Die russische Presse zur geplanten Verschärfung des Gesetzes über »nichtkommerzielle Organisationen«

Die russische Staatsduma verabschiedete am 6. Juli in erster Lesung eine Gesetzesnovelle, wonach beim russischen Justizministerium ein spezielles Register für Organisationen eingeführt werden soll, die »als ausländische Agenten agieren«. Organisationen, die Unterstützung aus dem Ausland erhalten und sich politisch betätigen, müssen in Zukunft öffentlich die Bezeichnung »ausländischer Agent« führen. Die zweite und dritte Lesung des Gesetzesvorhabens sind für den 13. Juli geplant, damit der Föderationsrat das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden kann. Das Gesetz sieht vor, dass sich Nichtregierungsorganisationen, die Gelder aus dem Ausland erhalten, innerhalb von 90 Tagen in dem neu geschaffenen Register registrieren und dadurch anderen Verpflichtungen als die übrigen NGOs unterworfen sind. Zum Einen müssen sämtliche Materialien der Organisationen den Vermerk »NGO – in Funktion eines ausländischen Agenten« führen – bei Zuwiderhandlung droht eine Strafe von 500.000 bis eine Million Rubel (ca. € 12.000–25.000). Zum Zweiten müssen diese NGOs zweimal im Jahr (alle übrigen NGOs nur jährlich) eine Finanzabrechnung vorlegen und jährlich eine Steuerprüfung sowie eine externe Wirtschaftsprüfung vornehmen lassen. Die Verletzung dieser Vorschrift hat eine Strafe von 200.000–300.000 Rubel (ca. € 5.000–7.400) oder gar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren und die Schließung der NGO zur Folge.

Die Definition der »politischen Tätigkeit« ist in dem Entwurf der Gesetzesänderung sehr breit ausgelegt: »die Beteiligung an Organisation und Durchführung von politischen Aktionen zur Beeinflussung der Entscheidungsfindung von Staatsorganen und der Bildung einer öffentlichen Meinung zu diesem Zwecke« (Artikel 2). Hierunter lassen sich nicht nur die Arbeit von Menschenrechtlern oder Wahlbeobachtern zusammenfassen, sondern auch Aktionen von Umweltschützern, wissenschaftliche Forschungen oder gar die Unterstützung sozial Benachteiligter.

Ein Abgeordneter der Regierungspartei »Einiges Russland« merkte zu der Gesetzesinitiative an, dass diese eine direkte Antwort auf das in den USA verhandelte Gesetz über das Einreiseverbot gegen russische Staatsbürger ist, die mit dem Tod des Anwalts Sergej Magnitskij in Verbindung stehen sollen. Viele Elemente der Gesetzesnovelle sind dem amerikanischen Gesetz »Zur Registrierung ausländischer Agenten« aus dem Jahre 1938 entnommen. Der Gesetzesentwurf richtet sich zudem im Wesentlichen gegen die USA als Hauptfinanzier russischer NGOs.

Die Meinungen zu dieser Gesetzesnovelle gehen deutlich auseinander. Im Folgenden sollen einige Kommentare zu dieser Initiative angeführt werden.

Alexander Sidjakin, Duma-Abgeordneter von »Einiges Russland« und Co-Autor dieses Gesetzesentwurfs sowie des erst vor wenigen Wochen im Schnellverfahren verabschiedeten Gesetzes zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes:

»Das Gesetz ist darauf ausgerichtet, die Staatsbürger zu schützen und deren Rechte zu achten. Damit die Menschen verstehen können, wer konkret zur Beeinflussung der politischen Situation im Lande aufruft – unsere Zivilgesellschaft oder ausländische Agenten. […] Es ist offensichtlich, dass in Russland ein ganzes Netz von Nichtregierungsorganisationen agiert, deren bezahlte Tätigkeit Misstrauen gegenüber den spezifischen Zielen ihrer Auftraggeber hervorruft.

Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten – entweder Mutmaßungen anzustellen und sich über die millionenschweren Tranchen des US State Departement zur angeblichen Demokratieförderung zu empören, oder die ausländischen Agenten zu legalisieren und diese eindeutig als Interessenvertreter eines anderen Staates zu verstehen.«

In: Alexander Michailow und Tamara Schkel: Wsjo, kak w Amerike, in: Rossijskaja Gaseta, 02.07.2012, http://www.rg.ru/2012/07/02/organizacii.html.

Irina Jarowa, Vorsitzende des Duma-Komittees für Sicherheit:

»Wenn es um die Tätigkeiten von NGOs geht, die als ausländische Agenten auftreten und politischer Tätigkeit nachgehen, so ist es vollkommen logisch, dass hierbei eine angemessene gesellschaftliche Kontrolle existieren muss.«

In: Nekommertscheskim propisali organisaziju, in: Kommersant, 29.06.2012, http://www.kommersant.ru/doc/1969357.

Michail Starschikow, Abgeordneter von »Einiges Russland«, Co-Autor des Gesetzesentwurfs sowie Vorsitzender der interfraktionellen Arbeitsgruppe zur Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft mit den Sicherheitsorganen und Geheimdiensten:

»An dem Begriff ›ausländischer Agent‹ ist an sich nichts Verwerfliches – dieser bezeichnet keineswegs einen Spion, wie von einigen behauptet. Hierbei handelt sich allein um eine Rechtsdefinition. Und in gewisser Hinsicht ist sie sogar ein ›Plagiat‹. Ähnliche Gesetze existieren schon seit langem in entwickelten Demokratien.«

In: Tamara Schkel: Agent – eschtschjo ne schpion, in: Rossijskaja Gaseta, 04.07.2012, http://www.rg.ru/2012/07/04/nko.html.

