Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat unter der PiS-Regierung

Von Theo Mechtenberg (Bad Oeynhausen)

Zusammenfassung
Innerhalb von nur zwei Jahren zeigte sich im Verhältnis der katholischen Kirche Polens zur nationalkonservativen Regierung ein Wandel. Hatte sie fast geschlossen den Regierungswechsel im Herbst 2015 begrüßt, so machte sich nach einiger Zeit unter ranghohen Bischöfen eine gewisse Ernüchterung breit, verbunden mit einem Dissens auf einigen politischen Problemfeldern, am deutlichsten in der Flüchtlingsfrage. Dieser Wandel wird allerdings nicht von Priestern und Bischöfen mitvollzogen, die Pater Tadeusz Rydzyk und seinem Medienimperium nahestehen, so dass von einer für die Kirche gefährlichen inneren Spaltung gesprochen werden kann.

Um das gegenwärtige Verhältnis der Kirche zum Staat unter der Regierung der Partei von Jarosław Kaczyński, Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), zu verstehen, reicht es nicht, bei ihrem Wahlsieg im Herbst 2015 anzusetzen. Vielmehr ist es erforderlich, die Endphase der von der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) geführten Vorgängerregierung in den Blick zu nehmen. Diese war durch einen Kulturkampf bestimmt, mit dem die Kirche, von der oppositionellen PiS und dem Medienimperium von Pater Tadeusz Rydzyk massiv unterstützt, bestrebt war, Gesetze zu verhindern, die nach ihrer Auffassung Ehe und Familie bedrohten sowie die nationale Identität gefährdeten.

Als erstes entzündete sich der Streit an der Ratifizierung der sogenannten Istanbuler Konvention zur »Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«, in der neben anderen Faktoren auch die Religion als mögliche Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen Erwähnung findet. Zielscheibe der kirchlichen Kampagne war Präsident Bronisław Komorowski, der gehindert werden sollte, mit seiner Unterschrift der Konvention Gesetzeskraft zu verleihen. Die Tageszeitung Nasz Dziennik titelte in großen Lettern »Die Pilatusversuchung des Präsidenten« und forderte die Leser zu einer Unterschriftenaktion auf. Der zum Kreis um Pater Rydzyk zählende Bischof Ignacy Dec richtete einen offenen Brief an das Staatsoberhaupt und erinnerte den katholischen Präsidenten daran, »Gott mehr zu gehorchen als den Menschen« (Apg 5,21). Statt ein solch schweres Geschütz aufzufahren, wäre die Kirche besser beraten gewesen, die Konvention angesichts der statistisch erfassten jährlich 90.000 betroffenen Frauen und einer weit höheren Dunkelziffer zu ihrer ureigenen Angelegenheit zu machen.

Mehr noch als diese Konvention bewegte die angebliche Bedrohung durch den Genderismus die Gemüter. Die Bischofskonferenz sah sich zu einem in allen Kirchen verlesenen Hirtenbrief veranlasst, der zwar zu Recht vor einem ideologischen Genderismus warnte, aber eine Differenzierung zwischen ihm und den wissenschaftlichen Genderstudies vermissen ließ. Bald wurde Gender zu einem die Öffentlichkeit weitgehend bestimmenden Thema. Der Bischof von Kielce zog gar eine Analogie zu Herodes und seinem Kindermord. Dariusz Oko, Priester und Professor, beschwor in seinem Gender-Kreuzzug das Schreckgespenst einer die Kirche, Polen und die menschliche Zivilisation insgesamt zerstörenden Gender-Ideologie. Und wer sich, wie Dominikanerpatres, innerhalb der Kirche mit der Gender-Problematik sachlich befasste, sah sich einem von Rydzyks Medienimperium in Szene gesetzten Kesseltreiben ausgesetzt.

Mit gleicher Erbitterung wurde der Kampf gegen das Projekt eines Gesetzes zur »Heilung von Unfruchtbarkeit« geführt, das unter bestimmten Bedingungen die In-vitro-Fertilisation erlaubt. Die Kirche beließ es nicht bei ihren bioethischen Einwänden, sondern drohte jedem, der dieses Gesetz unterstützt, mit dem Ausschluss vom Empfang der Kommunion.

Die kirchenpolitische Situation nach dem Wahlsieg der PiS

Als die PiS 2015 die Wahl des Präsidenten für sich entschied und nach den gewonnenen Parlamentswahlen die Regierung übernahm, wurde dies von manchem Kirchenvertreter geradezu enthusiastisch begrüßt. So etwa von Czesław Stanisław Bartnik, emeritierter Theologieprofessor, kirchlich einflussreich und Begründer einer spezifisch polnischen »Theologie der Nation«: »Mit einem Male erscheint hier ein Polen wie der Erzengel Michael mit Gott im Herzen, ein Verteidiger der Kirche, das Schwert gegen Satan gerichtet. […] Es erwacht eine von Gott und dem Christentum inspirierte Kultur, der geniale polnische Geist gewinnt an Leben, ein Bewusstsein von Würde und Ehre erfüllt die Nation, die Freude der Gotteskindschaft verleiht den Menschen Flügel der Hoffnung zu einem zeitlichen und ewigen Leben. […] Der Präsident und der Präses der siegreichen Partei gehen zur heiligen Kommunion. […] Frau Ministerpräsidentin ist wie die wahre Polnische Mutter aus polnischen Epen.« Und unter Hinweis auf all jene, die den Regierungswechsel eher als Schock empfanden, fügte er hinzu: »Kaum zu glauben, dass dieses allerhöchste Gut von Menschen bösen Willens am allermeisten gehasst werden kann.«

Vor dem Hintergrund ihrer kulturkämpferischen Auseinandersetzung mit der Vorgängerregierung ist es verständlich, dass auch Polens Bischöfe den Regierungswechsel begrüßten. Entsprechend äußerte sich der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki: »In all den Jahrzehnten nach dem Krieg gab es keinen solchen Moment eines übereinstimmenden Denkens zwischen Staat und Kirche. Das ist ein Augenblick des Umbruchs.« Offenbar hatte Gądecki nicht bedacht, in welch eine schwierige Situation dieser Umbruch die Kirche bringen könnte angesichts der Machtkonstellation aufgrund des Bündnisses zwischen Jarosław Kaczyński und Pater Tadeusz Rydzyk. Nicht ohne Grund hatte der PiS-Präses unmittelbar nach den Wahlen Rydzyk persönlich gedankt und zum Ausdruck gebracht, dass ohne ihn dieses Ergebnis nicht zustande gekommen wäre. Und dieses Bündnis besteht bis heute als ein die Herrschaft der PiS sichernder Grundpfeiler.

In diesem Bündnis spielt Kaczyńskis von seinem Lehrer Stanisław Ehrlich stark beeinflusste Staatstheorie eine entscheidende Rolle. Nach ihr beruht die Legitimität der Macht nicht auf dem Recht, sondern muss im »politischen Willen« gesehen werden, repräsentiert und aktualisiert durch die Partei, im Einklang mit dem von Rydzyk vertretenen nationalen Katholizismus, der von Kaczyński geteilt wird.

Das Problem ist nicht neu. Es stand bereits in den 1990er Jahren zur Diskussion, als die Kirche im Verein mit dem nationalkonservativen Flügel der Solidarność und unter Missachtung demokratischer Regeln den Versuch unternahm, Polen in ihrem Sinne politisch zu gestalten. Damals warnte der im Jahr 2000 verstorbene Priester Józef Tischner eindringlich vor der Gefahr einer »politischen Religion«, durch welche die Ebenen von Religion und Politik miteinander vermischt werden. Dies sei dort der Fall, »wo der politische Gegner mit Hilfe religiöser Inhalte definiert wird, wo man unter Berufung auf Gott glaubt, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, wo man den politischen Gegner in ihrem Namen diskriminiert und wo das Evangelium als Quelle eines politischen Kampfes benutzt wird.« Wo solches Denken Fuß fasse, seien im politischen Raum ein Dialog, eine Kooperation und ein für den gesellschaftlichen Frieden so notwendiger Kompromiss nicht mehr möglich.

Pater Rydzyk und die Macht seines Medienimperiums

Es ist diese insbesondere für Pater Rydzyk und sein Medienimperium charakteristische Vermischung von Religion und Politik, durch welche die Religion politisiert und die Politik sakralisiert wird, die sich für Polens Kirche als eine ernste Bedrohung erweist: Radio Maryja erhebt den Anspruch, die Stimme der Kirche zu sein, die in jedem katholischen Haus Gehör finden soll. Zwar werden Gottesdienste und der täglich gebetete Rosenkranz ausgestrahlt, doch dann ergreift einer der zur PiS zählenden Politiker das Wort und beschuldigt die Vorgängerregierung des Verrats an Polen, beschwört die Gefahr von Terrorakten und einer Islamisierung für den Fall, dass man den syrischen Kriegsflüchtlingen Tür und Tor zum Land öffnet. Oder Direktor Rydzyk tritt selbst ans Mikrophon und verkündet seine Tiraden gegen alle imaginären Feinde Polens und der Kirche, gegen Kommunisten und Liberale, gegen Freimaurer und Linke, gegen die Europäische Union und die Berliner Regierung, die angeblich die nationale Identität der Polen und ihre Unabhängigkeit bedrohen.

Wer von den Gläubigen sollte nicht glauben, dass Radio Maryja die Stimme der Kirche ist und jeder »wahre« Katholik für die Partei mit dem biblischen Begriffspaar »Recht und Gerechtigkeit« als Namen einzutreten hat, wenn jüngst die Einweihung einer neuen großräumigen, mit Steuergeldern finanzierten Kirche in Lodz (Łódź) das Bild der Geschlossenheit von Staat und Kirche bietet? Ein gutes Dutzend Bischöfe war vertreten. In den ersten Bänken saßen etliche Minister und PiS-Politiker. Grußworte von Präsident Andrzej Duda und Ministerpräsidentin Beata Szydło wurden verlesen. Natürlich hatte auch der an diesem Tag verhinderte Kaczyński einen Brief gesandt, in dem er der »Vorsehung« dafür dankt, dass »sie Pater Tadeusz Rydzyk auf den Weg unseres Lebens gestellt hat.« Die Predigt von Bischof Wiesław Mering glich einer Laudatio auf Pater Rydzyk, der es verstehe, »die Liebe zum Vaterland zu wecken«, der die wahre Geschichte Polens darzulegen wisse und die mit der Smolensker Tragödie verbundenen Lügen entlarve. Dass weder Erzbischof Gądecki noch der Primas Polens unter den Gästen zu sehen waren und auch kein Grußwort der Bischofskonferenz einging, ist zu wenig, um klarzustellen, dass Radio Maryja nicht die Stimme der Kirche ist.

Wie wirkungsvoll diese von Pater Rydzyk mit seinem Medienimperium verbreitete »politische Religion« ist, zeigt der Leserbrief einer Katholikin aus einer Provinzkleinstadt: Vier der fünf Kirchen stehen ganz unter dem Einfluss von Radio Maryja, des Fernsehsenders Trwam und der Zeitung Nasz Dziennik, die im Kirchenvorraum zum Kauf angeboten wird. PiS-Politiker werden eingeladen und können im sakralen Raum ihre Parolen verkünden. Wer es von den Gläubigen wagt, an Demonstrationen gegen die Rechtsbrüche der Regierung teilzunehmen, wird im Gottesdienst förmlich »abgekanzelt«. Bis in die Beichtstühle reicht der lange Arm von Pater Rydzyk. Man muss vor dem Beichtgitter damit rechnen, gefragt zu werden, welche Zeitungen und Zeitschriften man liest. Im Falle der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza erhält man eine Buße, für die Lektüre des katholischen Wochenmagazins Tygodnik Powszechny begnügt sich der Beichtvater mit einer bloßen Ermahnung.

Neben der Sakralisierung der Politik durch Radio Maryja, Trwam und Nasz Dziennik gibt es die Politisierung des Sakralen durch die PiS. So finden seit nunmehr über sieben Jahren am 10. eines jeden Monats in Warschau, aber auch in und anderen Städten, ein Religion mit Politik vermischendes Gedenken an den Absturz der Präsidentenmaschine über dem Flughafen von Smolensk im Jahr 2010 statt. Es ist ein Ritual der Profanierung: Am Beginn steht eine Eucharistiefeier mit einer Predigt ganz im Geiste nationalen Martyriums. Es folgt eine Prozession mit Priestern und einem Kreuzträger an der Spitze, mit Transparenten, auf denen die damaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk und Wladimir Putin für die nationale Tragödie verantwortlich gemacht werden. Am Ende dieser religiös-politischen Gedenkfeier dann in der Nähe des Präsidentenpalastes die Abschlusskundgebung, auf der Kaczyński seinen Gegnern Hass unterstellt und sich damit selbst zum Hassprediger macht: »Es kommt die Zeit der Wahrheit, der vollen Wahrheit – und die bald. Und es kommt die große Niederlage derer, die hassen, die im Grunde Polen hassen. Denn darum geht es – sie hassen Polen. Aber Polen siegt.«

Es fehlt nicht an Stimmen einzelner Priester, die diese Form »politischer Religion« verurteilen. Der Dominikanerpater Ludwik Wiśniewski hält sie für »schlimmer als Heidentum«. Und der ehemalige Generalsekretär der Bischofskonferenz, Bischof Tadeusz Pieronek, nennt sie »reine Politik«, und was man da zu hören bekomme, lasse einem »die Haare zu Berge stehen.«

Was dagegen fehlt, ist eine offizielle Erklärung der Kirchenleitung, mit der sie feststellt, dass derlei Veranstaltungen mit dem christlichen Glauben unvereinbar sind und nur zur Spaltung in Kirche und Gesellschaft beitragen.

Diese »Politisierung der Religion« dürfte es eigentlich nach kirchlichem Verständnis gar nicht geben. Die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums »Gaudium et spes« vermerkt ausdrücklich, dass »die Kirche in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf noch an irgendein politisches System gebunden ist. […] Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet unabhängig und autonom.« Erst unter dieser Bedingung spricht sich das Konzil für ein »Zusammenwirken zum Wohle aller« aus. (Art. 76)

Die Einstellung der Kirche zur Justizreform

Den ersten Test für das Verhältnis von Kirche und Staat nach der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die PiS bildete die Justizreform. Als mit der Personalunion von Justizminister und Generalstaatsanwalt der Grundstein für die Aufhebung der Gewaltenteilung gelegt wurde, schwiegen die Bischöfe. Als der Konflikt um das Verfassungsgericht entbrannte, meldeten sich zwar einige Bischöfe zu Wort. Doch diese kritisierten nicht den Rechtsbruch der PiS, sondern die »Schreihälse für Demokratie«, die gegen diesen Machtmissbrauch auf die Straße gingen. Der mit Radio Maryja eng verbundene Bischof Mering machte sich sogar zum Regierungssprecher, indem er sich in einen Brief an Martin Schulz, den Präsidenten des Europäischen Parlaments, gegen dessen Ermahnung, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten, verwahrte und bedauerte, dass er den Mund nicht gehalten habe.

Als im Sejm die umstrittenen Gesetze zum Obersten Gericht und zum Landesjustizrat behandelt wurden und es wieder landesweit zu Protesten kam, meldeten sich endlich ranghohe Kirchenvertreter mit einer veränderten Tonlage zu Wort. Der Pressesprecher der Bischofskonferenz rief sämtliche politischen Gruppierungen zur Verständigung auf, und der Primas von Polen, Erzbischof Wojciech Polak, forderte »einen auf den Fundamenten des demokratischen Rechtsstaates basierenden Dialog«. Er mahnte, »die weitreichenden Folgen einer Reform nicht aus den Augen zu verlieren.« Und als Präsident Duda die Gesetze mit seinem Veto blockierte, bedankte sich Erzbischof Gądecki in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Bischofskonferenz für diesen Schritt. In seinem Schreiben beruft er sich ausdrücklich auf die katholische Soziallehre, welche die Demokratie als politisches System besonders schätze, und betonte, dass »eine authentische Demokratie nur in einem Rechtsstaat möglich ist.« Der Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz hielt ostentativ zum 100. Jahrestag der Gründung des Obersten Gerichts einen Jubiläumsgottesdienst, in dem er davor warnte, dessen Unabhängigkeit anzutasten.

Diese in der Sache zwar eindeutigen, doch jede direkte Kritik der Regierungspolitik vermeidenden Stellungnahmen blieben ohne Wirkung.

Die deutliche und doch wirkungslose Absage an den Nationalismus

Im Verlauf von gut zwei Jahren hat die Einstellung der Kirchenleitung zur nationalkonservativen Regierung einen Wandel erfahren. Hatte sie im Herbst 2015 den Wahlsieg der PiS noch freudig begrüßt, so stellte sich bald Ernüchterung ein, und je länger die Kaczyński-Partei die Regierungsgeschäfte leitet, desto mehr nehmen die Problemfelder zu, auf denen sich zwar kein Konflikt, wohl aber ein Dissens abzeichnet. So beobachten Polens Bischöfe mit Sorge den zunehmenden Nationalismus, der unter der jetzigen Regierung eine Neubelebung erfährt und Erinnerungen an die Nationaldemokratie der Zwischenkriegszeit weckt.

»Poland first!« – unter dieser Devise lässt sich die Rhetorik sowie die Innen- und Außenpolitik von Partei und Regierung zusammenfassen. Es ist daher kein Wunder, dass in Polen ein bedenkliches Anwachsen rechtsextremistischer Gruppierungen und Aktivitäten zu verzeichnen ist.

Wer das Eigene überhöht, neigt dazu, das Fremde herabzuwürdigen. Die Folge ist, dass sich der Blick auf die Wirklichkeit eintrübt, die Fähigkeit zur Toleranz und zum Dialog eingeschränkt wird, Kompromisse schwieriger, wenn nicht gar unmöglich werden. Wer das Eigene überhöht, steht in der Gefahr, das Fremde als feindlich zu empfinden, das es zu bekämpfen gilt. Aggressivität, Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass sind die Folge. All diese Phänomene lassen sich an der von der PiS verfolgten Politik festmachen und bestimmen mehr noch das Erscheinungsbild rechtsextremistischer Gruppen.

Die Bischofskonferenz hat auf diese Entwicklung reagiert. Am 28. April 2017 veröffentlichte sie ein Dokument mit dem Titel »Die christliche Gestalt des Patriotismus«. Der Text unterscheidet klar und deutlich zwischen Patriotismus und Nationalismus, und ebenso deutlich wird Letzterem eine Absage erteilt. Die Bischöfe sprechen sich für einen »gastfreundlichen Patriotismus« aus, zeigen sich über den »tiefgreifenden politischen Streit, der heute unser Vaterland spaltet«, besorgt, beklagen »die übermäßigen politischen Emotionen« und warnen vor einer »übermächtigen Politisierung des öffentlichen Lebens«. Ihre Äußerungen zur Geschichtspolitik verbinden sie mit der Warnung vor einer Instrumentalisierung des nationalen Gedächtnisses für politische Zwecke.

Es ist ein sehr akademisch formulierter Text, der im Abstrakten verbleibt, der die mit dem Verhältnis von Staat und Kirche gegebene nationale Problematik zugleich anspricht und verdeckt. So ist mit dem Hinweis auf einen »gastfreundlichen Patriotismus« sicher die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen gemeint, doch direkt gesagt wird dies nicht. Diese Unbestimmtheit der Aussagen gilt für das Dokument im Ganzen. So fühlten sich denn die Kaczyński-Partei und ihre Regierung in keiner Weise angesprochen, geschweige denn zu einer kritischen Überprüfung ihrer Politik veranlasst. Verschiedene nationalistische Gruppierungen begrüßten sogar das Dokument in einer gemeinsamen Stellungnahme und sahen in ihm eine Bestätigung ihrer Anschauungen und Aktivitäten, nachzulesen in dem nationalkatholischen Internetportal Prawy: »Mit Dankbarkeit nehmen wir das Dokument der Konferenz des Polnischen Episkopats entgegen, das sich in so eindeutiger Weise für den Patriotismus unter jedem Aspekt des sozialen Lebens ausspricht.«

Die deutsch-polnische Versöhnung – ein politischer Irrweg?

Von einer deutschfeindlichen Kampagne begleitet, versucht die nationalkonservative Regierung über die im Potsdamer Abkommen getroffene Regelung hinaus, Deutschland mehr als 70 Jahre nach Kriegsende für die Kriegsverwüstungen im Zweiten Weltkrieg haftbar zu machen. In diesem Zusammenhang wird die deutsch-polnische Versöhnung als solche in Frage gestellt. So erklärte der PiS-Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk (47) im Sejm: »Wir Polen wurden über viele Jahre mit den Phrasen einer polnisch-deutschen Versöhnung betrogen.« Im nationalkonservativen Lager spricht man daher von »Versöhnungsideologie« sowie – im negativen Sinn – von »Versöhnungspolitik« der deutschen Regierung und aller polnischen Vorgängerregierungen der PiS. Das Gerede von »Versöhnung« sei – so Professor Stanisław Żerko vom Posener Westinstitut (Instytut Zachodni, Poznań) – »reine Heuchelei«, und die »ethische Rhetorik« diene allein dem Zweck, Reparationszahlungen zu vermeiden.

