Schlesien als besonderes Fallbeispiel
Die Region Schlesien als Ganzes und Oberschlesien im Besonderen standen im Jahr 1989 vor einer doppelten Herausforderung. Erstens musste Schlesien – wie ganz Polen – den dynamischen Veränderungen der politischen und wirtschaftlichen Transformation mit all ihren Chancen und Gefahren die Stirn bieten. Zweitens – und hier lag die Messlatte vermutlich noch deutlich höher – wurde der Ballungsraum Oberschlesien aufgrund seiner überalterten Industrie mit der Notwendigkeit einer sehr raschen Entwicklung konfrontiert: von der klassischen Schwerindustrie zur wissensbasierten Wirtschaft, die dem Konkurrenzdruck am heimischen Markt sowie an den sich nun eröffnenden europäischen Märkten gewachsen sein sollte. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation wurde also (wie andernorts auch) von einer industriellen Umstrukturierung begleitet, die sowohl für die Wirtschaft der ganzen Region als auch für deren Bevölkerung viele Folgen mit sich brachte.
Nach mehr als 30 Jahren Transformation (und fast 20 Jahren Mitgliedschaft in der Europäischen Union) bietet die Analyse grundlegender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Parameter eine solide Standortbestimmung Schlesiens. Aufgrund seiner historischen Entwicklung erweist sich Schlesien als außergewöhnliches Fallbeispiel. In bestimmten Phasen der neuesten Geschichte hat die Region im Vergleich zum sogenannten Zentrum (das sich im Laufe der Geschichte mehrmals geändert hat) am meisten gewonnen bzw. verloren. Während im Jahr 1900 Schlesiens Entwicklungsniveau im Vergleich zum damaligen deutschen Reichsdurchschnitt bei über 90 Prozent lag, befand es sich im Jahr 2000 deutlich unter 50 Prozent. Das war der größte Verlust im Vergleich zu allen historischen Regionen, die heute im Gebiet der Republik Polen liegen. Vor diesem Hintergrund ist Schlesien ein interessantes Gebilde, um Aspekte regionaler Entwicklung, der Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie und der Falle des mittleren Einkommens darzustellen.
Region, Peripherie, Schlesien
Während die meisten ökonomischen und politikwissenschaftlichen Untersuchungen die nationale Wirtschaft als Bezugspunkt setzen, konzentriert sich diese Analyse auf die regionale Ebene. Regionen waren immer eine der grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Einheiten in Europa. Sie sind außerdem der originäre Raum des gesellschaftlichen Lebens und der Bezugspunkt für die Identität. Eine Situation, in der Regionen vollständig vom Nationalstaat dominiert werden, ist eine künstliche Situation und ein Relikt der Dominanz des Staates aus der Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts.
Schlesien ist eine Region mit einer wechselvollen Geschichte. Im Laufe der Zeit gehörte die Region zu verschiedenen Staaten und erfuhr zahlreiche Gebietsteilungen mit der Folge, dass hier Nationen und Ethnien aufeinander trafen. Diese Multikulturalität prägt das Bild Schlesiens bis heute. Was wir heute unter Schlesien verstehen, korrespondiert nicht immer mit dem historischen Schlesien. Das ergibt sich aus den unterschiedlichen Definitionen von »Schlesien« (je nach historischem Bezugspunkt) sowie aus den unterschiedlichen Definitionen, was eine Region sei. Die terminologische Uneindeutigkeit lässt sich darauf zurückführen, dass der Begriff »Region« in unterschiedlichen Wissenschaften (Geschichtswissenschaft, Soziologie, Geographie, Wirtschaftswissenschaft, Rechtswissenschaft) sowie außerdem auch umgangssprachlich benutzt wird. Dennoch kehrt in allen Verwendungen direkt oder indirekt ein Leitgedanke wieder: Eine Region ist ein bestimmtes Territorium mit bestimmten Merkmalen, die seine Unterscheidbarkeit ermöglichen.
Aus pragmatischen Gründen wird der Begriff »Region« in dieser Analyse als territoriale Verwaltungseinheit aufgefasst. Seit Einführung der drei Verwaltungsebenen in Polen (1999) meint »Region« die Woiwodschaft. Diese ist die mittlere Ebene zwischen der Ebene der Zentralregierung auf der einen und der lokalen Verwaltungsebene mit Kreisen und Gemeinden auf der anderen Seite. Die vorliegende Analyse behandelt die Woiwodschaften Niederschlesien, Oppeln und Schlesien, welche die historische Region Schlesien bildeten. Wie auch die historische Region sehr ausdifferenziert war, sind die drei schlesischen Woiwodschaften mit Blick auf ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung sehr unterschiedlich, was im Folgenden detailliert ausgeführt wird.
