Der Energiedialog Russland – EU: 10 Jahre später

Von Inna Chuvychkina (Bremen)

Zusammenfassung
Im Oktober letzten Jahres haben Russland und die Europäische Union den 10. Jahrestag ihrer energiepolitischen Zusammenarbeit gefeiert. Der Weg zur Gestaltung des Energiedialogs war lang und schwer gewesen. Die Energiekooperation wird dabei zunehmend zu einem politischen Faktor. Dieser Artikel beleuchtet die wesentlichen Schwierigkeiten, die die (Weiter-) Entwicklung des Energiedialogs belasten.

Einleitung

Auf dem Russland-EU-Gipfel im Jahre 2000 wurde beschlossen, einen regelmäßig stattfindenden Energiedialog einzurichten, der die Interessen beider Seiten im Energiebereich ausgleichen und die Kooperation im Energiebereich zum gemeinsamen Vorteil weiterentwickeln sollte. Der Dialog sieht eine langfristige und strategische Zusammenarbeit zwischen Produzenten und Abnehmern vor allem im Öl- und Gasbereich vor. Zentrale Ziele sind die Schaffung eines stabilen Energiemarktes, die Gewährleistung sicherer Energieversorgung und die Optimierung der Energieeffizienz.

Kooperationsbedarf

Zentrale Voraussetzung für eine Kooperation von Russland und der EU im Energiebereich ist ihre wirtschaftliche Komplementarität. Zum Ausgleich ihrer Energiebilanz ist die Europäische Union auf russische Öl- und Gaslieferungen angewiesen. Der Importbedarf beim Erdgas wird zu 70 % durch Lieferungen aus Russland, Norwegen und Algerien gedeckt, wobei Russland mit Abstand die größte Rolle spielt. Die Staaten der EU sind jedoch unterschiedlich stark von russischen Energielieferungen abhängig, so dass einige europäische Länder wie etwa Finnland, die Slowakei und die baltischen Staaten bis zu 100 % ihres Gasimportes aus Russland beziehen.

Russland ist wiederum vom Export der Energieressourcen in die EU abhängig. Zum einen sind die bestehenden Transportwege zumeist auf den kaufkräftigen europäischen Markt orientiert. Zum anderen leisten die Einnahmen aus dem Energieexport einen wesentlichen Beitrag zu den russischen Staatseinnahmen und ermöglichen so die Finanzierung von Ausgaben im sozialen Bereich sowie die Entwicklung anderer Wirtschaftssektoren. Außerdem strebt Russland danach, ausländische Investoren und Lieferanten von Spitzentechnologien zu gewinnen. Die Energieinterdependenz ist somit ein wichtiger Bestandteil der russisch-europäischen Zusammenarbeit.

Diese Interdependenz hat einen langfristigen Charakter. Erstens ist der Transport größtenteils an Pipelines gebunden. Zweitens hat die Abhängigkeit der EU von Energieimporten einen langfristigen Charakter, weil die eigenen Rohstoffvorräte begrenzt sind und der Anteil erneuerbarer Energie an der Energieproduktion immer noch verhältnismäßig klein ist.

Struktur und Mechanismen des Dialoges

Seitdem der politischen Beschluss zur Energiekooperation im Jahr 2010 gefasst wurde, hat der Dialog einige Entwicklungsphasen durchgelaufen. In der Planungsphase wurde das Kooperationspotential eingeschätzt sowie Richtung und Aufgaben der Zusammenarbeit bestimmt. In der darauf folgenden Implementierungsphase wurde der Energiedialog institutionalisiert. Die zwischenstaatlichen Konsultationen werden regelmäßig im Rahmen des ständigen Partnerschaftsrates durchgeführt, der das koordinierende Organ darstellt. Strategische Entwicklungsrichtungen werden zweimal jährlich auf einem Gipfel beschlossen, an dem die Staats- und Regierungschefs teilnehmen. Es wurden zusätzlich drei Expertengruppen geschaffen, die sich mit Strategien, Prognosen zur Entwicklung der Energiemärkte sowie Fragen der Energieeffizienz beschäftigen.

