Regionalsprachen. Die erste Sitzung der Gemeinsamen Kommission fand am 21. September 2005 statt. Heute handelt es sich um ein effektiv arbeitendes Gremium von großer Bedeutung für die Konsensbildung in der staatlichen Minderheitenpolitik.
Mit Minderheitenfragen befassen sich auch viele andere staatliche Behörden, insbesondere das Ministerium für Nationale Erziehung (Bildungswesen der Minderheiten) oder auch das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe. Eine wichtige Rolle spielt auch der Sejm-Ausschuss für Nationale und Ethnische Minderheiten, der sich (neben den gegenwärtig nicht sehr zahlreichen Gesetzgebungsinitiativen) kontinuierlich mit den Problemen und Forderungen der Minderheiten auseinandersetzt.
Politische Rechte
Es gibt in Polen keine garantierten Parlamentssitze für die Minderheiten. Die Wahlordnung zum Sejm und zum Senat der Republik Polen vom 12. April 2001 befreit jedoch die von den Organisationen der nationalen Minderheiten aufgestellten Wahllisten von der landesweiten Fünf-Prozent-Hürde. In der Praxis können von diesem Privileg nur Wahllisten jener Minderheiten Gebrauch machen, die in größerer Zahl geschlossene Gebiete bewohnen. In der siebten Legislaturperiode des Sejm (2011–2015) gab es einen Abgeordneten, der über eine von registrierten Minderheitenorganisationen aufgestellte Liste gewählt wurde: den Vertreter der deutschen Minderheit Ryszard Galla (die Zahl der Abgeordneten der deutschen Minderheit im Sejm ist systematisch zurückgegangen, von sieben in der Legislaturperiode 1991–1993 über vier in den Jahren 1993–1997 und je zwei in den drei darauffolgenden Legislaturperioden bis hin zu einem Abgeordneten 2011–2015). Natürlich saßen im Sejm auch viele führende Vertreter der nationalen Minderheitenorganisationen, die über die Listen der politischen Parteien ins Parlament gekommen sind. Sie wurden jedoch nach den allgemeingültigen Regeln gewählt. So saßen in der siebten Legislaturperiode z. B. im Präsidium des Ausschusses für Nationale und Ethnische Minderheiten: als Vorsitzender Miron Sycz, ein ukrainischer Aktivist, der über die Liste der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) gewählt wurde, und als Stellvertretender Vorsitzender der weißrussische Vertreter Eugeniusz Czykwin, der über die Liste des Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) in den Sejm gekommen ist.
Die Minderheiten verfügen auch auf allen Ebenen der territorialen Selbstverwaltung über eigene Vertreter. In den Lokal- und Regionalwahlen von 2014 stellte nur die deutsche Minderheit eine eigene Liste auf (und zwar in den Woiwodschaften Oppeln und Schlesien). Vertreter anderer Minderheiten kandidierten auf den Listen der Parteien und lokaler Wählervereinigungen. Die deutsche Minderheit ist in der Woiwodschaft Oppeln traditionell stark vertreten und war in der Vergangenheit häufig an Koalitionen im Regionalparlament beteiligt. Die Fraktion der deutschen Minderheit zählt hier in der Legislaturperiode 2014–2018 sieben Abgeordnete, und Roman Kolek von der Minderheit ist Vizemarschall der Woiwodschaft Oppeln.
Nach Schätzungen des Ministers für Verwaltung und Digitalisierung wurden in den Wahlen von 2014 insgesamt 11 Abgeordnete ins Regionalparlament, 70 Kreistagsabgeordnete, 452 Gemeindevertreter und 43 Bürgermeister gewählt, die den Minderheiten angehören. Dies zeugt davon, dass die Minderheiten aktiv am politischen Leben teilhaben und es auf diesem Gebiet keine juristischen oder sozialen Barrieren gibt.
Probleme der Minderheiten
Nationale und ethnische Minderheiten sind einem ständigen spontanen Assimilationsdruck ausgesetzt. Die dominierende Kultur (darunter die Massenkultur), das Schulwesen und die Behörden verlangen von den Angehörigen der Minderheiten nicht nur die fließende Beherrschung der Amtssprache, sondern verbreiten auch Vorstellungen, die die Identität der Mehrheit konstituieren. In der heutigen Zeit können Minderheiten nicht mehr auf die Bewahrung ihrer Identität aufgrund kulturellen Beharrungsvermögens und gesellschaftlicher Isolation setzen, wie das noch in der bäuerlichen Kultur der Fall war. Junge Menschen, die täglich ein breites kulturelles Angebot vorfinden, stehen der Lebensweise, die ihren Vorfahren die Aufrechterhaltung ihrer ethnischen Eigenständigkeit ermöglichte, immer kritischer gegenüber. Davon sind auch die Minderheiten in Polen betroffen, die mit diesem Problem in unterschiedlichem Maße fertigwerden. Sehr stark sind die Assimilationsprozesse unter den Weißrussen, deutlich schwächer unter den Deutschen, kaum bemerkbar unter den Roma. Das zahlenmäßige Schrumpfen einzelner Minderheiten bringt eine Reihe von Alltagsproblemen mit sich, z. B. was die Arbeitsfähigkeit der Minderheitenorganisationen betrifft.
