Berlin auf der Karte der polnischen Kunst

Von Nawojka Ćieślińska-Lobkowicz (Warschau/Starnberg)

Zusammenfassung
Das künstlerische Berlin war seit Aufbruch der Avantgarde des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik für die modernen Künstler aus Osteuropa, u. a. auch für polnische, eine attraktive Alternative zu den eigenen, eher konservativen und in sich geschlossenen Kreisen. Mit der nationalsozialistischen Herrschaft nahm diese Tradition zwangsläufig ein jähes Ende und geriet nach Entstehen der zwei gegnerischen politischen Blöcke in Europa bis 1989 in Vergessenheit. 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung fragt die Autorin, welche kulturelle Position Berlin heute einnimmt. Waren der Optimismus und die hohen Erwartungen, die nach dem Mauerfall nicht zuletzt aus polnischer Perspektive aufkeimten, berechtigt oder aber zu übertrieben und ohne reellen Rückhalt? Die Antwort der Analyse lautet: Ja und nochmals ja: berechtigt, aber vieles liegt noch vor uns. Dafür steht unter anderen der polnische Künstler Artur Żmijewski, der zum Kurator der siebenten Berliner Biennale of Contemporary Art ernannt wurde, die 2012 stattfinden wird.

Vor fast zwanzig Jahren, im Juni 1991, entschied der Bundestag, seinen Sitz und Teile der Regierung von Bonn nach Berlin zu verlegen. Diese Entscheidung weckte unter zahlreichen polnischen Politikern und Deutschlandkennern Ressentiments und Bedenken. Professor Bronisław Geremek, damals Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im polnischen Parlament, wies solche Bedenken entschieden zurück. Er argumentierte, dass sich dank dieser Entscheidung Deutschland und Europa dem Osten öffnen, Polen sich somit »Tür an Tür« mit dem Zentrum Europas wiederfinden werde. Jedem, dem Kultur und Kunst wichtig sind und der auch nur annähernd Berlin und dessen Potential kennt, muss diese Meinung geteilt haben. Denn man musste schon blind oder verblendet sein, um nicht wahrnehmen zu können, welche Chancen sich hier boten, sollte eine moderne europäische oder gar weltbedeutende Kunstmetropole an der Spree entstehen – auch für uns diesseits von Oder und Neiße.

Man kann mir vielleicht vorwerfen, ich würde an dieser Stelle a posteriori denken und zur Übertreibung neigen. Um das erste Argument aus den Angeln zu heben, brauche ich aber nur an meine Gespräche mit polnischen Schriftstellern, Künstlern, Kritikern und Kunsthistorikern zu denken, damals in Bonn, Berlin, Düsseldorf und Köln, als ich an der Polnischen Botschaft Kulturattachée war, sowie in Warschau, Krakau, Posen und Breslau.

Der Vorwurf hingegen, ich würde übertreiben, ist sehr komplex. Unabhängig von jedweden Ressentiments kann er aus einer trügerischen historischen Analogie oder aber aus einer Portion Skepsis erwachsen, was das kulturelle Potential der Hauptstadt eines wiedervereinten Deutschland betrifft.

Berlin-Posen

Die erwähnte Analogie mag aus einer in der polnischen Kunstgeschichte schon im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprungenen Überzeugung herrühren, das künstlerische Geschehen der Hauptstadt Preußens, später des Deutschen Reichs sowie der Weimarer Republik, sei für polnische Kunstschaffende von nur geringer Bedeutung. Berlin stand in keinem Vergleich zum damaligen Mekka der Kunst, Paris, – zugleich war seine Attraktivität über lange Zeit auch nicht vergleichbar mit Wien, Rom oder München.

Wenn überhaupt, dann hatten zu Berlin in erster Linie polnische Künstler und Kunstmäzene aus dem Posener Raum oder aus den polnischen Gebieten einen Bezug, die bis 1918 zum preußischen Teilungsgebiet gehörten, aber selbst diese Kontakte waren eher spärlich. Kronzeugen für diese Kontakte, allerdings voller Ambivalenz, waren die beiden Grafen Raczyński. Eduard von Raczyński (1786–1845), der sich für den Erhalt des Polentums in der Provinz Posen aussprach, begründete die Raczyński-Bibliothek in Posen, deren Bau nach Entwürfen des bedeutendsten Berliner Architekten Karl Friedrich Schinkel entstand. Derselbe Raczyński war Ko-Autor des ikonographischen Programms der Goldenen Kapelle in Posen, des Mausoleums der bedeutendsten frühen Herrscher Polens. Die Bronzestatuen der ersten beiden Gebieter Polens bestellte der Graf bei dem in der preußischen Hauptstadt hochgeschätzten Christian Rauch. Der jüngere Bruder von Eduard, Athanasius von Raczyński (1788–1874), Begründer der deutschen Linie des Geschlechts, war Diplomat am Hofe der Hohenzollern und wurde zum erblichen Mitglied des Preußischen Herrenhauses ernannt. Zugleich war er Kunstsammler und ein ausgezeichneter Kenner der Malerei sowie Autor erster Arbeiten zur spanischen und portugiesischen Kunst. Sein Berliner Palais von 1842 befand sich an der Stelle, wo später das Reichstagsgebäude entstand. Seine Bildersammlung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Posen kam, wurde im damaligen Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Nationalmuseum in Posen, untergebracht.

Auch der Aufenthalt des polnischen Schriftstellers und Dichters Stanisław Przybyszewski (1868–1927), der in die letzte Dekade des 19. Jahrhunderts fiel, rührte eher daher, dass der spätere spiritus movens der literarischen Bewegung »Junges Polen« (Młoda Polska) in Pommern als Untertan des Kaiserreichs zur Welt gekommen war. Während er im Kreise der Berliner Boheme brillierte, arbeiteten an der Spree auch zwei polnische Maler aus dem zu Österreich-Ungarn gehörenden Galizien, bevor sie, ähnlich wie Przybyszewski, zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Krakau gingen. Diese Künstler – Julian Fałat und Wojciech Kossak, die ihre Ausbildung an der Münchner Kunstakademie genossen hatten, – bewegten sich, im Gegensatz zum künftigen Autor von Confiteor, dem Manifest des polnischen Modernismus, in den höfischen Kreisen Preußens und ihrer Elite.

Bunt und Jung Jidysz

Eine weitere Generation von Künstlern, die mit Berlin verbunden waren, wuchs erst gegen Ende des Ersten Weltkriegs heran. Damals gründete sich in Posen unter dem Einfluss des deutschen Expressionismus die Künstlergruppe Bunt (dt.: Aufruhr; 1918–1920), die Dichter und Maler vereinte. Die Gruppe unterhielt enge Kontakte mit der linksorientierten Avantgarde, die sich um die Zeitschriften »Die Aktion« und »Der Sturm« gruppierte. Zustande kam dieser Kontakt in erster Linie durch die Mitbegründer von Bunt, den polnisch-deutschen Künstler Stanisław Kubicki und seine Frau Margarethe, die in jenen Jahren zwischen Berlin und Posen pendelten. Ihnen war es zu verdanken, dass eine 1918 wegen »Erregung öffentlichen Ärgernisses« geschlossene Posener Ausstellung wenige Monate später zunächst in Berlin, dann in Düsseldorf wiedereröffnet werden konnte.

Dieses Ereignis zeigt aber auch, wie trügerisch historische Vergleiche und Analogien sein können. Denn das künstlerische Berlin war de facto seit Aufbruch der Avantgarde des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik für die modernen Künstler aus Osteuropa, u. a. auch für polnische, eine attraktive Alternative. Einerseits konnte man sich so aus den eigenen, eher konservativen und in sich geschlossenen Kreisen für längere oder kürzere Aufenthalte loseisen. Andererseits bot Berlin eine Art Vorgeschmack, aber auch ein Gegengewicht zu den in Paris und anderen europäischen Kunstzentren vorherrschenden Tendenzen und Ideen, mit denen man über Berliner Galerien, Kunstzeitschriften und lebhafte Kontakte innerhalb der Szenen bestens vertraut war.

Darum hielten sich auch die jungen jüdischen Künstler der in Lodz gegründeten Gruppe Jung Jidysz (1919–1921), die aus dem deutschen Expressionismus die Inspirationen für ihre jüdisch geprägte Kunst schöpften, so gern in Berlin auf. Neben Jankiel Adler, Wincenty Brauner und Henryk Barciński, der am längsten in Berlin blieb (1927–1933), gehörte auch Henryk Berlewi zu der Gruppe. Er jedoch wandte sich während seines Berliner Aufenthalts (1922–23), nachdem er u. a. El Lissitzki, Theo van Doesburg, László Moholy-Nagy, Hans Richter und Mies van der Rohe kennengelernt hatte, vom Expressionismus ab und entwickelte sein Konzept der Mechano-Faktur. Die malerische Umsetzung des Konzepts präsentierte er 1924 in der legendären Galerie »Der Sturm« von Herwarth Walden; sein programmatisches Manifest veröffentlichte er im gleichnamigen Verlag. Ein Jahr vor Berlewi präsentierten bei Walden auch andere linksorientierte polnische Künstler ihre Werke: Teresa Żarnowerówna und Mieczysław Sztuka, die gemeinsam mit Berlewi einige Zeit später die Gruppe Blok gründeten.

Die kulturelle Position Berlins 20 Jahre nach der Wiedervereinigung

Diese exemplarisch angeführten Kontakte und Ereignisse stellen in keiner Weise die Hegemonie von Paris für nachfolgende Generationen polnischer Künstler in Frage. Sie sollen lediglich ins Bewusstsein rufen, wie wichtig das Berlin der zwanziger Jahre mit seiner radikalen, die Nationen übergreifenden Kunstszene für einen Teil der avantgardistischen Vorkriegsgeneration war.

Mit der nationalsozialistischen Herrschaft nahm diese Tradition zwangsläufig ein jähes Ende, und nach Entstehen der zwei gegnerischen politischen Blöcke in Europa geriet sie bis 1989 in Vergessenheit. Aus meiner Sicht gibt es jedoch erste Anzeichen dafür, dass diese Traditionen wieder aufleben. Und dies bewirken weder die zahlreichen Arbeiten von Historikern noch die diversen Ausstellungen, die sich der Rolle Berlins für den Modernismus und für die Avantgarde annehmen, sondern das besondere Profil, das sich die Hauptstadt Berlin innerhalb der globalen Kunstwelt inzwischen erarbeitet hat.

Unmittelbar damit verbunden ist die Frage, welche kulturelle Position Berlin 20 Jahre nach der Wiedervereinigung einnimmt. Waren der Optimismus und die hohen Erwartungen, die nach dem Mauerfall in den Menschen – auch aus unserer polnischen Perspektive – aufkeimten, berechtigt oder aber zu übertrieben und ohne reellen Rückhalt? Meine spontane Antwort lautet: Ja und nochmals ja: berechtigt, aber vieles liegt noch vor uns.

Es stimmt, dass sich Berlin in der internationalen Kunstszene nicht mit der Rolle von New York oder London messen kann. Dort entsteht – im Kreise der Leiter und Kuratoren der bedeutendsten Museen, der am meisten geschätzten Händler, Kritiker und Sammler – eine Hierarchie der prägenden Kunsttendenzen, hier wird über den Inhalt des geschätzten (und wie hoch geschätzten!) Mainstreams entschieden und darüber, was eindeutig als »Off« zu gelten hat. Dort werden aus den globalen Tiefen der Nichtexistenz neue Künstler und Phänomene emporgehoben, nach denen die ganze Welt durchforstet wurde, oder aber bereits früher enthüllte und preisgekrönte Künstler in ihren Positionen bestätigt oder in die Versenkung befördert.

