Deutsch-polnische Regierungskonsultationen am 2. Juli 2024, Pressekonferenz

Deutschland und Polen sind strategische Partner und Verbündete. Wie die Beziehung der beiden Nachbarn künftig noch enger werden kann, darüber haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Polens Ministerpräsident Donald Tusk sowie Mitglieder beider Regierungen bei den 16. Deutsch-Polnischen Regierungskonsultationen in Warschau ausgetauscht.

Warschau, 2. Juli 2024

Mitschrift der Pressekonferenz(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simu­ltan­dolmetschung.):

Ministerpräsident Tusk: Herzlich willkommen, meine Damen und Herren. Noch einmal begrüße ich aufs Herzlichste Herrn Bundeskanzler. Lieber Olaf, ich freue mich sehr, dass wir uns heute treffen konnten, hier in Warschau, hier in diesem tollen Format der Regierungskonsultationen. Das heißt, beide Ministerräte konnten sich an einem Ort austauschen. Es gab genug Themen, um zu diskutieren und sich auszutauschen. Nach vielen Jahren haben wir uns zum ersten Mal in diesem Format wiedergetroffen. Es war unsere Absicht, hier den deutsch-polnischen Beziehungen, der Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern, neue Impulse zu verleihen.

In diesen Zeiten der russischen Aggression gegen die Ukraine, in Zeiten der politischen Schwierigkeiten, sollte keiner Zweifel daran haben, wie wichtig die deutsch-polnische Zusammenarbeit ist. Wir hatten eine freundschaftliche Atmosphäre. Es ging hier um eine europäische gemeinsame Politik für die Zukunft der Ukraine, um zugunsten dieser Zukunft gemeinsam zu agieren, um die Zukunft der Europäischen Union aufzubauen. Wir haben beschlossen, mehr in diesen gemeinsamen Formaten zusammenzuarbeiten. Das wurde auch heute bei den Konsultationen beschlossen.

Wir sind von Anfang an bemüht, weiterhin eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens aufzubauen. Auch wenn wir unterschiedliche Meinungen haben, arbeiten wir daran, wie gemeinsame Lösungen gefunden werden können. Das ist ein Schwerpunkt, eine Priorität.

[…]

Unser Projekt, das Ostschild, ist – gemeinsam mit dem Projekt der baltischen Staaten – ein infrastrukturelles Projekt, das die Sicherheit der europäischen Außengrenzen stärken soll.

Ich habe keine Zweifel, dass es auch im Interesse des deutschen Staates liegt, dass diese Grenze auf eine effiziente Art und Weise geschützt werden kann und Europa, Deutschland und Polen auch im Fall einer Aggression seitens der östlichen Grenze sicher sind. Das bedarf koordinierter gemeinsamer Aktivitäten, was das Entgegenwirken illegaler Migrationen anbelangt. Unsere beiden Staaten sind ein Opfer des organisierten Vorgehens, das von Putin und Lukaschenko organisiert wird. Unsere Grenze wird jeden Tag attackiert. Deutschland ist das Hauptziel dieser illegalen Migration. Das heißt, wir haben ein gemeinsames Interesse, dem entgegenzuwirken.

[…]

Die deutsch-polnische Zusammenarbeit ist sehr wichtig, auch in der Dimension der europäischen Werte und Fundamente. Es ist kein Zufall, dass sich unsere Ministerinnen und Minister über Kultur, über Werte, ausgetauscht haben und sie dem so viel Zeit gewidmet haben wie den Fragen der Rechtsstaatlichkeit.

Es wäre mein Wunsch – auch der Herr Bundeskanzler hat den Wunsch –, dass die deutsch-polnische Zusammenarbeit Europa stabilisiert – als ein politisches Gebilde, eine politische Organisation. Ich wünsche mir, dass unsere Maßnahmen und Aktivitäten diese Grundwerte stabilisieren und stärken, die an verschiedenen Orten in Europa gefährdet sind, etwa durch Angriffe von extremen politischen Kräften, von radikalen Kräften.

