»Eine gesellschaftliche Mobilisierung hat die Regierung von Recht und Gerechtigkeit aufgehalten«, »Radikale Umkehr in den Entscheidungen der Regierungspartei nach massenhaften Protesten von Frauen«, »Nach dem schwarzen Montag zieht die Regierung den Gesetzesentwurf zum Abtreibungsverbot in Polen zurück« – so stellte die Presse in aller Welt die Ereignisse vom 3. Oktober 2016 vor. Die ausländischen Medien verbreiteten Fotos von Tausenden schwarz gekleideter polnischer Frauen, denen es als ersten nach dem Regierungswechsel im Herbst 2015 gelang, sich dem Eifer der konservativen Abgeordneten wirksam entgegenzustellen. In Westeuropa, Kanada und den Vereinigten Staaten war man von dem spektakulären Erfolg der Polinnen beeindruckt. Der 3. Oktober war der Tag des »schwarzen Protestes«, eines »Landesweiten Streiks der Frauen«, der von Ereignissen in Island vor 40 Jahren inspiriert worden war. Am 24. Oktober 1975 hatten dort 90 Prozent der Frauen die Arbeit niedergelegt; auch diejenigen, die als Hausfrauen tätig waren, hörten auf zu kochen, zu waschen und sich um die Kinder zu kümmern. Dieser eine Tag hatte eine Revolution in Gang gesetzt. In Polen lehnte der Sejm drei Tage nach den Protesten den Bürgergesetzesentwurf zu einem vollständigen Abtreibungsverbot ab. Gleichzeitig kündigte die PiS-Regierung Arbeiten an einem eigenen, großzügig angelegten Programm zum Schutz des ungeborenen Lebens an. In welche Richtung weisen die legislativen Arbeiten der Regierung? Was denkt die polnische Gesellschaft über die von den konservativen Politikern vorgeschlagenen Veränderungen? Erwartet uns ein neuer »Kompromiss« im Abtreibungsrecht?
Der »Abtreibungskompromiss«
Der politische Umbruch im Jahr 1989 brachte eine deutliche Beschränkung der bis dahin sehr liberalen Abtreibungsgesetzgebung in Polen mit sich. Dabei handelte es sich um eine Forderung der katholischen Kirche, die von einem Teil der Politiker des Solidarność-Lagers unterstützt wurde. Vor dem Hintergrund, dass in keinem anderen postsozialistischen Land die Gesetzgebung zur Abtreibung nach 1989 eingeschränkt wurde, ist es bemerkenswert, auf welche Weise die Kirche ihr Ziel erreichte. In der Frage der Abtreibung gelang es ihr, viele Politiker zu überzeugen, und das nicht nur, weil sie Katholiken waren. In den 1990er Jahren trat die katholische Kirche als einzige politische Siegerin in Erscheinung. Der Kirchenhierarchie gelang es, eine starke Position in der Öffentlichkeit einzunehmen und die Richtung politischer Veränderungen mitzubestimmen. Die Verabschiedung des Gesetzes über den Schutz des ungeborenen Lebens im Jahr 1993 war nur eines der Beispiele dafür, wie die Kirche Einfluss auf die Gesetzgebung nahm. Des Weiteren hatte die Tatsache, dass die politische Position der Frauen nach der Transformation schwach war, Einfluss auf die damals getroffenen Entscheidungen. Obwohl Frauen Aktivistinnen der demokratischen Opposition gewesen waren, bewirkte das damals nur schwach ausgeprägte feministische Denken, dass sie ihre Interessen nicht in Geschlechterkategorien zum Ausdruck brachten. Im Ergebnis trat eine Verschlechterung der Situation der Frauen nach 1989 ein, und zwar nicht nur im Bereich der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch, sondern auch was die Präsenz der Frauen auf der politischen Bühne oder ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt betraf.
