Mit dem Pflug auf den Parnass
23 Jahre nach Wisława Szymborska wurde der wichtigste Literaturpreis einer Polin zugesprochen. Und obwohl dies für Olga Tokarczuk nur eine Frage der Zeit war, überrascht es, dass es schon jetzt dazu kam.
Marcin Kube in: Rzeczspopolita vom 11. Oktober 2019. Seite A6.
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Auf ihren Triumphzügen im Ausland konnte Olga Tokarczuk die Aura der Schriftstellerin, die im Heimatland von den Nationalisten und der rechten Regierung verfemt wird, keinen Schaden zufügen. Nach dem Booker-Preis schrieb der britische Guardian über die Empörung, die die Äußerungen der Schriftstellerin im Jahr 2014 über die Geschichte der Juden in Polen bei der polnischen Rechten ausgelöst hatten, und zitierte auch kritische Meinungen zu »Spur« [Pokot], der Verfilmung eines ihrer Romane (ein »antichristlicher« und »öko-terroristischer« Film).
Repetiert wurde auch die Meldung, dass der Verleger im Jahr 2014 Sicherheitsleute für die Schriftstellerin eingestellt hatte, da sie Drohungen erhalten hatte. Und der New Yorker übertitelte im August 2019 einen Porträtartikel mit »Olga Tokarczuks Romane gegen Nationalismus«.
Der Regierung Quälerei vorzuwerfen, ist allerdings übertrieben, denn die Schriftstellerin wurde in den letzten Jahren von den polnischen Kultureinrichtungen nicht schlechter gefördert als andere Kreative. Bemerkenswert ist, dass Jarosław Kaczyński selbst sich 2016 rühmte, er lese gerade »Die Jakobsbücher«.
Aber die Politiker des rechten Spektrums helfen nicht. Nach der Nachricht vom Nobelpreis wurde ausgiebig die Äußerung von Kulturminister Piotr Gliński zitiert, der geringschätzig über Tokarczuks Werk sprach. Und obwohl der stellvertretende Ministerpräsident anschließend versuchte, sich elegant aus der Situation zu befreien, indem er sich verpflichtete, dass er »zu seiner noch nicht beendeten Lektüre der Nobelpreisträgerin zurückkehren wird«, schäumte das Internet nahezu vor ideologisch-parteilichen Kommentaren.
Was die aufbrausenderen Publizisten und Politiker auf beiden Seiten der Barrikaden zum wiederholten Male bewiesen, war, dass sie die Kultur nur als Schlagstock gegen die Gegner interessiert. Versuchen wir, dies zu ignorieren, und zollen wir dem gigantischen individuellen Erfolg der polnischen Schriftstellerin und ihrer Übersetzer Respekt. Und greifen wir am besten zu ihrer Prosa, um uns selbst eine Meinung zu bilden. Umso mehr, als es sich seit heute nicht mehr gehört, die Bücher von Olga Tokarczuk nicht zu kennen.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Die Schamanin
Wojciech Stanisławski in: Sieci 62/2019, S. 63.
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es verwundert nicht, dass das Werk einer Autorin, die die Mehrdimensionalität der Welt akzentuiert, gesellschaftliche Rollen in Frage stellt, die neugierig auf das Verwischen der Grenzen zwischen männlich und weiblich, menschlich und tierisch ist, das Werk einer »ungezwungen heidnischen« Schriftstellerin mit der heute in den kulturellen Eliten des Westens dominierenden Sensibilität harmoniert. Selbstverständlich sind bei jedem Nobelpreis die Beobachter und Fans geneigt, einen Hintersinn und politische Inspirationen herauszulesen, und es wäre naiv, diese vollkommen auszuschließen. Ich denke aber, dass die Jury des Nobelpreises wirklich lieber Essays von Virginia Woolf oder Romane von Margarte Atwood (übrigens auch die »genobelten«) liest als die Suppliken von Gregorz Schetyna und dass in erster Linie ihre literarischen Überzeugungen und Geschmäcker sie veranlasst haben, Olga Tokarczuk auszuzeichnen.
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Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate