Präsident Andrzej Duda über die Sicherheit an der NATO-Ostflanke und die Präsenz US-amerikanischer Truppen in Polen [Auszüge aus einem Interview]

16. Februar 2023

Danuta Holecka, Polnisches Fernsehen [Telewizja Polska – TVP]: Wir begrüßen Sie herzlich aus der Botschaft der Republik Polen in London. Unser Gast ist heute Präsident Andrzej Duda. Ich grüße Sie, Herr Präsident.

Der Präsident der Republik Polen, Andrzej Duda: Ich grüße Sie herzlich sowie auch unsere Zuschauer.

Herr Präsident, Sie befinden sich im Prinzip in einer diplomatischen Offensive. Heute findet ein Treffen mit dem Premierminister Großbritanniens statt. Was ist das Ziel dieser Offensive?

Vor allem die Stärkung der Sicherheit Polens, die Stärkung der Sicherheit Polens und noch einmal die Stärkung der Sicherheit Polens. Das ist die wichtigste Aufgabe, die ich mir gestellt habe.

Ich nutze die außergewöhnliche Gelegenheit, die sich für uns ergeben hat, dass wir Besuch von Präsident Joe Biden [21. Februar 2023 in Warschau, d. Übers.] bekommen und gleichzeitig ein Treffen der Bukarest Neun [B9; Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechien, Ungarn, d. Übers.] haben werden, und zwar im Rahmen der NATO – […] die Bukarest Neun sind die Staaten der NATO-Ostflanke, die sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten treffen werden. Ich hoffe, dass auch der NATO-Generalsekretär kommen wird, den ich gestern zu diesem Gipfeltreffen eingeladen habe.

Es ist vor allem eine Gelegenheit für Gespräche über die Sicherheit in unserem Teil Europas. Wie werden wir der Ukraine weiter helfen? Denn das muss gemeinsam getan werden. Und welche Entscheidungen werden wir auf dem bevorstehenden NATO-Gipfel in Wilna treffen? Das wird im Juni/Juli dieses Jahres sein, wenn wir dann bereits im Forum der gesamten NATO über wichtige Entscheidungen diskutieren werden, die – hoffentlich – mit der Verstärkung der Präsenz der NATO an der Ostflanke verknüpft sein werden.

Nicht nur was die Anzahl der NATO-Soldaten angeht, die präsent sind bzw. sofort eintreffen werden, sollte es zu irgendeiner Bedrohung kommen, sondern auch mit Blick auf die militärische Infrastruktur, das heißt die Ausrüstung der NATO, die – meiner Meinung nach – auf dem Gebiet unseres Landes stationiert werden sollte, aber auch überhaupt auf dem Gebiet der NATO-Ostflanke, damit die Soldaten, die kommen, die Ausrüstung nicht mitbringen müssen, denn das führt immer zu einer Verzögerung des logistischen Prozesses. So dass die Ausrüstung bereits auf sie wartet und sie sie einfach aus den Magazinen vor Ort verteilen und ihre militärischen Tätigkeiten antreten können.

[…]

In München [Münchner Sicherheitskonferenz, 17. bis 19. Februar 2023, d. Übers.] wird es zu wichtigen Treffen kommen, u. a. mit dem Bundeskanzler Deutschlands und dem Präsidenten Frankreichs. Werden wir sie, d. h. werden Sie sie von unseren Zielen überzeugen? Zum Beispiel von der ständigen Stationierung von Truppen und militärischem Gerät auf unserem Territorium?

[…]

In der letzten Zeit haben wir viele Komplimente gehört, viele gute, warme Worte vonseiten unserer Verbündeten. Vor allem aber stehen wir fest auf dem Boden der Tatsachen. Dazu gehört eben der Aufbau von Sicherheit in einer sehr konkreten, sehr starken Bedeutung, d. h. die Stärkung der polnischen Armee, die Ergänzung und der Zukauf neuer Ausrüstung für die polnische Armee, verbunden mit einem Anstieg unserer Verteidigungsausgaben. Sie werden im Jahr 2023 mehr als vier Prozent des BIP betragen. Das ist also etwas, was es bisher bei uns noch nicht gegeben hat. Und in der Tat wird es sehr viel neue Ausrüstung geben.

Und die Bündnispräsenz, die Garantien des Art. 5 [des NATO-Vertrags, d. Übers.]. Damit sie eine praktische Dimension bekommen, sind erstens NATO- und US-amerikanische Einheiten in unserem Teil Europas und – aus unserer Sicht natürlich – insbesondere bei uns notwendig. Heute haben wir 10.000 amerikanische Soldaten, heute haben wir in Polen schon viel amerikanische Ausrüstung, aber ich möchte, dass es noch mehr wird – ich spreche von amerikanischer Militärausrüstung. Ich möchte, dass es noch mehr wird. Ich möchte, dass sie auch ganz einfach in Polen gelagert wird. Und darüber werde ich sicher mit Präsident Joe Biden sprechen.

Aber ich möchte, dass es auch Magazine mit NATO-Ausrüstung gibt. Das ist meine Forderung für uns, das ist meine Forderung auch für unsere Bündnispartner aus den Staaten an der NATO-Ostflanke. Denn der Prozess, die Sicherheit zu stärken, wird deutlich leichter sein, der Prozess, irgendeine wesentliche Bedrohung zu beantworten, wir deutlich leichter sein, wenn die NATO-Truppen aus den Vereinigten Staaten und aus Westeuropa ohne Ausrüstung verlegt werden, weil diese hier, vor Ort, auf sie warten wird. Das wird dann ein viel schnellerer Vorgang sein. Er würde sich verlangsamen, wenn sie dann erst die ganze Infrastruktur mitnehmen müssten. Die Infrastruktur sollte also hier sein, hier stationiert werden, sie sollte eine zusätzliche Garantie für unsere Sicherheit sein.

Manche sagen, dass gerade Berlin und auch Paris die größten Bremser für Veränderungen in der NATO und Gegner der dauerhaften Präsenz amerikanischer Stützpunkte in Polen sind. Aber vielleicht ist das eine zu große Vereinfachung. Allerdings entscheiden die Amerikaner darüber, wo sie ihre Militärbasen einrichten, und Sie werden mit Ihnen sprechen. Jedoch…

Es gibt überhaupt zwei Formate der Zusammenarbeit. Deshalb betone ich das so. Denn irgendeiner wird sagen: »Was soll das? Die Amerikaner sind doch Teil der NATO.« Ja, sind sie. Aber die Entscheidung der NATO darüber, dass sie an der Ostflanke präsent sein wird, das ist die eine Sache. Und für uns, Polen, besteht die außergewöhnliche Situation, dass die Vereinigten Staaten gleichzeitig die Rahmennation der NATO-Präsenz bei uns sind. Und so kommt es dazu, dass es im Rahmen der NATO-Präsenz insgesamt in der Tat am meisten amerikanische Soldaten gibt.

Davon abgesehen haben wir für die Präsenz amerikanischer Einheiten in Polen auch bilaterale Verträge, d. h. zweiseitige: Polen – Vereinigte Staaten – ohne Beteiligung der übrigen NATO-Staaten. Für die amerikanische Präsenz in Polen. Und das sind dem Wesen nach zwei voneinander getrennte Dinge.

[…]

Herr Präsident , der zweite Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten bei uns, in Polen, im Laufe eines knappen Jahres. Alle betonen das. Es soll ein Dank für Sie persönlich kommen – so kündigt es das Weiße Haus an – und für die polnische Nation. Das sind wunderschöne Gesten. Ich verstehe aber, dass es bei diesem Besuch nicht nur um Gesten geht, denn er hat ein sehr großes politisches Gewicht.

Er hat vor allem ein sehr großes politisches Gewicht. Natürlich wird das für uns alle – für meine Landsleute, für mich persönlich und auch staatlich – außerordentlich angenehm sein, wenn wir vonseiten der Vereinigten Staaten, des Präsidenten der Vereinigten Staaten gute Worte über uns und Worte des Dankes hören. Denn das ist in gewisser Weise, kann man sagen, auch ein Dank im Namen der freien Welt.

Wir haben ja viele Jahrzehnte lang Amerika so wahrgenommen. Insbesondere als wir hinter dem Eisernen Vorhang waren, war für uns Amerika das Symbol der freien Welt. In vielen Staaten wird das also bestimmt als Dank vonseiten der freien Welt aufgenommen. Das ist natürlich sehr angenehm.

Aber vor allem sehe ich auf die sehr konkreten, politischen – und nicht nur politischen – Aspekte dieses Besuches und des B9-Gipfels in Polen. Das ist eine Stärkung unserer Sicherheit. Das ist ein weiterer Auftritt von Präsident Joe Biden, der unserer Sicherheit gilt, nach dem Auftritt im Hof des [Warschauer, d. Übers.] Königsschlosses bereits vor einem Jahr. Jetzt wird es zu einem nächsten Auftritt von Präsident Joe Biden kommen, der offenkundig an die ganze Welt gerichtet sein wird. Nicht nur an uns als Gastgeber, nicht nur an die Polen, nicht nur an die Amerikaner, an die Vereinigten Staaten, sondern er wird an die ganze Welt adressiert werden.

Denn das ist – machen wir uns nichts vor – die Rolle der Vereinigten Staaten. Sie sind eine Weltmacht, sie sind in außerordentlichem Maße der Garant der globalen Sicherheit und dies ist auch die besondere Rolle des Präsidenten der Vereinigten Staaten.

[…]

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Quelle: Prezydent Rzeczypospolitej Polskiej [Der Präsident der Republik Polen]: Londyn. Wywiad Prezydenta RP dla »Gościa Wiadomości«. [London. Interview mit dem Präsidenten der Republik Polen für die Nachrichtensendung »Der Gast der Nachrichten« des Senders Polnisches Fernsehen/Telewizja Polska – TVP.] https://www.prezydent.pl/aktualnosci/wypowiedzi-prezydenta-rp/wywiady/wywiad-prezydenta-rp-dla-goscia-wiadomosci-calosc,64758 (abgerufen am 12.04.2023).

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Analyse

Polens Außen- und Sicherheitspolitik im Angesicht des Kriegs im Osten Europas

Von Kai-Olaf Lang
Russlands Überfall auf die Ukraine ist für Polen Zäsur und Bestätigung: Zäsur, weil gegen Polens wichtigs-ten östlichen Partner ein Angriffskrieg im großen Maßstab erfolgte; Bestätigung, weil sich Warschau in seiner pessimistischen Einschätzung hinsichtlich des russischen Aggressionspotentials bekräftigt sieht. Polens außen- und sicherheitspolitische Großziele haben sich durch den Krieg keineswegs verändert, aber sie stehen in einem neuen, dramatisch veränderten Kontext. Nach wie vor geht es darum, die Sicherheit Polens im transatlanti-schen Geflecht zu gewährleisten und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes im Gefüge der europäischen Integration voranzubringen. Weiterhin, wenn auch mit immenser Dringlichkeit, geht es darum, Russlands Ausgreifen zurückzudrängen sowie die Ukraine und andere östliche Nachbarn zu schützen. Und immer noch geht es darum, Polens Gewicht in der Europäischen Union und der NATO auszubauen, um beide Organi-sationen im Sinne Warschaus zu festigen und fortzuentwickeln. (…)
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Artikel

Der Umbau der polnischen Justiz

Von Marta Bucholc, Maciej Komornik
Die seit Ende 2015 in Polen amtierende nationalkonservative Regierungspartei PiS hat faktisch die Gewaltenteilung aufgehoben. Mit einer Welle neuer Gesetze hat sie erst das Verfassungsgericht ausgeschaltet und dann wider die Verfassung nahezu die gesamte Justiz unter die Kontrolle der Exekutive gestellt. Sie hat die Institutionen des Rechtsstaats diskreditiert, ihr nicht genehme Richter aller Instanzen und Gerichtszweige als Mitglieder eines post-kommunistischen Klüngels diffamiert und auf der Basis der neuen Gesetze die Unfolgsamen entlassen. Bei der Berufung der Nachfolger spielt die Regierungspartei erstmals seit 1989 wieder eine zentrale Rolle. Ganz im Sinne der Ideologie der PiS ist an die Stelle pluralistischer Machtverteilung ein starker Staat getreten, der vorgibt, im Namen des Volks zu handeln.
Zum Artikel auf zeitschrift-osteuropa.de

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