Von diesem Angriff auf die deutsch-polnische Versöhnung ist Polens Kirche direkt betroffen. Schließlich war es der Polnische Episkopat, der 1965 seine Versöhnungsbotschaft an die deutschen Bischöfe gerichtet hat, zum Dialog, auch über die »heißen Eisen«, einlud und dafür einen Kirchenkampf mit dem kommunistischen System zu bestehen hatte. Die neuerliche versöhnungsfeindliche Rhetorik der PiS zielt damit auch gegen diese Initiative der polnischen Bischöfe. Mit ihr machen die Kaczyński-Partei und ihre Regierung faktisch die Kirche für die aus der Versöhnungsbotschaft resultierende und für Polen – wie sie meinen – höchst schädliche »Versöhnungspolitik« mitverantwortlich.

Dieser Angriff auf die zum Kern christlichen Selbstverständnisses zählende Versöhnung konnte nicht unwidersprochen bleiben. Mit einem Appell wandten sich die zur zwischenkirchlichen Kontaktgruppe gehörenden polnischen Bischöfe an die Öffentlichkeit. In ihm heißt es einleitend: »Versöhnung ist ein Wort, das seit über einem Vierteljahrhundert die polnisch-deutschen Beziehungen bestimmt. Sie ist ein großer Wert, den zu gewinnen es gelungen ist und den wir dank der Bemühungen nicht allein von Politikern, sondern von zahlreichen Menschen guten Willens beiderseits der Grenze aufrechterhalten. Allerdings sind wir uns bewusst, dass man ihn leicht durch unüberlegte Entscheidungen, aber auch durch leichtfertiges Reden verlieren kann.«

So begrüßenswert dieser Appell einiger weniger Bischöfe auch ist, kritisch bleibt anzumerken, dass die Aussagen sehr allgemein gehalten sind und die versöhnungsfeindliche Rhetorik der PiS nicht direkt angesprochen wird. Zudem wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Bischofskonferenz mit ihrem moralischem Gewicht Stellung bezogen und zum Ausdruck gebracht hätte, dass die von Jarosław Kaczyński negativ titulierte »Versöhnungspolitik« keineswegs gegen die Interessen Polens verstieß; sie entsprach ihnen vielmehr, wie dies – mit Ausnahme seiner Partei – von allen polnischen Regierungen nach 1989 gesehen und stets bekräftigt wurde. Man mag sich fragen, welchen Geschichtsverlauf die deutsch-polnischen und die europäischen Beziehungen genommen hätten, wären sie nicht durch Versöhnung, sondern durch eine feindliche Narration bestimmt gewesen.

Deutlicher Dissens in der Flüchtlingsfrage

Bezeichnend ist folgender Vorgang: Der Posener Erzbischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz Stanisław Gądecki nahm – zeitgleich mit dem Rosenkranzgebet an Polens Grenzen – an der Gebetswache »Sterben in Hoffnung« teil. Während an den Grenzen Hunderttausende um Frieden beteten, unter ihrem Friedensgebet aber zumeist die Abwehr einer drohenden Islamisierung verstanden, kamen zu der Gebetswache lediglich etwa 120 Gläubige zusammen, unter ihnen kaum ein Priester. Nachdem zahlreiche Namen der auf dem Weg nach Europa umgekommenen Flüchtlinge verlesen worden waren, nutzte Erzbischof Gądecki die Gelegenheit, sich klar und deutlich für die Aufnahme von Flüchtlingen auszusprechen. In der Flüchtlingsfrage gehe es »weder um das Interesse des Staates noch um die nationale Sicherheit, sondern einzig und allein um den Menschen.«