Das Gesetz, das den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch in Polen reguliert, ist eines der restriktivsten in Europa. Nur in Irland und Malta, den beiden anderen Ländern, die unter dem starken Einfluss der katholischen Kirche stehen, gelten ähnlich restriktive Gesetze. Nach dem »Gesetz über Familienplanung, den Schutz des menschlichen Fötus und die Bedingungen für die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs« vom 7. Januar 1993 ist Abtreibung in Polen nur in drei Fällen erlaubt. Erstens, wenn die Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren darstellt, zweitens im Falle einer schweren und irreversiblen Behinderung des Fötus oder einer unheilbaren Krankheit, die sein Leben bedroht, und drittens, wenn die Schwangerschaft infolge einer Straftat eintrat. Der Kirchenhierarchie gelang es nicht nur, auf die Gestalt der Gesetzgebung Einfluss zu nehmen, sondern auch auf den Diskurs über das Antiabtreibungsgesetz. Eingeführt wurde der Begriff des »empfangenen Kindes« als Rechtssubjekt, dem Schutz und Fürsorge zusteht. Die rechtlichen Änderungen in diesem Bereich wurden als Geste der Befreiung von den sowjetischen Einflüssen dargestellt. Es kam zu dem sogenannten Kompromiss, der in der Realität aber kein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen war. Vielmehr war es ein Vertrag zwischen den Kirchenoberen und konservativen Politikern, eine Lösung, die eine einflussreiche Minderheit der ganzen Gesellschaft auferlegte, die damals aber deutlich liberaler eingestellt war. In den folgenden Jahren betrieb die Kirche die Stigmatisierung von Abtreibungen, Frauen, die sie durchführen ließen, und Ärzten, die sie ausführten. Das außergewöhnlich restriktive Gesetz, die Stigmatisierung des umgebenden Milieus und die fehlende Regulierung in Form einer Gewissensklausel (was von den Ärzten genutzt wurde, um eine Abtreibung abzulehnen) hatten zur Folge, dass es praktisch keinen Zugang zu legalen Eingriffen gab. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge lassen bis zu 100.000 Polinnen jährlich eine Abtreibung in Privatkliniken durchführen, indem sie aus dem Ausland importierte Pillen einnehmen oder in Länder fahren, in denen der Abbruch legal und sicher durchgeführt wird. Zweifellos ist der Zugang zu einem sicheren Abtreibungsverfahren von sozioökonomischen Faktoren bestimmt und teilt die Gesellschaft eindeutig in diejenigen, die sich eine echte Wahl in ihren Angelegenheiten der Fortpflanzung leisten können, und die, die keine Wahl haben.
Die neue Regierung und der neue Krieg um Werte
Betrachtet man Meinungsumfragen zum Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Abtreibungsgesetz, kann man zu dem Schluss kommen, dass sich ein deutlicher Teil der Gesellschaft in den letzten zwei Jahrzehnten an das geltende Gesetz gewöhnt hat. Nach einer Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts CBOS im März 2016 spricht sich die Mehrheit der Polinnen und Polen für die Beibehaltung des »Abtreibungskompromisses« aus (siehe Tabelle 1 auf Seite 8). Das bedeutet, dass die Befragten mehrheitlich der Meinung sind, dass ein legaler Schwangerschaftsabbruch in den drei Fällen des geltenden Gesetzes zulässig sein sollte: Wenn Gefahr für das Leben der Mutter besteht (80 Prozent) bzw. für ihre Gesundheit (71 Prozent) und wenn die Schwangerschaft infolge einer Straftat eintritt (73 Prozent). Der dritte Fall, das heißt die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, wenn pränatale Untersuchungen eine dauerhafte Schädigung des Fötus zeigen, erlangte mit 53 Prozent die relativ geringste gesellschaftliche Unterstützung. Am wenigsten akzeptieren die Polen die Zulässigkeit von Abtreibungen aufgrund der schlechten materiellen Situation der Mutter (75 Prozent sind der Ansicht, dass in diesem Fall eine Abtreibung nicht zulässig sein sollte), wenn ihre persönliche Situation schwierig ist (75 Prozent) oder auch, wenn die betreffende Frau kein Kind haben möchte (76 Prozent). Seit dem Jahr 2012 ist die Einstellung der Polen gegenüber dem Schwangerschaftsabbruch aus sozioökonomischen Gründen auf ähnlichem Niveau geblieben. Hier befürworten 14 Prozent der Befragten die Zulässigkeit einer Abtreibung (2012: 16 Prozent). Der Faktor, der die Haltung zum Schwangerschaftsabbruch am stärksten beeinflusst, ist die praktizierte Religiosität.
Der »Abtreibungskompromiss« wurde zum verbindlichen Status quo, den Politiker jahrelang aus Angst vor der Reaktion der Gesellschaft sowie der Kirche nicht zu ändern wagten. Im Ergebnis erwog bis zum Jahr 2016 keine Regierung ernsthaft eine rechtliche Reform des Zugangs zum Schwangerschaftsabbruch in Polen. Nachdem im Herbst 2015 PiS an die Macht gekommen war, wurde klar, dass der Einfluss der katholischen Kirchenhierarchie auf das politische Leben stärker und gleichzeitig sichtbarer werden wird. Im Parlamentswahlkampf hielt sich die Kirche von einem aktiven Engagement zurück. Neue Wähler zu gewinnen, insbesondere diejenigen, die von der Vorgängerregierung enttäuscht waren, war die Schlüsselaufgabe der Partei von Jarosław Kaczyński. Daher waren die wesentlichen Wahlversprechen im sozioökonomischen Bereich angesiedelt. Dennoch hatte die Unterstützung der Kirche weiter Schlüsselbedeutung für die Sicherstellung der Loyalität der Stammwählerschaft von PiS. Sowohl die Kirchenhierarchie als auch die traditionelle, religiös-konservative Wählerschaft von PiS wussten, dass weltanschauliche Themen auf die politische Agenda zurückkehren würden, wenn PiS die Wahlen gewinnt. Dazu ist es auch gekommen.
Im Juli 2016 wurde die Bürgergesetzesinitiative »Abtreibungstopp« (Stop Aborcji) im Sejm eingereicht. Sie war von der ultrakonservativen Organisation Ordo Iuris vorbereitet worden und beinhaltete ein komplettes Abtreibungsverbot in Polen. Dem Komitee der Gesetzesinitiative war es gelungen, knapp 500.000 Unterschriften für den Entwurf zu sammeln. Worin hätten die rechtlichen und sozialen Konsequenzen des Gesetzes bestanden? Die Rechtswissenschaftlerin Monika Płatek stellt in ihrer Beurteilung des Gesetzesentwurfs fest: »[…] unter dem Vorwand eingebracht, Leben zu retten, zielt der Entwurf auf die Würde des Menschen, die Gesundheit der Frauen und der Föten in der pränatalen Phase sowie auf ihr Leben.« Der Entwurf verbietet den Schwangerschaftsabbruch sogar in Fällen einer Vergewaltigung, wenn die Gesundheit und das Leben der Frau gefährdet sind sowie wenn der Fötus ernsthaft geschädigt ist. Płatek weist darauf hin, dass das Projekt von Ordo Iuris den Schutz des Lebens und der Gesundheit auf das Strafrecht stützt. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass das Strafrecht im Gesetzgebungsprozess die Rolle der Ultima Ratio spielt, das heißt ein Instrument sein sollte, dass das menschliche Verhalten allein dann regelt, wenn keine anderen Rechtsbereiche mehr anwendbar sind. Der Gesetzesentwurf kriminalisiert ebenfalls Fehlgeburten, indem er sie zum Gegenstand staatsanwaltlicher Untersuchung ihrer Art und Weise macht.
Parallel zur Unterschriftensammlung für das Gesetzesprojekt »Abtreibungsstopp« wurden Unterschriften für eine weitere Bürgergesetzesinitiative gesammelt, die den Schwangerschaftsabbruch in Polen erlauben sollte. Der Entwurf, der vom Komitee der Gesetzesinitiative »Retten wir die Frauen!« (Ratujmy Kobiety) eingebracht wurde, räumt die Möglichkeit des legalen und sicheren Schwangerschaftsabbruchs ein, garantiert den Frauen während der Schwangerschaft vollständige gesundheitliche Betreuung, gibt Zugang zu modernen Verhütungsmethoden und fordert einen verbindlichen Sexualkundeunterricht in den Schulen. Mit anderen Worten, der Gesetzesvorschlag würde die polnische Gesetzgebung im Bereich der Gesetzgebung zur Fortpflanzung an die Standards der Mehrheit der europäischen Länder annähern. Die Unterschriftensammlung für beide Gesetzesinitiativen, insbesondere aber für die von Ordo Iuris, die in den Medien eindeutig stärker präsent war, löste eine öffentliche Debatte aus, wie sie seit langem in Polen nicht stattgefunden hatte. Eine Debatte, die unter Politikern, Kirchenoberen, Experten, aber auch gewöhnlichen Bürgern geführt wird und die ohne Übertreibung als Anfang eines neuen Krieges um Werte bezeichnet werden kann.
Die Annahme einer der beiden Gesetzesvorschläge würde den »Abtreibungskompromiss« aufheben, der das Land seit 1993 regiert. Beide Entwürfe wurden im Sejm eingereicht, und das Gesetzgebungsprozedere wurde am selben Tag, dem 23. September 2016, eröffnet. Trotz des Versprechens der Regierung, dass keine Bürgergesetzesinitiative von den Abgeordneten in der ersten Lesung abgelehnt werden würde, wurde nur der Vorschlag »Abtreibungsstopp« zur weiteren Bearbeitung an den Ausschuss für Gerechtigkeit und Menschenrechte weitergeleitet. Der Entwurf »Retten wir die Frauen!« wurde in erster Lesung abgelehnt. PiS zeigte, dass sie zu einer Änderung des »Abtreibungskompromisses« bereit ist.
Der »schwarze Protest« – ein zivilgesellschaftlicher Erfolg, aber auch ein politischer?
Am 3. Oktober 2016 gingen die Frauen in Polen nicht nur zum ersten Mal massenhaft auf die Straße, um zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs zu protestieren. Der »schwarze Montag« war auch die erste Massenmobilisierung der polnischen Frauen zur Verteidigung ihrer Rechte. Keine Kundgebung und Demonstration hatte bisher so viele Teilnehmerinnen auf den Plan gerufen. Dem »Landesweiten Streik der Frauen«, der zunächst eine vor allem mit Hilfe der sozialen Medien angekündigte Initiative war, wurden nicht viele Chancen in Aussicht gestellt. Sein Erfolg überstieg die Erwartungen der Organisatorinnen selbst, und zwar nicht nur, was die Anzahl der streikenden Frauen betraf. Informationen des Hauptkommandanten der Polizei zufolge, nahmen an den »schwarzen Protesten« zirka 98.000 Personen teil. Anders als viele erwartet hatten, beschränkte sich der Protest nicht auf die großen Städte – die Initiative »Landesweiter Streik der Frauen« spricht von Protesten in 118 Städten Polens. Zusätzlich kam es im Ausland zu über 50 Solidaritätskundgebungen. Allein das Ausmaß des Protestes zeigt eindeutig, dass es sich hier um einen überragenden Erfolg der Frauen in Polen handelt. Von Bedeutung ist dabei auch, dass Frauen (sowie auch Männer und Kinder) in verschiedenen Regionen Polens auf die Straße gingen, Frauen, die sich in Alter, Ausbildung, sozioökonomischem Status und Weltanschauungen unterschieden. Die Massenproteste der Frauen erhielten bereits in der Vorbereitungsphase große Unterstützung vonseiten der Gesellschaft. Nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts IPSOS vom 28. bis 30. September unterstützte die Mehrheit der Polinnen (55 Prozent) und fast die Hälfte der Polen (45 Prozent) den Aufruhr der Frauen. Gegner des Streiks waren 14 Prozent der Befragten.
Der »schwarze Protest« schlug sich unter anderem auf die Ergebnisse der Meinungsumfragen zu der Zulässigkeit von Abtreibungen nieder. Auf dem Höhepunkt der Vorbereitungen der Demonstrationen gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes beauftragte das Portal OKO.press das Institut IPSOS mit der Untersuchung der Einstellung der Polinnen und Polen gegenüber den aktuellen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch. Über ein Drittel der Befragten sprach sich für die Liberalisierung des geltenden Gesetzes aus, während es in den Umfragen in diesem Jahr vor den Protesten nicht mehr als 30 Prozent waren. OKO.press fragte die Polen unter anderem, ob sie für die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes und die Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen im Falle einer schwierigen Situation der betreffenden Frau seien. Dafür sprachen sich 39 Prozent der Polinnen und 35 Prozent der Polen aus. Für die Liberalisierung des geltenden Gesetzes sprachen sich die Einwohner von Großstädten (über 500.000 Einwohner) vor allem mit Berufsausbildung (43 Prozent) und mittlerem Ausbildungsgrad (37 Prozent) aus. Gleichzeitig beeinflussten die Arbeiten am Gesetzesprojekt von Ordo Iuris und die Proteste der Frauen aber nicht den Anteil derjenigen, die die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes befürworteten. Unverändert lag er bei 10 bis 12 Prozent. Die Unterstützung des vollständigen Abtreibungsverbots ist in der Mehrheit der Altersgruppen ähnlich niedrig, allerdings etwas höher bei den jüngsten Befragten (18–29 Jahre). Dies bestätigt die von vielen Experten vertretene These von der Radikalisierung junger Polen. Auch die neuesten Untersuchungen von CBOS zeigen deutlich, dass die Debatte um die beiden Gesetzesentwürfe und die Massenproteste der Frauen die Einstellungen der Polen zur Abtreibung beeinflusst haben (siehe Tabelle 1 auf Seite 8). Beide Faktoren bewirkten vor allem eine Befestigung der Ansichten derjenigen, die Abtreibung für zulässig halten – die Unterstützung von Schwangerschaftsabbrüchen in den drei gesetzlich verankerten Fällen wird entschiedener als vorher zum Ausdruck gebracht. Im Vergleich zu den vorangegangenen Untersuchungen vom März 2016 stieg die Zustimmung zum Schwangerschaftsabbruch fast in jeder Kategorie. Wenn der Anstieg auch nicht spektakulär ist, zeigt sich bereits ein gewisser Trend. Feststellbar ist außerdem ein geringer Anstieg des Anteils derjenigen, die Abtreibung im Falle einer schwierigen materiellen oder persönlichen Situation der Frau befürworten – unter solchen Umständen akzeptiert jeder fünfte Befragte einen Schwangerschaftsabbruch. Während die Mehrheit der Polen sich für die Beibehaltung des »Abtreibungskompromisses« ausspricht (62 Prozent), befürwortet fast jeder vierte Befragte die Liberalisierung des geltenden Rechts. Weitere Untersuchungen werden zeigen, ob man von einer beständig größer werdenden Tolerierung von Schwangerschaftsabbrüchen in anderen Fällen als den im aktuellen Gesetz angeführten sprechen kann.
Der »schwarze Montag« war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Agata Chełstowska stellte im Internetmagazin »Codziennik Feministyczny« fest, dass sich im Kontext des Streiks plötzlich ein Raum eröffnet hat, über die eigenen Emotionen zu sprechen – starke Emotionen, die der Gesetzesentwurf zu einem vollständigen Abtreibungsverbot in Polen bei Tausenden von Frauen ausgelöst hatte. Dies waren Emotionen, die die Aktivistinnen der Frauenbewegung bisher nicht haben zeigen dürfen. Bisher waren das kultivierte Gespräch und stichhaltige Argumente das Wichtigste. Dieses Mal jedoch sei bei den Frauen etwas geplatzt. Ein Umbruch scheint der »schwarze Protest« auch nicht nur mit Blick auf die Anzahl der Teilnehmenden, die sich offen zu ihren Ansichten zum Thema Schwangerschaft bekannten, gewesen zu sein. Er war auch ein Wendepunkt im Hinblick auf den Diskurs über Abtreibung. Bislang wurde über Abtreibung vor allem aus der Perspektive der individuellen Entscheidung der Frau über ihren Körper gesprochen. »Mein Körper – meine Entscheidung«, dieses Schlagwort aus der feministischen Bewegung wurde zum Symbol für die Erweiterung des Zugangs zu legaler Abtreibung unter würdigen Bedingungen. Während der Demonstrationen am 3. Oktober stand der Slogan auf etlichen Transparenten. Diesen Slogan nutzten dagegen die Anhänger des vollständigen Abtreibungsverbots mit dem Ziel, die gesamte Frauenbewegung lächerlich zu machen, das Bild von Furien-Feministinnen zu kreieren, die sich nur für sich und ihre Sexualität interessieren, und Argumente einzuführen, die die Erweiterung der Möglichkeiten abzutreiben in Zusammenhang mit »leichtfertigem Verhalten von Frauen« setzen.
Es tauchten aber auch Slogans zum Schutz des Lebens und der Gesundheit auf, die bei Inkrafttreten des Gesetzes von Ordo Iuris gefährdet sein könnten. Die Verlagerung des Schwerpunktes von der selbstbestimmten Wahl auf den Schutz des Lebens war nicht die Idee der Organisatoren des »schwarzen Protestes«, sondern ein Ergebnis der Aktivitäten der neuen Welle von Feministinnen in Polen. Das herausragende Motto »Abtreibung zum Schutz des Lebens«, das viele Kontroversen hervorrief, bereitete den Boden für die Organisation der Massendemonstrationen am »schwarzen Montag« vor. Dank dieses Mottos sind sich viele Frauen über die Konsequenzen des aktuell geltenden Rechts bewusst geworden, dessen Folge tatsächlich Todesfälle von Frauen und Kindern in Polen sind.
Zweifellos war der 3. Oktober ein enormer Erfolg der Zivilgesellschaft, aber war er auch ein Erfolg mit Blick auf die Gesetzgebung? Kaum zwei Tage nach dem Streik stimmte der Ausschuss für Gerechtigkeit und Menschenrechte für die gänzliche Ablehnung des Gesetzesentwurfs. Am 6. Oktober sprach sich der Sejm für die Entscheidung der Kommissionsmitglieder aus. Mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen, die die Bürgerinnen und Bürger mit Protesten gegen das Regierungshandeln beispielsweise im Zusammenhang mit dem Verfassungstribunal gemacht haben, fällt es schwer zu glauben, dass die Regierung plötzlich begonnen hat, auf die Stimmen der Protestierenden zu hören. Ebenso schwer fällt es, sich des Eindrucks zu erwehren, dass das Gesetzesprojekt von Ordo Iuris der Regierung einen Dienst erwiesen hat. Der vorgeschlagene Entwurf hat die Grenzen vieler Polinnen und Polen so weit überschritten, dass jeder weitere (von PiS bereits angekündigte) Gesetzesentwurf zur Verschärfung des Abtreibungsgesetzes »besser« und akzeptabler erscheinen wird, da er weniger radikal sein wird. Der abgelehnte Gesetzesentwurf kann der Regierung zur schrittweisen Reduzierung des bereits jetzt schon nicht großen Bereichs der Ausnahmen vom Abtreibungsverbot dienen.
Erwartet uns eine neuer »Abtreibungskompromiss«?
Viele Frauen, die sich seit langem im Kampf für Frauenrechte in Polen engagieren, unterstreichen, dass hier nicht der Krieg gewonnen ist, sondern nur eine Schlacht. Hinzu kommt, dass die Schlacht, die die Polinnen in Zukunft erwartet, möglicherweise noch schwieriger wird. Die Regierungspartei wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Drohung des vollständigen Abtreibungsverbots nutzen, um die Novellierung des Gesetzes in Richtung größerer Restriktionen vorzuschlagen, wobei diese angesichts einer drohenden absoluten Illegalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein »neuer Kompromiss« werden könnten. An dem Tag, als der Sejm den Gesetzesentwurf »Abtreibungstopp« ablehnte, kündigte Ministerpräsidentin Beata Szydło an, dass PiS ein breit angelegtes Programm zum Schutz des empfangenen Lebens erarbeiten wird. Ein erster Bestandteil ist bereits bekannt. Am 3. November fand im Sejm die erste Lesung des Regierungsgesetzesentwurfs »Für das Leben« zur Unterstützung von Schwangeren und Familien statt. Bereits am nächsten Tag wurde das Gesetz verabschiedet. Es sieht unter anderem eine Einmalzahlung in Höhe von 4.000 Zloty (zirka 920 Euro) bei der Geburt eines behinderten oder unheilbar kranken Kindes vor. Ein Familienassistent soll die den Eltern bereitgestellte Hilfe koordinieren. Das Gesetz weckte enorme Kontroversen und rief eine Welle der Kritik und Empörung hervor – nicht nur von Experten, sondern auch von Familien mit behinderten Kindern. Zwei Tage nach Verabschiedung des Gesetzes machte Präsident Andrzej Duda die Marschrichtung weiterer legislativer Arbeiten deutlich: »Was den sogenannten Abtreibungskompromiss betrifft, ist es leider so, dass auch Ärzte sagen, dass er Kinder mit Behinderungen nicht ausreichend schützt, dazu gehören auch Kinder mit Down-Syndrom. Das ist etwas, was ich nicht akzeptieren kann. Wenn mich heute jemand nach dem »Kompromiss« fragt, dann sage ich gerade heraus – von diesem Standpunkt aus ist er nicht ausreichend. Das macht Veränderungen erforderlich […].« Alles weist darauf hin, dass die polnische Regierung konsequent auf einen neuen »Kompromiss« hinarbeiten wird. Es bleibt die Frage, was die polnischen Frauen dazu sagen werden.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate