Analyse Von Caroline von Gall
Die Bilder der »Pussy Riot«-Musikerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Maria Alechina auf der Anklagebank im Moskauer Chamowniki-Gericht gingen um die Welt. Wie kein anderes Verfahren bestimmte der Prozess die politische Debatte in diesem Sommer und rief auch in Deutschland starken öffentlichen Protest hervor. Aus juristischer Perspektive zeigt das Verfahren dagegen nur exemplarisch die bekannten Mängel der russischen Strafjustiz: Die russische Verfassung und die Europäische Konvention für Menschenrechte (EMRK) sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) werden bei der Auslegung der relevanten Normen nicht beachtet. Die Auseinandersetzung mit den Tatbestandsvoraussetzungen bleibt in Anklage und Urteil an der Oberfläche. Wenn auch in diesem Fall eine politische Einflussnahme nicht nachgewiesen werden kann, fehlt es den politischen Eliten seit langem am erkennbaren Willen, die Strafjustiz zu professionalisieren, die Urteile des EGMR systematisch umzusetzen und die Unabhängigkeit der Justiz deutlich zu verbessern. (…)
Zum Artikel Analyse Von Lisa McIntosh Sundstrom, Valerie Sperling
Unsere Studie versucht der Frage nachzugehen, warum es im Gerichtssystem Russlands und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) praktisch keine Verfahren wegen Genderdiskriminierung gibt. Die These lautet, dass die Erklärung hierfür in der weit verbreiteten Wahrnehmung zu suchen ist, dass genderbasierte Diskriminierung ein im Vergleich mit anderen Rechtsverletzungen weniger grundsätzliches Menschenrechtsproblem darstellt. Unsere Feldforschung (die auch Interviews mit russischen Menschenrechtsaktivisten, feministischen Aktivisten und Rechtsanwälten einschloss, die Menschenrechtsverletzungen vor russische und internationale Gerichte bringen) hat ergeben, dass diese Wahrnehmung von Menschenrechten, die sowohl bei russischen Menschenrechtlern selbst als auch in der Bevölkerung anzutreffen ist, ein beträchtliches Hindernis bei der Bewusstseinsbildung über Diskriminierung darstellt. Das führt dazu, dass nur wenige Frauen vor Gericht ziehen und es an Anwälten mangelt, die dazu ausgebildet wären, bei Diskriminierungsfällen vor inländischen oder internationalen Gerichten das Mandat zu übernehmen.
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