Dieser Raum ist geradezu dafür geschaffen, dass Deutschland und Polen zusammenarbeiten. Unsere Beziehungen können ein Vorbild für viele andere Länder sein, auch weltweit.

Die deutsch-polnischen Beziehungen beruhen auf Frieden, Freiheit, internationaler Ordnung, Sicherheit, europäischer Rechtsordnung. Wir werden in den nächsten Wochen, Monaten und Tagen über viele Dinge weiter diskutieren. Als Historiker habe ich eine Lektion in meinem Kopf, im Herzen. Gleichzeitig bin ich ein polnischer Politiker, der in Danzig geboren wurde und alle komplizierten Verflechtungen unserer gemeinsamen Geschichte gut versteht.

Die Lehre, die wir gemeinsam zu ziehen haben – eine Lektion, die in der Geschichte verwurzelt ist –, ist die folgende: Kein anderes Volk wie das deutsche und das polnische sollten ein solches Gefühl der Verantwortung für den Schutz Europas vor Außengefahren haben – Polen als eines der größten Opfer des Zweiten Weltkriegs, Deutschland als Täter und Verursacher dieser Tragödie des Zweiten Weltkriegs. Als europäische Völker sollten sie heute gemeinsam dafür Sorge tragen, dass Europa sicher ist, dass sich die Tragödie des Krieges auf unserem Boden nie wiederholen darf.

Deshalb: Abgesehen von unseren Interpretationen, manchmal Streitigkeiten in Bezug auf die Details und die Techniken, wie wir es zu bewerkstelligen haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass Deutschland nicht zu einer führenden Nation wird in Sachen gemeinsamer europäischer, darunter polnischer Sicherheit. Darüber haben wir uns auch lange ausgetauscht. Ich bin sehr glücklich und froh darüber, dass dafür volle Offenheit und Verständnis seitens des Bundeskanzlers Olaf Scholz herrscht.

Nichts ist zu Ende gegangen, nichts hat angefangen. Wir sind inmitten dieses langen Prozesses der Normalisierung zunächst der deutsch-polnischen Beziehungen, dann des Aufbaus einer gemeinsamen europäischen Familie, dessen Teil unsere Völker sind. Die deutsch-polnischen Beziehungen haben verschiedene Phasen durchgemacht. Wie Sie wissen, verweigert mir niemand Kompetenzen, was die deutsch-polnischen Angelegenheiten anbelangt. Manche machen das bösartig, manche mit Enthusiasmus. Aber ich glaube, wir beide sind am richtigen Ort, um Sorge tragen zu dürfen, dass diese Beziehungen wirklich Beziehungen sind, die von gegenseitigem Vertrauen gekennzeichnet sind, von Geduld, wenn dies notwendig ist.

Wir sind auf dem guten Weg, auf dem richtigen Weg, um mit Überzeugung von Freundschaft zwischen unseren Völkern sprechen zu können. Auch andere Staaten warten auf dieses Kommuniqué, sei es wegen der Kämpfe in der Ukraine. Alle schauen sich die deutsch-polnischen Beziehungen mit Hoffnung an. Denn sie können verschiedene interessante Möglichkeiten eröffnen – für ganz Europa, für die Ukraine, für Deutschland und aus meiner Sicht natürlich vor allem für Polen.

Vielen Dank also für dieses Treffen. Wir beginnen ernsthaft, an den Details zu arbeiten. Ich hoffe, Deutschland und Polen werden von ganz Europa mit einem sicheren Europa assoziiert. Daran wollen wir intensiv arbeiten.

Noch einmal vielen herzlichen Dank.

Bundeskanzler Scholz: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Donald, dzień dobry! Ich freue mich sehr, heute hier bei Ihnen in Warschau zu sein. Das ist ein gutes Treffen, und es hat einen guten Verlauf genommen. Ich möchte mich deshalb im Namen der gesamten Bundesregierung für die Einladung und die Gastfreundschaft bedanken, die wir hier erfahren haben.