Außerdem wurden im Rahmen des Energiedialogs mittlerweile drei weitere Programme ausgehandelt. Die im Jahre 2005 vereinbarte Roadmap beinhaltet zahlreiche Maßnahmen im Energiebereich mit dem Ziel, die Märkte beider Parteien zu integrieren. Auf dem Gebiet der Versorgungssicherheit wurde 2009 das Memorandum über die Bildung eines Frühwarnmechanismus verabschiedet, das zum operativen Informationsaustausch und zur rechtzeitigen Feststellung möglicher Probleme und Risiken im bilateralen Energiehandel beiträgt. Auf dem EU-Russland-Gipfel im Juni 2010 wurde schließlich das Projekt »Partnerschaft für Modernisierung« unterzeichnet, das die Förderung der wirtschaftlichen Modernisierung Russlands vorsieht.

Die Tendenz geht aber weitestgehend dahin, dass die meisten Deklarationen im Energiedialog nur auf dem Papier bleiben, während andererseits eine Reihe gemeinsamer Projekte im Energiebereich außerhalb dieses Dialogs verwirklicht wurde.

Fehlende Rechtsverbindlichkeit

Die Grundlage für die Zusammenarbeit im Energiedialog bildet das im Jahr 1997 in Kraft getretene Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA), das 2007 abgelaufen ist und sich seither jährlich verlängert, wenn es nicht von einer der Vertragsparteien gekündigt wird. Der Energiedialog als solcher ist hier aber nicht rechtsverbindlich geregelt.

Eines der Dokumente, das ein rechtsverbindliches Energieregime zwischen Russland und der EU etablieren könnte, ist der Energiecharta-Vertrag. Es ist ein einzigartiges, rechtlich verbindliches, multilaterales Dokument und bezieht sich umfassend auf die Beziehungen zwischen energieexportierenden und -importierenden Ländern. Russland hat diesen, 1998 in Kraft getretenen Vertrag unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Trotzdem wurde der Vertrag von Russland bis 2009 vorläufig angewendet. Der Verzicht auf die Anwendung wurde im Sommer 2009 damit begründet, dass die Charta den Bedürfnissen der Energieimporteure entspricht und die Interessen der Exporteure nicht berücksichtigt. Die Kritik Russlands bezog sich auch auf die Wirkungslosigkeit der Charta beim Erdgaskonflikt mit der Ukraine am Jahresanfang 2009, als die ukrainische Partei die Vertragsbedingungen verletzte.

Auf dem EU-Russland-Gipfel in Brüssel 2010 ist inzwischen die Entscheidung getroffen worden, Russland in die Entwicklung der europäischen Energie-Roadmap 2050 einzubeziehen. Diese Roadmap bildet den langfristigen Rahmen für die EU-Energiepolitik und schafft Möglichkeiten zur Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energie. Die Roadmap wird als ein Instrument zur Koordination der Energiepolitik betrachtet. Die Einbeziehung Russlands in die Roadmap kann die Funktionsweise der beiden Energiemärkte verbessern. Aus europäischer Sicht steht die Versorgungssicherheit für die Abnehmerländer und eine stabile Nachfrage für Energielieferanten im Mittelpunkt. Konzeptionelle Differenzen über Energiesicherheit bergen aber ein erhebliches Risiko für den Energiedialog.

Divergierende Interessen

Russland möchte eine stabile Nachfrage durch langfristige Lieferverträge sichern. Die garantierten Einnahmen aus diesen Verträgen sollen Investitionen in die Erschließung neuer Vorkommen sowie in die Entwicklung der Transportinfrastruktur finanzieren. Die EU hingegen möchte ihre Energieversorgung durch Wettbewerb auf dem Binnenmarkt und Diversifizierung der Importoptionen sichern. Die EU erschwert so im Rahmen der Liberalisierung des Erdgasbinnenmarktes den Abschluss langfristiger Lieferverträge, die als Wettbewerbshindernis betrachtet werden. So wird auch versucht, durch Pipelines geliefertes Gas zunehmend durch auf Spotmärkten gehandeltes Flüssiggas zu ersetzen. Außerdem verstärkt die EU die Zusammenarbeit mit den Staaten des Kaspischen Raumes, um ihre Energieversorgung zu diversifizieren.

Infolge der Finanzkrise war die Situation in den Jahren 2008–10 durch den Nachfragerückgang bei Gas gekennzeichnet. Russland musste seine Liefermengen in die EU reduzieren. Die langfristigen Lieferverträge beinhalten dabei keine Mechanismen, die es ermöglichen während der veränderten wirtschaftlichen Konjunktur flexibel zu sein. Die lange Zeit starre Haltung Gazproms bewirkte so Marktverluste in Europa.

Zusätzlich ergeben sich in der Region zwischen Russland und der EU auch außenpolitische Rivalitäten. Die EU möchte ihr Regulierungsmodell des Energiebinnenmarktes in benachbarte Staaten exportieren, um einen einheitlichen Rahmen der europäischen Energiepolitik unter Einbeziehung der Produzenten und Transitstaaten zu schaffen. Ein Programm zur Umsetzung dieses Zieles ist die Europäische »Nachbarschaftspolitik«, die sich auf die GUS-Staaten und die Länder der Mittelmeerregion erstreckt. Sie dient u. a. dazu, bilaterale Energiebeziehungen aufzubauen, einen weichen Markteintritt durchzusetzen und die bestehende Gesetzgebung dieser Länder im Sinne der EU-Regelungen zu harmonisieren. Russland dagegen hält das »nahe Ausland«, also die Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, die nicht zu EU und NATO gehören, für seine Sphäre geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen. Diese Rivalität zwischen der EU und Russland erschwert die Suche nach einer Balance und eine Einigung in sicherheitspolitischen Fragen.

Konfliktfälle

Die Liberalisierung des EU Binnenmarktes für Erdgas widerspricht in einigen zentralen Punkten den Interessen der russischen Energieproduzenten und hat deshalb wiederholt zu Konflikten geführt. Dabei geht es nicht nur um vermehrte Konkurrenz, etwa über Spotmärkte für Flüssiggas. Die EU-Erdgas-Richtlinie im dritten Energiepakt ordnet auch die Besitzverhältnisse neu und erlaubt die Diskriminierung ausländischer Unternehmen, falls sie den neuen Regeln nicht gerecht werden.

Innerhalb der EU müssen Energiekonzerne entweder Produktion und Transport in getrennte Unternehmen überführen, d. h. einen Bereich abstoßen, oder zumindest den geschäftlich unabhängigen Betrieb des Transportbereichs gewährleisten. Die Entflechtung von Produktion und Transport soll Monopolstellungen aufbrechen, indem Pipelines für alle Anbieter geöffnet werden. Außerdem enthält die EU-Richtlinie eine Klausel, die die Erfüllung der gleichen Entflechtungsanforderungen von ausländischen Energiekonzernen verlangt. Gazprom hat als Erdgasproduzent aber in Russland gleichzeitig eine Monopolstellung beim Pipelinetransport, erfüllt die Bedingungen also nicht. Im Ergebnis können EU-Mitgliedsstaaten den Markteintritt Gazproms verhindern, da die Richtlinie die Diskriminierung eines Auslandsunternehmens erlaubt, wenn es den Voraussetzungen des dritten Energiepakets nicht entspricht oder wenn eine Gefahr für die eigene Energiesicherheit besteht. Letzteres öffnet politischen Interpretationen weiten Raum. Zwei Beispiele können die Folgen der Neuregelung demonstrieren.

In Litauen hat Gazprom einen Anteil von 37,06  % an dem Energieversorger »Lietuvos dujos«. Gazprom ist damit gleichzeitig Gaslieferant und Gasabnehmer. Als einziger Lieferant verkauft »Gazprom« das Gas zum Höchstpreis. Als Miteigentümer des Abnehmers hat Gazprom dementsprechend kein Interesse sich für ermäßigte Lieferpreise einzusetzen. Damit ergibt sich ein klarer Interessenkonflikt zum Nachteil der litauischen Verbraucher, wenn die Vorstandvorsitzenden von »Lietuvos dujos« zugleich den Lieferanten und den Käufer des Gases vertreten müssen. Als 2007 die russischen Gaspreise für Litauen erhöht wurden, kam es zum offenen Konflikt. Der Konflikt wurde 2009 zusätzlich verschärft als die Entscheidung zur Trennung von Produktion und Transport getroffen wurde, was den Einfluss des russischen Konzerns reduzierte. Der Interessenkonflikt zwischen Produzent und Abnehmer wird so nachhaltig aufgelöst.

