Als die ersten Auswertungen der Parlamentswahl 2023 in Polen vorlagen, wurde deutlich, dass vor allem unter (jungen) Frauen die Wahlbeteiligung massiv gestiegen war. Diese hatten deutlich überdurchschnittlich für die Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO), Die Linke (Lewica) und Dritter Weg (Trzecia Droga – TD) gestimmt, womit es nicht zuletzt Polinnen waren, die den Regierungswechsel ermöglicht hatten (siehe Grafik im Anhang). Insbesondere das geltende fast völlige Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen hatte dabei im Vorfeld zu einer massiven Mobilisierung dieser Gruppe geführt. Themen wie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, aber auch Diskussionen um die Bedeutung von Mutterschaft oder Geschlechterrollen per se haben bereits seit dem Ende der Volksrepublik einen festen Platz im politischen Diskurs Polens, sichtbar nicht zuletzt in den Sitzungen des Sejm. Gerade dort entwickelte sich die Debatte diesbezüglich allerdings nur wenig weiter – die vorgetragenen Argumente wirk(t)en nicht selten wie der ewig gleiche Ton einer gesprungenen Schallplatte. Zugleich fällt auf, dass sozioökonomische Aspekte des sogenannten Transformationsprozesses im polnischen Parlament nur selten explizit diskutiert wurden. Die Frage, inwieweit Geschlecht zum »Platzanweiser« in der im Entstehen begriffenen Marktgesellschaft wurde, stand zu keinem Zeitpunkt auf der Agenda des Sejm. Dem Thema der Erwerbstätigkeit wohnt(e) eine solche Geschlechterdimension inne, wobei vor allem die Frage, welche Rolle (Care-)Arbeit für Frauen spielen sollte, im polnischen Parlament immer wieder verhandelt wurde. In der Mehrheit der Fälle geschah dies jedoch nur indirekt im Zuge von Debatten über Kinderbetreuung, Familie oder den bereits erwähnten Schwangerschaftsabbruch.
Zugleich stellten die Jahre 1989/90 keine fundamentale Zäsur dar; vielmehr waren viele geschlechterpolitische Entwicklungen nach dem Ende der Volksrepublik in ihren Grundzügen bereits in den 1980er Jahren angelegt. Deshalb blickt dieser Beitrag zurück in das letzte Jahrzehnt der Volksrepublik, um anhand politischer Debatten innerhalb der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza – PZPR) vor sowie des Sejm nach 1989 zu zeigen, dass gerade die Aushandlung von Geschlechterrollen über den Systemwechsel hinweg von vielen Kontinuitäten geprägt war.
Emanzipation durch Erwerbstätigkeit in der Volksrepublik Polen?
Offiziell garantierte die Verfassung der Volksrepublik Polen gleiche Rechte für Frauen und Männer, insbesondere im Bereich der Arbeit, zumal die Idee einer Emanzipation durch Arbeit ein Kernelement sozialistischer Überzeugungen darstellte. Dies galt zu Beginn auch für die Volksrepublik Polen, obgleich die meisten Führungskader der PZPR keineswegs von der Abkehr von einer vermeintlich natürlichen Geschlechterordnung überzeugt waren.