Zehn Bundesministerinnen und Bundesminister, zwei Staatsministerinnen und der Beauftragte für die Beziehungen zu Polen sind heute hierhergekommen – ein ganz deutliches Zeichen, welche Bedeutung gute Beziehungen zu Polen für die deutsche Regierung haben.

Wir haben eine sehr klare Botschaft im Gepäck: Deutschland und Polen sind gute Nachbarn, enge Partner und verlässliche Freunde, und wir wollen eine neue Dynamik für unsere Zusammenarbeit schaffen. In vielen Bereichen gibt es großes Potenzial für eine noch engere Partnerschaft in der Zukunft.

Mit dem heute beschlossenen deutsch-polnischen Aktionsplan vereinbaren wir eine ganze Palette von Themen und Projekten, an denen Deutschland und Polen in den nächsten Jahren konkret zusammenarbeiten werden – zum Wohle unserer beiden Staaten, aber auch zum Wohle des Friedens und der Sicherheit in Europa und für unsere gemeinsame Prosperität.

[…]

Die enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Polen ist für uns ganz zentral. Deutschland wünscht sich eine starke polnische Stimme in Europa. Um eine gute Zukunft gestalten zu können, ist natürlich ein unverstellter Blick auf die Vergangenheit unverzichtbar.

In diesem Jahr jährt sich der Warschauer Aufstand zum 80. Mal und der entsetzliche brutale deutsche Überfall auf Polen zum 85. Mal. Wir Deutsche haben im Zweiten Weltkrieg unermessliches Leid über die polnischen Bürgerinnen und Bürger, unsere Nachbarn, gebracht. Deutschland weiß um die Schwere seiner Schuld, um seine Verantwortung für die Millionen Opfer der deutschen Besatzung – und um den Auftrag, der daraus erwächst. Deutschland wird sich deswegen auch um Maßnahmen zur Unterstützung der noch lebenden Opfer des deutschen Angriffs und der Besatzung in den Jahren 1939 bis 1945 bemühen.

Deutschland wird außerdem das Erinnern und Gedenken an unsere leidvolle gemeinsame Geschichte stärken. Dafür hat das Bundeskabinett vergangene Woche beschlossen, in Berlin einen Ort des Gedenkens zur Erinnerung an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Besatzung zu errichten. Das Deutsch-Polnische Haus soll ein sichtbares Zeichen gegen das Vergessen und eine Mahnung für die Zukunft sein.

Besonders wichtig: Unsere Verantwortung für die Vergangenheit bedeutet auch Verantwortung für unsere gemeinsame Zukunft, für die Verteidigung unserer Werte, unserer Sicherheit und unserer Freiheit. Die Sicherheit Deutschlands und Polens sind untrennbar miteinander verbunden. Das heißt, die Sicherheit Polens ist auch Deutschlands Sicherheit. Dafür stehen wir ein – als Nachbarn, als Alliierte in der NATO und als Partner in der Europäischen Union. Unsere Solidarität und unser gemeinsames Handeln sind unsere gemeinsame Stärke.

In diesem Bewusstsein werden wir unsere Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung gezielt ausbauen und unsere Fähigkeiten bündeln und miteinander abstimmen. Ganz konkret heißt das: Gemeinsam übernehmen wir eine Führungsrolle im Ostseeraum und beim Schutz der NATO-Ostflanke.

[…]

Deutschland und Polen sind enge Partner und treue Verbündete, die Europa gemeinsam zusammenhalten, verteidigen und für die Zukunft weiterentwickeln wollen, ohne dabei den Blick von den düsteren Kapiteln der Vergangenheit zu nehmen.

Lieber Donald, ich bedanke mich noch einmal sehr für den freundlichen Empfang hier in Warschau. Ich bin gern und oft hier.

Fragerunde im Anschluss:

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben über die Vergangenheit und über das Bewusstsein der Schwere der Schuld gesprochen. Warum ist es dann nicht gelungen, hier konkrete Maßnahmen und Zahlungen für die noch lebenden Opfer der NS-Herrschaft und der Besatzung zu finden? Diese Opfer sind sehr alt. Es gibt, glaube ich, noch 40.000. Sie haben keine Zeit mehr. Wann soll hierzu etwas Konkretes beschlossen werden, und wie wird es aussehen?

(auf Polnisch) Herr Premierminister, sind Sie enttäuscht, dass es nicht gelungen ist, hier diese konkrete Hilfe für die Opfer der deutschen Besatzung zu beschließen? Wie kann man das der polnischen Öffentlichkeit erklären, und welcher Teil der polnischen Bevölkerung ist der Auffassung, dass die Entschädigungsansprüche in Höhe von über einer Milliarde Euro, die gestellt wurden, richtig sind?

Bundeskanzler Scholz: Zunächst einmal schönen Dank für die Frage, auch wenn Sie für mich ein bisschen unverständlich ist. Denn es ist doch ganz klar, dass Erinnerung und Aufarbeitung für uns niemals abgeschlossen sein werden. Deutschland steht zu seiner historischen Verantwortung ohne Wenn und Aber.

Deshalb steht die Bundesregierung zu Fragen der Erinnerung und Aufarbeitung immer im Austausch mit der polnischen Regierung. Wir arbeiten konstant daran, dass wir Verbesserungen erreichen können. Was die Frage von Reparationen betrifft, ist bekannt, wie die Rechtsposition der Bundesregierung ist. Aber das ändert nichts daran, dass wir uns immer wieder und immer wieder neu darum kümmern, wie wir Dinge verbessern können. Deshalb habe ich hier erwähnt, dass wir auch dazu weiterhin Vorschläge machen und Dinge vorantreiben werden, übrigens aus eigener Initiative heraus, weil wir glauben, dass wir diese Verantwortung haben. Darauf kann sich jeder verlassen. Zum Beispiel die Situation älterer Opfer ist eine, die uns sehr bewegt. Diesbezüglich werden wir auch Aktivitäten unternehmen.

Ministerpräsident Tusk: Ich bin keineswegs enttäuscht von dem Vorschlag, von der netten Geste des Herrn Bundeskanzlers und der deutschen Bundesregierung. Denn es gibt keine Gesten, die für die Polinnen und Polen wirklich vollständig zufriedenstellend wären. Es gibt keinen Geldbetrag, der für das alles entschädigen könnte, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist. Dabei gibt es zwischen uns beiden auch keine Meinungsunterschiede.

Aus rechtlicher Sicht ist das Reparationsproblem in Verträgen und Regierungsentscheidungen beschrieben worden. Aber es gibt verschiedene Konsequenzen, und man kann verschiedene Schlussfolgerungen, was dies alles an und für sich bedeutet, daraus ziehen.

Für mich ist es wichtig, dass ich heute Worte und Erklärungen gehört habe, die bestätigen, dass in Polen eine allgemeine Überzeugung herrscht, dass die durch die Geschichte erzwungenen Verzichte auf Reparationen die Tatsache nicht verändern – von dieser Tatsache hat auch Herr Bundeskanzler soeben ganz offen gesprochen –, wie viele tragische, schreckliche Verluste an Menschen, an Vermögen, an Territorien Polen infolge der deutschen Aggression hinnehmen musste.

Wenn wir heute hören, nicht im Kontext der Reparationen, dass Deutschland bereit ist, Entscheidungen zu treffen, die imstande wären, jene zu entschädigen, die unmittelbare Opfer des Krieges waren – auch das Gedenken, das ist ganz wichtig für mich –, dass Deutschland bereit ist, mitverantwortlich zu zeichnen für die Sicherheit des gesamten Kontinents, dann wäre das für mich perspektivisch das Glaubwürdigste, was man unternehmen könnte, was auch dem entsprechen könnte, was einst passiert ist. Das heißt, Deutschland ist dazu bereit, viel mehr Verantwortung für die Sicherheit des Kontinents zu übernehmen, dass es bei uns und in Europa keinen Krieg geben wird. Das alles sind Schritte, die in die richtige Richtung gehen.

Kann das die Verluste irgendwie ausgleichen, die Polen im Zweiten Weltkrieg erlitten hat? – Selbstverständlich nicht.

Ich möchte sehr, und Herr Bundeskanzler – das ist mein Eindruck – steht auf der gleichen Seite, dass die Gespräche über die Wiedergutmachung der Verluste, der Leiden, dass die Initiative des Gedenkens, das Deutsch-Polnische Haus, eben dieser Ort des Gedenkens in Berlin, dass auch Gespräche über unsere militärische Zusammenarbeit zugunsten unserer Sicherheit, dass dies gute Beziehungen zwischen Deutschland und Polen aufbauen kann, dass dies nie wieder zum Gegenstand eines diplomatischen Krieges werden kann, ganz zu schweigen von einem wahren Konflikt. Wenn es deutliche Unterschiede zwischen der jüngsten Vergangenheit und dem, was wir heute machen, gibt, dann werden wir natürlich nach Lösungen suchen wollen, die für Polen zufriedenstellend sind, aber nicht im Geiste einer politischen Konfrontation, sondern im Geiste eines gegenseitigen Vertrauens.

So sehe ich auch die heutigen Worte des Herrn Bundeskanzlers als einen Schritt in die richtige Richtung. Die Zukunft wird zeigen, ob sich diese meine Erwartungen und Hoffnungen auf solide Fundamente stützen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir, anders als es in den letzten Jahren der Fall war, konkrete Effekte erreichen können. Auf diesen Effekten werden wir später auch das Vertrauen aufbauen können.

Enttäuscht bin ich über die Geschichte der letzten hundert Jahre in diesem Teil Europas. Verschiedene Episoden haben mich enttäuscht. Aber heute bin ich aufgebaut, weil wir wirklich die große Bereitschaft haben, über diese Themen zu sprechen.

[…]

Frage: Ich habe eine Frage zu den Erklärungen, die wir gehört vom Herrn Bundeskanzler gehört haben. Es geht um die Einrichtung eines deutsch-polnischen Hauses und um die Wiedergutmachung für Überlebende im Rahmen einer moralischen Entschädigung. Wird das umgesetzt? Werden nächste Maßnahmen geplant, und wenn ja, dann welche? Was sind die Termine, was ist der zeitliche Ablauf für die Umsetzung dieser Beschlüsse, und warum wird das heute der Öffentlichkeit bekannt gegeben?

Ministerpräsident Tusk: Diese Absichten der deutschen Bundesregierung und des Herrn Bundeskanzlers – wir sprechen von Absichten – sind nicht gegen irgendetwas gerichtet, sondern sie ergeben sich aus einem natürlichen Bedürfnis, auch aus ethischen und politischen Überlegungen heraus; das ist also ein Bedürfnis der deutschen Seite. Wir haben uns auch ganz ehrlich und aufrichtig gesagt: Das ersetzt keineswegs das, was Polen verloren hat und was Polen an Verlusten erlitten hat; da kann man überhaupt keine Vergleiche anstellen. Das kann aber sehr gut dazu dienen, dass diese deutsch-polnischen Beziehungen sich erneut öffnen. Auch gute Gesten sind in der Politik sehr wichtig. Ob das wirklich etwas öffnet, werden wir sehen. Das schließt nichts ab, aber das ist schon etwas in solchen sehr empfindlichen, schwierigen Angelegenheiten. Wir beide, der Herr Bundeskanzler und ich, suchen auch nach entsprechenden Methoden, nach adäquaten Worten. Wir sind uns beide dessen bewusst, wie viele empfindliche Angelegenheiten wir hier berühren, und das ist auch ein Ergebnis des heutigen Treffens. Niemand will jemanden irgendwie in einer Sache gegen jemanden, gegen etwas ausspielen.

Was das Thema Reparationen anbelangt, so gab es den Verzicht in kommunistischer Zeit. Das Zweite ist, was wir als Polen von Deutschland gebührend bekommen sollten. Das sagt auch Herr Bundeskanzler, und das ist der große Vorteil dieses Treffens. Aus formeller, aus rechtlicher Sicht sind die Reparationen ein abgeschlossenes Kapitel, und es gibt keinerlei Argumente dagegen. Auch die linke, die sozialdemokratische und die PiS-Regierung – sei es Premierminister Miller oder auch Frau Ministerin Fotyga – haben alle paar Jahre bestätigt, dass die Beschlüsse von einem formellen Verzicht auf Reparationen sprechen. Hier gab es keine Überraschungen. Das Wichtigste ist aber, dass gewisse Fenster und Türen geöffnet werden, wo es möglich ist, und man miteinander auf aufrichtige, ehrliche Art und Weise darüber spricht, wer welche Limits, welche Einschränkungen, welche Prioritäten, welche Schwerpunkte hat und was die Situation in dem einen oder anderen Staat ist. Darüber können wir offen sprechen. Wir verstehen uns gegenseitig. Ich bemühe mich zu verstehen, welche Beschränkungen Sie haben, Herr Bundeskanzler, und der Herr Bundeskanzler versteht auch meine Einschränkungen, meine Limits. Das ist auch ein guter Anfang für gute Gespräche zu anderen Themen.

Sie haben noch gefragt, warum es gerade am heutigen Datum zur Umsetzung dieser Beschlüsse kommt. Die Antwort ist: Weil heute diese Konsultationen stattfinden. Diese Konsultationen sind gerade zu Ende gegangen. Es wäre ja verwunderlich, wenn wir das beim Treffen mit dem portugiesischen Premierminister bekannt machen würden; denn da wäre keiner da, dem man das erklären sollte. Das ist also ein Augenblick, der sich natürlich ergibt, um diese Absichten Deutschlands bekannt zu geben.

Ich kann Sie auch noch einmal beruhigen, was Ihre Frage angeht, wie die Arbeit unserer Teams konkret aussehen soll: Das ist dort viel weiter fortgeschritten. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen auf konkreter Ebene Bescheid, was getan werden kann und wie es getan werden kann. Es wird hier keiner irgendwie getrieben, aber glauben Sie mir: Das alles ist »in progress«, und nicht erst in einigen Jahren, sondern vielleicht schon in einigen Monaten werden Sie sehen, was die Ergebnisse dieser konkreten Arbeiten sind.

Bundeskanzler Scholz: Alles ist gesagt, aber vielleicht noch eine Ergänzung von mir: Was wir tun, tun wir, weil es uns ein Bedürfnis ist und weil wir uns mit Blick auf die Verantwortungen, die wir haben, moralisch und von ganzem Herzen verpflichtet fühlen. Deshalb ist es uns auch wichtig, das tun zu dürfen.

Quelle: Die Bundesregierung. https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/europa/deutsch-polnische-regierungskonsultationen-2024-2295270 (abgerufen am 09.10.2024).

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Analyse

Mühsamer Wiedereinzug der Demokratie – das erste Jahr der Regierung Tusk

Von Stefan Garsztecki
Ein knappes Jahr nach Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO) mit Ministerpräsident Donald Tusk und seinen Koalitionspartnern Die Linke (Lewica) und Dritter Weg (Trzecia Droga) sind die Umfragewerte für die aktuelle Regierung zwar gut, aber Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) liegt im September respektive im Oktober nur wenig hinter der KO. Ein Wahlsieg der Opposition ist also bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr nicht ausgeschlossen. Umso wichtiger wäre für die Regierung die Aufarbeitung der acht Regierungsjahre der PiS, der unter anderem die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips, die Vereinnahmung der öffentlich-rechtlichen Medien und auf dem Feld der Außenpolitik die Isolierung Polens vorgeworfen wird. Ein Jahr nach Amtsantritt sind die Veränderungen im Bereich der Innenpolitik aber noch nicht sehr weit gediehen, da ohne einen Präsidenten aus dem eigenen Lager eine nachhaltige Umgestaltung schwerfällt. So bleibt es bisher vor allem bei parlamentarischen Untersuchungskommissionen und dem Abbau des PiS-Umfeldes in Medien und staatlichen Institutionen. (…)
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