Nikolai Lewitschew, Stellvertretender Sprecher der Fraktion »Gerechtes Russland«:

»Eine solche Initiative könnte man als einen unangebrachten Witz aus der Epoche des Kalten Krieges auffassen«.

In: Anastasija Kornja, Maxim Glikin und Natalja Kostenko: Begom sa schpionami, in: Wedomosti, 02.07.2012, http://www.vedomos ti.ru/newspaper/article/283481/begom_za_shpionami.

Boris Altschuler, Vorsitzer der Organisation »Recht des Kindes«:

»Das Bild des äußeren Feindes, die massenhafte ›Aufdeckung ausländischer Agenten, die vom Schwert der sowjetischen Rechtsprechung bestraft wurden‹ – all dies ist die Wirklichkeit der sowjetischen totalitären Vergangenheit«.

In: Nikita Girin und Diana Chatschatrjan: Krjutschkotworzy, in: Nowaja Gaseta, 04.07.2012, http://www.novayagazeta.ru/poli tics/53360.html.

Pawel Tschikow, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation »AGORA«:

»Es läuft darauf hinaus, dass die NGOs eigene Untersuchungen anstellen und die Finanzquellen jedes ihrer Spender aufklären müssen. […] Folglich ließe sich auch die Bewegung ›Naschi/Die Unseren‹ als ausländischer Agent klassifizieren, wenn sich herausstellen sollte, dass die sie finanzierenden Unternehmen über ausländisches Kapital verfügen. Als ›verbotene‹ Finanzierung gilt auch ›anderes Eigentum‹, viele Organisationen erhalten jedoch kostenlose Software von Microsoft. […] Je mehr Organisationen dem Register der ausländischen Agenten beitreten, desto geringer ist sein Effekt. Die Initiative selbst ist zweifellos gegen einige wenige Organisationen gerichtet, die der russischen Staatsmacht am meisten Sorgen bereiten. […] De facto nähren die schwammigen Formulierungen des Gesetzes die Vermutung, dass alle russischen NGOs ausländischem Einfluss unterliegen«.

In: Nikita Girin und Diana Chatschatrjan: Krjutschkotworzy, in: Nowaja Gaseta, 04.07.2012, http://www.novayagazeta.ru/poli tics/53360.html.

Jelena Topolewa, Mitglied der Gesellschaftskammer und Leiterin der »Agentur für soziale Information«:

»Wenn eine Organisation heute die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt, da sie diese für absurd hält, so kann diese auf gesetzlicher Grundlage, sobald sie der Staatsmacht unbequem wird, geschlossen, bestraft oder hinter Gitter gebracht werden. Das schwarze Etikett ›ausländischer Agent‹ bedeutet eine Schuldvermutung, ein ›Agent ausländischen Einflusses‹ wird in der russischen Sprache mit einem Spion gleichgestellt, und Spionen will keiner helfen.«

In: Nikita Girin und Diana Chatschatrjan: Krjutschkotworzy, in: Nowaja Gaseta, 04.07.2012, http://www.novayagazeta.ru/poli tics/53360.html.

Jelena Panfilowa, Vorsitzende von Transparency International – Russland:

»Wenn es die Gesetzgeber für notwendig erachten, mir das Markenzeichen ›Kämpferin gegen die Korruption‹ auf die Stirn zu setzen und in den Pass den Stempel ›Spion‹, was solls, ich gebe meinen Pass ab, mache das weiter, an das ich glaube, und pfeife dabei ›Kalinka‹. Mir tun nur meine jungen Kollegen sehr leid, die alles tun, was sie können, damit die Korruption in Russland zurückgeht, und die statt Dank noch Beleidigungen ernten.«

In: Nikita Girin und Diana Chatschatrjan: Krjutschkotworzy, in: Nowaja Gaseta, 04.07.2012, http://www.novayagazeta.ru/poli tics/53360.html.

Michail Fedotow, Vorsitzender des Rates für Menschenrechte und die Entwicklung der Zivilgesellschaft beim russischen Präsidenten:

»Dies ist eine schlechte Kopie des amerikanischen NGO-Gesetzes. Wenn ausländische Gelder auf den Konten der NGOs unter Kontrolle gebracht werden sollen – so ist dies unter den aktuellen Gesetzen schon vorgesehen. Wenn die Einmischung von NGOs in die Politik eingeschränkt werden soll – so widerspricht dies der Verfassung.«

In: Irina Gordenko: Prawosaschtschitnikow sprosoli?, in: Nowaja Gaseta, 04.07.2012, http://www.novayagazeta.ru/politics/53358.html.Zusammenstellung, Einführung und Übersetzung aus dem Russischen: Christoph Laug.

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Kommentar

Gelenkter Volkszorn. Skandal-Management in der russischen »souveränen Demokratie«

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Dieser Beitrag zeigt an zwei Fallstudien, wie die politischen Eliten Russlands derzeit Ausbrüche öffentlicher Empörung, die in einem weitgehend ungefilterten Internet in einer hochdynamischen Sphäre sozialer Medien aufwallen, geschickt gemäß der eigenen politischen Ziele und Interessen kanalisieren. Wie die beiden Fallstudien illustrieren, sind die mächtigsten Werkzeuge bei diesem »Skandal-Management« die drei führenden, staatlich kontrollierten Fernsehsender. Ziele sind, den Volkszorn auf niedere und mittlere Ebenen des Verwaltungsapparates umzulenken oder Einflussnahme ausländischer Mächte zu suggerieren. Wie die Fallstudien jedoch auch belegen, ist der Erfolg dieser Bemühungen maßgeblich davon abhängig, ob und inwieweit die jeweiligen Auslöser des Skandals bereit sind, mit den Führungseliten zu kooperieren.
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Analyse

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