Das meiste Aufsehen haben in letzter Zeit die Forderungen der Oberschlesier erregt, die die im Minderheitengesetz festgeschriebenen Rechte für sich beanspruchen. Ein Teil der oberschlesischen Aktivisten ist der Ansicht, der oberschlesische Ethnolekt müsse – analog zum Kaschubischen – als Regionalsprache anerkannt werden. Andere verlangen die Anerkennung als ethnische Minderheit. Die Befürworter solcher Regelungen berufen sich häufig auf die Ergebnisse der letzten Volkszählung, in der als Antwort auf die erste oder zweite Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit insgesamt 847.000 Bekenntnisse zu einer oberschlesischen Identität verzeichnet wurden; in weniger als der Hälfte der Fälle (376.000) handelte es sich dabei um die einzige Identifikation, häufiger wurde eine oberschlesische zusammen mit einer polnischen Identität genannt (431.000 Personen). In der siebten Legislaturperiode des Sejm gab es zwei Gesetzesinitiativen in Bezug auf die Oberschlesier: einen Bürgerentwurf zur Anerkennung der Oberschlesier als ethnische Minderheit und einen Abgeordnetenentwurf zur Anerkennung des oberschlesischen Ethnolekts als Regionalsprache. Auch wenn die Parlamentarier die Arbeit an beiden Entwürfen aufgenommen haben, so fehlt es doch ganz offensichtlich an dem Willen, diese Arbeit zu Ende zu führen. Das Ende der Legislaturperiode im Oktober 2015 entließ die gegenwärtige Regierungskoalition aus der Pflicht, gegenüber den oberschlesischen Forderungen Stellung beziehen zu müssen. Der Abgeordnetenentwurf verfiel (gemäß dem Diskontinuitätsprinzip), der Bürgerentwurf wird in der achten Legislaturperiode des Sejm weiterverfolgt.
Die Minderheiten verweisen auch auf die geringe Kenntnis der polnischen Mehrheit über die ethnische Vielfalt des Landes sowie auf die ablehnende Haltung mancher Polen. Veränderungen auf diesem Gebiet sind nur mit gezielten pädagogischen Programmen im allgemeinen Schulwesen zu bewirken. Eine Erziehung zu Offenheit und Toleranz gegenüber Minderheiten sollte Teil der Allgemeinbildung aller Schüler sein, die verstehen müssen, dass Diskriminierung und Intoleranz gegenüber welcher Gruppe auch immer keinerlei Existenzberechtigung haben. Dabei darf man sich jedoch nicht auf allgemeine Prinzipien oder abstrakte Beispiele beschränken. Die Schüler müssen – insbesondere in Form von Workshops, Rollenspielen und Gruppenarbeitsphasen – mit konkreten Beispielen für die Begegnung und das Aufeinandertreffen von Kulturen konfrontiert werden. Nur die Förderung von Empathie kann zu einem dauerhaften Einstellungswandel führen.
Bei den Parlamentswahlen am 25. Oktober 2015 siegte die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS). Sie erhielt 235 von 460 Sitzen im polnischen Parlament und konnte daher ohne Koalitionspartner die Regierung bilden. Die Linke ist im Sejm nicht vertreten. Im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, erhielt die Partei Kukiz ‘15 neun Sitze, vertreten durch die Abgeordneten aus der extrem rechten Nationalen Bewegung (Ruch Narodowy). Es ist verständlich, dass sich die Vertreter der nationalen und ethnischen Minderheiten durch das Programm der neuen Regierung beunruhigt fühlen.
Nicht ins Parlament eingezogen sind Miron Sycz, Vorsitzender des Ausschusses für nationale und ethnische Minderheiten der vorangegangenen Amtszeit, und Vertreter der Ukrainer von der Wahlliste der Bürgerplattform, sowie der zweite Vorsitzende des Ausschusses, Eugeniusz Czykwin, langjähriger Vertreter der Weißrussen und Orthodoxen. Ein Mandat hat erneut Ryszard Galla, Vertreter der deutschen Minderheit, erhalten. Er ist der einzige Abgeordnete der deutschen Minderheit im Sejm.
Die neue Politik kann auf den Beschluss von Präsident Andrzej Duda aus den Reihen von Recht und Gerechtigkeit hinweisen, der sein Veto gegen die geplante Novelle des Minderheitsgesetzes eingelegt hat. Das Gesetz war noch vom vorangegangenen Parlament verabschiedet worden. Die Neufassung des Gesetzes ermöglicht den Angehörigen der nationalen und ethnischen Minderheiten auf Landkreisebene, ihre Muttersprache als Hilfssprache zu verwenden. Nach offiziellen Mitteilungen begründet Duda sein Veto mit den hohen Kosten bei der Umsetzung des Gesetzes. Die Vertreter der Minderheiten empfanden diese Entscheidung einstimmig als beunruhigend. Ryszard Galla kommentierte die Entscheidung in der Zeitung »Nowa Trybuna Opolska«: »Gegen dieses Gesetz wurde mit Blick auf die Kosten, die bei der Einführung der Muttersprache der Minderheiten als Hilfssprache auf Landkreisebene entstehen, ein Veto eingelegt. Ich betrachte dies als Vorwand, da es sich hier lediglich um vier Landkreise handelt, zwei kaschubische, einen weißrussischen und einen litauischen. In keinem Landkreis im Oppelner Schlesien beträgt der Anteil der Deutschen 20 Prozent. Die Einführung dieses Gesetzes würde die Haushalte der Landkreise nicht erschüttern. Die Kosten sind minimal, wenn sie überhaupt entstehen.«
Übersetzung aus dem Polnischen: Jan Conrad