Ich klage an

Von Pater Ludwik Wiśniewski OP (Lublin)

In Polen stirbt das Christentum. Ausgerottet wird es von eifrigen Mitgliedern der Kirche. Die Bischöfe schweigen, leider

Vor einigen Monaten habe ich einen Brief an fast einhundert polnische Bischöfe geschickt, in dem ich mich bemühte, die wichtigsten Aufgaben zu definieren, die vor der polnischen Kirche stehen (der Text des Briefes wurde im Tygodnik Powszechny Nr. 22/2017 veröffentlicht). Ich schrieb ihn in der Überzeugung, dass dies meine letzte Äußerung zur Situation in der polnischen Kirche ist. Inzwischen habe ich jedoch verstanden, dass sich das Drama erweitert hat.

Vor unseren Augen stirbt in Polen das Christentum. Und das ist nicht die Leistung der libertären Propaganda, der Bestrebungen der Freimaurerlogen oder internationaler Verschwörungen. Das Christentum rotten wir selbst aus, die Geistlichen und die eifrigsten Mitglieder der Kirche, mit eigenen Händen und auf eigenen Wunsch.

Immer mehr Menschen hören auf, sich mit der Kirche zu identifizieren. Das Statistische Institut der Katholischen Kirche (Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego) verzeichnete unlängst den seit einigen Jahren höchsten Rückgang der Kirchgänger. Im Jahr 2016 sank der Anteil im Vergleich zu 2015 um über 3 Prozent und betrug 36,7 Prozent – das ist der niedrigste Wert in der Nachkriegsgeschichte Polens.

Was ist passiert? Wir haben in unsere Religiosität ein Element eingeführt, das sie sprengt: die Feindseligkeit. Mit ihr sind wir nicht nur infiziert, sondern wir haben uns an sie gewöhnt: Sie wurde bis zu einem gewissen Grad geradezu unser Erkennungszeichen. Und wo die Feindseligkeit ist, da hat der Hass ein Bürgerrecht – den Feind muss man schließlich vernichten. Man kann dann also Menschen anspucken, verspotten und treten, man kann sie grundlos der Niedertracht oder gar eines Verbrechens bezichtigen und sich gleichzeitig auf das Evangelium berufen und sich in das Gewand des Verteidigers der christlichen Werte und der Kirche kleiden, an Wallfahrten zum Hellen Berg [Jasna Góra, Częstochowa/Tschenstochau, d. Übers.] teilnehmen, die Hände gottesfürchtig zum Gebet falten und in den Medien ein ins Gebet versunkenes Gesicht zeigen.

Das ist aber nicht mehr das Christentum, sondern seine Parodie.

Flüchtlings-Antikatechese

Eine Illustration, wie sehr die Feindseligkeit in unser Denken einsickerte, ist die Beziehung zu Flüchtlingen und Migranten. Noch vor zehn Jahren waren 70 Prozent der Polen der Meinung, dass, da wir in anderen Ländern würdig aufgenommen wurden, als wir Flüchtlinge waren, auch wir denjenigen Gastfreundschaft entgegenbringen sollten, die vor der Grausamkeit des Krieges fliehen. Heute ist alles umgekehrt: 63 Prozent der Polen sind gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Dies ist das augenfällige Resultat einer aggressiven Antikatechese, betrieben von Politikern und leider unterstützt von vielen Geistlichen.

Niemand sagt, dass es einfach ist, Neuankömmlinge zu beherbergen, insbesondere wenn sie einer anderen Kultur und Religion angehören. Aber jeder Mensch, dem Leid angetan und der verletzt wurde, auch der Flüchtling, hat, wie Papst Franziskus erinnert, das »Gesicht Christi«. Die Anhänger der Schließung der Grenzen gegenüber Fremden sagen, sie würden die christliche Zivilisation verteidigen, die religiöse Kultur, ja sogar das Evangelium und Christus selbst. »Der Mensch ist der Weg der Kirche«, lehrte uns jedoch unser heiliger Papst. Wir sollen dem Menschen dienen. Jedem. Dem anderen die Hand zu reichen, insbesondere dem Fremden, ist die beste Verteidigung Christi und der Kirche.

Man mag nicht glauben, wie sehr die Feindseligkeit in die Köpfe der polnischen Katholiken Einzug gehalten hat. Vor einigen Tagen sagte ein mir nahestehender und verdienter Priester: »Zum Glück hat unsere Regierung die Barbaren nicht nach Polen hineingelassen. Das sind keine Menschen, das sind WILDE…«.

Die, die Polen heute regieren, sprachen die finstersten Ecken der polnischen Seele an. Es gelang ihnen, das »Ungeheuer zu formen« und fast zwei Drittel der Polen in Schrecken zu versetzen, und sie wussten genau, dass ihnen das einen Wahlerfolg würde bescheren können. Die Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten, wurde den Menschen eingetrichtert, sind keine Opfer von Gewalt und Menschen, die um Hilfe rufen, sondern zynische Muslime, die die katholische Nation vernichten und polnische Frauen vergewaltigen werden.

Natürlich hat die Polnische Bischofskonferenz die Schaffung »humanitärer Korridore« vorgeschlagen. In anderen Ländern gibt es solche Korridore, sie belasten den staatlichen Haushalt nicht und ermöglichen die Behandlung von Patienten in kritischem Zustand, die in Syrien nicht auf Hilfe rechnen können. Aber unsere Regierung, zusammengesetzt aus Ministern, die bei den monatlichen Smolensk-Gedenkveranstaltungen [Gedenkveranstaltungen anlässlich des Flugzeugunglücks von Smolensk 2010, d. Übers.] in den ersten Reihen der Warschauer Kathedrale sitzen, lehnte diesen Vorschlag ab und behauptete, wenn ich recht verstanden habe, dass der Korridor eine Gefahr für die Sicherheit des Staates wäre. Eine größere Scheinheiligkeit kann man sich nicht vorstellen.

Man muss mit aller Kraft ausrufen: Die polnische Flüchtlingspolitik ist eine Schande. »An den Grenzen Europas, vor den Augen der zivilisierten Welt, kommen schutzlose Menschen ums Leben«, sagte Kardinal Kazimierz Nycz, und wir machen das Evangelium zunichte, wenn wir nicht unsere Hand ausstrecken. Bruderländer unserer europäischen Gemeinschaft, zum Beispiel Griechenland und Italien, mühen sich mit dem Problem der Flüchtlinge ab, die sie ja auch nicht zu sich eingeladen haben, aber Polen kündigt die Solidarität mit ihnen auf und isoliert sich immer mehr.

In einer solchen Situation hat jeder Schritt Bedeutung, so auch der Vorschlag von Janina Ochojska, den der Primas und die Vorsitzenden des Episkopats unterstützten, dass die Priester am 14. Januar, dem Welttag des Migranten und Flüchtlings, das Formular für die Messe für Flüchtlinge verwenden.

Aber viele Gläubige, die um die Kirche besorgt sind, wünschen, dass unsere Hirten den Regierenden erklären, dass sie das demokratische Recht der gewählten Vertreter der Nation anerkennen, Innen- und Außenpolitik zu betreiben, dass sie aber gleichzeitig als Hirten der Kirche verpflichtet sind, »auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen« (Gaudium et spes, 76). Daher erklären die Hirten der polnischen Kirche in aller Verantwortung, dass die Beziehung der Regierung zu den Flüchtlingen nicht dem Evangelium gemäß und nicht christlich ist. In diesem Zusammenhang bitten sie, dass die Verantwortlichen der Republik Polen ihre Politik nicht mit der Sorge um die christliche Religion und die katholische Kirche begründen. Nach der Bewertung der Bischöfe dient eine solche »Fürsorge« nicht der Kirche, sondern zerstört sie.

Allgemein verbreitet ist es, für die Hölle, die in Polen entfesselt wurde, einen Menschen verantwortlich zu machen. Auch ich habe bis zu einem gewissen Punkt so gedacht. Aber als im Sejm die schändlichen Worte »verräterische Fressen« und »Kanaillen« fielen und die Abgeordneten der Regierungspartei, anstatt vor Scham zu vergehen, diese Äußerungen noch mit stehenden Ovationen belohnten, habe ich verstanden, dass sie, die stehen und applaudieren, tatsächlich für das verantwortlich sind, was heute passiert.

Es ist noch nicht lange her, dass Polen ein geachteter Spitzenreiter der Veränderungen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus war, doch nun ist es der »kranke Mann Europas«. Seht Ihr das nicht, Ihr Abgeordneten und Senatoren? Viele äußerst ernstzunehmende Autoritäten klagen Euch der Zerstörung Polens an, ich aber, mit großer Verlegenheit, doch mit aller Entschiedenheit klage Euch der Zerstörung des Christentums an und bitte Euch deshalb, dass Ihr darauf verzichtet, zu erklären, dass Ihr die Verteidiger der Kirche seid.

Die Vergiftung durch das Radio

Die Gegner der Aufnahme von Flüchtlingen hätten nicht so großen Erfolg, wenn nicht seit Jahren Feindseligkeit in das religiöse Leben der Polen eingeträufelt worden wäre. Angesehene Psychologen bestätigen ja, dass es die beste, jedoch verurteilenswürdige Art und Weise ist, eine Gruppe zu integrieren, wenn man äußere Feinde erfindet und ständig damit Angst verbreitet. Ein Weltmeister in dieser Kategorie ist Pater Tadeuz Rydzyk [Direktor des nationalkatholischen Senders Radio Maryja mit Sitz in Thorn/Toruń, d. Übers.]. Zu seinen Auftritten gehören regelmäßig Sätze wie: Wir werden verfolgt, sie wollen uns vernichten, weil wir Polen und die Kirche lieben, sie greifen uns unaufhörlich an. Unsere Kritiker »gießen Hass auf die Polen, Polen, die Kirche und Radio Maryja«, sagt der Pater Direktor.

Gibt es im Radio Maryja, im Telewizja Trwam oder in der Tageszeitung Nasz Dziennik [nationalkatholische Medien, die von Rydzyk gegründet wurden, d. Übers.] kein Gebet? Doch. Gibt es keine hervorragenden Konferenzen und guten Texte? Doch. Warum werden sie dann von Wiśniewski und anderen angegriffen? Weil das Gebet von Angriffen auf Menschen durchsetzt ist, und das ist nicht mehr das Christentum.

Überall Feinde und Aggression zu sehen, sind spezifische Eigenschaften von Sekten. Prof. Norman Davies (wir haben seine Fähigkeit bewundert, ohne Emotionen auf die polnische Geschichte zu blicken und das in ihr zu sehen, was unsere eigenen Historiker nicht wahrnehmen) sagte kürzlich: »Die polnischen Gläubigen schlucken in den Kirchen Gift.« Diese Aussage lässt sich auch auf die Medien des Pater Direktors beziehen. Der Verfasser dieser Worte bemühte sich eine gewisse Zeit, den Rosenkranz im Radio Maryja zu beten, aber auf längere Sicht war es nicht möglich: Sogleich nach dem abschließenden »Amen« begann Herr Michalkiewicz oder ein anderer »verzückter Patriot«, seine politischen Gegner zu bespucken, und sein größter Feind war immer die Vorgängerregierung, die »Polen ausplünderte, erniedrigte und an Berlin verkauft hat«.

Unlängst fand in Thorn wieder eine Feierveranstaltung des Radio Maryja statt. In Anwesenheit ganz intensiv ins Gebet versunkener Minister und Abgeordneter (Macierewicz, Ziobro, Szyszko, Błaszczak, Piotrowicz, Czarnecki) »kanonisierte« der Hauptzelebrant, Bischof Wiesław Mering, dem einige Dutzend andere Hierarchen assistierten, zunächst den Pater Direktor und wies anschließend auf die epochalen Verdienste seiner Werke hin (»Wir danken für das Erwecken der Vaterlandsliebe, für die schwierige Kunst, diesem Vaterland zu dienen, dafür, seine wahre Geschichte darzustellen« sowie auch dafür, dass Radio Maryja standhaft alle Lügen über die Tragödie von Smolensk angeprangert hat und das Gewissen der Polen in diesem Bereich geweckt hat«.). Die Feier wurde von Briefen des Präsidenten, der damaligen Ministerpräsidentin und vor allem des Präses von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) gewürdigt. Jarosław Kaczyński, der vor einigen Jahren gesagt hatte, dass Pater Rydzyk den Interessen Russlands diene, schrieb: »Die Vorsehung stellte Pater Tadeusz Rydzyk auf den Weg unseres Lebens.«

Auch dies muss mit lauter Stimme gesagt werden: Radio Maryja, Telewizja Trwam und Nasz Dziennik träufeln seit Jahren Gift ein und nennen das Evangelisierung. Dieses Gift ist umso giftiger, als viele Bischöfe seine Verbreitung unterstützen. Nur der schmerzlich vermisste Erzbischof Józef Życiński hatte den Mut, öffentlich zu sagen, dass diese Werke weit vom Christentum entfernt sind und die Menschen aus der Kirche treiben. Ich bin davon überzeugt, dass viele Bischöfe den Standpunkt von Erzbischof Życiński teilen, aber schweigen. Es schweigen dagegen nicht die Bischöfe, die nach Thorn fahren und den »großen Evangelisator der Nation« preisen, sowie die, die an die Redaktion des Nasz Dziennik Grüße zu den Feiertagen schicken und damit dem Tun Pater Rydzyks Glaubwürdigkeit verleihen.

Ich habe mich zu diesen Worten entschlossen, weil ich die Traurigkeit, den Schmerz und sogar den Wunsch, aus der Kirche auszutreten, bei vielen wunderbaren Menschen wahrgenommen habe, für die unsere Gemeinschaft aufgehört hat, in der Liebe und der Wahrheit eingesenkt zu sein. Wenn die Bischöfe wüssten, wie viele es sind und wie schwer es ihnen fällt, in der Kirche zu bleiben… Liebe Priester-Bischöfe, Ihr seid es, die für die polnische Kirche und für die Verkündigung des reinen Evangeliums verantwortlich sind. Wenn Ihr weiter passiv bleibt, werden sich die Kirchen leeren. Scharen von Gläubigen erwarten, dass Ihr, wenn den Medien von Pater Rydzyk nicht der katholische Charakter zurückgegeben werden kann, erklärt, dass diese Medien kein Recht haben, sich als »katholische« zu begreifen. Und dass das Thorner Radio nicht den Namen »Maryja« tragen darf, wenn es Sendungen ausstrahlt, die das Evangelium und damit auch die Muttergottes beleidigen. Ja, ich klage Radio Maryja, Telewizja Trwam und Nasz Dziennik an, dass sie das Christentum und die Kirche in Polen vernichten.

Die monatliche Profanierung

Da ich mich entschieden habe, wegen der Entchristianisierung Polens Alarm zu schlagen, kann ich die Lektion, die uns seit sieben Jahren auf der Krakowskie Przedmieście-Straße [die historische Nord-Süd-Achse im Zentrum Warschaus, d. Übers.] gegeben wird, nicht übergehen. Es geht natürlich um die monatlichen Smolensk-Gedenktage.

Ich überspringe, was in der Warschauer Kathedrale geschieht: Ich habe früher bereits die skandalösen Worte der dortigen Prediger zitiert und wundere mich fortwährend, dass diese Veranstaltung, halb religiös, halb politisch, fortgesetzt wird. Dieses Mal jedoch will ich auf Dinge aufmerksam machen, die nach dem Verlassen der Kathedrale stattfinden. Ein Umzug setzt sich in Bewegung. An der Spitze wird ein Kreuz getragen. Der Rosenkranz wird gebetet. Unterdessen lesen wir auf Transparenten, dass die Tragödie von Smolensk ein geplantes Verbrechen, dass es »ein Anschlag war«. Gezeigt wird auch ein Bild von Tusk und Putin [im Jahr des Flugzeugunglücks Ministerpräsidenten, d. Übers.] mit der Unterschrift »es ist gelungen«.