Bereits die letzten beiden Jahrzehnte der Volksrepublik Polen, insbesondere aber die letzte Dekade waren von einer zunehmenden Retraditionalisierung von Geschlechterrollen geprägt. Frauen war primär die Mutterrolle als Identität zugedacht, die vonseiten der PZPR – ganz in der Tradition des »Matka-Polka-Mythos« – vor allem für die »patriotische Erziehung« der Kinder verantwortlich gemacht wurden. Begründet wurde dies mit dem Schutz der Mütter sowie mit den besonderen Vorzügen einer häuslichen Erziehung für die Kinder. Nach der Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 erhielt die Rhetorik der PZPR eine zunehmend nationalkonservative Färbung, insbesondere die Frage der Geschlechterordnung. Auch war während des Kriegsrechts seitens des Militärrats zur Nationalen Rettung (Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego – WRON) von »Emanzipation durch Arbeit« keine Rede mehr. Vielmehr wurde die ideologische, politische und ökonomische Krise der Volksrepublik der 1980er Jahre auch als Krise der Geschlechterordnung gedeutet. Die Lösung selbiger lag für viele politische Akteure in einer Rückbesinnung auf traditionelle Geschlechterrollen und die »klassische« Familie. Unterstützt wurden diese Argumente sozialpolitisch durch einen Ausbau von Mutterschutzmaßnahmen und ein Erziehungsgeld, das bis zu drei Jahre nach der Geburt als Lohnfortzahlung diente. Zeitgleich verabschiedete sich die Volksrepublik zunehmend aus der staatlichen Kinderbetreuung, insbesondere für unter Dreijährige – ganz im Gegensatz zu anderen sozialistischen Staaten wie der DDR. Die Folge war, dass bereits in den späten 1980er Jahren nur vier bis fünf von 100 Kindern unter drei Jahren einen Betreuungsplatz in staatlichen Einrichtungen hatten. Damit lag die Volksrepublik deutlich näher an der im Hinblick auf Kinderbetreuung äußerst konservativen Bundesrepublik – mit ca. zwei Plätzen auf 100 Kinder – als an der DDR, wo es für rund 80 Prozent aller Kinder dieser Alterskohorte einen Betreuungsplatz gab. Allerdings lagen dieser konservativen Wende vonseiten des Staates bzw. der Partei weniger die Sorge um »die Frauen« zugrunde als vielmehr ganz handfeste politische Interessen. Einerseits versuchte die PZPR mit dieser Politik (teilweise erfolgreich) Brücken zur Opposition rund um die Solidarność sowie zur katholischen Kirche zu bauen. Vor allem Letztere hatte nach der Ernennung Karol Wojtyłas zum Papst deutlich an Einfluss gewonnen und in der Folge immer offensiver auf eine Abkehr vom »Irrweg« der Frauenemanzipation gedrungen, da diese die »heilige« Rolle der Frau als Mutter in Frage stelle. In der Solidarność-Gewerkschaft gewannen konservative Geschlechternarrative ebenso an Einfluss, und auch wenn es dort durchaus progressive Kräfte gab, wurden diese in geschlechterpolitischen Fragestellungen schnell an den Rand gedrängt. Ferner war die »Frauenfrage« angesichts der vermeintlichen Emanzipation und Bevorzugung von Frauen durch das Regime in den Augen vieler Oppositioneller diskreditiert: Polinnen galten aufgrund der vielen familienpolitischen Leistungen als Nutznießerinnen und damit als Verbündete des sozialistischen Staates. In dieser Lesart liegt auch die Gleichsetzung von Kommunismus und Feminismus durch konservative Kreise der Gewerkschaft begründet; ein Argument, das vor allem in den 1990er Jahren an Einfluss gewann und genutzt wurde, um Forderungen nach Gleichberechtigung zu diskreditieren. Andererseits steckte die Volksrepublik bereits seit Ende der 1970er Jahre in einer tiefen ökonomischen Krise, so dass der massive Ausbau des Mutterschutzes sowie des sogenannten Erziehungsgeldes auch dazu dienen sollten, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu senken – was in beschränktem Maße auch gelang –, um damit den Arbeitsmarkt zu entlasten.
Geschlecht als Platzanweiser im Transformationsprozess
Ein Blick in die frühen 1990er Jahre zeigt, dass sich der Diskurs, der Frauen primär für die Kindererziehung verantwortlich machte, verstärkte und zugleich ausdifferenzierte. In den politischen Debatten des Sejm machten viele der Abgeordneten (insbesondere solche, die dem rechten Flügel der Solidarność zuzurechnen waren) keinen Hehl daraus, dass sie sich in Bezug auf den Arbeitsmarkt eine Wiederkehr der »natürlichen Geschlechterordnung« wünschten. Gemeint war damit die Aufteilung in eine weibliche Sphäre, die Care-Arbeit beinhaltete, und eine männliche Sphäre, nämlich die Erwerbsarbeit. Es ist erstaunlich, mit welcher Vehemenz viele der Abgeordneten darauf beharrten, dass nur Mütter sich richtig um Kinder kümmern könnten und öffentliche Betreuungseinrichtungen für fast alle Übel der Welt verantwortlich seien. Väter kamen in diesen Debatten hingegen schlichtweg nicht vor. Vielfach war gerade diese Abkehr von der vermeintlich »verweiblichten« Volksrepublik für viele nationalkatholisch orientierte Politiker:innen konstitutiv für den neuen Staat, da in der Ablehnung der sinnbildlichen Traktoristinnen der Kern dessen lag, was sie sich für die postsozialistische polnische Gesellschaft erhofften.