Berlin hat, natürlich, auf diesen Foren und Messen seine eigene Stimme. Aber seine Attraktivität als zeitgenössische Kunstwiese hat prinzipiell erst einmal andere Ursachen sowohl ideeller als auch eher prosaischer Natur.

Da Berlin weder Wirtschafts- noch Finanzzentrum, dafür aber Sitz der Regierung und zweier großer Universitäten und einer enorm hohen Anzahl an verschiedenen Kulturinstitutionen ist, setzt man nolens volens auf Kunst und Kultur. Die Vielfalt, die anspornende Kreativität und allgegenwärtige Experimentierfreude sind hier tragende Säulen. Berlin definiert sich als offene und tolerante Stadt. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt mit Sicherheit die wachsende Bedeutung der Touristikbranche in der Außenwirkung und im Budget der Stadt sowie die Bemühungen, neue Berufe wie auch alternative Arbeitsformen und -plätze zu schaffen. Nicht weniger wichtig ist für Berlin, dass das allgemein zugängliche und vielfältige Kulturangebot den Lebensstandard seiner Einwohner hebt, die so multikulturell sind wie in keiner anderen deutschen Stadt. Angenommen wird hierbei, dass Kultur im weitesten Sinne dieses Wortes bereits bestehende wie auch künftige soziale Spannungen und Konflikte entschärfen wird. In diesem Kontext muss unbedingt auf die spezifisch berlinerische Linksausrichtung hingewiesen werden, die gegenüber allem Konservativen eine tiefe Abneigung hegt, genau das Gegenteil von Über-Empfindsamkeit und Gemütlichkeit ist, dafür aber traditionellerweise das Andersartige und Extravagante toleriert. Hinzu kommt – last but not least – die von Bundes- wie auch Stadtpolitikern in Berlin gleichermaßen getragene Ambition, aus Berlin ein internationales Zentrum für zeitgenössische Kunst zu machen, was sich allerdings nicht immer in den Budgetentscheidungen widerspiegelt.

Polnische Kunstschaffende in Berlin

Solche Vorstellungen brachten bereits nach Kriegsende die Amerikaner nach Westberlin, und zwar durchaus beabsichtigt. Frucht und Symbol dieser Bemühungen ist ein bis heute existierendes Programm, das weltweit 20 Künstlern aus allen Bereichen der Kunst einen einjährigen Aufenthalt in Berlin finanziert. Ermöglicht durch die US-amerikanische Ford Foundation im freien, wenn auch von einer Mauer umgebenen Westberlin, wurde das Programm in den 1960er Jahren von der Bundesregierung übernommen und ist seitdem als Berliner Künstlerprogramm des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) bekannt.

Einer der ersten Stipendiaten, noch als Gast der Ford Foundation, war 1963 der polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz. In den darauffolgenden 30 Jahren waren fast 40 polnische Kunst- und Kulturschaffende Nutznießer des Programms, u. a. Zbigniew Herbert, Krzysztof Penderecki, Sławomir Mrożek, Kazimierz Brandys, Adam Zagajewski, Henryk Górecki; unter den bildenden Künstlern waren es Wojciech Fangor, Roman Opałka und Ryszard Waśko.

Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems erfüllt das Künstlerprogramm zwangsläufig eine etwas andere Funktion. Nichtsdestoweniger hat der einjährige Aufenthalt im nunmehr vereinten Berlin für die polnischen Künstler nichts an seiner Attraktivität eingebüßt, da er die Möglichkeit bietet, sich künstlerisch frei zu entfalten und zahlreiche Kontakte zu knüpfen. Als Beweis hierfür mögen allein die Namen der Stipendiaten aus den letzten zehn Jahren dienen, Namen von Schriftstellern wie Olga Tokarczuk, Dorota Masłowska und Wojciech Kuczok sowie im Bereich der bildenden Kunst Paweł Althamer, Katarzyna Kozyra, Paulina Ołowska und Artur Żmijewski.

Letztere vier gehören zum Kreis der hoch geschätzten polnischen Künstler. Sie und ihre Kollegen (deren Debüt im Land zumeist in die 1990er Jahre fiel) – Wilhelm Sasnal, Robert Kuśmirowski, Monika Sosnowska, Joanna Rajkowska und andere, die vor einigen Jahren die internationale Kunstszene im Sturm eroberten, – werden als Phänomen der zeitgenössischen polnischen Kunst gehandelt. Die besten Adressen zeigen ihre Arbeiten, darunter das MoMa in New York, die Londoner TATE Gallery und das Centre Pompidou in Paris. Sie nehmen an den wichtigsten internationalen Projekten teil und werden auf den prestigeträchtigsten Kunstmessen und in den namhaftesten Privatgalerien angeboten, was mithilfe von »Google« leicht überprüfbar ist. Diese Künstler stellen natürlich auch in Deutschland aus, zumeist in den westlichen Bundesländern.

Am häufigsten aber ist dieser Kreis, der weiter wächst, in Berlin vertreten. Wie die Biographien der Künstler bezeugen, kommen diese gern an die Spree. Katarzyna Kozyra hat Berlin gar als einen ihrer drei ständigen Aufenthalts- und Arbeitsorte gewählt – neben Warschau und Trient. Aber zumeist kehrt man nicht zurück und lebt in Berlin nur so lange, bis man sich eine starke künstlerische Position erarbeitet und spektakuläre Erfolge feiert. Als Beispiel seien hier einige Vertreter einer etwas älteren Generation erwähnt: Mirosław Bałka, Zbigniew Libera oder Zofia Kulik. Berlin ist also nicht mehr das einzige »Fenster zum Westen«, bedeutet nicht mehr die einzige Chance, im Westen wahrgenommen zu werden, ist nicht das alleinige erträumte Sprungbrett für eine internationale Karriere, was seine Attraktivität noch in den 1990er Jahren ausmachte.

Galerien mit polnischem Akzent

Dennoch bleibt dieses Sprungbrett für die junge Generation, die noch am Anfang ihrer Karriere steht, wichtig. Auch hier gibt es Sensationelles zu berichten. So ist die erste Adresse in Berlin mittlerweile die vor einigen Jahren gegründete Galerie Żak-Branicka, in Nachbarschaft zu einem Industriegelände, auf dem es noch zwei weitere Galerien gibt, die Galerie Berinson (mit dem Akzent auf Modernismus und Fotografie, mitunter auch aus Polen) sowie die Galerie Nordenhake (mit der seit Jahren Mirosław Bałka und zuvor Leon Tarasewicz verbunden waren). Die beiden Betreiberinnen, Joanna Żak und Monika Branicka, zwei polnische Kunsthistorikerinnen, verfolgen ein durchaus riskantes und bislang einzigartiges Konzept, indem sie Kunst aus Polen auf höchstem Niveau anbieten und damit den Anspruch erheben, sich auf dem Berliner Kunstmarkt und somit auch auf dem internationalen Markt halten zu können. Inzwischen organisiert die Galerie regelmäßig Einzelausstellungen ausgewählter Künstler aus Polen, sowohl der bekannten als auch debütierenden, vertritt sie und arbeitet mit ihnen zusammen. Neben den bereits erwähnten Katarzyna Kozyra, Robert Kuśmirowski, Joanna Rajkowska und Zofia Kulik sind unter ihnen auch in Berlin noch neue und unbekannte wie Dominik Lejman, Hubert Czerepok, Agnieszka Polska u. a. Die Galerie Żak-Branicka hat es bereits geschafft, sich als eigene Marke zu etablieren, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass sie an der ambitionierten internationalen Kunstmesse für zeitgenössische Kunst in Berlin Art Forum teilnehmen durfte und zuletzt gar an der prestigeträchtigen FriezeArt Fair in London und der amerikanischen Art Basel Miami Beach. Es versteht sich von selbst, dass, um dieses hohe Niveau halten zu können, ein aktiver Kontakt zu den Kunstszenen sowohl im Land als auch in Berlin vonnöten ist; man muss sich auf dem internationalen Kunstmarkt auskennen, ganz zu schweigen von dem hohen Maß an Professionalität der Galeristinnen im Umgang mit den Kunstschaffenden und im Kontakt mit den Kunden und der Konkurrenz.

»Nahes Ausland«

Wenn ich darüber nachdenke, wie ich diese neue Verortung Berlins innerhalb der polnischen Kulturlandschaft benennen soll, stoße ich fast zwangsläufig auf die Formulierung »nahes Ausland«. Natürlich meine ich damit nicht allein die geographische Nähe, obwohl auch diese sicherlich ein unumstrittenes Plus in den neuen Verbindungen zwischen der polnischen und der Berliner Kunstszene darstellt. Es geht um ein Berlin, das einem nahe, das schon fast das »eigene« ist, ein konkreter und mentaler Ort, an dem man einen Diskurs führt, ähnlich wie bei sich zu Hause, wo man Alltag erlebt und Kunst schafft.

Anerkannt und geschätzt in der weltweiten Community der zeitgenössischen Kunst, bewegen sich die polnischen Künstler frei in Europa oder reisen in die USA, kurzum sie ziehen dorthin, wo immer sie es für richtig und wichtig halten, entscheiden sich aber gleichwohl für ein Leben und Schaffen im eigenen Land. Hier arbeiten sie, finden sie ihre Inspirationsquellen und Geistesverwandte, mit denen sie gelegentlich zusammenarbeiten, wie mit der Stiftung der Galerie Foksal (Fundacja Galerii Foksal) oder dem Klub der Politischen Kritik (Klub Krytyki Politycznej) und einer Vielzahl weiterer »guter Adressen« in Warschau und anderen polnischen Städten – Galerien, Redaktionen, Theater, Klubs usw., die von Gleichgesinnten geführt werden und ein aufnahmebereites und dankbares Publikum finden. Eine der neuesten Adressen, bereits von bestem Ruf, mit größter Dynamik betrieben und mit einer hervorragenden Zukunftsperspektive, ist das im Entstehen begriffene Warschauer Museum für Zeitgenössische Kunst (Muzeum Sztuki Nowoczesnej), dessen Sitz im Stadtzentrum in Nachbarschaft des kolossalen stalinistischen Kulturpalastes 2014 fertiggestellt sein soll.

Im Frühjahr 2010 organisierte das Kuratoren-Team des entstehenden Museums mit seiner Direktorin, Joanna Mytkowska, in den Berliner KunstWerken und somit in einer der wichtigsten und meinungsbildenden Institutionen für zeitgenössische Kunst in Deutschland eine Ausstellung unter dem Titel »Early years«. Auf vier Etagen wurden Arbeiten, insbesondere Installationen und Videokunst, von fast 20 verschiedenen Künstlern aus dem Ausland und auch aus Polen präsentiert. Unter den Polen befanden sich neben bereits von mir erwähnten Namen auch »neue Berliner«: Wojciech Bąkowski, Oskar Dawicki, Anna Zaradny, Jan Smaga.

Die ausgestellten Arbeiten thematisierten die Turbulenzen des sich im Status Nascendi befindenden Warschauer Museums sowie den immer wieder von neuem aufgegriffenen Diskurs seiner Verortung (und eo ipso der Verortung der zeitgenössischen Kunst) im gegenwärtigen und kulturellen Stadtgewebe. Auch wenn diese Fragestellung naturgemäß nicht ortsgebunden ist, erscheint es mir symptomatisch, dass die besondere Situation Warschaus Basis und Leitthema der Ausstellung in den KunstWerken Berlin war. Präsentiert wurde eine Ausstellung, die ohne erläuternde Kommentare die Erfahrungen der polnischen Künstler und Kuratoren vermittelte, ohne inhaltliche Streichungen und somit ohne Angst, dass die lokalen »Stürme« als Thema nicht interessant genug sein könnten. Als wäre man davon ausgegangen, dass man in Berlin »unter sich« sei, barrierefrei miteinander kommunizieren könne und dass all das, was uns Polen beschäftigt, was für uns spannend ist und wert, diskutiert zu werden, auch an der Spree Anklang und Verständnis finden wird.

Zwei Jahre zuvor hatte in Berlin der polnische Direktor der Kunsthalle in Basel, Adam Szymczyk, neben Joanna Mytkowska Mitbegründer der 1997 ins Leben gerufenen Stiftung Galerie Foksal, den Versuch unternommen, eine ähnliche Idee umzusetzen: Diskutiert wurde die Position Berlins in der zeitgenössischen Kunst. Dieser Diskurs wurde zur Grundlage und zur Leitfrage der fünften, seit 1998 organisierten und immer mehr an Bedeutung gewinnenden Berlin Biennale (BB). Szymczyk lud damals mit einem zweiten Kurator 40 Künstler zur Teilnahme ein; fast ein Viertel davon waren Polen, zwei davon aus dem Ausland – Piotr Uklański aus New York und Goshka Macuga aus London. Aus Polen stellten damals zum ersten Mal Anna Molska und Cezary Bodzianowski in Berlin aus. Der hohe Anteil von Polen bei der 5BB war nicht das Ergebnis einer künstlerischen Vetternwirtschaft Szymczyks oder mangelnder Kenntnis der internationalen zeitgenössischen Kunstszene. Im Gegenteil, dahinter stand die feste Überzeugung, geteilt von der Ko-Kuratorin Elena Filipovic, dass zwischen Berlin und den Künstlern aus dem postkommunistischen Teil Europas ein ganz besonderes Verhältnis besteht und sie sich ideell auf derselben Wellenlänge befinden, sie von ähnlicher Energie, Intensität und Dynamik bestimmt werden. Daher rührt das intime Einvernehmen zwischen der Stadt an der Spree, die ihre Identität und ihre Rolle neu definieren muss, voller Konflikte, aber berstend vor schöpferischer Kraft, und den polnischen Künstlern (und bestimmt auch Künstlern aus anderen Ländern, aber darüber weiß ich zu wenig), die Kinder, Teilnehmer, Nutznießer und sehr oft eindringliche Beobachter der Veränderungen sind, die im Grunde alle Lebensbereiche betreffen.

In Berlin braucht man dies weder zu erklären noch zu erläutern. Von hier aus betrachtet rücken unsere Angelegenheiten in das rechte Licht, erhalten eine transparentere Struktur, verspüren frischen Wind und erlangen Schärfe und Klarheit. Was Berlin als »nahes Ausland« dagegen als allerletztes bietet, ist heimische Wärme und die Möglichkeit, sich auf den Lorbeeren einer tatsächlichen oder vermeintlichen sogenannten internationalen Karriere auszuruhen.

Deutlich wurde dieses Spannungsverhältnis vor einiger Zeit am Beispiel des weltweit hochgeschätzten Artur Żmijewski. Vielleicht ist er »der Berliner« unter den polnischen Künstlern – und dies nicht nur wegen seiner häufigen Besuche in der Hauptstadt, sondern auch aufgrund seiner oft provokativen, manchmal aggressiven, manchmal auch zornigen und schmerzhaften, doch niemals gleichgültigen oder angepassten Arbeiten, meist Videos oder Installationen. Er wurde zum Kurator der siebenten Berliner Biennale of Contemporary Art ernannt, die 2012 stattfinden wird.

Es lohnt sich also zu warten. Und weiterhin zu pendeln zwischen Polen und Berlin.

Übersetzung aus dem Polnischen: Miriam Jahr

Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem »Jahrbuch Polen 2011 Kultur« des Deutschen Polen-Instituts, dass im März 2011 erscheinen wird (siehe Lesehinweis auf S. 10).

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