Geschichtspolitik und Demokratie
Spätestens mit dem Ende des Dritten Reiches ist die Aufarbeitung von Unrechtsregimen in zweierlei Hinsicht ein wichtiges Thema im Kontext eines Systemwandels. Einerseits gilt es, Täter zur Verantwortung zu ziehen und Opfern durch Entschädigungen und öffentliches Gedenken Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Andererseits hatten alle vier Besatzungsmächte im Nachkriegsdeutschland auch eine Immunisierung der deutschen Nachkriegsgesellschaft im Sinn, um ein erneutes Abgleiten in eine totalitäre Gesellschaft zu verhindern. Amerikaner und Briten setzten dabei im Rahmen der sogenannten Reeducation vor allem auf politische Bildung. Die Amerika-Häuser oder der Sozialkundeunterricht waren sichtbare Ergebnisse dieses Ansatzes. Dem gegenüber forcierte die Sowjetunion in ihrem Besatzungsgebiet eine antifaschistisch-demokratische Umgestaltung, während für die Franzosen eine Umerziehung der deutschen Bevölkerung in ihrem Besatzungsgebiet nur eine untergeordnete Rolle spielte. Jedoch trafen Bemühungen, die deutsche Nachkriegsgesellschaft mit den Verbrechen des Dritten Reiches zu konfrontieren, zunächst auf wenig Gegenliebe. Für die Bundesrepublik Deutschland hat der deutsche Philosoph Hermann Lübbe das »kommunikative Beschweigen« im Nachhinein gar als eine der Voraussetzungen für die Konsolidierung der jungen Bundesrepublik Deutschland charakterisiert. Erst in den 1960er Jahren setzte mit den Auschwitz-Prozessen in der Bundesrepublik Deutschland eine Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich vehement ein.
Jenseits der Vergangenheitsbewältigung durch Aufarbeitung von Verbrechen und politische Bildung spielt aber auch der Umgang mit Geschichte ganz allgemein im Rahmen von Geschichtspolitik respektive Erinnerungspolitik eine zentrale Rolle für das Selbstverständnis von Gesellschaften. Hierüber wird nach dem Hamburger Politikwissenschaftler Peter Reichel ein für die Binnenintegration wichtiges soziales Gedächtnis konstruiert, das im Idealfall Orientierung und sozialen Kitt liefert. Aber auch spezifische Interessen unterschiedlicher gesellschaftlicher und politischer Akteure spielen eine Rolle; Geschichtspolitik ist damit nach dem Heidelberger Historiker Edgar Wolfrum potentiell auch Element der politischen Auseinandersetzung. Der Umgang mit der Vergangenheit kann dann sowohl im Fall von Vergangenheitspolitik, das heißt der Aufarbeitung abgelöster Unrechtsregime, als auch bezogen auf Geschichtspolitik, die kollektive Identität stiften soll, höchst problematisch sein. Der Streit um die Vergangenheit, polarisierende Sichtweisen und die Instrumentalisierung von Geschichte zu politischen Zwecken tragen dann kaum zur Sinnstiftung bei, sondern erzeugen gesellschaftliche Gräben und diskreditieren die Erinnerung.