Im liberalen und linken Spektrum wurde hingegen weiterhin am Ideal der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt festgehalten, wobei auch hier die Vorstellung vorherrschte, dass vor allem Frauen für die Kindererziehung verantwortlich seien. In der Konsequenz bedeutete dies angesichts fehlender oder teurer Kinderbetreuung faktisch eine massive Doppelbelastung. Das Versprechen des neoliberalen Systems, dass auch Frauen die Möglichkeit zum Aufstieg und zur freien Entfaltung in der Arbeitswelt hätten, erwies sich oft genug als Falle. Auf diese Weise wurde Care-Arbeit im politischen Diskurs weiterhin fast vollständig als »natürliche« Aufgabe der Frau konstruiert. Damit ging ein massiver Rückgang von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren wie auch für unter Sechsjährige einher; insbesondere auf dem Land brach die Versorgung fast völlig zusammen. Dieser Rückbau wurde nach dem Ende der Volksrepublik von allen Regierungen forciert bzw. in Kauf genommen, sei es aus ideologischen oder finanzpolitischen Gründen. Folglich stand in der Regel nur gut ausgebildeten Großstädterinnen die Möglichkeit zu einer »Karriere« offen. Viele andere Frauen waren von einer massiven Benachteiligung betroffen und trugen die Hauptlast des Systemwechsels. Polinnen waren nicht nur dadurch benachteiligt, dass sie in der Regel die Kinderbetreuung übernahmen; auch auf dem Arbeitsmarkt wurden sie direkt diskriminiert – so war zu Beginn der 1990er Jahre ein Großteil der Stellen explizit für Männer ausgeschrieben. Diese Praxis geschlechterspezifischer Stellenangebote rührte noch aus der Volksrepublik und sollte erst Mitte der 1990er Jahre geändert werden. Aber auch rechtlich wurden Polinnen anders behandelt. Auffällig ist, dass diese Ungleichbehandlung von Frauen und Männern im Bereich der Arbeit – vor wie nach dem Ende der Volksrepublik – meist mit dem Schutz von Frauen begründet wurde: welche Berufe für Frauen erlaubt werden sollten oder nicht, weshalb das Renteneintrittsalter für Frauen um fünf Jahr niedriger lag oder der Mutterschutz ausgeweitet wurde. Diese Argumente waren dabei nicht selten vorgeschoben. So zeigt sich, dass oft nicht unbedingt schwerere Arbeit, sondern der Zugang zu besser bezahlter Arbeit für Frauen verschlossen war und sowohl die Ausweitung des Mutterschutzes als auch das frühere Renteneintrittsalter von Frauen vor allem einen funktionalen Charakter für den Staat hatten. Care-Arbeit durch Mütter oder Großmütter anstatt durch staatliche Betreuungseinrichtungen sparte Geld und trug zur »Lösung« des Überangebots an Arbeitskräften bei. Zugleich wurden die sozialen Folgen dieser vermeintlichen Privilegierung von Frauen – so die Behauptung – kaum aufgefangen. Diese waren schlechtere Karrierechancen und Bezahlung, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt sowie niedrigere Renten und nicht zuletzt die massive ökonomische Abhängigkeit von ihren Partnern. Vor allem in der sogenannten Transformationskrise in den 1990er Jahren, als der konservative Diskurs auf massive soziale Kürzungen und eine hohe Arbeitslosigkeit traf, wurden diese »Vorteile« häufig zu »Nachteilen«.
Den Preis zahlen die Polinnen
Die Auswirkungen dieses Geschlechterdiskurses und der seitens des Staates implementierten Geschlechterpolitik waren enorm. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist bis zum heutigen Tag niedriger als 1990 – ganz im Gegensatz zum europäischen Durchschnitt und zu anderen Transformationsstaaten wie der Tschechischen Republik. Vom einstigen Vorreiter bei der Einbeziehung von Frauen in den Erwerbsmarkt wurde Polen zum Nachzügler. Bereits ab 1980 ist ein leicht negativer Trend bei der Frauenerwerbstätigkeit zu beobachten, der sich nach 1989/90 massiv verstärkte. Der Systemwechsel wirkte sich also keineswegs »neutral« auf Polinnen aus, sondern vielmehr waren diese überdurchschnittlich von Kürzungen und einem zunehmend konservativen Diskurs betroffen. Aber auch innerhalb der Gruppe der Frauen lassen sich zunehmende Unterschiede ausmachen. Im Zuge des Systemwechsels stieg vor allem die Erwerbsquote von Frauen mit Hochschulabschluss und vielfach gutem Einkommen stark an, was eine niedrige Arbeitslosenquote und ein weitgehendes Aufschließen zum Gehalt der Männer zur Folge hatte. Deutlich schlechter sah es in der Gruppe mit Primärbildung aus, die unter starker Arbeitslosigkeit litt, wobei in dieser Gruppe Frauen wie Männer gleichermaßen betroffen waren. Den größten Geschlechterunterschied gab und gibt es in der »Mitte«. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit einer Berufsausbildung oder einem mittleren Bildungsabschluss sank massiv ab; zudem waren Frauen hier weit überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Insgesamt aber lag bzw. liegt die Arbeitslosigkeit von Polinnen seit 1990 immer über der von Polen (siehe zum Vorangegangenen auch die Grafiken im Anhang).
Das bedeutet allerdings nicht, dass sich seit den 1990er Jahren nichts geändert hätte. Auf rechtlicher Ebene erzwang spätestens der EU-Beitritt 2004 die weitgehende Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt. Dabei ist zu beobachten, dass viele dieser »Gleichstellungsthemen« im Sejm kaum als positive Errungenschaften diskutiert, sondern verabschiedet wurden, um den Vorgaben des Acquis communautaire der Europäischen Union zu genügen. Dies ist sicherlich einer der Gründe dafür, dass gerade in Bereichen wie Geschlechtergerechtigkeit viele Hoffnungen und Ängste auf die Europäische Union projiziert werden.
Ferner stieg der Anteil von Frauen im Sejm von unter 10 Prozent im Jahr 1991 auf mittlerweile rund 30 Prozent an (siehe Grafik im Anhang), was allerdings nichts daran änderte, dass kaum über sozioökonomische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gesprochen wurde. Vielmehr waren und sind Debatten um Mutterschaft und Schwangerschaftsabbruch nach wie vor diskursprägend. Dies gilt beispielsweise für die Diskussion um das Erziehungsgeld »Familie 500 plus« (Rodzina 500 plus), das 2016 die Regierung von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) eingeführt hat und auch von der neuen Regierung unter Donald Tusk beibehalten wird. Ohne dieses bewerten zu wollen, fällt auf, wo die Prioritäten liegen: in der häuslichen Betreuung, nicht aber im Ausbau von Betreuungseinrichtungen.
Polinnen in der Europäischen Union – neue Chancen und alte Debatten
Die polnische Zivilgesellschaft war und ist in geschlechterpolitischen Fragestellungen deutlich progressiver als die sie repräsentierenden Sejmabgeordneten. Vor allem nach 2000 bildeten sich immer mehr feministische Gruppierungen, die Gleichberechtigung einforderten – sinnbildlich dafür steht das 2001 in Warschau erschienene Buch Świat bez kobiet. Płeć w polskim życiu publicznym [Eine Welt ohne Frauen. Geschlecht im polnischen öffentlichen Leben] von Agnieszka Graff. Diese Gruppen forderten eine stärkere politische Beteiligung sowie ein Ende der Diskriminierung von Frauen und zunehmend auch eine gerechtere Verteilung der Care-Arbeit. Gleichzeitig waren diese Gruppen vielfach einem liberalen Feminismus verhaftet, der eher akademisch blieb und ökonomische Ungleichheit, Fragen von Stadt und Land usw. oft vernachlässigte. Dies hat sich im letzten Jahrzehnt geändert. In der Wissenschaft plädieren Forscherinnen wie Agnieszka Mrozik oder Kristen Ghodsee für eine stärkere Berücksichtigung sozioökonomischer Unterschiede und damit einhergehend für eine Rückbesinnung auf positive Errungenschaften der Volksrepublik (sowie eine explizit polnisch-feministische Traditionslinie) im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit. Andere wie Éva Fodor oder Nanette Funk weisen dies zurück und sehen im Staatssozialismus ostmitteleuropäischer Prägung keine emanzipatorischen Ansätze. Aus historischer Perspektive spricht einiges dafür, keine Schwarz-Weiß-Bilder zu malen; vielmehr erscheint es sinnvoll, beide Systeme vorurteilsfrei in ihren Errungenschaften und Defiziten zu analysieren. Dabei werden jeweils emanzipatorische Ansätze deutlich und zugleich zeigt sich, dass sowohl die PZPR wie auch alle Regierungen nach 1989/90 Geschlechterpolitik nach machtpolitischen Überlegungen zu ihrem Vorteil nutzen. Die Vergeschlechtlichung von Arbeit, die Aufteilung in (unbezahlte) Care- und bezahlte Erwerbsarbeit war und ist immer auch ein Herrschaftsinstrument. Insofern lohnt es sich, den Systemwechsel aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive zu betrachten und neben Unterschieden bestehende Kontinuitäten aufzuzeigen.
Abseits der Wissenschaft werden ebenfalls neue Ansätze gesucht. Insbesondere mit dem Czarny Protest (»Schwarzer Protest«) ab dem 3. Oktober 2016 erfuhren feministische Überzeugungen in Polen eine neue Breitenwirkung. In allen polnischen Großstädten, aber auch in kleineren Gemeinden und im Ausland demonstrierten Pol:innen in schwarzer Kleidung und mit Kleiderbügeln, um auf die Zehntausende illegaler Abtreibungen und deren häufig lebensbedrohliche Konsequenzen für Frauen aufmerksam zu machen. Gerade der politische Einfluss der katholischen Kirche wurde im Zuge dessen erstmals offensiv und radikal herausgefordert, etwa wenn Aktivist:innen während Messen die Rechte von Frauen einforderten.
Auf den ersten Blick hatten diese Proteste wenig mit Erwerbstätigkeit zu tun, auf den zweiten hingegen sehr viel. Sie hinterfragten vermeintlich traditionelle Geschlechterrollen und Narrative, sie zwangen die Politik, sich geschlechterpolitischen Problemen zu stellen, und verbanden diese zunehmend mit Fragen der sozioökonomischen Auf- und Abwertungen anhand von Geschlecht. Dabei spielte gerade die Politik der PiS nach 2015 eine entscheidende Rolle, zumal sie eine neue außerparlamentarische Opposition entstehen ließ, eine Verbreitung feministischer Ideen nach sich zog und Parteien wie die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), die sich in geschlechterpolitischen Fragen gerne »neutral« gegeben hatten, zu einer Positionierung zwang. Zudem radikalisierte und mobilisierte gerade die Aggressivität der PiS-Politik die Protestbewegung. Schließlich zeigte die PiS aber auch, dass – entgegen den Beteuerungen vorheriger Regierungen – Geld für sozialpolitische Maßnahmen vorhanden war und diese keinesfalls den sofortigen Staatsbankrott bedeuteten, womit sie einen neuen Möglichkeitsrahmen schuf, auch für progressive sozialpolitische Maßnahmen.
Ausblick
Die Proteste der Pol:innen haben in den vergangenen Jahren viel erreicht. Mit der neuen Regierung aus KO, Dritter Weg und Die Linke verbinden viele Pol:innen nun die Hoffnung auf einen Neuanfang. Und doch wird sich zeigen müssen, ob auch im geschlechterpolitischen Bereich fundamentale Veränderungen möglich sein werden. Dass diesbezüglich innerhalb der neuen Koalition keine völlige Einigkeit herrscht, beginnt sich bereits beim Thema Schwangerschaftsabbruch abzuzeichnen. Zudem bleibt fraglich, ob es beispielsweise gelingen kann, eine Wende in der öffentlichen Kinderbetreuung zu erwirken. Entscheidend wird sein, ob der an nationalkatholischen Überzeugungen orientierten Sozialpolitik der PiS eine progressive Alternative entgegengesetzt werden kann.
Schließlich bleibt festzuhalten, dass beispielsweise die Erwerbsquote von Polinnen noch immer nicht den Stand von 1990 erreicht hat und sich der Gender-Pay-Gap in Polen seit einigen Jahren nicht mehr verkleinert. Auch zur gerechteren Verteilung von Care-Arbeit scheint es (wie fast überall) noch ein langer Weg zu sein. Was allerdings hoffnungsvoll stimmt, ist die in den letzten Jahren entstandene Bewegung, die sich aus den Debatten der 1990er Jahre gelöst hat und auch in geschlechterpolitischen Fragestellungen konkrete Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verlangt. Neue Perspektiven – vor allem aus der queeren Community, von Migrant:innen aus der Ukraine, die besonders von prekären Arbeitsbedingungen betroffen sind, aber auch von Landbewohner:innen – können so in den politischen Diskurs aufgenommen werden und ihn bereichern.