Nach der Ankunft vor dem Präsidentenpalast und der Blumenniederlegung folgt der Höhepunkt: die Rede des PiS-Präses, die immer die politischen Gegner als Verräter verunglimpft, immer aufwiegelt und immer von Hass durchdrungen ist: »Unsere Erinnerung will man töten, weil man Angst vor ihr hat. Schuld hat die Regierung von Donald Tusk. Sie haben alles daran gesetzt, dass die Erinnerung stürbe.«, »Antoni [Macierewicz, d. Übers.] hat mit seiner Mannschaft ein Wunder vollbracht« (sechster Jahrestag). »Unaufhörlich wurden die Polen belogen, unaufhörlich wurden wir Polen belogen.« »Die Bestattung des Präsidenten und seiner Ehefrau hatte noch nicht stattgefunden, als die Angriffe einsetzten […], die Industrie der Verachtung wurde in Gang gesetzt, das Kreuz wurde attackiert […] es wurden alle grundlegenden Elemente unserer europäischen Kultur getreten. Es kam zu einer wahren Explosion des Hasses gegenüber der polnischen katholischen Tradition […]. Das alles geschah mit der Zustimmung oder geradezu auf Empfehlung der Machthaber« (fünfter Jahrestag).

Der Umzug endet mit einem Gebet, das viele Male von Priester Stanisław Małkowski gesprochen wurde (zurzeit wird er von einem anderen Geistlichen vertreten). Neben dem Parteivorsitzenden stehend, hat er einst in Richtung Präsidentenpalast und des damals darin residierenden Bronisław Komorowski Exorzismus gehalten. Und wieder muss man mit lauter Stimme rufen: Das ist nicht das Christentum, das ist nur seine Parodie und die Profanierung des Kreuzes! Feindlichkeit und Hass in religiöser Verpackung sind schlimmer als Heidentum. Warum verstehen so viele Menschen nicht, dass das ansteckend ist?

Viele Gläubige erwarten, dass der Episkopat endlich erklärt, dass die monatlichen Gedenkveranstaltungen keinen religiösen Charakter haben und dass auf ihnen nicht das Kreuz getragen werden darf, und dass die Bischöfe die Geistlichen aufrufen, an den Umzügen nicht teilzunehmen. Ich dagegen klage Jarosław Kaczyński, die Organisatoren und Teilnehmer der Monatsumzüge (auch diejenigen, die in gutem Glauben teilnehmen) an, dass sie das authentische Christentum und die Kirche in Polen zerstören.

Der Hass auf den Straßen

Auf polnischen Straßen und Plätzen sind bei unterschiedlichen Gelegenheiten immer häufiger merkwürdige Rufe zu hören, zum Beispiel der Reim: »Den roten Mob mal mit der Sichel, mal mit dem Hammer«, oder die Sprüche »Dem Judentum die Macht entreißen«, »Weiße Stärke! Weiße Rasse!«, »Sauberes Blut, nüchterner Verstand«, »Europa wird weiß sein oder unbewohnt«, »Sieg Heil«. Die Politiker scheinen auf die Gruppen, die solche Slogans hinausschreien, mit zugedrücktem Auge zu blicken oder sogar, wie ich vermute, mit einer gewissen Sympathie. Auch viele Geistliche halten die Schreienden für echte Patrioten; auf dem Hellen Berg werden sie mit Ehren empfangen, wie vergangenen Samstag. Einmal sagte ein Unterprior: »Ihr seid die Helden des 21. Jahrhunderts.« Als wären Nationalismus, Antisemitismus und Feindseligkeit gegenüber Fremden nicht tödliche Krankheiten die – so lehrt die Geschichte des 20. Jahrhunderts – niemals unterschätzt werden dürfen.

Ich bin kein Gegner des Kontakts zwischen Priestern und solchen Gruppen, im Gegenteil – allerdings muss es ein Kontakt im Geiste des Evangeliums sein. Die Organisatoren der Feierlichkeiten von Fußballfangruppen auf dem Hellen Berg sind sich vielleicht dessen nicht bewusst, dass sich die Teilnahme an der Eucharistiefeier nicht mit aggressivem und hasserfülltem Verhalten vereinbaren lässt, aber die theologisch ausgebildeten Paulinerpatres haben die Pflicht, sie zu belehren und sogar den Ausschluss solchen Verhaltens zu fordern, wenn sie auf dem Hellen Berg empfangen werden wollen. Ähnlich ist es mit dem Marsch der Unabhängigkeit [dieser findet am Nationalfeiertag der Unabhängigkeit am 11. November statt, d. Übers.], der unter dem Motto »Wir wollen Gott« organisiert wurde. Wenn eine Gruppe, Organisation oder Vereinigung als katholisch gelten will, muss sie sich von Feindseligkeit und Hass lossagen. Daher klage ich die Priester an, die Nationalismus und Feindseligkeit tolerieren, und mehr noch die, die sie loben: Wenn Ihr Euch so verhaltet, ruiniert Ihr das Christentum und die Kirche und tragt zum Anstieg der Kräfte bei, die den gesellschaftlichen Frieden bedrohen.

Damit Polen sauber sei

In den schwärzesten Träumen habe ich nicht vorhergesehen, dass ich Zeuge solcher Ereignisse sein werde. Dass die Regierenden die Bedeutung der Solidarność und der Leistungen Polens nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ausstreichen werden, dass sie sagen werden, dass alles, was gut ist, mit ihnen begann, – das wäre noch zu schlucken. Das Problem besteht darin, dass die, die Polen regieren, der Meinung sind, dass auf der anderen Seite nicht Konkurrenten und Gegner stehen, sondern nur Verräter. Deshalb werden sie bespuckt und Verleumdungen ausgedacht. Deshalb heißt es: Sie treten alles, was heilig ist, verachten Polen, sie sind Schurken, dienen fremden Interessen. Gegenwärtig, nachdem mit den Institutionen abgerechnet worden ist, die für Rechtsstaatlichkeit und die zivilgesellschaftlichen Freiheiten stehen, hören wir die Ankündigung, dass die nächste Etappe die Abrechnung eben mit den Verrätern und Feinden sein werde – damit Polen sauber, gerecht und katholisch sein werde. »Damit Polen Polen sei.«

Die einzige Kraft, die in Polen noch über eine gewisse Autorität verfügt, ist der Episkopat. Daher erlaube ich mir zu bitten – übrigens im Namen vieler ähnlich Denkender: Priester-Bischöfe, tretet in die öffentliche Arena ein. Die Stunde hat geschlagen, dass Ihr sehr, sehr gebraucht werdet – von der Kirche, aber auch von Polen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Quelle: Ludwik Wiśniewski: Oskarżam. In: Tygodnik Powszechny Nr. 4/2018 (21.01.2018). <www.tygodnikpowszechny.pl/oskarzam-151647> (abgerufen am 8.02.2017), mit freundlicher Genehmigung.

Pater Ludwik Wiśniewski Ordo Praedicatorum (Jahrgang 1936), Dominikaner. In der Volksrepublik Polen war er Mitorganisator und Unterstützer der Bewegung für die Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela – ROPCiO), des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników – KOR) und der Bewegung Junges Polen (Ruch Młodej Polski). Seit 1980 war er Kaplan der Solidarność-Bewegung. Im Jahr 2006 wurde er von Präsident Lech Kaczyński mit dem Kommandeurskreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens ausgezeichnet, 2015 von Präsident Bronisław Komorowski mit dem Großkreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens.

Das Magazin Tygodnik Powszechny ist ein katholisches Wochenblatt, das bereits in der Volksrepublik Polen den Kreisen der katholischen Intelligenz und der demokratischen Opposition nahe stand. Es vertritt einen liberalen Katholizismus und bietet eine Plattform für den Dialog über Glaubens- und säkulare Fragen.

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Analyse

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Von Theo Mechtenberg
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