In Polen wurde die zentrale Erdgastransitpipeline Jamal-Europa von EuRoPolGaz betrieben, das jeweils zur Hälfte Gazprom und seinem polnischen Partner gehörte. Die Pipeline war über einen langfristigen Liefervertrag exklusiv für Gazproms Lieferungen in die EU reserviert. Auf Verhandlungen zur Verlängerung des Vertrages reagierte die EU 2010 mit der Drohung eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung der Wettbewerbsvorschriften. In Reaktion auf den Druck von Seiten der EU wurde der polnische Teil der Jamal-Pipeline im Oktober dem polnischen Unternehmen Gaz-System übertragen und Gazprom versicherte, dass die Pipeline auch für andere Produzenten offen sei. Zur Zeit ist aber nur Gazprom in der Lage, Erdgas zum Transport durch die Pipeline zu liefern. Die Entflechtung ändert hier also erst einmal nichts an der Monopolstellung des russischen Unternehmens. Das dritte Energiepaket kann erst dann zur Wettbewerbsförderung beitragen, wenn es alternative Lieferquellen gibt.

Russischer Investitionsbedarf

Während die EU so die Position Gazproms im Binnenmarkt schwächt, diskriminiert Russland ausländische Investoren in der Erdöl- und Erdgasproduktion. Der russische Energiesektor ist intransparent, vergleichsweise geschlossen und rechtliche Regulierungen werden immer wieder als Druckmittel instrumentalisiert.

Der Energiesektor Russlands benötigt jedoch ausländische Investoren mit zusätzlichen Finanzmitteln und spezieller Fördertechnik für die Erschließung neuer Vorkommen, insbesondere auf dem Kontinentalschelf, aber auch für die Aufrechthaltung des Förderungsniveaus und die Erweiterung des Pipelinenetzes. Dementsprechend bedarf es einer neuen Investitionsstrategie die die Rechte und Pflichten der Investoren verbindlich festlegt und Russland für Investoren attraktiv macht.

Auf dem Weltwirtschaftsforum 2011 in Davos hat der russische Präsident Dmitri Medwedew die Bildung eines Sonderfonds zur Mobilisierung ausländischer Investitionen angeregt. Um Investitionen anzuziehen, müsse das Risiko zwischen Auslandsinvestoren und dem russischen Staat durch Co-Investment geteilt werden. Struktur und Mechanismen des Fonds sind noch nicht ausgearbeitet, aber eine solche Initiative würde die Rückkehr von einer politischen zu einer wirtschaftlichen Ausrichtung der Energiekooperation einleiten.

Es gilt aber zu bedenken, dass im Rahmen des Energiedialogs keine effektive Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen und Wirtschaftsvertretern stattfindet. Ein hoher Grad an Korruption, bürokratische Hürden und unklare Rechtslagen sind Probleme, die ausländische Investoren in Russland behindern. Diese Probleme können nicht im Rahmen des Energiedialogs gelöst werden.

Fazit

Auch nach zehn Jahren ist ein konstruktiver Dialog zwischen der Europäischen Union und Russland im Bereich der Energiekooperation nicht zustande gekommen. Trotz aller Auseinandersetzungen und Schwierigkeiten sind die beiden Seiten aber weiterhin langfristig aufeinander angewiesen. Diese langfristige gegenseitige Abhängigkeit garantiert die Energieversorgungsicherheit und verhindert eine Eskalation von Konflikten. Eine konstruktive Zusammenarbeit auf Augenhöhe kann aber nur durch die Ausarbeitung verbindlicher Rechtsnormen erreicht werden. Jedoch haben die seit vier Jahren laufenden Verhandlungen über ein neues strategisches Abkommen bisher noch keine erkennbaren Fortschritte gebracht.

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