Auch im europäischen Integrationsprozess spielen die Regionen eine wichtige Rolle. Betrachtet man den EU-Haushalt, kann man zu dem Schluss kommen, dass die europäische Integration eigens für die Regionen geschaffen wurde. Diese Folgerung ist insbesondere aus der Perspektive der Empfängerregionen der europäischen Kohäsionspolitik aktuell, die dazu dient, die Unterschiede in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den reicheren und den ärmeren Gebieten der Europäischen Union auszugleichen. Die enormen bereit gestellten EU-Mittel lassen sich für die Region und ihre Einwohner nutzbringend einsetzen, sowohl im Hier und Jetzt als auch im längerfristigen Zeitraum mehrerer Generationen. Neben den Chancen und Möglichkeiten dürfen aber auch die Gefahren nicht aus dem Blick geraten. Hier sei daran erinnert, dass die EU-Gelder eine gesunde Wirtschaftspolitik auf regionaler Ebene nicht ersetzen. Vor 20, 30 Jahren waren Griechenland, Portugal oder Irland die Champions beim Ausgeben von EU-Geldern, was sie jedoch nicht davor bewahrte, in die Verschuldung zu geraten, die zum großen Teil unabhängig von der Kohäsionspolitik war. Die EU-Strukturfonds sind kein Allheilmittel für jegliche wirtschaftlichen Probleme und nicht der alleinige Weg zu wirtschaftlichem Wachstum. Vielmehr enthalten sie das Risiko, von äußerer Hilfe abhängig zu werden, und verleiten dazu, Reformen nicht anzugehen und keine ausgewogene Wirtschaftspolitik zu betreiben.
Der Analyse liegt die These von der systembedingten Unbeweglichkeit der globalen Hierarchien und den seltenen Veränderungen der nationalen bzw. regionalen Wirtschaften in der Zentrum-Peripherie-Struktur des Weltsystems (Immanuel Wallerstein, Salvatore Babones) zugrunde. Seit dem Jahr 1989 gehört die polnische Wirtschaft zu den Anführern nicht nur in Ostmitteleuropa, sondern auch im Vergleich zu den anderen aufstrebenden Wirtschaften weltweit (emerging markets). Das Tempo, die Defizite gegenüber den hoch entwickelten Ländern Westeuropas aufzuholen, war in Polen im Vergleich zu den anderen postkommunistischen Ländern am höchsten. Dies ändert allerdings nicht die Tatsache, dass in der Konstellation Zentrum – Peripherie sowohl die polnische Wirtschaft als auch darin enthalten Schlesien unverändert die Position der Peripherie einnimmt.
Die Aspekte Peripherie und Abhängigkeit sind für Wirtschaftswissenschaftler, Politologen, Soziologen, Historiker und Juristen gleichermaßen ein interessanter Untersuchungsgegenstand sowie außerdem für politische Akteure auf Landes-, regionaler und lokaler Ebene. Viele Analysen, die im Rahmen des Konzeptes der »Spielarten des Kapitalismus« oder angelehnt an verwandte Diskurse durchgeführt wurden, kommen zu dem recht pessimistischen Fazit, dass Polen und andere ostmitteleuropäische Staaten entwicklungsmäßig abdriften. Im Extremfall wird sogar davon gesprochen, dass die Teilhabe am Prozess der europäischen Integration den Peripheriestatus Polens und seiner Regionen stärkt, und zwar aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit, der strategischen Trägheit (das meint die systembedingte Passivität, Strategien zu realisieren) und der Beschränktheit der Optionen im Rahmen der europäisierten Politikbereiche.
Dies verurteilt die Wirtschaften an der Peripherie, in der sog. Falle des mittleren Einkommens stecken zu bleiben. Damit ist die Situation gemeint, dass die Wirtschaft den Abstand zwischen den niedrigen Wachstumsniveaus und den mittleren Wachstumsniveaus überwunden hat, aber in letzteren »gefangen« bleibt und nicht imstande ist, die Distanz zu den hohen Wachstumsniveaus zu überwinden. Unterschiedliche Experten nennen dafür unterschiedliche Gründe. Die einen beziehen sich auf einen Mangel an natürlichen Rohstoffen, andere auf die geringe Qualität des Humankapitals (Bildung, Qualifikationen, Kompetenzen), wieder andere auf das hohe Ausmaß der Korruption. Im Falle von Schlesien ist die Wachstumsdynamik interessant, die sich historisch verändert hat, und die Position im Gefüge Zentrum – Peripherie.
Die Woiwodschaft Schlesien und ihre Binnendifferenzierung
Die Woiwodschaft Schlesien mit Kattowitz (Katowice) als Hauptstadt ist der am stärksten industrialisierte Teil Schlesiens. 14 Kreisstädte bilden hier den Oberschlesischen Ballungsraum. Eine wichtige Rolle spielt die traditionelle Bergbauindustrie, die eine große Bedeutung für die lokalen Arbeitsmärkte hat. Auch wenn die Region aufgrund ihrer ökonomischen Indizes gewöhnlich zu den besser entwickelten Woiwodschaften in Polen gezählt wird, sieht sie sich seit Jahren mit ungünstigen demographischen Trends konfrontiert (negativer Migrationssaldo, Geburtenrückgang, niedrige Geburtenziffer, ungünstige Entwicklungen in der Altersstruktur der Bevölkerung). Das BIP per capita nach Kaufkraft betrug hier bereits vor dem Beitritt Polens zur Europäischen Union (2004) 49 Prozent des EU-Durchschnitts. Das waren vier Prozent mehr als der polnische Durchschnitt (44,9 Prozent) und landesweit das zweithöchste Ergebnis nach der Woiwodschaft Masowien (woj. mazowieckie) – wobei hier das hohe BIP per capita mit 69,9 Prozent vor allem auf die Werte der Hauptstadt Warschau (Warszawa) zurückzuführen ist. Alle Nachbarwoiwodschaften hatten deutlich niedrigere Indizes, beispielsweise die Woiwodschaft Kleinpolen (woj. małopolskie) 38,8 Prozent und die Woiwodschaft Oppeln 36,4 Prozent. Die Woiwodschaft Niederschlesien erzielte 45,6 Prozent, also ebenfalls etwas über dem Landesdurchschnitt, jedoch weniger als die Woiwodschaft Schlesien.
Gemessen an den Zielen der EU-Kohäsionspolitik zeigt sich bei der Woiwodschaft Schlesien eine eigentümliche Situation. Einerseits holt die Region systematisch die Rückstände der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung auf und schließt an den EU-Durchschnitt an. Das Lebensniveau (durchschnittlicher Bruttolohn, Anteil der Grünflächen u.ä.) und die Entwicklungsmöglichkeiten (zum Beispiel die Hochschulkonzentration, die relativ geringe Arbeitslosigkeit etc.) übersteigen deutlich die landesweiten Standards. Andererseits aber entscheiden die Bevölkerungsverluste, die alternde Gesellschaft sowie die Abwertung vieler postindustrieller Gebiete in sozialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht über das negative Image der Region. Nicht zuletzt ergibt sich die Situation der Woiwodschaft Schlesien auch aus ihrer Binnendifferenzierung. Die Werte des BIP per capita zeigen, dass die Unterschiede zwischen den Subregionen – zum Beispiel Tychy und Kattowitz auf der einen und Tschenstochau (Częstochowa) und Beuthen (Bytom) auf der anderen Seite – bis zu 50 Prozent betragen. Das ist nicht nur für die Woiwodschafts- wie für die Zentralregierung in Warschau eine Herausforderung, sondern auch für die Entscheidungsträger auf übernationaler Ebene, die für die Regionalpolitik verantwortlich sind. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Besonderheiten der Subregionen der Woiwodschaft Schlesien zu beachten. Vor allem mit Blick auf ihr Bevölkerungs- und Wirtschaftspotential ist sie zu groß, um sie als Einheit zu behandeln. Einen gemeinsamen Nenner zwischen dem Kreis Beuthen und dem Kreis Bielsko oder den Kreisen Gleiwitz (Gliwice) und Tschenstochau zu finden, gestaltet sich aus der Perspektive der Entwicklungspolitik als eine große Herausforderung. Das industrielle Zabrze braucht eine andere Industriepolitik als der landwirtschaftlich geprägte Kreis Tschenstochau und wiederum eine andere der touristisch attraktive Kreis Bielsko. Alle Instrumente der Regionalpolitik sollten auf übernationaler, staatlicher und sub-staatlicher Ebene an der Spezifik der betreffenden Subregion ausgerichtet werden.