Die III. Polnische Republik und der Umgang mit der Geschichte
Auch in Polen wird der Umgang mit Geschichte seit Beginn der Transformation im Jahr 1989 kontrovers diskutiert. Der vom ersten demokratischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki in seinem Regierungsexposé am 24. August 1989 postulierte »dicke Schlussstrich« (gruba kreska) sollte das neue Polen vom alten, kommunistischen Polen abtrennen, keineswegs jedoch die Aufarbeitung von Verbrechen des Ancien Régime verhindern, wie ihm seine Opponenten unterstellten. Dennoch sollte es bis Ende der 1990er Jahre dauern, bevor per Gesetz vom April 1997 die informelle Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten der Volksrepublik Polen im Zeitraum von 1944 bis 1990 für Bewerber um ein öffentliches Amt verpflichtend offengelegt werden musste. Ein weiteres Gesetz vom Dezember 1998 schuf dann das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej – IPN), das die Arbeit der seit 1945 existierenden »Hauptkommission für die Erforschung deutscher (ab 1949 nationalsozialistischer) Verbrechen in Polen« (Główna Komisja Badania Zbrodni Niemieckich Hitlerowskich w Polsce) integrierte, nun aber auch die kommunistischen Verbrechen in den Fokus nahm. Eine Dekommunisierung, das heißt ein Ausschluss belasteter Personen aus der Zeit der Volksrepublik Polen aus dem öffentlichen Leben der Dritten Polnischen Republik, gelang gleichwohl nicht, was neben den Problemen einer politischen Bewertung der Vergangenheit sicherlich auch mit dem am Runden Tisch ausgehandelten Systemwandel zu tun hatte. Der Umgang mit den Akten der polnischen Sicherheitsdienste, die Frage der Belastung von Personen des öffentlichen Lebens durch Aktivitäten vor 1989 ist bis heute eine politisch und auch juristisch nicht endgültig geklärte Frage, so dass die Vergangenheitsbewältigung in Polen auch mehr als dreißig Jahre nach dem Runden Tisch nicht als abgeschlossen gelten kann. So begründet die aktuelle PiS-Regierung auch die großangelegten Justizreformen unter anderem mit der Notwendigkeit, aus der Zeit der Volksrepublik Polen belastete Personen aus dem Justizwesen entfernen zu wollen. Schließlich ist auch die historische Bewertung und Charakterisierung der Volksrepublik Polen keineswegs abgeschlossen. Sie kann es auch angesichts der sukzessiven Erschließung neuer Akten und vielfältiger Detailstudien nicht sein, so dass Fragen der Periodisierung, des Grades an Unfreiheit und Unterdrückung oder auch des Modernisierungsschubes der Volksrepublik Polen nach wie vor aktuell sind.
Sehr viel mehr Aufmerksamkeit als die Vergangenheitsbewältigung erhält heute in Polen aber die Geschichtspolitik, der die PiS seit dem Regierungsantritt im Herbst 2015 besondere Anstrengungen gewidmet hat.
Die Geschichtspolitik der PiS
Beim Betrachten der Geschichtspolitik der PiS darf nicht vergessen werden, dass ihre Anfänge in den 1990er Jahren liegen und aus breiteren gesellschaftlichen Strömungen resultieren, welche die PiS und mit ihr verbundene Historiker und Intellektuelle aufgegriffen haben. Der in westlichen Ländern seit Ende der 1980er Jahre beobachtete und von Pierre Nora, Aleida Assmann und vielen anderen untersuchte Erinnerungsboom machte auch vor Polen nicht Halt. Nach dem Systemwechsel rückten viele historische Themen in den Fokus der Öffentlichkeit. Es galt, die weißen Flecken des kommunistischen Geschichtsbildes zu beseitigen und über Widerstand und Opposition gegen das kommunistische Regime, über den Warschauer Aufstand von 1944, aber auch über den von Deutschen auf polnischem Boden durchgeführten Holocaust nachzudenken sowie über die Haltung der polnischen Gesellschaft im Angesicht dieses Menschheitsverbrechens. Hinzu kamen wichtige Diskurse über das polnisch-jüdische, das polnisch-deutsche oder das polnisch-ukrainische Verhältnis. Erst der Übergang in eine freie und demokratische Gesellschaft ermöglichte einen offenen und kritischen Umgang mit Geschichte. Dabei belegen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts OBOP (Ośrodek Badania Opinii Publicznej – Zentrum zur Erforschung der Öffentlichen Meinung, heute Teil des Meinungsforschungsinstituts Kantar Polska S.A.) aus den Jahren 1996 und 2005, dass sich 64 Prozent der Bevölkerung in unterschiedlichem Maße für Geschichte interessieren, während Daten des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CBOS (Centrum Badania Opinii Społecznej – Zentrum zur Erforschung der Öffentlichen Meinung) aus dem Jahr 2016 gar 74 Prozent angeben.
