Die Kaschuben sind eine autochthone, kulturell-ethnische Minderheit, die in der heutigen Woiwodschaft Pommern (poln. Województwo pomorskie) lebt. Sie sind Nachkommen westslawischer pommerscher Stämme, die ab dem frühen Mittelalter auf dem Gebiet zwischen der Oder im Westen und der Weichsel im Osten siedelten. Als solche sind sie also eine Gemeinschaft der longue durée.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bewohnten die Kaschuben das polnisch-deutsche Grenzgebiet, was nicht nur die kaschubische Geschichte beeinflusste, sondern auch das nationale Bewusstsein der Kaschuben. Ihre Sprache gehört zur lechischen Gruppe der westslawischen Sprachen und ist mit Polnisch und Sorbisch am stärksten verwandt. Darüber hinaus treten auch Entlehnungen aus dem Deutschen auf, sowohl im Wortschatz (zirka 10 Prozent der Wörter sind deutschen Ursprungs) als auch in der Grammatik. Die Kaschuben charakterisiert das Bewusstsein ethnischer und kultureller Eigenheit bei gleichzeitiger Partizipation an der polnischen Nation als kulturell und politisch übergeordnete Gemeinschaft. Ein bestimmendes Element der kaschubischen Identität ist die starke Verbundenheit mit der lokalen und regionalen Heimat (»Heimat« auf Polnisch »mała ojczyzna«, wörtlich übersetzt »kleines Vaterland«, Anm. d. Übers.), was nicht nur das Gebiet im geografischen Sinn meint, sondern vor allem eine symbolische Bedeutung hat – die Kaschubei als Land der Vorfahren, der ländlichen Wirtschaftlichkeit, der katholischen Religiosität mit ihrem volkstümlichen Kolorit und ihrer spezifischen kulturellen Tradition.
Die Größe der kaschubischen Bevölkerung
Schätzungen der Größe der kaschubischen Gemeinschaft rufen viele Kontroversen hervor. Versuche, die Kaschuben zu zählen, wurden schon im 19. Jahrhundert unternommen. Aufgrund der unterschiedlichen Zählmethoden und der Anwendung unterschiedlicher bestimmender Kriterien schwankte die Anzahl der Kaschuben zwischen einigen tausend und 300.000 Personen. Von Anfang an war die Schätzung der Anzahl der Kaschuben eine politische Angelegenheit, was zur Folge hatte, dass die statistischen Untersuchungen nicht ausreichend objektiv waren. Als eine der glaubwürdigsten wird die Untersuchung von Stefan Ramułt (1859–1913) erachtet, der das linguistische Kriterium anwendete und die kaschubische Gemeinschaft auf 174.000 Personen schätzte. In den letzten 25 Jahren wurden sogar vier Versuche unternommen, die Größe der kaschubischen Gemeinschaft zu schätzen. Ende der 1980er Jahre begann damit der Danziger Soziologe Marek Latoszek, der zwei Kriterien anlegte: das Syndrom des Kaschubentums (Genealogie, Kenntnis der kaschubischen Sprache, Geburtsort, Zugehörigkeitsgefühl) sowie das der Selbstidentifikation. Er unterschied zwei Kategorien der kaschubischen Bevölkerung – Kaschuben und sogenannte Halb-Kaschuben. Unter letztere fasste er die Mitglieder der kaschubischen Gemeinschaft, die beispielsweise nicht die kaschubische Sprache verwendeten, aber das Bewusstsein der kaschubischen Herkunft bewahrt hatten und sich mit dem kaschubischen Brauchtum identifizierten, oder aber auch diejenigen, die aus gemischten Familien stammten, also aus kaschubisch-polnischen oder, recht häufig in der westlichen Kaschubei, aus kaschubisch-ukrainischen oder kaschubisch-deutschen. Daraufhin stellte er fest, dass im östlichen Hinterpommern/Pommerellen seinerzeit 332.000 Kaschuben und 184.000 »Halb-Kaschuben« lebten. Ein wesentlicher Vorwurf, der an Latoszek und seine Forschergruppe gerichtet wurde, bezog sich darauf, dass in den Untersuchungen einige Gemeinden unberücksichtigt blieben, auf deren Gebiet die kaschubische Bevölkerung präsent ist oder sogar überwiegt. In den Jahren 1997 bis 2004 führte der Geograf Jan Mordawski Untersuchungen durch, die das gesamte Gebiet der ethnischen Kaschuben (77 pommersche Gemeinden) umfasste. Er unterteilte die kaschubische Gemeinschaft in Kaschuben und Menschen mit teilweise kaschubischer Herkunft. In seinen Untersuchungen war die Kenntnis der kaschubischen Sprache kein entscheidendes Klassifizierungskriterium. Menschen kaschubischer Herkunft, die sich mit der ethnischen Gemeinschaft identifizieren, wurden als Kaschuben behandelt, auch wenn sie nicht Kaschubisch sprechen können. Seinen Schätzungen zufolge zählt die kaschubische Gemeinschaft fast 567.000 Personen, was 33 Prozent der Bevölkerung der Woiwodschaft Pommern ausmacht. Diese Gruppe besteht aus 390.000 Kaschuben (23 Prozent der Einwohner der Woiwodschaft Pommern) und 176.000 Personen mit teilweise kaschubischer Herkunft (10 Prozent der Einwohner der Woiwodschaft Pommern).
Die heutige Kaschubei umfasst nur ein paar Kreise, von denen vier Kreise den »harten Kern« der Kaschubei ausmachen, das sind die Kreise Karthaus (poln.: powiat kartuski, kaschubisch: Kartësczi kréz), Berent (powiat kościerski, Kòscérsczi kréz), Putzig (powiat pucki, Pùcczi kréz) und Neustadt (powiat wejherowski, Wejrowsczi kréz) sowie einige Gemeinden, die an andere Kreise angrenzen (an den Kreis Bütow, powiat bytwoski, Bëtowsczi kréz; Kreis Konitz, powiat chojnicki, Chònicczi kréz; Kreis Danzig, powiat gdański, Gduńsczi kréz). Im »harten Kern« der Kaschubei stellen die Kaschuben und Personen mit teilweise kaschubischer Herkunft die Mehrheit (über 50 Prozent), wobei die Kaschuben nur im Kreis Karthaus über 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Dieser Kreis, der aufgrund seiner landschaftlichen Beschaffenheit auch Kaschubische Schweiz genannt wird, ist also das Mark des Kaschubentums. Auf diesem Gebiet ist auch die kaschubische Sprache noch lebendig. Täglich beziehungsweise sehr häufig benutzen sie gut 30 Prozent der »echten« Kaschuben. Laut Mordawskis Untersuchungen verringert sich die Häufigkeit des Gebrauchs der kaschubischen Sprache. Nur in drei Gemeinden (Stendsitz/Stężyca/Stäżëca; Sierakowitz/Sierakowice/Serakòjce, beide im Kreis Karthaus, und Linde/Linia/Lëniô im Kreis Neustadt) sprechen über die Hälfte der dort lebenden Kaschuben ihre Muttersprache im Alltag beziehungsweise sehr häufig. Soziologische Untersuchungen zeigen, dass die Sprache in immer geringerem Maß ein Kriterium ist, das für die kaschubische Identität entscheidend ist. Die Kaschuben erinnern in dieser Hinsicht immer mehr an die Iren, Waliser oder Schotten, die sich häufiger des Englischen bedienen als ihrer regionalen Heimatsprache.
Außer den Untersuchungen von Latoszek und Mordawski erhellen auch die in den Volkszählungen erhobenen Daten die ethnischen und sprachlichen Verhältnisse in der Woiwodschaft Pommern. Leider werden die Daten der zwischen April und Juni 2011 durchgeführten Volkszählung erst im Jahr 2012 vom Statistischen Hauptamt (Główny Urząd Statystyczny – GUS) veröffentlicht. Schon jetzt steht aber fest, dass sie für Untersuchungen der ethnischen und nationalen Verhältnisse in Polen und dabei auch im Siedlungsgebiet der Kaschuben von großem Nutzen sein werden. Die von den Organisatoren der Volkszählung angewandte Methodologie erlaubte, eine doppelte Identität zu bestimmen (u. a. eine nationale und eine ethnische) und zwei Muttersprachen anzugeben. Dagegen stützte sich die vorangegangene Volkszählung im Jahr 2002 auf die Alternative »entweder – oder«, was für die pro-polnisch orientierten Kaschuben schwierig zu handhaben war. Daher müssen die Daten aus dem Jahr 2002 mit großer Vorsicht behandelt werden. Die Kaschuben zeigen im Allgemeinen ein starkes Zugehörigkeitsgefühl gegenüber der polnischen Nation, daher haben auch nur 5.062 Personen die Zugehörigkeit zu einer selbständigen kaschubischen Nation angegeben. Zum Vergleich haben 173.000 Schlesier ihre schlesische Nationalität erklärt. Zirka 52.600 Kaschuben gaben Kaschubisch als Sprache an, die sie zu Hause sprechen. Kaschuben, die Kaschubisch sprechen, sind zweisprachig und häufig behandeln sie die polnische Sprache als Muttersprache und reduzieren Kaschubisch auf die Sprache, die zu Hause gesprochen wird, obwohl es eigentlich ihre Muttersprache ist. Auch das Verhalten derer, die die Volkszählung durchgeführt haben, hatte Einfluss auf die Ergebnisse, drängten sie doch den Befragten Antworten zu Nationalität und Muttersprache auf, worüber die regionalen und überregionalen Medien berichteten. Das Ziel dieses Vorgehens war, den Einfluss der ethnischen und nationalen Minderheiten zu beschränken. Erst die Veröffentlichung der Daten aus der jüngsten Volkszählung, die eine Mehrfachnennung gestattete und die auch per Internet durchgeführt wurde, also ohne die Vermittlung der Volkszähler, wird aufgrund der Möglichkeit der Mehrfachangaben erlauben, die kaschubische Bevölkerung und das Ausmaß der angewendeten kaschubischen Sprache umfassend einzuschätzen. Gleichwohl müssen auch diese Angaben mit einer gewissen Distanz betrachtet werden. Wissenschaftler wie Latoszek und Mordawski stellten die Anzahl der Kaschuben aufgrund zweier Kriterien fest, des »kaschubischen Syndroms« und der Selbstidentifikation. Die Daten der Volkszählung wiederum betreffen ausschließlich die Selbstidentifikation. Die Selbstidentifikation als Kaschube tritt aber – so die soziologischen Untersuchungen von Latoszek – häufiger auf als das »kaschubische Syndrom«. Das heißt, dass sich mehr Menschen dazu bekennen, Kaschube zu sein, als es gemäß den Attributen des Kaschubentums sind.