Die Szene verdeutlicht das Dilemma, in dem sich Polens Kirche angesichts der Flüchtlingsfrage befindet. Während die Regierung sich nicht nur weigert, die von der EU-Kommission beschlossene Quote von 7.000 Flüchtlingen aufzunehmen, sondern es ablehnt, auch nur einen einzigen Flüchtling ins Land zu lassen, hat sich die Bischofskonferenz für die Errichtung eines »humanitäre Korridors« ausgesprochen, eine Forderung, die bei der Regierung auf taube Ohren stößt. Doch nicht nur das. Der Gegensatz zwischen der kleinen in Posen versammelten Gemeinde und den Massen an Gläubigen an Polens Grenzen, den Rosenkranz zur Abwehr einer angeblich drohenden Islamisierung in den Händen, zeigt, dass nicht der Episkopat, wohl aber die Machtkonstellation von PiS und Rydzyk die Deutungshoheit in der Flüchtlingsfrage besitzt. Dies bestätigt im Übrigen eine Befragung von Priesteramtskandidaten verschiedener Seminare. Danach stimmten nur 30 Prozent der Befragten der Bitte von Papst Franziskus zu, jede Pfarrei möge eine Familie aufnehmen. 72 Prozent meinten, dass Flüchtlinge eine Bedrohung der Sicherheit seien, und 50 Prozent sahen in ihnen eine Gefährdung der Gesundheit. 13 Prozent der Kleriker haben nichts gegen eine Beteiligung von Priestern an antiislamischen Manifestationen, und 44 Prozent sind der Auffassung, man solle den Islam in Polen verbieten. Dieses erschreckende Ergebnis erklärt sich teilweise aus der Tatsache, dass nach dieser Befragung 83 Prozent der Seminaristen ihre Informationen aus dem Medienimperium von Pater Rydzyk und anderen rechtsnationalen Publikationen beziehen, die durch ihre Aggressivität und Unterstützung einer nationalistischen Politik bekannt sind.

Wohl auch um in der Flüchtlingsfrage einen Mentalitätswandel herbeizuführen, forderte der Episkopat auf Anregung von Janina Ochojska, Gründerin und Leiterin der auch im Nahen Osten tätigen Polnischen Humanitären Aktion (Polska Akcja Humanitarna), die Priester aller Diözesen dazu auf, am 14. Januar, dem Migranten und Flüchtlingen gewidmeten Gebetstag, den sonntäglichen Gottesdienst in der Intention des Papstes zu feiern. In zahlreichen, doch längst nicht in allen Pfarreien kamen die Geistlichen dieser Forderung nach.

Ein solcher Mentalitätswechsel könnte, so offenbar die Befürchtung der Sejmabgeordneten Krystyna Pawłowicz, möglicherweise die Abwendung eines Großteils der Wählerschaft von der PiS zur Folge haben und ihre Wiederwahl in knapp zwei Jahren gefährden. Jedenfalls sah sie sich genötigt, unmittelbar nach dem 14. Januar an den Warschauer Kardinal Nycz in einer Verbalattacke voller Verdrehungen den Kardinal unter anderem zu bitten, »gegen uns Polen keine hartnäckige moralische Gewalt anzuwenden, und zwar unter Nutzung einer solchen Interpretation unseres Glaubens, dass wir entgegen dem klaren Gebot seiner Verteidigung, entgegen unserer instinkthaften Ablehnung und entgegen der berechtigten Angst um unser Leben und unsere Sicherheit Migranten und Flüchtlinge aus Afrika, Asien und dem Mittleren Osten in unser christliches Land lassen, ein Land, das sich gerade jetzt anschickt, sich gegen eine linke kulturelle Aggression zu verteidigen.«

Doch ihre Befürchtung, die den Dissens in der Flüchtlingsfrage überdeutlich macht, dürfte unbegründet sein. Um einen wirklichen Einfluss auf die Flüchtlingspolitik der Regierung auszuüben, reichen bloße pastorale Initiativen nicht. Dazu müsste wohl von Polens Bischöfen die Grenze vom Dissens zum Konflikt überschritten werden und ein Hirtenbrief mit klaren Worten wie denen des Dominikaners Wiśniewski in allen Kirchen zur Verlesung kommen: »Im Namen der Sorge um das Wohl der Nation, um die Existenz der Kirche, um die Verteidigung unseres Glaubens vor einer Überflutung durch den Islam das polnische Haus vor den Flüchtlingen zu verschließen, ist die Vernichtung der Wurzel des Katholizismus in Polen mit eigenen Händen.«

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