Die drei schlesischen Woiwodschaften: Einwohnerzahlen und Bevölkerungsdichte
In der Woiwodschaft Niederschlesien lebten im Jahr 2019 rund 2,9 Mio. Menschen, das waren 7,6 Prozent der Bevölkerung Polens (5. Platz landesweit). Zwischen 1995 und 2019 verzeichnete die Woiwodschaft einen Bevölkerungsrückgang um mehr als 88.000 Personen (−2,9 Prozent); in den aufeinander abfolgenden Fünfjahreszeiträumen verringerte sich die Einwohnerzahl jedoch immer weniger. Die Bevölkerungsdichte in der Region betrug im Jahr 2019 145 Personen/km2 (landesweiter Durchschnitt: 123 Personen/km2), allerdings war die Bevölkerungsdichte in urbanisierten Gebieten (1.978 Personen/km2) geringer als im Landesdurchschnitt (2.178 Personen/km2). In der Woiwodschaft Oppeln, der flächenmäßig kleinsten unter den 16 Woiwodschaften, lebten 2019 etwas mehr als 982.600 Menschen, das waren 2,6 Prozent der Gesamtbevölkerung, was Rang 16 unter den Woiwodschaften ergab. In den Jahren 1995 bis 2019 verringerte sich die Bevölkerung um 110.500 Personen, also um −10,1 Prozent; landesweit war das der größte Anteil. Auch wenn sich in den letzten Jahren der negative Trend der Einwohnerzahl verringerte, so das Ergebnis der Analyse der Fünfjahresabschnitte, gehört die Woiwodschaft Oppeln immer noch zu den Regionen mit dem größten Bevölkerungsschwund in Polen. Die Gesamtbevölkerungsdichte (104 Personen/km2) sowie die der urbanisierten Gebiete (1.677 Personen/km2) weicht deutlich von den Landeswerten ab.
Verglichen mit den Woiwodschaften Niederschlesien und Oppeln, leben in der Woiwodschaft Schlesien die meisten Einwohner. Im Jahr 2019 waren es 4,52 Mio., d. h. 11,8 % der Gesamtbevölkerung Polens. Schlesien belegte damit landesweit den 2. Platz hinter der Woiwodschaft Masowien. Dessen ungeachtet kämpft auch das Ballungsgebiet Oberschlesien mit Bevölkerungsrückgang. Zwischen 1995 und 2019 verringerte sich die Einwohnerzahl um ca. 390.300 Personen (−8,0 Prozent). Betrachtet man die Fünfjahresabschnitte, lässt sich kein positiver Trend feststellen. Auch wenn der größte Verlust im Zeitraum 1995 bis 1999 liegt – fast 131.100 Personen, d. h. −2,7 Prozent – , haben in den folgenden Zeitspannen die Veränderungen weiter relativ hohe Werte im Minusbereich angenommen. Die vergleichsweise kleine Fläche der Woiwodschaft (flächenmäßig an 14. Stelle aller Woiwodschaften) bewirkt, dass die Bevölkerungsdichte der Region mit 366 Personen/km2 deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt; in den urbanisierten Gebieten beträgt sie 2.789 Personen/km2. Zum Vergleich: In der Mährisch-Schlesischen Region, dem tschechischen Teil Schlesiens, lebten im Jahr 2019 über 1,2 Mio. Einwohner, was 11,2 Prozent der Bevölkerung der Tschechischen Republik sind. Die Bevölkerungsdichte überstieg deutlich den Landesdurchschnitt Tschechiens, obgleich sich die Anzahl der Einwohner rückläufig entwickelte.
Zwischen 2003 und 2019 reduzierte sich die Bevölkerungszahl in der Woiwodschaft Schlesien um mehr als 59.700 Personen (−4,7 Prozent). Die Analyse der Bevölkerungszahlen von Jahr zu Jahr zeigt deutliche Schwankungen: Die durchschnittliche Veränderung für diesen Zeitraum betrug −0,3 Prozent, der stärkste Bevölkerungsschwund fiel in das Jahr 2011: über 12.600 Personen bzw. −1,0 Prozent im Vergleich zu 2010. In den Jahren 2006 bis 2008 wurde dagegen mit 607 Personen (0,05 Prozent) im Jahr 2007 ein kleiner Anstieg der Einwohnerzahl gegenüber dem Vorjahr notiert sowie auch im Jahr 2008 mit 358 Personen (0,03 Prozent) gegenüber dem Jahr 2007. Seit 2008 hält der Rückgang an. Im Jahr 2019 betrug die Bevölkerungsdichte 221 Personen/km2 (Rang 2 hinter Warschau).
Bevölkerungszuwachs und -rückgang
In der demografischen Entwicklung der drei schlesischen Woiwodschaften zeichnen sich folgende Trends ab, wobei Veränderungen der Einwohnerzahl von der Anzahl der Geburten und der Todesfälle (natürliche Bevölkerungsentwicklung) sowie von der Anzahl der dauerhaft Emigrierenden und Immigrierenden (Migrationssaldo) abhängen. Um miteinander vergleichbare Werte zu erhalten, wurden sie auf 1.000 Einwohner umgerechnet.
Im Jahr 2019 wurde in der Woiwodschaft Niederschlesien eine negative natürliche Bevölkerungsentwicklung verzeichnet, und zwar auf 1.000 Einwohner umgerechnet −2,00 ‰ (Landesdurchschnitt: −0,91 ‰). Die Todesfälle (32.719) überwogen die Lebendgeburten (26.922) um mehr als ein Fünftel. Die demografische Situation wird vom Saldo der dauerhaften Migration verbessert, dessen Wert im Jahr 2019 1,67 ‰ betrug (Landesdurchschnitt: 0,16 ‰). Die positive Migrationsbilanz in Niederschlesien lässt sich sowohl auf die Binnenmigration in Polen als auch auf die Auslandsmigration zurückführen, wobei der Schwerpunkt auf der Binnenmigration liegt. Der Saldo der dauerhaften Binnenmigration beträgt 1,45 ‰ und der Saldo der dauerhaften Auslandsmigration 0,22 ‰. In der Woiwodschaft Oppeln hält sich die negative natürliche Bevölkerungsentwicklung seit dem Jahr 2000. Im Jahr 2019 betrug sie −2,24 ‰, wobei die Anzahl der Todesfälle (10.694) die der Geburten (8.493) um mehr als ein Viertel überstieg. Auf diese negativen Trends haben wiederum die Binnen- sowie die Auslandsmigration Einfluss, die das ohnehin geringe Bevölkerungspotential der Woiwodschaft noch schmälern. Der Saldo der dauerhaften Migration betrug im Jahr 2019 −1,48 ‰ (Binnenmigration −1,02 ‰; Auslandsmigration −0,45 ‰). In der Woiwodschaft Schlesien wurde der schlechteste Wert der natürlichen Bevölkerungsentwicklung pro 1.000 Einwohner festgestellt: Im Jahr 2019 betrug er −2,49 ‰. Die Anzahl der Todesfälle (51.766) überstieg die Zahl der Lebensgeburten (40.508) um knapp 28 Prozent. Negativ war auch der Migrationsindex. Der Saldo der dauerhaften Migration betrug −1,04 ‰ bei relativem Gleichgewicht zwischen Binnen- und Auslandsmigration (−0,94 ‰ bzw. −0,98 ‰).
Das BIP, die EU-Strukturfonds, die Grundfreiheiten des Binnenmarktes
Auch der Wert des BIP ermöglicht Vergleiche. Das BIP, angegeben in Kaufkraftstandards (KKS), erlaubt, aussagekräftige Wirtschaftsvergleiche zwischen den Ländern der Europäischen Union hinsichtlich der Kaufkraftparität (KKP) anzustellen, da mit Hilfe der fiktiven Einheit KKS Preisniveauunterschiede zwischen den Ländern mit unterschiedlichen Währungen aufgehoben werden. Die KKS sind eine wesentliche Größe für die Klassifizierung der NUTS 2-Regionen (Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques) im Rahmen der europäischen Strukturpolitik. Es handelt sich hier um Regionen zwischen 800.000 und 3 Mio. Einwohnern.
Bei den betrachteten Regionen wird die günstige Position der Woiwodschaft Niederschlesien und der Subregion Oberschlesien deutlich. Sie besetzten im gesamten Zeitraum hohe Positionen im Ranking der polnischen Regionen und überstiegen den Landesdurchschnitt. Im Jahr 2018 lag der Wert des BIP per capita (in Euro) der Woiwodschaft Niederschlesien auf landesweit Rang 2 und der Woiwodschaft Schlesien auf Platz 4. Die Region Oppeln belegte den 12. Platz in der Rangfolge. Zum Vergleich: Die Mährisch-Schlesische Region in der Republik Tschechien befand sich auf Platz 5 unter den tschechischen NUTS 2-Regionen.
Mit Blick auf den EU-Kontext ist festzuhalten, dass die Europäische Kommission das BIP per capita kaufkraftbereinigt (KKP) als Ausgangspunkt und grundlegenden Wert nimmt, um Entwicklungsdifferenzen zwischen einzelnen EU-Regionen zu bestimmen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das BIP als Maß für Missverhältnisse nicht vollkommen präzise ist. Das BIP erfasst den Wert jeder registrierten legalen wirtschaftlichen Transaktion, was aber nicht identisch mit dem tatsächlichen Niveau des wirtschaftlichen Potentials der betreffenden Region und der Produktivität, dem Beschäftigungsniveau und anderen wichtigen makroökonomischen Indizes ist. Hinzu kommt das Problem, dass sich die statistischen Untersuchungen der NUTS-Systematik bedienen. Die NUTS-Einheiten entsprechen eher den administrativen als den ökonomischen Territorien, was wiederum zu Inkorrektheiten in der Kohäsionspolitik führt. Hier zeigt sich, dass ein zufriedenstellendes System von Indizes, das eine effektive Verteilung der Strukturfonds ermöglichen würde, fehlt. Zwischen den Zielen der Politik einerseits und andererseits den Faktoren, anhand deren entschieden wird, wer die finanziellen Mittel erhalten soll, klafft eine große Lücke.
Die klassische Theorie der wirtschaftlichen Integration geht davon aus, dass die Aufhebung von Beschränkungen im Bereich Warenverkehr, Dienstleistungen, Kapitalfluss und Mobilität der Arbeitnehmer zielgerichtet zur Angleichung des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Niveaus (Lebensstandards; BIP per capita, kaufkraftbereinigt) führen werde. Das Kapital werde sich in Regionen mit einem niedrigerem Entwicklungsniveau verlagern, um dort die billigere Arbeitskraft und die günstigeren Produktionskosten zu nutzen. Die Arbeitnehmer werden von der Freizügigkeit Gebrauch machen und in den Regionen eine Arbeit aufnehmen, wo bessere Löhne gezahlt werden. Einen Teil der Löhne werden sie dann in die wirtschaftlich schwächeren Regionen transferieren. Außerdem biete die gemeinschaftliche Kohäsionspolitik den schwächer entwickelten Regionen Strukturfonds als Unterstützung. Zusammen genommen sollen diese Mechanismen langfristig den Lebensstandard der verschiedenen Regionen angleichen.
Allerdings bringt die Aufhebung von Zollgrenzen und die Einführung des europäischen Binnenmarktes mit seinen vier Freiheiten (freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, freier Kapital- und Zahlungsverkehr) Regionen mit annähernd gleicher Wirtschaftsstruktur und Entwicklungsniveau sehr wahrscheinlich keinen stärkeren Handelsaustausch, und die Veränderung, für die eine solche Liberalisierung die Voraussetzung schafft, wird geringer ausfallen als im Falle von Regionen, die sich stärker unterscheiden und sich daher ergänzen können. Das heißt, dass ganz Schlesien – umgeben von Regionen, die auf einem ähnlichen Entwicklungsniveau stehen – keinen »Integrationseffekt« für sich nutzen kann.
Das BIP in den schlesischen Woiwodschaften
Die letzten Jahrzehnte waren für Schlesien, wie auch für Polen insgesamt, ein Phase spektakulärer wirtschaftlicher Entwicklungen. Die Daten des Siebten Kohäsionsberichts der Europäischen Kommission (»Meine Region, mein Europa, unsere Zukunft. Siebter Bericht über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt«, 2017) zeigen, dass sich das BIP per capita in Polen im Vergleich zur der Zeit vor dem EU-Beitritt Polens fast verdoppelte. Alle anderen Wirtschaftsparameter, vom Beschäftigungs- und Arbeitslosigkeitsindex über ausländische Direktinvestitionen bis zu den verfügbaren Einkommen, entwickelten sich in eine positive Richtung.
Zwei der drei schlesischen Woiwodschaften gehören zu den ersten Vier, was das BIP per capita in Polen betrifft. Die neuesten Daten verzeichnen 77 Prozent des EU-Durchschnitts in der Woiwodschaft Niederschlesien und 72 Prozent in der Woiwodschaft Schlesien. Dahinter liegt mit deutlichem Abstand die Woiwodschaft Oppeln mit 55 Prozent, ein Wert, der eher für die östlichen Grenzregionen Polens typisch ist. Allerdings sei hier darauf hingewiesen, dass sich der Reichtum in der Woiwodschaft Niederschlesien überproportional auf die Hauptstadt Breslau konzentriert. Das schwache Ergebnis der Woiwodschaft Oppeln wiederum muss um den Hinweis ergänzt werden, dass der niedrige Wert des BIP vom hohen Niveau der verfügbaren Einkommen begleitet wird, das über dem landesweiten Durchschnitt liegt. Das liegt an der verbreiteten »Pendelmigration« in dieser Region und den Geldtransfers. Die wirtschaftliche Struktur der Woiwodschaft Schlesien ist noch komplizierter, denn ihre Verwaltungsgrenzen umfassen Subregionen, die sich stark voneinander unterscheiden. Das deutlich größte Potential liegt im Industrieballungsraum Oberschlesien, während die Subregion Tschenstochau eine arme landwirtschaftlich geprägte Subregion ist und die Bergregion Beskiden vor allem vom Tourismus lebt. Aber auch der Ballungsraum Oberschlesien weist große Unterschiede auf: Beispielsweise ist das BIP per capita in der Subregion Tychy doppelt so hoch wie in der Subregion Beuthen.
Die grenzübergreifende Region Schlesien
Die Bezeichnung Schlesien lässt sich auch als Begriff für eine grenzübergreifende Region verstehen, da ihre historischen Teile auch in Tschechien und in Deutschland liegen. Merkmale solcher Regionen sollten der intensive grenzüberschreitende wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Austausch sowie die politische und administrative Zusammenarbeit sein. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Beziehungen nicht nur von den Eliten der Wirtschaft, Politik usw. realisiert werden, sondern auch von größtmöglichen Teilen der Gesellschaft. Es besteht das Risiko, insbesondere im Zusammenhang mit der Beantragung von EU-Mitteln, dass die grenzübergreifende Zusammenarbeit künstlich stimuliert wird und nach Ablauf der gewährten Mittel wieder ausläuft. Dies ist eine große Herausforderung für Schlesien, zum einen angesichts der Entwicklungstrends, zum anderen weil zu erwarten steht, dass sich die Region nicht mehr für die Unterstützung im Rahmen der europäischen Kohäsionspolitik qualifizieren wird, möglicherweise bereits in der nächsten Haushaltsperiode der EU.
Schlussbemerkung
Im Vergleich mit anderen kommt die Gesamtregion Schlesien innerhalb Polens überaus gut zurecht. Die Mehrheit der Parameter liegt im Spitzenbereich und der durchschnittliche Lebensstandard ist hier höher als in anderen Regionen des Landes. In historischer Perspektive allerdings ist es die Region, die am meisten Verluste erfuhr. Am Anfang des 20. Jahrhunderts war Breslau eine der größten und modernsten Städte im Deutschen Reich und Oberschlesien nach dem Ruhrgebiet das zweitgrößte Industriegebiet. Der durchschnittliche Lebensstandard überstieg 90 Prozent des damaligen deutschen Lebensstandards. Heute liegt die gesamte Region deutlich unter 50 Prozent des bundesdeutschen Durchschnitts. Die anderen Regionen Polens haben – obgleich sie heute unter dem Niveau Schlesiens liegen – relativ gesehen mehr gewonnen, denn ihr Ausgangspunkt war deutlich niedriger. So ist es auch heute: Die durchschnittlichen Wirtschaftsparameter der drei schlesischen Woiwodschaften stellen sich vor dem Hintergrund der anderen Regionen Polens (sehr) zufriedenstellend dar, aber in der Rückschau lassen sich rückläufige Tendenzen ausmachen.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Die Text entstand im Rahmen des Forschungsprojektes des Nationalen Wissenschaftszentrums (Narodowy Centrum Nauki) »Determinanten und Dynamik der unterschiedlichen Integration im (post)Brexit-Europa« (Determinanty i Dynamika Zróżnicowanej Integracji w (Post)Brexitowej Europie), 2020/37/B/HS5/00230.