Am Rande bleibt noch auf den hochinteressanten Begleitprozess der kulturellen Diffusion und der Ansiedlung nicht-kaschubischer (nicht-pommerscher) Bevölkerung in Pommern hinzuweisen. Über Jahrhunderte fand eine »Dekaschubisierung« an der Peripherie des kaschubischen Gebiets statt, die sowohl den Charakter der Germanisierung – vor allem in Hinterpommern (poln. Pomorze Zachodnie) – als auch der Polonisierung – vor allem in Pommerellen – aufwies. Die zunehmende Akkulturation der Peripherien auf der einen Seite wurde von einer Inkorporation der nicht-kaschubischen Bevölkerung in die kaschubische ethnische und kulturelle Gemeinschaft auf der anderen Seite begleitet, und zwar auf dem Gebiet, das als »harter Kern« des Kaschubentums bezeichnet wird. Zusammengefasst: Die nicht-kaschubische Bevölkerung, die sich in den Gebieten ansiedelte, wo zahlenmäßig und kulturell Kaschuben dominierten, assimilierte sich und nahm im Laufe der Generationen die ethnische kaschubische Identität an. Dies betraf sowohl Polen als auch Deutsche. Dieses Phänomen lässt sich zurzeit recht häufig unter Polen feststellen, die keine kaschubische Abstammung haben, die aber in den Grenzen der kaschubischen Ethnie geboren sind. Sie bezeichnen sich als Kaschuben. Noch interessanter ist, dass häufig gerade sie der aktivste und gleichzeitig radikalste Faktor in der kaschubischen Bewegung sind, beispielsweise unter den Angehörigen der quasi-Partei »Kaschubisch-Pommersche Vereinigung« (Zrzeszenie Kaszubsko-Pomorskie) oder der Studentenorganisation »Pomorania«.
Allgemein betrachtet, waren aber die Prozesse der Akkulturation unter den Kaschuben um ein Vielfaches stärker, daher schrumpften auch die Grenzen der ethnischen Kaschubei auf die gegenwärtigen Ausmaße zusammen.
Die Kaschuben und nationsbildende Prozesse
Die entscheidende Phase für das Fortbestehen der Kaschuben als eigene kulturell-ethnische Gruppe fiel in das 19. und 20. Jahrhundert, also in die Zeit, in der sich die gesellschaftlichen Beziehungen durch Industrialisierung veränderten und die Nationalstaaten entstanden, die ihrerseits ein »Produkt« der industriellen Zivilisation waren. Schon damals bewohnten die Kaschuben ein kleines Gebiet, vielmehr einen Grenzstreifen, zwischen zwei großen nationalen Elementen, den Deutschen und den Polen. Die polnisch-deutsche Nachbarschaft prägte in hohem Maße die heutige kulturelle und nationale Identität der Kaschuben. In der Zeit, als sich die modernen Nationen herausbildeten, hatten die Kaschuben die Wahl zwischen drei alternativen Nationsprojekten, dem deutschen, dem polnischen und einem eigenen. Die Wahl des deutschen Projekts, insbesondere in der Zeitspanne, als es keinen unabhängigen polnischen Staat gab, war eine sehr pragmatische Option, die Chancen auf wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt bot. Gegenwärtig herrscht häufig die falsche Ansicht, dass diese Wahl nur in Einzelfällen getroffen wurde. Sieht man aber von früheren Prozessen der Akkulturation ab, als fast ganz Hinterpommern zum deutschen Gebiet kam, entschieden sich im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Kaschuben dafür, ihre Identität mit der deutschen Nation zu verbinden. Am schnellsten schritt der Prozess der Germanisierung unter den Protestanten voran. So machten nicht nur die preußische Bürokratie und die preußische lokale Verwaltung von der deutschen Option Gebrauch, sondern auch die evangelische Kirche, die mit dem preußischen und nachher deutschen Staat organisch verbunden war. Die deutsche Option war auch eine Folge der Entscheidung für eine berufliche Karriere in der preußischen Verwaltung und dem preußischen Militär, was insbesondere die Angehörigen des kaschubischen Adels betraf. Dieser Adel, der sehr stark vertreten war (in manchen Kreisen stellte er zwischen 30 und 50 Prozent der Einwohner), wurde im Ergebnis der ersten Teilung Polens und der Inkorporation des östlichen Hinterpommerns/Pommerellens in das Königreich Preußen (1772) in den preußischen Adel eingegliedert. Und obwohl der gesellschaftlich-ökonomische Status des kaschubischen Adels weit von dem des preußischen Junkertums entfernt war, eröffneten sich dem kaschubischen Adel Karrieremöglichkeiten und damit auch eine Verbesserung seines Lebensstandards. Eine besondere Rolle spielte hier die Kadettenschule in Stolp (Słupsk/Stôłpsk), aus der viele preußische und deutsche Generäle und militärische Führungspersonen rekrutiert wurden, die kaschubischer Herkunft waren. Mit dem Eintritt der Kaschuben in das Getriebe des preußischen Staats vollzog sich jedoch auch ihre Germanisierung und im Endeffekt ihre vollständige Akkulturation. Das Kaschubentum wurde von der Elite des preußischen Staats negativ betrachtet. Es wurde mit kultureller und zivilisatorischer Rückständigkeit gleichgesetzt und mit einer dörflichen Mentalität, die dem Modell des Bürgertums entgegenstand. Deshalb ging mit der Germanisierung der Bruch mit dem Kaschubentum einher. Diesen Prozess illustrieren die Veränderungen der Namen des kaschubischen Adels, was sich als symbolischer Übertritt von der traditionellen kaschubischen Identität in die moderne preußisch-deutsche Identität interpretieren lässt. So wurde beispielsweise aus Krokowski (einem der berühmtesten aristokratischen Geschlechter in der Kaschubei) von Krockow, aus Jark-Gostowski wurde von York, Mark-Modrzejewski wurde zu von Modrow oder von Mark und aus Jutrzenka-Trzebiatowski wurde einfach von Morgenstern (was einer Übersetzung des polnischen »jutrzenka« entspricht).
Die polnische Option im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts bedeutete de facto, sich für die Idee einer »Nation ohne Staat« auszusprechen. In kultureller und sprachlicher Hinsicht sind die Kaschuben am stärksten mit den ethnischen Polen und den Sorben verwandt. Sie gehören zu derselben westslawischen (lechischen) Gruppe. Der Kern des Kaschubentums bestand im polnischen Staat fort und entwickelte sich ungehindert weiter. In den Jahren 1466 bis 1772 gehörte das östliche Hinterpommern als Teil des Königlichen Preußen dem Polnischen Königreich an. Der zahlenstarke kaschubische Adel besaß die vollen politischen Rechte, die in der I. Polnischen Republik ausschließlich dem Adelsstand zustanden. Aufgrund der Autonomie des Königlichen Preußen hatten die Bürger ebenfalls Bürgerrechte inne. Ihre Vertreter saßen im Provinzparlament und es gab eine städtische Selbstverwaltung. Überdies war die soziale Situation der kaschubischen Bauern viel günstiger als die der Bauernschaft in den übrigen polnischen Gebieten. Zwar besaßen sie keine politischen Rechte, außer einer beschränkten dörflichen Selbstverwaltung, sie waren aber nicht ihrer persönlichen Freiheit beraubt. Diese Situation bewirkte, dass die Kaschuben im Gegensatz zu anderen nicht-polnischen ethnischen Gruppen, die auf dem Gebiet der I. Republik lebten, vor der Zeit der polnischen Teilungen nicht negativ gegenüber Polen eingestellt waren. Als sich schließlich ein modernes Nationalbewusstsein entwickelte, war folglich für viele die polnische Option ganz natürlich. Diese Option wurde in der Zeit der Teilungen Polens, insbesondere in der Zeit der Politik des Kulturkampfes, von der katholischen Kirche unterstützt. Die katholischen Kaschuben wurden vom katholischen Klerus, besonders von der niederen Geistlichkeit, im Geist des polnischen Patriotismus indoktriniert. Hier wurde das polnische Nationalbewusstsein gepflegt. Da sich die lutherischen Kaschuben leichter germanisieren ließen, begann man, das Kaschubentum mit dem Katholizismus zu identifizieren. Dieses Stereotyp wurde von den kaschubischen Intellektuellen im 19. Jahrhundert aufrechterhalten, die den katholischen Kaschuben dem lutherischen Deutschen gegenüberstellten. Die Frage des Bekenntnisses wurde ein wesentlicher Faktor beim Aufbau und bei der Entwicklung des nationalen Bewusstseins und der nationalen Identität der katholischen Kaschuben.
Insbesondere Anfang des 19. Jahrhunderts tauchte im Milieu der kaschubischen Intelligenz ein eigenes nationales Projekt auf. Es fand jedoch keinen starken intellektuellen Rückhalt. Unterstützung gewährten ihm u. a. deutsche Ethnografen und russische Sprachwissenschaftler. Die einen strebten nach einer Schwächung des Polentums, indem der kaschubische Faktor von ihm abgetrennt würde. Die anderen ließen sich von panslawistischen Ideen leiten und strebten danach, alle Slawen unter dem Zepter des Zaren zu vereinigen. Ihnen standen sowohl der deutsche Staat im Weg, in dessen Grenzen slawische Völker lebten, als auch die Polen, die der Ideologie des Panslawismus die Idee der Unabhängigkeit Polens vorzogen. Den Kaschuben waren die nationalen Fragen damals entweder gleichgültig – vor allem den Bewohnern der ländlichen Gebiete, die abseits der Kommunikationswege lagen, – oder sie trafen eine eher pragmatische Wahl und verbanden sich mit einer der beiden starken Nationen, der deutschen bzw. der polnischen.
Unter den katholischen Kaschuben, die die Mehrheit der ethnischen Gemeinschaft stellten, wurde die polnische Option am stärksten lanciert. Sie wurde allgemein als integraler Bestandteil der kaschubischen Identität betrachtet. Die kaschubischen Eliten waren überzeugt, dass man das Kaschubentum mit dem Polentum ohne Schaden für eines der beiden verbinden könne. Den Eliten folgte die Mehrheit der Kaschuben und entschied sich für die polnische nationale Identifikation. Das kaschubische nationale Programm wurde an das Programm für Unabhängigkeit und Wiedergeburt der polnischen Nation angebunden. Im Grunde bedeutete dies, dass die Kaschuben sich nicht von ihrer eigenen kulturellen und ethnischen Identität lossagten, indem sie die polnische Option wählten. Das Polentum wurde zu einer Ergänzung des Kaschubentums. Die Eliten waren bemüht, ihre kulturelle Besonderheit zu bewahren, vor allem in den Bereichen Sprache, ethnische Traditionen, Sitten und Bräuche. Dieses nationale Programm geben die Zeilen des kaschubischen Dichters und Aktivisten Franciszek Sędzicki (1882–1957) eindringlich wieder:
»Ich bin Kaschube! Polen ist meine Mutter! Sie liebe ich von ganzem Herzen, aus ganzer Seele. […] Aber auch die Kaschubei höre ich nicht auf zu lieben, denn ich bin als Kaschube geboren, Kaschube bleibe ich.«
Die Selbstidentifikation der Kaschuben nahm also die Form einer sogenannten fragmentarisierten Identität an, die charakteristisch für traditionelle Gemeinschaften war, in denen das Phänomen einer Vereinheitlichung der Identität nicht auftrat. Eine fragmentarisierte Identität war für die vorindustriellen Gemeinschaften nichts Ungewöhnliches. Ähnlich war es bei anderen ethnisch-kulturellen Gruppen, die auf dem polnisch-litauischen Gebiet lebten, also beim polonisierten litauischen und ruthenischen Adel, den litauischen Tataren und der armenischen Diaspora in Polen. Sie fühlten sich gleichzeitig als Polen und als Litauer, Ruthenen, Tataren und Armenier. Kaschube zu sein bedeutete, zur kaschubischen ethnischen Gemeinschaft zu gehören, aber eröffnete gleichzeitig die Teilnahme an der polnischen nationalen Gemeinschaft, die nicht nur als kulturelle Gemeinschaft aufgefasst wurde, sondern auch als politische, als Staatsnation. In Polen entstand das Projekt einer politischen Ständenation, die vom Adel unterschiedlicher Bekenntnisse und kultureller Traditionen der polnischen, litauischen und ruthenischen Gebiete gebildet wurde. Dazu gehörte auch der kaschubische Adel. Diese Tradition der diversifizierten Identität bestand im kaschubischen Milieu auch in der Zeit der Industrialisierung – möglicherweise deshalb, weil die kaschubische Region sogar in der Phase der starken Industrialisierung ihren traditionellen Charakter bewahrte, dessen Grundlage die Landwirtschaft und die ländliche Kultur waren.
Eine solche Auffassung der nationalen Frage gefiel weder den deutschen noch der polnischen Behörden (nachdem ein Teil der Kaschubei und des östlichen Hinterpommerns/Pommerellen im Jahr 1920 an das seit dem Ende des Ersten Weltkriegs unabhängige Polen angeschlossen worden war), bedienten sie sich doch eines neuen Identitätsparadigmas, das typisch für die Industrieländer war. Dabei ging es um den Aufbau der universellen Identität einer Nation. Die Deutschen und die Polen betrachteten die Kaschuben als desintegrierenden Faktor für den Staat und die universelle nationale Gemeinschaft. So wurde die Politik der Homogenisierung die staatliche Handlungsstrategie – von den Preußen initiiert und den politisch Verantwortlichen des unabhängigen Polens und nach dem Zweiten Weltkrieg des kommunistischen Polens fortgesetzt. Das Ergebnis war unter anderem, dass Personen, die sich mit dem Kaschubentum identifizierten, nicht in der staatlichen Verwaltung eingestellt wurden und eine Abwertung der kaschubischen Kultur und Sprache erfolgte, die als »verdorbenes Polnisch« behandelt wurde. Diese Schikanen, die von einem Teil der kaschubischen Gemeinschaft als Diskriminierung empfunden wurden, nahmen jedoch keine besonders scharfen Formen an. Es erschienen eine kaschubische regionale Presse und Bücher mit regionaler Thematik, auch in kaschubischer Sprache, und kaschubische gesellschaftliche Organisationen waren aktiv. 1956 wurde die »Kaschubisch-Pommersche Vereinigung« gegründet, eine auch heute noch aktive dynamische Massenorganisation, die nicht nur Kaschuben, sondern auch Liebhaber der Kaschubei und Pommerns sowie Vertreter nichtkaschubischer regionaler ethnischer Gruppen Pommerns/Pommerellens (der Regionen Kociewie, Bory Tucholskie, Krajna) vereinigt.
Seit preußischer Zeit wurde das Kaschubentum auf Folklore reduziert und ihm der Selbstzweck genommen. Die deutschen und die polnischen Behörden – in der Zwischenkriegszeit bzw. in der Nachkriegszeit – verminderten das Kaschubentum als entscheidenden Faktor der Identität. Im Fall der Kaschuben, die sich an der deutschen nationalen Option orientiert hatten, fand im Grunde ein vollständiger Akkulturationsprozess statt. Dessen ungeachtet kann man auch Deutsche treffen, die ihre kaschubische Herkunft betonen. Berühmtestes Beispiel ist wohl Günter Grass, dessen Mutter Kaschubin war.
Die Kaschuben, die sich auf die polnische Identität hin orientierten, bestanden als ethnische Gemeinschaft fort, wenn auch mit einem Minderwertigkeitskomplex. Nicht selten fassten sie ihre heimische Kultur und kulturelle Identität als soziale Belastung und als Zeichen zivilisatorischer Rückständigkeit auf. Die deutsche und die polnische Politik unterschieden sich hinsichtlich ihres Verhältnisses zur kaschubischen Bevölkerung im Allgemeinen nicht wesentlich, sie nahmen nur unterschiedliche Formen an. Die Polen griffen nicht auf die Methoden des Kulturkampfes zurück. Nichtsdestoweniger wirkten sie auf die Degradierung der kaschubischen Kultur auf das Niveau einer niedrigen, einer Volkskultur hin. Dies löste einen Prozess der Loslösung vom Kaschubentum aus; der nationalen (polnischen) Identifikation wurde der Vorzug vor der kaschubischen gegeben. Folglich betrieben sowohl früher der deutsche als auch der polnische Staat eine Politik der Homogenisierung, die darauf beruhte, andere kulturelle und ethnische Elemente zu verdrängen oder zu assimilieren. Diese Ideologie lässt sich kurz als Ideologie einer Nation definieren, die die ausdifferenzierte ethnisch-kulturelle Gemeinschaft ersetzt. Die Kaschuben wurden diesem gesellschaftlichen Projekt bis zum Ende der kommunistischen Ära unterworfen.
Die Situation der Kaschuben nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems
Das Jahr 1989 wird als Umbruch betrachtet. Ebenso wie der Kommunismus wurde die Politik der Homogenisierung in Frage gestellt oder zumindest geschwächt. Was bedeutet das für die Kaschuben? Vor allem den Prozess der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Subjektwerdung. Das Kaschubentum lebt als kulturell-ethnische Identität und als entscheidendes Element der Selbstidentifikation wieder auf.
Im Bereich des politischen Handelns engagierten sich regionalpolitisch aktive Kaschuben dafür, Einheiten auf der Selbstverwaltungsebene zu organisieren, wobei die kaschubische Identität eine wichtige integrierende Komponente war. Im Ergebnis der Bemühungen der kaschubischen Lobby gelang es, auf Woiwodschaftsebene einen Organismus zu erschaffen, der das ganze Gebiet der gegenwärtigen Kaschubei umfasst. Und auch wenn es nicht gelang, den Namen der Woiwodschaft in Kaschubei-Pommern (Województwo kaszubsko-pomorskie) zu ändern, ist das kaschubische Element doch der wichtigste Bestandteil der Identität der selbstverwalteten Region, die infolge der Verwaltungsreform im Jahr 1999 entstand. Dies findet sowohl symbolisch im Greif, dem mythischen Wappentier, und der gelb-schwarzen Woiwodschaftsfahne seinen Ausdruck als auch im Einfluss des kaschubischen Faktors auf die Regionalpolitik: Zwei der drei aktuellen Woiwodschaftsmarschälle sind Kaschuben. Die kaschubische Herkunft und Identifikation sind wichtige Kriterien bei der Wahl der Selbstverwaltungsorgane auf Gemeinde- und Kreisebene.
Das Engagement der kaschubischen Gemeinschaft beeinflusst auch die Politik auf Landesebene. Die Kandidaten für den Sejm und den Senat bemühen sich um die Unterstützung kaschubischer Organisationen, besonders der Kaschubisch-Pommerschen Vereinigung, die nicht nur eine Rolle als gesellschaftliche Organisation spielt, sondern auch als quasi-Partei, die an den Selbstverwaltungswahlen teilnimmt und kaschubische Politiker bei den Parlamentswahlen unterstützt. Die Kaschuben sind auch auf höchster staatlicher Ebene präsent. Die größte Karriere unter den Kaschuben hat bisher Donald Tusk gemacht, seit 2007 Ministerpräsident Polens und Vorsitzender der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), der größten Partei in Polen. Kaschuben übernahmen auch Ämter auf ministerieller Ebene: In der Koalition von Wahlbündnis Solidarność und Freiheitsunion (Akcja Wyborcza Solidarność – AWS; Unia Wolności – UW) waren der Bildungsminister und sein Stellvertreter Kaschuben: Edmund Wittbrodt und Wojciech Książek. Zurzeit sitzen einige Dutzend Personen, die sich als Kaschuben bezeichnen, im Sejm und im Senat. Im Sejm bilden sie über die Parteigrenzen hinweg den informellen kaschubisch-pommerschen Parlamentarierklub.
Ein wichtiger Erfolg kaschubischer Politiker war die Aufnahme der Regionalsprache in das im Januar 2005 verabschiedete Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten in Polen. Das Kaschubische wurde formalrechtlich als Sprache anerkannt, was der Selbstverwaltung gestattet, zweisprachige Ortsschilder aufzustellen. Außerdem erlaubt dies, die kaschubische Sprache als Hilfssprache in den Ämtern der öffentlichen Verwaltung einzuführen, wenn in den betreffenden Gemeinden mindestens 20 Prozent der Bevölkerung Kaschubisch als Muttersprache sprechen. Darüber hinaus geht es hier auch um Prestige: Hiermit wurde definitiv über den Status des Kaschubischen entschieden. In der Volksrepublik Polen wurde es als Dialekt der polnischen Sprache behandelt, was auch noch viele Politiker und Wissenschaftler nach 1989 taten. Nur wenige Sprachwissenschaftler (vor allem von der Universität Danzig) bemühten sich zu vermitteln, dass es sich nicht um einen Dialekt handelt, sondern um eine eigene Sprache. Aber bis der Status des Kaschubischen nicht formalisiert war, waren solche Aktionen wie das Aufstellen von zweisprachigen Ortsschildern nicht mit dem polnischen Recht vereinbar.
Der Status der kaschubischen Sprache als Regionalsprache hat auch einen positiven Einfluss auf das regionale Schulprogramm im Bereich Kultur und Sprache der Kaschubei. Seit den 1990er Jahren wird in den Schulen fakultativer Unterricht auf Kaschubisch angeboten, es entstehen auch Schulen oder Schulzweige mit kaschubischem Profil. Seit 2005 ist die kaschubische Sprache ein fakultatives Abiturfach. Sie hat einen ähnlichen Status wie die Sprachen der nationalen Minderheiten Belarussisch, Litauisch, Ukrainisch und Deutsch.
Der zivilisatorische Wandel, der auf dem Übergang von den traditionellen Industriegesellschaften zu den postindustriellen Gesellschaften beruht, spiegelt sich in der Wahrnehmung und der Vitalität der kaschubischen Kultur wieder. Diese hat sich gegenwärtig vom Stigma der Folklore befreit. Das Kaschubentum wird zunehmend mit Hochkultur identifiziert. Dies ist sowohl auf die Vermittlung der kaschubischen Sprache in den Schulen zurückzuführen als auch auf die Tätigkeit der regionalen Kulturinstitutionen, die eine wesentliche Transformation vollzogen haben: Sie hörten auf, sich auf die kaschubische Folklore zu konzentrieren. Dank dieses Wandels entstanden kaschubische Medien: das Radio Kaszëbë, der Fernsehsender CSBTV, zahlreiche Internetseiten, die der kaschubischen Thematik gewidmet sind, kaschubische und kaschubischsprachige Zeitungen und regelmäßige kaschubische Programme im öffentlichen Fernsehen und Radio. Eine wichtige Rolle beim Aufbau einer kaschubischen Identität spielen auch Institutionen und Organisationen wie die Universität Danzig (Uniwersytet Gdański), das Kaschubische Institut (Instytut Kaszubski), die Kaschubische Volksuniversität (Kaszubski Uniwersytet Ludowy) und die pommerschen Museen und Bibliotheken. Die Herausbildung einer Hochkultur wäre außerdem nicht möglich ohne die Beteiligung der kaschubischen Schriftsteller, Dichter und Verleger, deren Zahl immer größer wird. Kulturschaffende Aktivitäten gehen auch von den zahlreichen Musik-, Theater- und Künstlergruppen aus, die kaschubische Themen auf Hochkultur-Niveau verarbeiten.
Nicht vergessen werden darf die katholische Kirche, die ebenfalls die kaschubische Sprache und Kultur pflegt und verbreitet. Dank des Engagements kaschubischer Bischöfe und Priester, u. a. des Primas Senior und ehemaligen Metropoliten von Gnesen (Gniezno), Erzbischof Henryk Muszyński – er ist Kaschube – , werden nunmehr Teile der Liturgie in kaschubischer Sprache zelebriert. Auch die Bibel, Gebetsbücher und katholische Gesangbücher wurden ins Kaschubische übersetzt.
Ein weiterer wichtiger Erfolg der kaschubischen Bewegung ist die Ausbildung künftiger Lehrer für kaschubische Sprache und Kultur. Sie findet in der Regel als Aufbaustudium an der Universität Danzig und der Pommerschen Akademie in Stolp (Akademia Pomorska w Słupsku) statt. Und obwohl es nicht gelungen ist, die Studienrichtung »Kaschubistik« als Philologie an der Universität Danzig einzuführen, so wird doch an der Polnischen Philologie der Schwerpunkt »kaschubische Sprache und Kultur« im Rahmen der Lehrerausbildung angeboten.
Die Analyse der kaschubischen Bewegung führt zu der Feststellung, dass sich ein neues Paradigma der kaschubischen Identität herausbildet, das im wesentlichen die postindustrielle Tendenz aufweist, die Identitätsfrage zu relativieren und zum Modell der fragmentarisierten Identität zurückzukehren, die charakteristisch für traditionelle Gesellschaften war. Die kaschubische Identität ist zu einer von mehreren möglichen Identitäten geworden, neben der lokalen Identität, der polnischen oder der europäischen Identität. Der Unterschied zur traditionellen Identität beruht darauf, dass gegenwärtig das kaschubische Selbstbewusstsein und die kaschubische Identität immer stärker Ergebnisse einer freien Entscheidung sind. Das bedeutet, dass die kaschubische Kultur aufhört, ein Zeichen von zivilisatorischer Rückständigkeit zu sein. Die kaschubische Herkunft ist für die Mehrheit der Kaschuben nicht mehr ein Geheimnis, das vor der Umgebung verborgen wird. Vielmehr treten die Kaschuben zunehmend mit ihrer Herkunft in die Öffentlichkeit. Notabene formuliert die rechts-konservative Opposition dies als Vorwurf in Richtung Ministerpräsident Donald Tusk. Kaschubisch zu sein ist in Mode. Mit der kaschubischen Kultur identifizieren sich sowohl Menschen, die kaschubische Eltern oder zumindest ein kaschubisches Elternteil haben, als auch Menschen ohne eine kaschubische Genealogie. Charakteristisch für die »Wahl-Kaschuben« ist die folgende Aussage einer Einwohnerin von Berent (Kościerzyna): »Obwohl meine Eltern keine Kaschuben sind, fühle ich mich als Kaschubin. Kaschubin aus eigener, bewusster Entscheidung. Ich liebe die Tradition, die Landschaft und die Menschen, die hier wohnen. Die Kaschubei ist meine Heimat.«
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate