Umgang mit alternativer Kunst: Die Ausstellung »Ukrainischer Körper« an der Mohyla Akademie

Von Serhij Hirik (Kiew)

Einleitung

Die Ausstellung »Ukrainischer Körper«, um die es im Folgenden geht, sollte drei Wochen lang gezeigt werden, vom 7. bis zum 28. Februar 2012. Bereits drei Tage nach Eröffnung wurde sie am 10. Februar wieder geschlossen. In der Ausstellung wurden Werke von 18 zeitgenössischen Künstlern aus der Ukraine präsentiert, die hauptsächlich aus Kiew stammen. Unter den Teilnehmern waren Jewhenija Bjelorusez, Oksana Brjuchowezka, Oleksandr Wolodarskyj, Nikita Kadan und Sascha Kurmas. Organisiert wurde die Ausstellung vom Zentrum für visuelle Kultur, einer Einrichtung für Wissenschaft und Kunst, die für ihre Unabhängigkeit bekannt ist, Teil der Nationalen Universität »Kiewer Mohyla-Akademie« war und sich zu dieser Zeit auf deren Gelände befand. Auf der Ausstellung wurden Werke unterschiedlicher Gattungen gezeigt (Fotografie, Grafik, Skulptur, Installationen); sie sollten auf offene Weise den Körper und Körperliches thematisieren und dabei frei von konservativen Vorstellungen sein. Dies führte zu einer heftigen Reaktion der Universitätsführung, die offen orthodoxe Werte vertritt.

Druck von der Universitätsleitung

Die Schließung der Ausstellung »Ukrainischer Körper« und die darauf folgenden repressiven Maßnahmen der Leitung der Kiewer Mohyla-Akademie gegenüber dem Zentrum für visuelle Kultur waren keine Überraschung. Illusionen über die künstlerischen/politischen/kunst-politischen Vorlieben des derzeitigen Präsidenten der Universität, Serhij Kwit, hatte sich sowieso niemand gemacht. Die vorangegangenen Versuche der Universitätsführung, das Zentrum für visuelle Kultur aus seinen Räumlichkeiten zu vertreiben sowie dort geplante Diskussionsveranstaltungen zu verhindern (beispielsweise indem niemand auf das Gelände der Universität gelassen wurde, der keinen Ausweis der Mohyla-Akademie besaß), deuteten bereits darauf hin, dass weitere Angriffe auf diese Struktur zu erwarten waren. (Fälle inneren Drucks hatte es übrigens auch früher schon gegeben, noch vor der Präsidentschaft Serhij Kwits).

Nachdem der hörige Universitätssenat der Mohyla-Akademie sich fast einvernehmlich für einen Arbeitsstopp und folglich auch für die endgültige Schließung des Zentrums ausgesprochen hatte (der einzige Professor, der dagegen stimmte, war Mychajlo Sobuzkyj), waren viele aufgebracht und auch diejenigen, die sich bisher nicht zur Frage der Schließung geäußert hatten, unterstützten nun das Zentrum. Das heißt, sie unterstützten es stillschweigend, meist ohne Teilnahme an den Protestaktionen, aber mit entsprechenden Einträgen und Hinweisen auf analytische Ressourcen auf Facebook und in anderen sozialen Netzen und Blogs.

Ein Gegenspieler der Unterstützer des Zentrums war die nationalistische Partei Swoboda (Freiheit). Sie organisierte am 27. Februar parallel zur Aktion für die Verteidigung des Zentrums für visuelle Kultur ein »Gegen-Meeting« zur Unterstützung des derzeitigen Präsidenten der Akademie.

Die Ausstellung als guter Vorwand

Die Aktionen der Öffentlichkeit, die über den Kreis der Angestellten und Sympathisanten des Zentrums für visuelle Kultur hinausgingen, wie z. B. auch die Briefe und Petitionen zur Verteidigung des Zentrums (von zahlreichen ukrainischen und international anerkannten Intellektuellen wie Slavoj Žižek, Jacques Rancière, Michel Onfray, Artur Żmijewski, Serhy Yekelchyk, John-Paul Himka, Timothy Snyder und vielen anderen), wurden auf der Sitzung des Universitätssenates am 29. März 2012 als »bewusste Schädigung des Rufs der Mohyla-Akademie« und »öffentliche Diskreditierung ihrer Kollegen« bezeichnet. Sie schufen um die Führung der Mohyla-Akademie und insbesondere um Kwit eine Atmosphäre, die nur noch zwei Schritte zuließ: den Rücktritt oder die Vernichtung des Gegenspielers trotz des angeschlagenen Rufes.

