Hungerstreik inhaftierter somalischer Flüchtlinge in der Ukraine

Von Marc Speer (München)

Anfang dieses Jahres traten in der Region Wolyn 58 inhaftierte somalische Flüchtlinge – darunter auch Frauen und Minderjährige – in den Hungerstreik. Ihnen schlossen sich nach kurzer Zeit 20 weitere Flüchtlinge in einem Abschiebelager in der Region Tschernihiw an. Mit diesem drastischen Mittel versuchten sie auf ihre aussichtslose Lager hinzuweisen und forderten ihre sofortige Entlassung sowie die Ausstellung von Papieren, die ihnen einen legalen Aufenthalt in der Ukraine ermöglichen. Laut Amnesty International wurden die Hungerstreikenden am 30. Januar 2012 von bewaffneten Spezialeinheiten körperlich misshandelt und teilweise zum Essen gezwungen.

Wie von Raphi K. Rechitsky in den Ukraine-Analysen Nr. 92 ausführlich beschrieben, ist die Ukraine als »Pufferzone« zu begreifen. Deren Funktion liegt darin, Flüchtlinge bereits vor dem Überqueren der Außengrenzen des Schengenraums aufzuhalten bzw. dies zumindest zu erschweren. Dass dies weniger den Interessen der Ukraine, sondern vielmehr jenen der Europäischen Union dienlich ist, liegt auf der Hand. Im Gegenzug bekam die Ukraine daher Visa-Erleichterungen für ihre eigenen Staatsbürger zugebilligt und EU-Beitrittsverhandlungen sind zumindest mittelfristig nicht gänzlich ausgeschlossen. Darüber hinaus unterstützt die Europäische Union nicht nur die technische Aufrüstung der ukrainischen Grenzschutztruppen, sondern finanziert auch eine Reihe von Projekten im Rahmen des sog. »Migration Management«. In der Ukraine werden derartige Projekte u. a. von der »International Organization for Migration« (IOM) durchgeführt. Im Rahmen eines dieser Projekte wurde auch der Aufbau jener beiden Abschiebegefängnisse vorangetrieben, in welchen der Hungerstreik stattfand.

Vorangegangen war diesem verzweifelten Protest eine massive Verhaftungswelle in der Stadt Winnyzja, in der sich seit einiger Zeit eine somalische Community etabliert hat. Zwar war diese mit regelmäßigen Razzien und teilweise erheblichen Schmiergeldforderungen konfrontiert, dennoch bestand hier zumindest die Möglichkeit das nackte Überleben zu sichern. Über die Gründe für die plötzlichen Verhaftungen lässt sich lediglich mutmaßen, denkbar ist etwa ein Zusammenhang mit der im Sommer stattfindenden Fußball-Europameisterschaft. Sicher ist allerdings zweierlei: Erstens, dass die Behörden seit Jahren über die Aufenthaltsorte der somalischen Migranten informiert waren. Zweitens, dass es für Flüchtlinge (nicht nur aus Somalia) de facto ein Ding der Unmöglichkeit ist, im chaotischen und von Korruption durchzogenen Asylsystem der Ukraine einen Schutzstatus zu erhalten. Hieran änderte auch die Einführung eines subsidiären Schutzstatus im Laufe des letzten Jahres wenig, der nun zwar gesetzlich verankert ist, allerdings in der Praxis nicht erteilt wird. Im Fall von somalischen Migranten ist dies insoweit unverständlich, da diese aus einer Bürgerkriegsregion kommen, in die Abschiebungen grundsätzlich nicht möglich sind. Dies führt in allen Staaten mit einem halbwegs funktionierenden Asylsystem dazu, dass diese zumindest einen subsidiären Aufenthaltsstatus zugesprochen bekommen. Von einer weiteren Gesetzesänderung des letzten Jahres – der Verlängerung der maximalen Haftdauer für informelle Migranten von sechs auf zwölf Monate – wird hingegen großzügig Gebrauch gemacht. So wurde die überwiegende Mehrheit der hungerstreikenden Somalis in ganz offensichtlich pseudo-rechtsstaatlichen Verfahren zur maximalen Haftdauer von zwölf Monaten Haft verurteilt. Formell dient diese Haft nicht der Bestrafung für gesetzwidriges Handeln, sondern ausschließlich dazu, die Rückführung in den Herkunftsstaat sicherzustellen. Da eine Abschiebung nach Somalia praktisch unmöglich ist und zudem einen Verstoß gegen internationale (auch von der Ukraine ratifizierte) Menschenrechts- und Flüchtlingsabkommen darstellen würde, ist sie faktisch dennoch als eine Form der Bestrafung anzusehen. Ein Strafe, die von den Betroffenen als zutiefst ungerecht empfunden wird. Auch der UNHCR spricht in einer Pressemitteilung davon, dass eine Abschiebung nach Somalia einen Verstoß gegen Artikel 3 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe bzw. Behandlung) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellen würde und stellt weiterhin fest, dass die Inhaftierung von Somalis in der Ukraine gegen Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) der EMRK verstößt.

Aufgrund des faktisch nicht vorhanden Asylsystems in der Ukraine bleibt oftmals als einziger Ausweg nur noch der Versuch, die Grenze in die angrenzenden EU-Staaten klandestin zu überwinden, um dort um Asyl zu ersuchen. Dies ist allerdings mit dem Risiko verbunden, entweder von ukrainischen Grenzschutztruppen oder jenen der EU-Nachbarstaaten aufgegriffen zu werden. Im letzteren Fall erfolgt zumeist innerhalb kürzester Zeit eine Rückschiebung in die Ukraine, die im Regelfall als rechtswidrig anzusehen ist, da sie einen Verstoß gegen das sog. Refoulement-Verbot darstellt. In beiden Fällen kommt es daran anschließend üblicherweise zu einer zwölfmonatigen Inhaftierung in einem der zwei long-term detention centres, welche offiziell euphemistisch als »Migrant Accomodation Centres« bezeichnet werden. Es muss an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass diese mit finanzieller und personeller Unterstützung der Europäischen Union bzw. der in ihrem Auftrag tätigen Organisationen wie IOM oder dem »International Centre for Migration Policy Development« (ICMPD) errichtet wurden. Dass diese nun zur menschenrechtswidrigen Inhaftierung von Flüchtlingen genutzt werden, spricht für sich.

Am 17.2.2012 beenden die Hungerstreikenden – nach fast sechs Wochen – ihren Hungerstreik, nachdem ihnen zugesagt wurde, ihre Asylanträge zumindest nicht innerhalb von 15 Tagen als »offensichtlich unbegründet« abzulehnen. Ein weiteres Resultat des Hungerstreiks ist, dass die zuvor inaktive Migrationsbehörde in der Region Wolyn ihre Arbeit zumindest wieder aufnehmen soll. Was von diesen Zusagen zu halten ist, wird die Zukunft zeigen. Der Optimismus sollte sicherlich nicht allzu ausgeprägt sein.

Lesetipps / Bibliographie

  • Auf der Internetseite des »Border Monitoring Project Ukraine« (www.bordermonitoring-ukraine.eu) findet sich eine ausführliche Dokumentation des Hungerstreiks sowie Statements von Human Rights Watch, Amnesty International, dem ukrainischen Flüchtlingsrat sowie dem UNHCR.

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Analyse

Gefangen in der Pufferzone: Migration, Flüchtlinge und die Auswirkungen der EU-Außenpolitik

Von Raphi K. Rechitsky
Die Reaktionen der Medien und Regierungen auf die arabischen Revolutionen in Nordafrika und im Nahen Osten haben moralische Panik angesichts des gewaltigen Ausmaßes der neuen Migrationswellen ausgelöst. Allerdings ist wenig über die Politik und die Bedingungen bekannt, die die Flüchtlinge dazu zwingen, von den Rändern der EU in die östlichen Mitgliedsländer zu immigrieren. Ein Blick auf die EU-Außenpolitik und die Unterstützung für die EU-Nachbarn zeigt deutlich, dass eine Transformation hin zu einer Politik, die auf Menschenrechten und Freizügigkeit basiert, notwendig ist. Da die Flüchtlinge gesetzlich und sozial im Bereich Wohnen und Arbeit ausgegrenzt und oft Opfer von rassistischer Gewalt werden, bleiben viele hilflos in der Ukraine zurück und haben weder die Möglichkeit sich dort zu integrieren noch die Chance in die sichereren westlichen Länder weiterzureisen.
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Analyse

Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim

Von Sebastian Cwiklinski
Am 18. März 2014 annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim, was weitreichende Folgen hatte: Die Menschenrechtslage auf der Halbinsel verschlechterte sich seitdem erheblich, das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde faktisch abgeschafft, die ukrainische und die krimtatarische Kultur gerieten unter erheblichen Druck. Durch infrastrukturelle, bevölkerungspolitische und administrative Maßnahmen versuchte Russland, die Krim zu einem Teil ihres Landes zu machen, so wurde die Halbinsel etwa mit einer Brücke über die Straße von Kertsch mit dem russischen Festland verbunden. In der Rückschau müssen viele der Maßnahmen zur Eingliederung der Krim in Russland als Vorbereitung auf den großangelegten Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 und die Annexion selbst als Auftakt des seit zehn Jahren andauernden russischen Krieges gegen die Ukraine gewertet werden.
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