Kaczyńskis Weg nach nirgendwo. Mit Paweł Śpiewak spricht Maciej Stasiński (Gazeta Wyborcza), Warschau

Sie kämpfen bereits um das Erbe des Vorsitzenden. Zurzeit gewinnt Ziobro

Mit Paweł Śpiewak spricht Maciej Stasiński (Gazeta Wyborcza), Warschau

Maciej Stasiński

Handelt es sich um eine nationalistische Revolution mit den Requisiten Würde, Ehre, Stolz, Vaterland?

Paweł Śpiewak Ich mag so einen Patriotismus nicht. Sehr gefährlich sind die Projekte, für die Beleidigung der Nation Strafen einzuführen, denn sie bedeuten, dass unbequeme Momente in der Geschichte gefälscht werden. Aber die Stärke von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) besteht darin, dass sie den Menschen das verlorene Gefühl der nationalen Gemeinschaft gegeben hat. PiS will, indem sie die »verfemten Soldaten« [Begriff für Einheiten, die bis in die 1950er Jahre gegen die kommunistische Macht im Untergrund kämpften – d.Red.] ehrt, die Erinnerung an Opfer und Märtyrertum kultiviert, Polen als Subjekt stärken – dass heute wir, wir Polen, selbst über unsere Angelegenheiten entscheiden. Und dass wir dazu ein historisches Recht haben. Der Erfolg dieser Operation zeigt, dass man das Gemeinschaftsgefühl nicht auf Fußballspiele und Schals in den Nationalfarben bauen kann, wie es Donald Tusk getan hat. Das ist noch keine nationale Gemeinschaft…Tusk ging zu Fußballspielen, aber Kaczyński schmeichelt sich bei den Fußballhools ein…Aber bei den nationalen. Das Problem ist ernster. Die Politik der [Erhöhung des Kindergeldes – d. Red.] »500 Zloty +«, ein in sich zweifelhaftes Projekt, ist ein Zeichen, dass die Regierung beginnt, an die Familie zu denken. Erst PiS hat das ganze so in Angriff genommen, dass die Bürger das Gefühl haben, dass der Staat auf ihr Bedürfnis nach Solidarität und Gemeinschaft reagiert und sie unterstützt.Jeder hat die gleichen Rechte, aber im Spiel des Marktes verlieren die Schwächeren. Mit den Schulden in der Schweizer Währung [ein Großteil der Wohnungskredite wurde in Schweizer Franken aufgenommen – d. Red.] wurden die Menschen allein gelassen, weil die Banken stärker sind. Der Kredit mit drakonischer Verzinsung verurteilt de facto dazu, Leibeigener eines Kreditinstituts zu sein. Warschau hat Ideen, attraktiv für Bauunternehmer zu sein, die den städtischen und sozialen Raum zerstören und keine Ideen für die Bewohner haben, die in ihm leben. Kommunale Wohnungen gibt es nicht und werden nicht geplant. Als Präsident Komorowski im Präsidentenwahlkampf nach einer Perspektive hinsichtlich Arbeiten und Wohnen für junge Menschen gefragt wurde, fiel ihm nichts Besseres ein, als zu sagen: »Wechseln Sie die Arbeit und nehmen Sie einen Kredit auf.«Wir haben es mit der Krise des individualistischen Modells zu tun. Auch wenn es für sich genommen wertvoll ist, weil es die Quelle der Energie ist, der Überzeugung, dass man im Leben zurechtkommen muss, bedeutet es für viele bittere Ratlosigkeit und Marginalisierung. PiS hat das gespürt und propagiert bewusst ein kollektivistisches, antiliberales Programm.Aber das Gefühl einer Gemeinschaft, das sich auf Schlagworte wie Gott, Ehre, Vaterland, Aufstand, Märtyrertum, »verfemte Soldaten« stützt, ist ein verfälschtes, hohles Bild. Darin gibt es nichts, was hilft, heute besser zu leben.Die Schule lehrt keine moderne Gemeinschaft. Die Jugend kennt die jüngste Geschichte und Gesellschaft nicht, und dieses Wissen wird auch nicht in den Familien vermittelt. Und wenn sie etwas über die Gemeinschaft erfährt, dann sind das ideologische Botschaften, zum Beispiel aus nationalistischen Internetportalen. Ist das nur eine Maskerade in nationalen Kostümen, die aus dem Schrank gezogen werden, oder eine ernstzunehmende nationalistische Revolution? In anderen europäischen Ländern gewinnen diese Stimmungen auch an Stärke.Sogar in Dänemark, das den besten Sozialstaat hat und ein tolerantes Land ist. Während des Krieges haben sie Juden gerettet, aber jetzt führen sie eine Blockade gegen Immigranten ein und die Anti-Immigrations-Partei hat 20 Prozent. Aber bei ihnen handelt es sich um materiellen Egoismus und nicht um Nationalismus. Sie wollen ihren Wohlstand nicht teilen.Bei uns handelt es sich auch um Egoismus. Das Gefühl des Unrechts, ein Gefühl, dass er uns nun zusteht, wegen […]Jalta, des Kommunismus, des Runden Tisches… Alle sind Schuld. Die Polen werden als unschuldige Opfer der bösen Geschichte dargestellt. Nur dass es die jungen Leute, auch wenn sie sich mit dem Emblem der »verfemten Soldaten« tätowieren lassen und durch den Wald laufen, nicht zur Armee zieht. Und sie fühlen nicht, dass ihre nationale Kultur attraktiv ist, weil sie sie nicht kennen und massenhaft ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten. Für mich artet dieser oberflächliche, märtyrerhaft-heroische Patriotismus noch nicht massenhaft in bedrohlichen Nationalismus aus, es ist eher eine Maskerade.

Aber in der Tat haben wir echte Faschisten. Wir haben Überfälle auf Menschen mit anderer Hautfarbe, und es fehlt die Reaktion der politischen Institutionen, sogar auf lokaler Ebene. Das ist ein bedrohliches Phänomen und noch bedrohlicher ist die Zustimmung. In Breslau ist ein Lehrer aus der Oberschule geflogen, weil er eine andere Meinung zum Thema der Haltung der Polen gegenüber der Vernichtung der Juden hatte. Ähnlich ist es in der Angelegenheit der Flüchtlinge. Die Kirche, die anfangs eine Meinung zu dieser Frage hatte, ließ sich von PiS hineinreden und verstummte. Das ist schrecklich. Die Rede war gerade mal von 7.000 bis 8.000 Flüchtlingen. Ich würde an der Stelle der Flüchtlinge nicht hierher kommen. Wozu? Um sich Streit auszusetzen?

Polen und Griechen definieren sich in Europa am liebsten über ihre nationale Identität. Das sind starke Symbole, die sich sehr langsam verändern. Zirka 70 Prozent der Polen verurteilen Homosexualität. Unsere kulinarische Eigenart hält sich trotz Pasta und Sushi. Unsere aufgeklärte Intelligenz ist schmächtig, unser kulturelles Kapital ist schwach.

Aber viele Menschen leben schon in einer anderen Welt. Es gibt die große internationale Dynamik der Jugend. Den Austausch zwischen Polen und dem Westen. Das verändert die menschlichen Köpfe sehr. Es kommt zu tatsächlichen Veränderungen durch die Menschen, die in der europäischen Kultur leben. Das Gefühl von Freiheit wird für sie zu einem Wert. Die Stimmungen bewegen sich in Wellen. Und wenn sich auch ein gewisses konstantes Niveau des Antisemitismus hält, dann verstärkt sich auch der Anti-Antisemitismus, wie Untersuchungen von Prof. Krzemiński zeigen. Ich denke, auf längere Sicht wird dieser Nationalismus nicht als dominante Strömung erhalten bleiben, denn er hat keine dauerhafte gesellschaftliche Basis mehr.Aber er kommt irgendwo her.Ich bagatellisiere das nicht. Wir haben katastrophal niedrige Aufwendungen für Kultur, Wissenschaft und Bildung. Die Menschen absolvieren quasi eine akademische Ausbildung, aber häufig an schwachen Hochschulen. Sie sind schrecklich unbelesen in der schöngeistigen Literatur. Es gibt keine Bildungs- und Leseprogramme, Buchhandlungen schließen. Sind wir nicht eine ausreichend wohlhabende Gesellschaft, um ordentliche Kulturzeitschriften zu halten? Bei mir, im Jüdischen Historischen Institut, verdienen hervorragend ausgebildete Leute 2.400 Zloty netto. Ich sprach einmal den Bürgermeister Marcin Święcicki auf die Kulturpolitik an. Er sagte: »Jetzt haben wir die freie Marktwirtschaft und nicht die Kulturpolitik.« Wir werden die Rechnung für die Jahre der Vernachlässigungen, der Gleichgültigkeit und sogar für die Feindschaft gegenüber den Fürsorgefunktionen oder Kultur schaffenden Funktionen des Staates zahlen.Aus dieser Perspektive ist Kukiz gefährlicher als PiS. Denn die Niederlage der PiS, die die Sprache radikalisiert, ebnet den Kukiz-Anhängern den Weg, deren Sprache noch aggressiver werden kann. Kornel Morawiecki und Paweł Kukiz schwatzen primitiven Unsinn, aber drum herum gibt es regelrechte Faschisten, und wir haben sie bereits im Sejm. Wenn Kaczyński Orbán sein will, dann wollen sie Jobbik sein. Eine reale Alternative im nächsten Wahlkampf kann Kukiz gegen PiS sein und nicht PiS gegen PO, Die Moderne (Nowoczesna) oder noch etwas anderes. PiS wächst ein Konkurrent in Sachen negativer Populismus, gegründet ausschließlich auf nationalistischem Hass, heran. Schon jetzt gibt es diesen Hass gegenüber dem IM »Bolek« [Lech Wałęsa wird beschuldigt, unter diesem Namen als informeller Mitarbeiter des Geheimdienstes tätig gewesen zu sein – d. Red.], dem Runden Tisch, der »Gazeta Wyborcza« usw. Aber diesen negativen, hasserfüllten Populismus gibt es auch schon in der PiS.Ja und nein. Es gibt nicht den einen Antisemitismus. Diese Grenze hat PiS nicht überschritten. Bei PiS gibt es Nationalisten, es gibt bestimmt auch Antisemiten, aber zurzeit siegt die Disziplin und wird der Antisemitismus nicht angerührt. PiS hat nicht auf die Verbrennung einer Juden-Puppe in Breslau reagiert.Das stimmt, aber der Antisemitismus schlägt nicht empor. Damit diese Strömung nicht stärker wird, muss man sich darüber im Klaren sein, dass es nach dem, was im Jahr 2015 geschah, und der Regierungsübernahme der PiS keine Rückkehr zum Modell des Liberalismus oder Neoliberalismus geben kann, der sich ausschließlich auf die Förderung von Unternehmertum und Individualismus stützt. Das ist zusammengebrochen. Dies ist die gesellschaftlich wichtigere Frage als die, ob PiS die Verfassung verletzt. Es ist offensichtlich, dass sie sie verletzt. Es ist nicht klar, ob der Vize-Ministerpräsident Morawiecki sein Programm umsetzen wird, ich weiß nicht, ob seine Rezepte gut sind, aber die Diagnosen scheinen zuzutreffen. Er spricht von der gesellschaftlichen Entwicklung und nicht nur über das Wirtschaftswachstum. Das ist eine wichtige Veränderung im Denken. PiS wird lange 30 bis 40 Prozent Unterstützung haben, es schadet ihr nicht, dass es sich nicht um die Städte und nicht um die Intelligenz handelt. Denn sie baut, unterstützt von Sozialtransfers, eine ideologische gesellschaftliche Vision auf. Sie ist eine Partei der Macht und zeigt ihre Stärke. Das gefällt. Vorher hatten wir die Ideologie des lauwarmen Wassers, es fehlten die soziale Vision und der Wille, die Politik zu verändern, die sich den großen Firmen und Konzernen öffnet, die Polen regierten. Wenn ich die Partei Gemeinsam (Razem) höre, die ich übrigens gewählt habe, obgleich ich ihre sozialen Auffassungen nicht unterstütze, verstehe ich gut, wenn sie sagen, dass sie nicht mit der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) zusammen gehen wollen. Es kann nicht länger sein, dass wir PiS gegen die PO austauschen und anschließend die PO gegen PiS. Aber zwischen den beiden besteht ein grundsätzlicher Unterschied…Kulturell sind die Leute nicht so verschieden. Sie lassen sich gleichermaßen scheiden, haben Patchwork-Familien, es trinken die einen wie die anderen, sie haben das gleiche im Kopf. Auch in der Übernahme des Staates hat sich die PO nicht sonderlich unterschieden, sie hat ebenfalls die Gesellschaften des Staatsschatzes besetzt, wollte auch die ganze Macht…Nicht die ganze…Gut, darin stimmen wir nicht überein. Ich bin der Meinung, dass sie die ganze wollte, aber sie war vernünftig, hat nicht alle Normen gebrochen, hat sich zurückgehalten… Sie hat keine aufdringliche Propaganda und ideologischen Kreuzzüge zugelassen. Das ist ein wesentlicher Unterschied…Tusk wollte so sehr Konfrontationen aus dem Weg gehen, dass er ernstzunehmende Reformen vermied, wenn Konflikte drohten. PiS ist rücksichtslos, sie zieht mit allen in den Krieg. Sie stößt wie mit einem Rammbock in die ausgedünnte soziale Sphäre. Warum strebt PiS einen Zusammenstoß mit dem Komitee zur Verteidigung der Demokratie (Komitet Obrony Demokracji – KOD) an? Weil das keine Oppositionspartei ist, sondern eine authentische soziale Bewegung. Die Menschen unterstützen KOD, weil sie nicht schon wieder dieselbe Partei-Alternative wählen wollen. Das ist sowohl aufbauend als auch beunruhigend, denn es zeigt, dass es zurzeit keine politische Alternative zu PiS gibt. Man kann schlicht und einfach sagen, dass KOD den Raum der bestehenden Parteiformationen zerstört. Angesichts der Schlagworte von KOD haben die Oppositionsparteien nichts Besonderes zu sagen. PiS zu kritisieren ist in einem gewissen Sinne sehr einfach. Das kann heutzutage jeder. Aber es reicht nicht, PiS zu bekämpfen. Was wird in einem, zwei Jahren sein? Was kommt nach PiS? Hat Kaczyński sich nicht eine Klientel aus dem Reich der einfachen Menschen, der am wenigsten gebildeten herangezogen, die sich in der neuen Gesellschaft nicht zurechtfanden, sich geschädigt fühlen und das übel nehmen? Er hat sie über 20 Jahre lang fleißig um sich versammelt und sie zu seiner Basis gemacht. So ein geistiger Pöbel.Ich mag dieses Wort nicht, wenn es eine soziale Bedeutung bekommt. Der Pöbel existiert überall, auch unter Professoren. Keine soziale Gruppe oder Schicht ist immun gegen Ressentiments, Hass, Feindlichkeit, rücksichtslosen Kampf gegen andere. Das ist keine Frage des materiellen oder sozialen Zensus. Das ist ein übergreifendes Phänomen.Das Anhängen von Etiketten bringt uns nichts. Sie selbst wollen die Polarisierung. Sie heben einen Graben aus, der tiefer ist als der zwischen den Anhängern der Nationaldemokratie und denen Piłsudskis vor dem Zweiten Weltkrieg. Wenn ich »wPolityce« oder »wSieci« lese, sehe ich den polnischen Taliban. Ich verstehe diese Autoren nicht, denn das sind intelligente Menschen, die häufig materiell sehr erfolgreich und keineswegs geschädigt sind. Dennoch haben sie einen solchen Hass auf die letzte Regierung und die ihr zugehörigen Menschen, kämpfen gegen die vermeintliche Pädagogik der Beschämung und für eine angemessenen Geschichtspolitik, wärmen Ressentiments und Feindlichkeit auf und wollen die Polen erziehen, indem sie die niedrigsten Leidenschaften ansprechen und weismachen wollen, dass die Nation eben genau so ist. Das ist für mich unerklärlich. Aber man muss den ideologischen Taliban von der tiefen Enttäuschung der Bevölkerung über die letzte Machtelite und die vergangene Politik unterscheiden. Man muss die Einsamkeit und Schwäche der Menschen sehen, den Mangel an Lebensperspektiven und -alternativen, was viele Menschen veranlasst, ins Ausland arbeiten zu gehen. Die Menschen haben die PO als politische Macht ohne Verantwortungsbewusstsein wahrgenommen und wollen heute eindeutig eine starke Macht, die für sie Verantwortung übernimmt.Mit einer einfachen Ideologie und Sozialtransfers lässt es sich einige Zeit regieren. Man kann die Menschen mit solchen Märchen […] ernähren, dass die Polen edel waren und immer den Juden geholfen haben. Dass sie stolz und würdevoll sind. Und wenn man noch 500 Zloty Kindergeld hinzufügt, dann wird jeder, der davon profitiert, darauf aufpassen, dass die nächste Mannschaft dies aufrechterhält. Und jede Regierung wird künftig eine Geisel von PiS sein. Und warum meinen Sie, dass die Regierung von PiS zur Niederlage verurteilt ist?Weil Kaczyński der Partei und Regierung freien Lauf lässt. Die Regierung hat keine Ministerpräsidentin. Sie hat einen Meta-Ministerpräsidenten, der scheinbar über alles entscheidet, aber die Minister regieren wie in unabhängigen Fürstentümern. [Entwicklungsminister – d. Red.] Morawiecki hat keine Kraft für sein Programm.Aber alle sind dahinter her, bei Kaczyński Gehör zu finden…Meiner Meinung nach kämpfen sie schon um das Erbe Kaczyńskis und arbeiten für sich und nicht für die Regierung. Zurzeit gewinnt [Justizminister – d. Red.] Ziobro, der immer stärker wird. [Ministerpräsidentin – d. Red.] Szydło reagiert nicht, wenn [Verteidigungsminister – d. Red.] Macierewicz den USA und Russland fast den Krieg erklärt oder [Außenminister – d. Red.] Waszczykowski die Europäische Union beleidigt. Jeder Minister redet und macht, was er will. Der stellvertretende Verteidigungsminister fliegt nach Washington, verbringt dort einen halben Tag und niemand will sich mit ihm treffen. Kaczyński unterstützt und beschließt quasi alles, aber er beherrscht nicht mehr alles. Es gibt keinen Ausweg, er muss Ministerpräsident werden und mit dem Fuß aufstampfen.Die Situation wird dramatisch. PiS hat die Idee eines starken Staates, aber im Grunde führt sie seinen Zerfall herbei. Man kann nicht gegen die Lehrer, die Bergleute, die Pferde [PiS hat personelle Veränderungen in staatlichen Pferdezuchtbetrieben vorgenommen – d. Red.], den Białowieża Urwald [Nationalpark – d. Red.], die Wisente, die Ökologen, das Verfassungstribunal, die Liberalen, die Europäische Union, die USA und Russland gleichzeitig Krieg führen. Und zudem noch gegen die polnische Intelligenz. Niemand hat je gewonnen, wenn er einen Krieg gegen alle führte. Wie »man kann nicht«? Offenbar kann man. Das machen sie doch mit Ausdauer.Aber das ist absurd, ein Weg nirgendwohin. Kaczyński holt sich bei niemandem Rat. Der bewunderte Viktor Orbán zieht ihn über den Tisch. Was soll das sein, wenn ein Führer einer so großen stolzen Nation dem Führer eines kleinen Landes huldigt? Vielleicht bin ich deshalb so gelassen, dass das alles zusammenbrechen muss. Sie haben die Macht übernommen, aber noch nicht die gesamte. Denn die reale macht liegt auch auf der Ebene der Selbstverwaltung – und die haben sie nicht. Aber sie machen alles, um diese zu übernehmen. Der Plan ist: ein neues Gesetz, eine neue administrative Aufteilung, neue Wahlen, die Übernahme der Finanzen der Selbstverwaltungen. Aber das wird ihnen nicht gelingen. Sie werden es nicht schaffen, Breslau, Danzig oder Warschau zu übernehmen, und hier wird die Zukunft Polens spielen. Die Parteien sind sehr klein, sie haben jeweils einige Tausend Mitglieder. Das Personal reicht nicht aus. Es ist leichter zu sagen, dass man den Staat verändern müsse, als es zu tun. Ein Staat ist ein sehr ausdifferenzierter Organismus. Es gibt auch finanzielle Regularien in der Wirtschaft, über die man nicht hinausgehen kann. Man braucht kompetente Leute, die etwas können. PiS hat eine Taktik, aber keine politische und staatliche Strategie. PiS lebt davon, was die PO in der Wirtschaft erreicht hat, hat aber selbst bisher noch nichts Sinnvolles gemacht. Der Angriff auf das Verfassungstribunal provoziert ein rechtliches und organisatorisches Chaos und die Folgen der Fehler unfähiger und inkompetenter Beamter sind nicht absehbar. Jede Verrücktheit muss an die Grenzen des gesunden Menschenverstandes und der Wirklichkeit stoßen. Meinen Sie nicht, dass Kaczyński seine Anhänger so tief in den eigenen Krieg hineingezogen hat, dass sie sich nicht mehr zurückziehen können? Alle haben sich schmutzig gemacht und sind »Mittäter des Verbrechens«.Es gibt Menschen, die sich nicht für ihn erschlagen lassen, weil sie noch Kompetenzen oder Anstand haben. Dass irgendein Minister kompromittiert ist, bedeutet nicht, dass jeder seiner Direktoren und Untergebenen genauso ist.Auch wenn sich PiS so verhält, als wären es nur noch fünf Minuten bis zum Austritt aus der Europäischen Union, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie das wirklich will. Vielleicht reicht unsere Phantasie nicht aus? Gerade ist eine parlamentarische Gruppe aus PiS und Kukiz ‘15 gebildet worden, die die Verluste bewerten soll, die wir infolge der Mitgliedschaft in der EU tragen. Polen kann außerhalb der Europäischen Union nicht existieren. Diese Gruppe ist ein Element des Propagandaspiels, nichts weiter. Kaczyński wird in der Angelegenheit des Verfassungstribunals einen Rückzieher machen? Wenn die USA Druck ausüben, wird er keinen anderen Ausweg haben. Er hat einen Fehler gemacht, als er von vornherein sagte, dass das Verfassungstribunal ein Hindernis für Veränderungen ist. Er hätte dem Tribunal gestatten sollen, tätig zu sein, und seine Reformen durchführen sollen. Wenn dann das Verfassungstribunal etwas blockiert hätte, hätte das vielleicht viele davon überzeugt, dass er Recht hat. Aber so hat niemand mehr für die Stärkung des Prestige des Verfassungstribunals getan als PiS. Fast alle in Polen sprechen heute mit der Sprache der verfassungsrechtlichen Ordnung! Das ist außergewöhnlich.Aber vielleicht können sie keinen Rückzieher machen, weil sie bereits die Schwelle zur Straftat überschritten haben und manchen das Staatstribunal droht?Wenn PiS versucht, mit [dem ehemaligen Ministerpräsidenten –d. Red.] Tusk irgendetwas abzurechnen, dann ist sich auch [Präsident –d. Red.] Duda des Staatstribunals sicher. Er hat als Präsident zwar abgedankt, aber er kann immer noch widerrufen und die Richter vereidigen, und die Regierung kann das Urteil des Verfassungstribunals veröffentlichen. Das ist der einzige Weg. Schließlich werden sie in zwei Jahren sowieso eine Menge Stimmen im Verfassungsgericht haben.Ihre Regierung ist absurd, ich verwende ganz bewusst dieses Wort. Die Polen wollen das Absurde.Zum ersten Mal habe ich verstanden, was es bedeutet, ein Pole zu sein, als ich Abgeordneter war. Vorher hatte ich in Ghettos gelebt, im studentischen, im akademischen, im Ghetto der Intelligenz. Im Sejm war in allen Fraktionen Polen. Das unterschied sich nicht so sehr vom PiS-Polen. Die PO war nicht im Stande, die eingetragenen Partnerschaften zu unterstützen. Sie stärkte nicht die Trennung von Kirche und Staat. Janusz Palikot verteidigte diese Werte, doch er verdrehte und instrumentalisierte sie. Die gesellschaftliche und politische Repräsentation der liberalen Weltanschauung und der Weltanschauung der Intelligenz ist immer noch schwach, wenn auch laut und deutlich. Vielleicht markiert gerade der Streit um einen weit gefassten Liberalismus und nationalen Kollektivismus heute den ideellen Rahmen unseres Konfliktes.Dann weiß ich nicht, ob Sie Optimist sind oder das Gegenteil.Wahrscheinlich habe ich mich satt gesehen. Ich habe gesehen, wie die größten Sterne der Politik und der Medien aufgestiegen und gesunken sind. Ich habe den Zusammenbruch des Sozialismus gesehen. Für ein besseres Selbstwertgefühl sind manchmal Distanz und Realitätssinn notwendig.Quelle: Kaczyńskiego droga donikąd. In: Gazeta Wyborcza, Magazyn Świąteczny, 26.–28.03.2016. S. 24f., mit freundlicher GenehmigungÜbersetzung aus dem Polnischen: Silke PlateÜber den AutorPaweł Śpiewak, Soziologe und Ideenhistoriker, ist Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau und Professor am Institut für Soziologie der Universität Warschau. Zahlreiche Veröffentlichungen zur allgemeinen Soziologie, Soziologie der Politik, Politischen und Sozialphilosophie, Theorie der Politik (insbesondere liberales und konservatives Denken) und zu judaistischen Themen. Herausgeber des Bandes »Anti-Totalitarismus. Eine polnische Debatte« in der Reihe »Denken und Wissen. Eine Polnische Bibliothek«, Frankfurt/Main, 2003, herausgegeben vom Deutschen Polen-Institut. Ständiger Mitarbeiter der katholischen Wochenzeitung »Tygodnik Powszechny«, Träger des Józef Tischner-Preises (2013).

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