Dass sich der Universitätssenat bei den Repressionen des Zentrums fast einhellig Kwit anschloss und sich dabei – trotz ideologischer Divergenzen zwischen dem liberalen und dem konservativen Teil der Professorenschaft – nur als gefügiges Werkzeug in den Händen der Obrigkeit herausstellte, signalisierte erneut den Zustand der akademischen Freiheit an dieser Universität. Es wurde wieder deutlich, dass sich junge Intellektuelle – nicht nur jene mit linken Einstellungen, sondern auch jene, die einfach nur nicht mit den Methoden der Leitung einverstanden sind – neue Orte für die wissenschaftliche und künstlerische Selbstverwirklichung suchen müssen.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde bekannt, dass Kwit einer der Hauptideologen und Anführer der rechtsradikalen Gruppierung »Stepan Bandera – Dreizack« war. Gleichzeitig ist er Autor eines apologetischen Buchs über den nationalistischen Ideologen und Propagandisten des Faschismus in der Ukraine Dmytro Donzow und trat dieses Jahr auf der Ausstellung »Volkskrieg« neben dem Leiter der Kiewer örtlichen Organisation der Allukrainischen Vereinigung Swoboda, Andrij Iljenko, auf. Kwit scheint nicht der Ansicht zu sein, dieses Verhalten erklären oder rechtfertigen zu müssen.

In den ersten Wochen nachdem Kwit mit den Worten »Das ist keine Ausstellung, sondern ein Scheißdreck« die Türen zu den Räumlichkeiten des Zentrums für visuelle Kultur geschlossen hatte, gingen zahlreiche Presseberichte zum »Ukrainischen Körper« und über den »Stopp der Tätigkeit« des Zentrums durchs Internet. Unklar ist, ob die Administration der Mohyla-Akademie solch einen Rückhall in der Presse erwartet hatte, aber ihre Reaktion war voller Komik und die Formulierungen, die in der Mitteilung vom März über die Schließung des Zentrums für visuelle Kultur verwendet wurden, wirkten gedankenlos.

Hier soll noch einmal speziell auf die »Verwechslung akademischer Kriterien mit einem ideologisch-politischen Vorhaben« eingegangen werden – ein Vorwurf, der vor der Schließung gegen das Zentrum erhoben wurde. Es ist klar, dass die im Zentrum für visuelle Kultur organisierten Veranstaltungen zu sozialen Themen schon von Natur aus politisch sein müssen. Genau darin kann man einen weiteren Grund für die Schließung des Zentrums sehen. Der Skandal um den »Ukrainischen Körper« war schlicht ein geeigneter Vorwand.

Erstens war dort zunächst ein Auftritt des Historikers Grzegorz Rossoliński-Liebe geplant, der dann wegen der Schließung des Zentrums abgesagt werden konnte. Die Allukrainische Vereinigung Swoboda hatte bereits zwei andere Auftritte dieses Wissenschaftlers verhindert, der von nationalistischen Aktivisten wie liberalen Historikern in der Ukraine scharf kritisiert wird. Zweitens verhinderte die Schließung des Zentrums weitere Veranstaltungen – unter anderem eine internationale Konferenz zum Thema Feminismus. Die besondere Empfindlichkeit der Rechtsradikalen gegenüber Gender- und insbesondere feministischen Themen ist allgemein bekannt. Das Zentrum für visuelle Kultur wurde so zum Dorn im Auge der örtlichen Rechtsradikalen und forderte sie zu einer Reaktion heraus. Die Beschuldigung der Pornografie war dabei wohl der einfachste Vorwand für Repressionen: Die Grenzen dieses Begriffs sind überaus verschwommen und »Kämpfer« gegen Pornografie sind im traditionalistisch gesinnten Teil der Bevölkerung hoch angesehen.

Vorwurf der Pornografie

Vorrangig auf neofaschistischen Webseiten wurde die Ausstellung »Ukrainischer Körper« als Pornografie und das Zentrum selbst als »Mittelpunkt der Liederlichkeit« bezeichnet. Die gängigen Floskeln – »Propaganda für Homosexualität«, »Pseudokunst«, »degenerierte Kunst« usw. – dienen dazu, die traditionalistisch ausgerichteten Anhänger von Swoboda und die ihnen ideologisch nahestehenden Strukturen zu verschrecken. Die Autoren dieser Kommentare haben die Ausstellung wohl kaum selbst gesehen.

Die aufgebrachte Reaktion des Ehrenpräsidenten der Mohyla-Akademie Wjatscheslaw Brjuchowezkij kam unerwartet. Am 21. März 2012, eine Woche vor der Schließung des Zentrums, sagte er in einem Interview der Nachrichtenagentur UNIAN gegenüber:

»Alle haben sich aus irgendeinem Grund auf diese Pornografie gestürzt […]. Aber eigentlich ist die Frage eine ganz andere. Es geht hier um die Frage der Qualität. Niemand vermochte eine Einschätzung darüber abzugeben, von welcher Qualität diese Arbeiten sind. Die Qualität dieser Ausstellung kann man so beschreiben: Sowas bekommen wir auf Toiletten von Busbahnhöfen in Bezirkszentren zu sehen. Das ist keine Übertreibung. Solche ›Künstler‹ gibt es. Aber ein seelischer Knacks, Syndrom psychischer Perversität, darf nicht in einem Ausstellungsraum gezeigt werden. Geht ins Pawliwsker Krankenhaus, macht dort eine Ausstellung … Da kann euch geholfen werden. Was hat die Universität damit zu tun? Warum denken sie, dass außer ihnen auch jemand anderes Lust hat, ihre ›intellektuellen‹ Exkremente zu beschnüffeln? Beschnüffelt euch selbst und diskutiert die Frage, die euch eine eurer eigenen, ganz charakteristischen Arbeiten gestellt hat – sie ist einfach eine Schlüsselarbeit für die ganze sogenannte Ausstellung: ›Ist es schädlich, Scheiße zu fressen?‹.«

Allein die Tatsache, dass einer der einflussreichsten Vertreter der Mohyla-Akademie derartige Positionen vertritt, zeugt von einem weiteren Verfall des Raums intellektueller Freiheit und dem nächsten Schritt ihrer Führung nach rechts. Der Präsident selbst kann sich bereits nicht weiter nach rechts bewegen: rechts von ihm ist nur die Wand.

Fazit

Aus den Ereignissen rund um den »Ukrainischen Körper« und das Zentrum für visuelle Kultur, das sich jetzt an einem anderen Ort befindet (im Kino »Showten«), kann man einige unerfreuliche Schlussfolgerungen ziehen. Erstens gibt es nun einen Ort für freien, sozial engagierten Gedankenaustausch unter dem Dach der Mohyla-Akademie weniger. Zweitens hat sich die Freiheit für Aktivitäten anderer Orte für die Zukunft deutlich verringert. Drittens besteht nun ein Präzedenzfall direkten administrativen Drucks und der Repression von höchster Ebene gegen eine strukturelle Unterabteilung. Viertens könnten die rechtsradikalen Kräfte, insbesondere die Allukrainische Vereinigung Swoboda im Laufe der Zeit einen Sieg davontragen und versuchen, ihren Einfluss in der Akademie zu erhöhen, auch wenn man hoffen möchte, dass die dortige Atmosphäre das nicht zulässt. Auf jeden Fall muss auf solche Vorfälle wirklich reagiert werden, das gilt vor allem für jene, die eine direkte Verbindung zur Mohyla-Akademie haben, aber auch für die gesamte akademische und kulturelle Gemeinschaft. Eine wirklich solidarische, deutliche und aktive Reaktion haben wir jedoch nicht erlebt. Und das ist die fünfte unerfreuliche, möglicherweise die unerfreulichste Schlussfolgerung, denn sie zeugt davon, dass wir alle noch einen Schritt nach rechts in Richtung Wand gemacht haben.

Übersetzt aus dem Ukrainischen von Jenny Alwart

Zum Weiterlesen

Analyse

Umdeutung des »nationalen Heiligtums«. Aktuelle erinnerungskulturelle Kontroversen um Taras Schewtschenko

Von Jenny Marietta Alwart
Der Dichter und Maler Taras Schewtschenko (1814–1861) hat eine herausragende Bedeutung in der Erinnerungskultur der Ukraine und gilt in den unterschiedlichen Regionen des Landes gleichermaßen als positive Gestalt. Dennoch ist er eine politisierte und mitunter kontrovers diskutierte Figur, wie am Beispiel von kulturpolitischen Entscheidungen und Projekten der letzten Monate deutlich wird.
Zum Artikel
Analyse

Die ukrainische Literatur zum Krieg im Donbas

Von Alexander Chertenko
In der ukrainischen Literatur nach 2014 spielt der Krieg im Donbas eine formative Rolle. Die einschlägigen literarischen Texte, die im Land bis heute eine hohe Konjunktur genießen, zeigen den umkämpften Donbas bzw. die ganze Süd- und Ostukraine in Anlehnung an den orientalisierenden Diskurs der 1990–2000er-Jahre als eine kulturell unterlegene, »feindliche« Region und die militärische Auseinandersetzung als Folge eines »clash of civilizations«. Diese Deutung verleiht dem »literarisch« ausgetragenen Krieg im Donbas die Züge einer Kolonisierung, die als Teil des antikolonialen Kampfes gegen Russland imaginiert wird.
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS