Interview mit Präsident Andrzej Duda in Kuźnica, einem Ort an der Grenze zu Belarus

8. Dezember 2021

Herr Präsident, das ist bereits ein weiterer Besuch bei den polnischen Soldaten. Ein weiteres Mal hören sie von Ihnen Worte der Unterstützung. Wie sieht der Alltag der Soldaten hier aus? Was haben sie in den ersten Minuten des Treffens mit Ihnen gesagt?

Wir sind in Kuźnica, direkt am Grenzübergang, der momentan vorübergehend geschlossen ist; es besteht hier keine Möglichkeit, die polnische Grenze zu überqueren und sich nach Belarus zu begeben und umgekehrt. Das ist zurzeit der Standort der polnischen Soldaten, wo auch unsere Verbündeten sind, d. h. Soldaten aus Großbritannien, die kamen, um Unterstützung zu leisten, und Soldaten aus Estland. Wir freuen uns sehr, dass dieses sichtbare Zeichen der Bündnispräsenz und -unterstützung, der Bündnissolidarität im Rahmen der NATO von ihnen hier gesetzt wird. Wir sind dafür sehr dankbar.

Aber vor allem kam ich mit meiner Ehefrau für Treffen mit den Beamten, Soldaten, Angestellten des Zolls, des Grenzschutzes hierher – das sind ja Beamte und Angestellte. Und natürlich mit den Beamten der Polizei, der Feuerwehr und unseren Soldaten, die hier präsent sind, sowohl von den operativen Streitkräften als auch und den Einheiten der Territorialen Verteidigung.

Gerade hatten wir hier eine Beratung, am Standort des Grenzschutzes, wo uns die Situation genau vorgestellt wurde. Wir haben die Meldung und Information von allen Befehlshabern der jeweiligen Dienste entgegen genommen. Aktuell leisten hier, in diesem Gebiet, wofür der Grenzposten in Kuźnica zuständig ist, […] über 600 Soldaten und Beamte in Präsenz ihren Dienst.

Selbstverständlich umfasst die Besetzung deutlich über 1.000 Personen, denn hier herrscht das Prinzip der Rotation. Es gibt 90 Militärposten, die an der Grenzlinie die Arbeit und den Dienst der Beamten des Grenzschutzes unterstützen und die wiederum noch von der Polizei unterstützt werden. Das ist hier also sozusagen eine solidarische Arbeit der Armee und der anderen Dienste, damit die Grenze gut geschützt ist und wir unsere Verpflichtungen auch als Mitglied der Europäischen Union realisieren können, wie ich schon wiederholt unterstrichen habe.

Wir haben sowohl den Beamten als auch den Soldaten sehr gedankt, denn sie leisten ihren Dienst fern von zu Hause und jetzt bereits unter sehr schwierigen Bedingungen. Die Temperatur beträgt aktuell minus 10 Grad, es ist also wirklich kalt. Jeder kann sich vorstellen, dass das nicht leicht ist. Die Führung bemüht sich natürlich, die besten Bedingungen zu garantieren. Die Soldaten haben hier sowohl beheizte Räume als auch Zelte. Die Sozialräume sind ebenfalls beheizt. Die grundlegenden Existenzbedingungen sind also gesichert.

Es ist aber klar, dass der Dienst schwierig ist, die Patrouillen dauern zwölf Stunden, es ist also nicht leicht. Zum Glück haben die Soldaten auch hier, an der Grenzlinie, Räume, wo sie sich aufhalten können, wo ein Ofen ist, wo sich die Streife aufwärmen kann, wo man sich einen Tee machen kann. Insofern gibt es also zusätzliche Unterstützung. Im Übrigen möchte ich auch aus ganzem Herzen den Familien unserer Soldaten und Beamten danken, dass sie die familiäre Mühsal ertragen, dass ihre Nächsten nicht da sind.

Auch will ich den Einwohnern dieses Gebietes herzlich danken, dass sie mit so außergewöhnlicher Freundlichkeit unsere Soldaten und Beamten behandeln – sowohl die, die ihren Dienst direkt an der Grenze ableisten, als auch die Polizisten, die ihre Posten auch außerhalb der direkten Grenzzone haben und reguläre Kontrollen durchführen. Sie alle treffen auf große Freundlichkeit, bekommen Kuchen, die Menschen bringen ihnen Mahlzeiten – sie werden sehr freundlich behandelt. Dafür danke ich vielmals.

[…]

Herr Präsident, wie beurteilen Sie die Situation hier an der polnisch-belarussischen Grenze? Ist es jetzt ruhiger als noch vor ein paar Wochen?

Die Situation hat sich verändert. Aber ob es ruhiger ist? Genau danach habe ich den Befehlshaber des Grenzpostens gefragt, ob sie meinen, dass es ruhiger ist. Er sagte, sie können das so nicht bewerten. Die Situation hat sich verändert, weil die Migranten aus dem wilden Camp, das sich hier befand, genau an der Grenzlinie, von belarussischen Beamten in Lagerhallen gebracht wurden, die knapp einen Kilometer von der Grenzlinie entfernt sind. Das heißt, sie sind im Stande, sich buchstäblich in sieben bis zehn Minuten hierher zu begeben. Dort, in den Gebäuden, sind zurzeit nach Schätzungen unserer Grenzdienste über 1.000 Personen, also eine riesige Gruppe. Und von Zeit zu Zeit wiederholen sich in der Nähe Angriffe auf die Grenze an verschiedenen Stellen im Gebiet dieses Verantwortungsbereichs – dieser Abschnitt beträgt 18 Kilometer.

Der Befehlshaber sagt, dass sie leider weder Stunde noch Tag kennen. Unversehens können einige belarussische Lastwagen auftauchen, die eine Gruppe Migranten bringen, plötzlich steigen sie aus und schon sind 120 Personen da. Innerhalb kurzer Zeit können mehr als 100 Personen auftauchen, die die Grenze an einer Stelle stürmen. Unsere Beamte und Soldaten müssen hier die ganze Zeit bereit und aktiv sein. Der Befehlshaber hat betont: Die Wachsamkeit muss die ganze Zeit aufrechterhalten werden. Es ist also schwer zu sagen, ob es ruhiger sei. Es ist einfach anders. Es gibt keinen ständigen Ansturm, wie wir ihn vor einigen Wochen gesehen haben, aber die ganze Zeit wiederholen sich Angriffe, Versuche illegaler Grenzübertritte.

Meine Frau fragte, wie die Hilfe für die Migranten aussieht, die die Grenze übertreten – die gleich nach dem Grenzübertritt festgenommen werden. Wir wurden detailliert über das gesamte Verfahren informiert, dem sie unterzogen werden. Die Beamten des Grenzschutzes und die Soldaten sind mit einer Basisausrüstung ausgestattet, um diesen Personen zu helfen, das heißt wärmeisolierende Folie, Basisnahrung, die man ihnen sofort geben kann, Verbandszeug, wenn nötig, und sofort, wenn notwendig, rufen sie Hilfe, sei es einen Rettungswagen oder ein eigenes Transportfahrzeug, um sie zum Posten des Grenzschutzes zu bringen, an einen warmen Ort, wo ihnen erste Hilfe im Sinne von Unterstützung gewährt werden kann. Die Migranten können sich aufwärmen, es gibt warmes Essen, ein warmes Getränk – das, was man ad hoc anbieten kann. Und das durchgeführte Verfahren – natürlich das, was rechtlich in solchen Situationen vorgesehen ist.

Herr Präsident, wie werden die kommenden Monate aussehen, was die Koordination dieser Tätigkeiten an der Grenze betrifft? Sie berufen regelmäßig Sitzungen des Büros für Nationale Sicherheit ein. Sind sie noch weiter geplant? Oder wird es diese Treffen nicht geben und ihre Intensität geringer, weil momentan die – nennen wir es Eskalation der Aktionen etwas geringer ist?

Jeden Tag beginne ich damit, dass ich auf dem Schreibtisch eine Meldung über die aktuelle Situation an der Grenze habe, alles, was in der Nacht passiert ist, wie viele Versuche von Grenzübertritten es gab, an welcher Stelle, Beschreibungen der Situation – alles, was unverzichtbar ist, um mit den grundlegenden Informationen ausgestattet zu sein.

Wie Sie wissen, finden Treffen der Leitung – man kann ohne Übertreibung sagen – des Staates statt. Denn wenn der Ministerpräsident, die Minister der wesentlichen Ministerien, die für die Sicherheit hier, an der Grenze verantwortlich sind, der Verteidigungsminister oder der Innenminister, anwesend sind, wenn wir uns in diesem Kreis treffen, dann ist das in der Tat eine Beratung auf höchster Ebene. Und tatsächlich finden sie regelmäßig statt.

[…]

Es sind tatsächlich alle Szenarien möglich. Wir sind nicht in der Lage vorauszusehen, was das belarussische Regime auf der anderen Seite tun wird. Wir wissen, dass ein Teil der Migranten mit dem Flugzeug in ihre Herkunftsländer gebracht wird. Aber es kommen auch verschiedene Informationen, dass ihnen ein Ultimatum gestellt wird: Dass sie abgeschoben werden, es sei denn, sie entscheiden sich, die polnische Grenze anzugreifen und mit Gewalt nach Polen einzudringen. Die Situation ist schwierig.

Herr Präsident, sollten die Journalisten mehr Freiheit bei der Berichterstattung darüber, was hier, an der polnisch-belarussischen Grenze geschieht, haben? Denn jetzt sind wir tatsächlich allein darauf verwiesen, was uns die Ordnungsdienste zeigen.

Vor allem muss den Ordnungsdiensten die Möglichkeit garantiert sein, ihre Tätigkeiten frei auszuüben und ihren Pflichten nachzugehen, die sie – das will ich mit allem Nachdruck betonen – im Rahmen der geltenden Vorschriften und auf ihrer Grundlage erfüllen. Im Zusammenhang damit müssen sie gut funktionieren.

Aber dafür, dass solche Möglichkeiten auch für die Arbeit der Journalisten geschaffen werden, wurden unter anderem in letzter Zeit Rechtsakte veröffentlicht, mit denen entsprechende Verfahren festgesetzt wurden. Im Zusammenhang damit gehe ich davon aus, dass Ihnen solche Möglichkeiten geschaffen wurden.

Ich danke Ihnen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Quelle: Der Präsident der Republik Polen. https://www.prezydent.pl/aktualnosci/wypowiedzi-prezydenta-rp/wywiady/wypowiedz-prezydenta-rp-w-kuznicy,46343 (abgerufen am 21.01.2022).

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