Ist die russische Gesellschaft zur Modernisierung bereit? Ergebnisse einer soziologischen Untersuchung

Von Reinhard Krumm

Zusammenfassung
»Modernisierung« ist das Schlüsselwort der Präsidentschaft Dmitrij Medwedews. Das Konzept, das zwischen Konservativen und Modernisierern noch umstritten ist, ist aber nicht zu verwirklichen ohne Unterstützung in der russischen Gesellschaft. Nach dieser fragt eine umfassende Erhebung, deren Ergebnisse hier referiert werden. Sie zeigt, dass die russische Modernisierung vom Staat und vom Präsidenten angeschoben wird. Von ihm erwarten die Bürger Regeln, nach denen man normal leben und arbeiten kann, einen Rechtsstaat und ein sozial gerechtes Leben. Doch der Staat gilt gleichzeitig als der größte Bremser der Modernisierung. Die Beamten im Allgemeinen und die Mitarbeiter der Rechtsschutzorgane im Besonderen, also vor allem die Polizei, werden als Feinde tiefgreifender Veränderungen wahrgenommen. Einer der Hauptgründe dafür ist die verbreitete Korruption. Trotz allem existieren in der Gesellschaft Gruppen, die Reformen vorantreiben können. Die Studie nennt sie die Modernisierer, die etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Ihre Widersacher, die Traditionalisten, sind zahlenmäßig in der Minderheit.

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Analyse

Vorerst gescheitert: »Pussy Riot« und der Rechtsstaat in Russland

Von Caroline von Gall
Die Bilder der »Pussy Riot«-Musikerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Maria Alechina auf der Anklagebank im Moskauer Chamowniki-Gericht gingen um die Welt. Wie kein anderes Verfahren bestimmte der Prozess die politische Debatte in diesem Sommer und rief auch in Deutschland starken öffentlichen Protest hervor. Aus juristischer Perspektive zeigt das Verfahren dagegen nur exemplarisch die bekannten Mängel der russischen Strafjustiz: Die russische Verfassung und die Europäische Konvention für Menschenrechte (EMRK) sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) werden bei der Auslegung der relevanten Normen nicht beachtet. Die Auseinandersetzung mit den Tatbestandsvoraussetzungen bleibt in Anklage und Urteil an der Oberfläche. Wenn auch in diesem Fall eine politische Einflussnahme nicht nachgewiesen werden kann, fehlt es den politischen Eliten seit langem am erkennbaren Willen, die Strafjustiz zu professionalisieren, die Urteile des EGMR systematisch umzusetzen und die Unabhängigkeit der Justiz deutlich zu verbessern. (…)
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Analyse

Die Ukraine aus Sicht der »Russkij Mir«

Von Wilfried Jilge
Der aus Sicht der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder der Staatengemeinschaft völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland lagen neben unterschiedlichen situativen, innen- und außenpolitischen Motiven auch längerfristige ideologische und geopolitische Konzepte zugrunde, die von der russischen Staatsführung sowie kremlnahen Politikern und Ideologen in den letzten Jahren – und während der Ukraine-Krise noch verstärkt – unter dem Begriff »Russkij Mir« propagiert wurden. Die Ukraine wird dabei ideologisch als ein Kernbestandteil dieser »Russischen Welt« und damit eines orthodox-ostslawischen, von Russland geführten und der EU entgegengestellten Orbits vorgestellt. Insofern dient das Konzept der Legitimation des Einbezugs der Ukraine in die angestrebte »Eurasische Union«. Im Rahmen dieses Konzepts werden insbesondere die Gebiete der Ost- und Südukraine zu einem einheitlichen »Süd-Osten« zusammengefasst, in dem mehrheitlich mit der Russischen Föderation eng verbundene »Landsleute« leben, für die Russland eine Schutzfunktion beansprucht. Zugleich wird der »Süd-Osten« der Ukraine als »Neurussland« und damit als eigentlich russisches Territorium verbrämt, um den direkten politischen Einfluss Russlands in der Ukraine historisch zu legitimieren und gegebenenfalls eine freie Selbstbestimmung der Ukraine über die künftige Ausrichtung des Staates zu verhindern. (…)
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