Das große Interesse an Geschichte ist in Polen sicherlich auch mit der Zeit der Staatenlosigkeit vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1918 und der kommunistischen Herrschaft nach 1945 verbunden. Das hier angelegte martyrologische Denken von Polen als Opfer der Nachbarn, das fortwährend für die eigene und die Freiheit der Anderen kämpft, ist auch heute noch stark prägend und die Feierlichkeiten anlässlich des 100. Jahrestages der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit im Jahr 2018 haben diese Haltung noch einmal gestärkt. Es verwundert daher nicht, dass sich in einer CBOS-Umfrage aus dem Jahr 2018 88 Prozent der Polen als Patrioten bezeichnen.
Vor diesem Hintergrund haben Anfang der 2000er Jahre Debatten über eine dezidierte und aktive Geschichtspolitik in Polen begonnen, was einen Wandel darstellte, da zu Beginn der Transformation Geschichtspolitik – mit Blick auf die kommunistische Verfälschung von Geschichte – als Manipulation eher noch abgelehnt wurde. Für diesen Wandel waren mehrere Beobachtungen konservativer Intellektueller in Polen verantwortlich.
Erstens wurde die intensive polnische Debatte über das im Jahr 2000 erschienene Buch »Nachbarn« (Sąsiedzi) von Jan Tomasz Gross, in dem sich dieser mit dem Pogrom von Polen an ihren jüdischen Nachbarn im Dorf Jedwabne im Jahr 1941 (das heißt unter deutscher Besatzung) auseinandersetzte, von konservativen Historikern als Verzerrung der Geschichte betrachtet: Schließlich zeichneten ja die Deutschen für den Holocaust verantwortlich und könnten Polen kaum als Täter bezeichnet werden. Im Kontext dieser Debatte kam es nach Ansicht etlicher konservativer Historiker aber zu einer falschen Perzeption, da doch Polen das erste Opfer des Zweiten Weltkrieges war. Zudem führte die Anfang der 2000er Jahre ausgebrochene deutsche Debatte über deutsche Kriegsopfer, beispielsweise als Resultat alliierter Bombenangriffe auf deutsche Städte oder im Rahmen von Vertreibungen, und damit verknüpft das damals geplante Zentrum gegen Vertreibungen zu erheblichen Irritationen in Polen. Diese reichten weit über konservative Kreise hinaus. Viele polnische Beobachter gewannen den Eindruck, dass sich Deutschland von seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust distanzieren wollte. So konstatierte Marek Edelman, einer der Führer des Ghettoaufstandes (1943), im Jahr 2003, dass man mit den Deutschen kein Mitleid haben dürfe.
Zweitens wurde die Geschichtspolitik von Deutschland nicht zuletzt in diesem Kontext als erfolgreicher angesehen. Deutschland sei es gelungen, für die Gräuel des Zweiten Weltkrieges die Nationalsozialisten verantwortlich zu machen und zugleich über deutsche Opfer zu sprechen. Auch das Ende des Kommunismus werde eher mit dem Fall der Berliner Mauer als mit der polnischen Gewerkschaft Solidarność verknüpft, obgleich Polen bereits eine demokratische Regierung unter Tadeusz Mazowiecki hatte, als in Ost-Berlin am 7. Oktober 1989 noch der 40. Jahrestag der Gründung der DDR begangen wurde.
Drittens wurden auch der Runde Tisch des Jahres 1989 und seine Ergebnisse von konservativen Intellektuellen kritischer beäugt. Die Kompromisse mit den ehemaligen kommunistischen Eliten, die Konzentration auf die wirtschaftlichen Aspekte der Transformation und auch ein zunehmender Individualismus wurden als nachhaltig negativ für den Zusammenhalt der polnischen Gesellschaft und ihren Blick auf die Geschichte angesehen. Autoren wie Marek A. Cichocki, Dariusz Gawin, Tomasz Merta, Andrzej Nowak oder Zdzisław Krasnodębski traten beispielsweise in der Zeitschrift Teologia Polityczna (Politische Theologie), in Buchpublikationen und in publizistischen Beiträgen für eine neue historische Narration ein, die eher Stolz auf die eigene Nation und deren Verdienste als Dekonstruktion und »Scham« in den Mittelpunkt stellen sollte.
Viertens haben auch runde Jahrestage wie der 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges im Jahr 2005 und die großen Feierlichkeiten in Moskau dazu beigetragen, eine entschlossenere eigene Geschichtspolitik zu betreiben und die polnischen Opfer stärker zu akzentuieren. Auch die letztlich auf Betreiben von Lech Kaczyński als damaligem Stadtpräsidenten von Warschau im Jahr 2004 vorgenommene Eröffnung des Museums des Warschauer Aufstandes (Muzeum Powstania Warszawskiego) anlässlich des 60. Jahrestages fügte sich in Bestrebungen, über die Begehung von Jahrestagen und Museumsgründungen eine andere historische Narration zu verfestigen und den »Gefährdungen« der späten Moderne (Individualismus, Werteverfall, Relativismus) zu begegnen.
Fünftens dürfte auch eine Anfang der 2000er Jahre in Umfragen deutlich sichtbare Nostalgie nach den Zeiten der Volksrepublik Polen zu der Debatte über Geschichtspolitik unter konservativen Intellektuellen beigetragen haben. Nach Daten von CBOS bewerten sowohl im Jahr 2000 als auch im Jahr 2009 44 Prozent der Befragten die Zeit der Volksrepublik Polen als positiv.
Es kann daher nicht verwundern, dass die PiS nahezu von Beginn an (die Partei wurde im Jahr 2001 gegründet) für eine selbstbestimmte Geschichtspolitik eintrat. Im Parteiprogramm aus dem Jahr 2005 ist zu lesen, dass die PiS mit Hilfe einer »modernen Geschichtspolitik« den polnischen Kampf gegen die totalitären Systeme und die Verbrechen am polnischen Volk auch außerhalb von Polen ins Gedächtnis rufen möchte. Zudem soll jeglichen Versuchen einer Relativierung der Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges entgegen getreten werden. Dazu sollen ein Museum der Freiheit gegründet und die Qualität des Geschichtsunterrichts in den Schulen verbessert werden. Ansätze für eine solche Geschichtspolitik konnte die PiS in der ersten kurzen Regierungszeit zwischen 2005 und 2007 kaum realisieren, zumal sie ab September 2006 nach Zerbrechen der Koalitionsregierung über keine eigene Mehrheit im Sejm verfügte. Anders verhält es sich seit 2015, als die PiS im Herbst die Parlamentswahlen gewann und mit absoluter Mehrheit unter dem Schlagwort »guter Wandel« (dobra zmiana) an den Umbau des Staates ging, was auch das Feld der Geschichtspolitik betrifft.
Jarosław Sellin, PiS-Abgeordneter und seit 2015 mit einer kurzen Unterbrechung Staatssekretär im Ministerium für Kultur, nationales Erbe und Sport, zieht auf dem Programmkonvent der PiS im Juli 2019, bevor die PiS die Parlamentswahlen im Oktober 2019 erneut gewann, ein positives Fazit der Geschichtspolitik der Partei. Er verweist auf die Feierlichkeiten und Jahrestage anlässlich des 100. Jahrestages der Wiedergewinnung der polnischen Unabhängigkeit, auf 30 Jahre Ende des Kommunismus oder 40 Jahre seit der ersten Pilgerreise von Johannes Paul II. nach Polen im Jahr 1979. Ferner nennt er den Bau unterschiedlicher Museen wie das Museum der Geschichte Polens (Muzeum Historii Polski), gegründet 2006, dessen Neubau in Warschau gegenwärtig vorangetrieben wird, das Museum für Papst Johannes Paul II. und Stefan Kardinal Wyszyński, Primas von Polen (Muzeum Jana Pawła II i Prymasa Wyszyńskiego), in Warschau oder das Józef Piłsudski-Museum in Sulejówek (Muzeum Józefa Piłsudskiego w Sulejówku). Weitere Museen sind das Museum Westerplatte und Verteidigungskrieg 1939 (Muzeum Westerplatte i Wojny Obronnej 1939) in Danzig (Gdańsk), das Museum des Warschauer Ghettos (Muzeum Getta Warszawskiego), das Museum der Verfemten Soldaten (Muzeum Żołnierzy Wyklętych) in Ostrołęka oder das Museum für die Polen, die Juden gerettet haben (Muzeum Polaków Ratujących Żydów) in Markowa. Hinzu kommen weitere Institute, die sich mit Geschichtspolitik befassen und die von der PiS ins Leben gerufen wurden, beispielsweise das 2019 gegründete Institut für das Erbe der Solidarność (Instytut Dziedzictwa Solidarności) oder das 2017 eingerichtete Pilecki-Institut (Instytut Solidarności i Męstwa im. Witolda Pileckiego – Witold Pilecki-Institut für Solidarität und Mut) in Warschau mit einer Filiale in Berlin. Witold Pilecki war während des Zweiten Weltkrieges Mitglied der Heimatarmee (Armia Krajowa – AK) im Untergrund und begab sich freiwillig in das deutsche Konzentrationslager Auschwitz, um dort den Widerstand zu organisieren und Informationen über das Konzentrationslager und die Gräuel der Nazis zu sammeln, die er nach seiner Flucht 1943 verbreitete. Er wurde 1948 im stalinistischen Polen als vermeintlicher Spion hingerichtet. Anführen muss man auch das 2020, also nach den letzten Parlamentswahlen gegründete Roman Dmowski- und Ignacy Jan Paderewski-Institut des Erbes des Nationalgedankens (Instytut Dziedzictwa Myśli Narodowej im. Romana Dmowskiego i Ignacego Jana Paderewskiego). Dabei ist weniger die Person des polnischen Pianisten und Komponisten Ignacy Paderewski strittig, der die polnische Delegation bei den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg in Versailles gemeinsam mit Roman Dmowski anführte und im Jahr 1919 auch für kurze Zeit polnischer Ministerpräsident war, als vielmehr Roman Dmowski. Zweifellos hat der Anführer der polnischen Nationaldemokratie große Verdienste um die Unabhängigkeit Polens, aber er war auch ein bekannter Antisemit und Nationalist und ob er eine passende Bezugsperson für eine demokratische Geschichtspolitik ist, darf bezweifelt werden.
Sellin verweist in seiner Bilanz auf insgesamt 15 Institute und Einrichtungen der Geschichtspolitik, die ausschließlich vom zuständigen Kulturministerium angeleitet werden, und auf 14 weitere Einrichtungen, für die das Ministerium mitverantwortlich zeichnet. Angeführt werden von ihm außerdem historische Filme als Instrument der Geschichtspolitik. Auch hier hat die PiS die Finanzierung für derartige Projekte deutlich ausgebaut. Mit Hilfe des staatlichen Polnischen Instituts für Filmkunst (Polski Instytut Sztuki Filmowej) sollen nach Auskunft des Ministeriums für Kultur, nationales Erbe und Sport von Ende 2018 fast 40 historische Filme entstehen. Ein regelmäßiger Blick in das Programm des staatlichen Fernsehens TVP zeigt in der Tat eine deutliche Zunahme historischer Filme (https://vod.tvp.pl/sub-category/historia,4191987).
Das Parteiprogramm der PiS aus dem Jahr 2019 verweist noch expliziter auf die Ziele ihrer Geschichtspolitik. Bekämpft werden sollen Anzeichen von Antipolonismus sowie Verfälschungen insbesondere der Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Auch wird hervorgehoben, dass das Polen zugefügte Unrecht im Zweiten Weltkrieg noch nicht ausreichend wieder gut gemacht worden sei. Letzteres ist wohl eine Anspielung auf die immer wieder an die deutsche Adresse erhobenen Reparationsforderungen.
Aber das Programm nennt unter dem Stichwort »patriotische und staatsbürgerliche Erziehung« ein weiteres Ziel von Geschichtspolitik, das nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet ist. An unterschiedlichen Stellen des Programms wird auf die Notwendigkeit der Stärkung des Patriotismus in Polen verwiesen, welcher der PiS zufolge eine enge Bindung an die katholische Kirche und ihre Lehre aufweist. Der Patriotismus soll traditionelle Werte wie Nation, Familie und Religion stärken, die polnischen Freiheitstraditionen pflegen sowie Bürgeraktivitäten stimulieren. Daher ist auch von patriotischer und staatsbürgerlicher Erziehung die Rede. Es gilt die »Verantwortung für die Gemeinschaft« im Unterschied zu Konsumismus und Egoismus zu stärken. Auch hier knüpft die PiS an ältere Debatten aus den 1990er Jahren an. Bereits das Bildungsgesetz vom 7. September 1991 sieht in seiner Einleitung als Bildungsziel unter anderem die Ausbildung der Liebe zum Vaterland und die Anerkennung für das polnische Kulturerbe vor. Das Gesetz über das Bildungsrecht vom 14. Dezember 2016, das seitdem mehrfach novelliert wurde, spricht in Artikel 18 von der Ausbildung patriotischer Haltungen. Deutlicher wird das Kulturministerium, das einen »Patriotismus von morgen« (Patriotyzm jutra) fördern möchte. Die in Schulen realisierten Programme beziehen sich aber neben der Förderung einer aktiven Bürgerhaltung vor allem auf die Vergangenheit und sind dabei in zweierlei Hinsicht problematisch. Auf der einen Seite vermitteln sie, wie unterschiedliche im Internet zugängliche Lehrprogramme belegen, neben dem wohl notwendigen Wissen über die polnische Geschichte, über das Staatswappen und dergleichen mehr, eher eine glatte Sicht auf die Geschichte, die polnische Helden darstellt und die Identifikation mit und den Stolz auf die polnische Nation fördern soll. Auf der anderen Seite werden Elemente der polnischen Geschichte relativ unkritisch übernommen wie beispielsweise patriotische Lieder und Texte. Für einen Historiker ist die »Rota« von Maria Konopnicka aus dem Jahr 1908 sicherlich ein wichtiger Text aus der Zeit des Kampfes für einen eigenen Staat. Aber macht ein solcher Text, der deutlich in der Tradition der Nationaldemokratie steht und unter anderem vor einer Germanisierung polnischer Kinder warnt, heute noch Sinn im Unterricht, wenn er nur als polnische patriotische Tradition dargestellt wird?
Neben den Museums- und Institutsgründungen sind für die PiS in den letzten Jahren vor allem zwei Narrationen wichtig gewesen. Erstens wird die Tradition des Warschauer Aufstandes von 1944 gepflegt. Der hier gezeigte heroische Widerstand wird von Präsident Andrzej Duda bei den Feierlichkeiten anlässlich des 77. Jahrestages des Ausbruchs in diesem Jahr in die polnische Freiheitstradition gestellt, der Aufstand gar als Voraussetzung für die heutige Freiheit bezeichnet. Sicherlich ist eine solche Feierstunde keine Gelegenheit für kritische Worte zum Aufstand, aber auch im Museum des Warschauer Aufstandes dominiert eindeutig die Freiheitstradition, obgleich seit Jahrzehnten auch eine Debatte über den Sinn des Aufstandes und die damit verbundenen Folgen (geschätzt mehr als 200.000 Opfer und die vollständige Zerstörung der polnischen Hauptstadt) geführt wird. Dies findet in der offiziellen Narration gegenwärtig keine Berücksichtigung.
Zweitens wird die Erinnerung an die sogenannten Verfemten Soldaten (Żołnierze Wyklęci) von Seiten der Regierung und des polnischen Präsidenten hervorgehoben. Damit sind Angehörige unterschiedlicher militärischer Formationen gemeint, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gegen die kommunistische Ordnung in Polen kämpften, zum Teil bis in die 1950er Jahre. Auch hier dominiert eine Heldenerzählung, obgleich ungeachtet der Schrecken des polnischen Stalinismus nicht alle Vertreter dieses militärischen Untergrundes unkritisch zu sehen sind: Neben Freiheitskämpfern gab es auch antisemitische Ausbrüche und zum Teil Übergriffe auf die Zivilbevölkerung.
Kampf ums Gedächtnis – aber wie?
Die Geschichtspolitik der PiS setzt mit Museums- und Institutsgründungen deutliche Akzente. Dabei werden wichtige Aspekte der Vergangenheit thematisiert, die allerdings bereits vor der aktuellen PiS-Regierung seit 2015 Anerkennung gefunden hatten. Bereits im Jahr 2001 verabschiedete der Sejm einen Beschluss, der den Kampf der verfemten Soldaten würdigte, und seit dem Jahr 2011 ist der 1. März der offizielle staatliche Gedenktag für diese Menschen. Die Regierung griff hier eine Initiative von Präsident Lech Kaczyński auf, die nach seinem Tod im Jahr 2010 von seinem Nachfolger Bronisław Komorowski aus den Reihen der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) aufgegriffen wurde.
Kritisch angemerkt werden muss auch, dass die von der PiS propagierte Geschichtspolitik vor allem eine eher unkritische historische Narration fördert. Natürlich ist gegen die Person von Witold Pilecki oder gegen das Museum in Markowa, das Polen gewidmet ist, die Juden gerettet haben, nichts zu sagen, aber auch staatliche Geschichtspolitik sollte Platz für Kritik und einen reflexiven Umgang mit Geschichte lassen.
Zudem kann nicht verschwiegen werden, dass einige der Museen auch gegründet wurden, um missliebige Museumsleitungen und die von ihnen vertretenen Ausstellungen zu konterkarieren. Das nach den Parlamentswahlen im Herbst 2015 gegründete Museum Westerplatte und Verteidigungskrieg 1939 war als Ausrufezeichen gegen das 2008 von der Regierung Donald Tusk gegründete Museum des Zweiten Weltkrieges gedacht, da dessen Ausstellung nach Ansicht konservativer Historiker zu wenig das polnische Leid exponierte. Der zuständige Minister Piotr Gliński vereinigte 2017 dann beide Museum und entließ vorher noch den Gründungsdirektor des Museums des Zweiten Weltkrieges, Paweł Machcewicz. Auch das 2019 ins Leben gerufene Institut für das Erbe der Solidarność ist eine Reaktion auf das von Basil Kerski geleitete Europäische Solidarność-Zentrum (Europejskie Centrum Solidarności – ECS). Bereits 2019 wurden die staatlichen Mittel für das ECS, das darüber hinaus von der Stadt Danzig finanziert wird, erheblich gekürzt. Die PiS respektive der zuständige Minister Gliński wollte die Dauerausstellung ergänzen und zudem über einen Stellvertreter des Direktors im ECS mitbestimmen. Auch hier geht es unter anderem um unterschiedliche Interpretationen der Geschichte der Gewerkschaft Solidarność. Da eine Übernahme des ECS nicht möglich war, wurde ein alternatives Institut gegründet. Schließlich ist auch das 2018 gegründete Museum des Warschauer Ghettos ein Konkurrenzunternehmen zum Museum der Geschichte der polnischen Juden Polin (Muzeum Historii Żydów Polskich POLIN), dessen direkte Übernahme scheiterte. Das Museum des Warschauer Ghettos soll nach den Worten von Piotr Gliński aus dem Jahr 2018 »ein Symbol der Bruderschaft und der polnisch-jüdischen Solidarität« sein. Auch hier sind die Vorgaben der Politik also sehr klar.
Die PiS hat damit in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um Geschichte in Bildung und Öffentlichkeit einen größeren Stellenwert einzuräumen. Historische Filme, Museen, Ausstellungen und Institutsgründungen greifen dabei zum Teil vernachlässigte Themen auf. Zudem entspricht die Pflege des Patriotismus sicherlich polnischen Traditionen, die hier eben anders aussehen als in Deutschland. Allerdings erscheint der Eingriff der Politik bis in die Konzeption von Ausstellungen hinein zu groß. Zweifellos wäre es besser, Kritik und alternative Sichtweisen in bestehende Institutionen zu integrieren, da auch die konkurrierenden Institute mit erheblichen Steuergeldern unterstützt werden.
Hinzu kommt, dass eine vergleichsweise glatte historische Narration modernen Ansätzen in der Historiographie, die stärker reflexiv und dekonstruierend arbeiten, nicht gerecht wird. Der Vorwurf einer zu starken politischen Einflussnahme ist dann naheliegend. Schließlich ist auch die polnische Gesellschaft zunehmend heterogener. Unterschiedliche Milieus, regionale Unterschiede, politische Differenzen sollten auch in der polnischen Museumslandschaft ihren Niederschlag finden. Zudem sollte die Geschichtspolitik eines demokratischen Staates kritischer mit manchen historischen Figuren umgehen. Sowohl die »Rota« als auch Roman Dmowski sind Bestandteil des polnischen Unabhängigkeitskampfes, sollten aber nicht eine demokratische Traditionslinie bilden.