Die Achillesferse der Ukraine

Von Michael Gonchar (Kiew)

Die gescheiterte Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU durch den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch am 29. November 2013 in Vilnius, die Vereinbarung mit Moskau am 17. Dezember 2013 und die Provokation eines Konfliktes mit den Bürgern in der Ukraine unter der Führung des Kremls zerstören Schritt für Schritt auch in der Energiewirtschaft und bezüglich der Energiesicherheit die Fortschritte, die in den letzten Jahren erreicht wurden. Die Herrschenden gaben de facto die Zügel des Regierens in der Ukraine an Russland weiter, welches auf das Szenario eines Anschlusses konzentriert ist. Das System der nationalen Sicherheit der Ukraine funktioniert nicht mehr.

Die übergroße Abhängigkeit der energieintensiven Wirtschaft der Ukraine von Erdgas war immer ihre Achillesferse. Gazprom erzwang im Dezember letzten Jahres, wie bereits früher (2009, 2006 und 2004), die Unterzeichnung einseitig für Gazprom vorteilhafter Bedingungen für Gaslieferungen in die Ukraine – mit sogenanntem billigen Gas zum Preis von 268,50 USD für 1.000 Kubikmeter im Tausch gegen eine zusätzliche Verpflichtung der Regierung immer größere Mengen an Gas zu kaufen. In diesem Zusammenhang wurden die in den Jahren 2011–13 in der Ukraine gestarteten Programme zur Reduzierung des Gasverbrauchs, zum Ersatz von Erdgas und zur Diversifizierung der Erdgasversorgung fast vollständig gestoppt. Dies ist bedauerlich, weil in den letzten Jahren bereits große Fortschritte bei der Reduzierung der politisierten russischen Gaslieferungen erreicht worden waren (s. Tabelle 1 auf der nächsten Seite).

Es ist klar, dass die gerade zurückgetretene ukrainische Regierung gezwungen war, Maßnahmen zu ergreifen, um den Gasverbrauch zu reduzieren – aber nicht freiwillig und mit guten Absichten, sondern unter dem Druck der steigenden Gaspreise Gazproms. Nun scheint es, dass diese Maßnahmen keinen Sinn mehr machen, sogar kontraproduktiv sind, da es momentan wichtiger ist, für die erzwungene Zunahme der Gaslieferungen des russischen Monopolisten Gazprom Absatzmöglichkeiten zu schaffen. Dementsprechend verzichtete die Ukraine auf Gaslieferungen aus Europa, trotz der Möglichkeit die Lieferrichtung der bestehenden Pipelines umzukehren.

Die Großprojekte zur Erschließung von unkonventionellen Schiefergasvorkommen im Rahmen des von der Regierung mit den Unternehmen Shell und Chevron im Jahr 2013 unterzeichneten Abkommens wurden in Frage gestellt. Die erfolgreiche Umsetzung dieser Projekte und die Erschließung von Erdgasfeldern im Schwarzen Meer könnten nach und nach zur Unabhängigkeit der Ukraine von Energieimporten führen. Die Ukraine könnte zusammen mit Polen, dem Marktführer in Kontinentaleuropa bei der Entwicklung von Schiefergas, im Laufe der Zeit eine Art »Methan-Zone« Europas bilden, was ein schwerer Schlag für die russische Dominanz in der Erdgaswirtschaft in Mittel- und Osteuropa wäre.

Diese Projekte beunruhigten Russland besonders, daher versuchte es diese zum Scheitern zu bringen. Russland setzte dafür die »Grünen« und die pro-russischen Organisationen in der Ukraine ein. Nun setzt Russland die Ukraine erneut offiziell unter Druck, um diese von der Erschließung der Schiefergasvorkommen abzubringen. Zum Beispiel schickte das russische Ministerium für Bodenschätze am 17. Januar 2014 einen Brief an das Ministerium für Umwelt und Bodenschätze der Ukraine, einschließlich einer Analyse von Umweltrisiken bei der Umsetzung des Projektes zur Förderung des Schiefergases in den ukrainischen Grenzgebieten zu Russland, in dem die ukrainischen Kollegen zu einem gemeinsamen Workshop eingeladen wurden. Und das obwohl Gazprom selbst ein Projekt zur Schieferölförderung in Westsibirien geplant hat und bereits ein Joint Venture mit Shell zu diesem Zweck gegründet hat.

In diesem Sinne können wir sagen, dass Russland durch die Verabschiedung des Moskauer Abkommens vom 17. Dezember 2013 die europäische Ausrichtung der Energieversorgung und Wirtschaft der Ukraine in eine eurasische Ausrichtung geändert hat, wobei nur der Kreml die Spielregeln vorgibt.

Durch die Förderung eines Szenarios der Instabilität, des Chaos und der Desintegration der Ukraine versucht der Kreml, der EU ein letztes Argument zu präsentieren für die Unterstützung des Mega-Projektes »South Stream« und für die Übergabe der Kontrolle über das ukrainische Gaspipelinenetz an Gazprom, um die Stabilität der Gaslieferungen aus Russland weiterhin gewährleisten zu können. Diese russische Politik zielt darauf ab, die Ukraine in eine Art »dunkle Zone« Europas zu verwandeln, die die EU dann meiden müsste.

Jetzt, wo die Integrität der Ukraine bedroht wird und die kritische Masse an Probleme durch Stimulation von außen schnell zunimmt, macht es keinen Sinn über künftige Energieszenarien zu reden. Wenn sich das russische Szenario durchsetzen wird, dann wird der Energiesektor der Ukraine praktisch zum Anhängsel Russlands. Wenn die Ukraine zum europäischen Szenario zurückkehren wird, wird es eine langsame Entwicklung hin zur Europäisierung der ukrainischen Energiewirtschaft geben. Allerdings wird es sehr lange dauern, das gegenseitige Vertrauen zwischen der EU und den ukrainischen Partnern wieder herzustellen. Die EU ist eine tatkräftige Organisation, die Solidarität nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten beweisen kann. In der Zeit nach der Krise sollten neue strategische Schritte unternommen werden, die zur Wiederherstellung und Korrektur der Energie-Agenda in der Zusammenarbeit der Ukraine mit der EU führen werden.

Allerdings sollte man als Erstes mit vereinten Kräften eine russische Expansion in die Ukraine und andere postsowjetische Länder stoppen. Man sollte eine konsolidierte transatlantische Position finden, die gezielt Einfluss auf Russland ausüben wird. Russland ist in seiner Einstellung zur EU-Politik zu Unrecht davon ausgegangen, dass seine Rolle als Handelspartner für Europa unersetzlich ist, vor allem in Hinblick auf Energieressourcen: Gas, Öl und Kohle. Die EU hätte schon längst Russland das Gegenteil beweisen müsste, vor allem nach dem Einmarsch in Georgien im Jahr 2008, oder während der Erdgaskrise von 2009. Dann hätten die Ukraine, Moldawien, Georgien, Armenien und die EU sich sicherer gefühlt.

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