Saakaschwili: Ärger ist sein Geschäft

Von Wojciech Górecki (Zentrum für Osteuropastudien – OSW, Warschau)

Zusammenfassung
Am 12. Februar 2018 wurde Micheil Saakaschwili aus der Ukraine nach Polen abgeschoben. Für den 50-jährigen Politiker, der es im Laufe seines Lebens geschafft hat, als Präsident ein Land zu regieren, und als Gouverneur eine bedeutende Region eines anderen Landes, beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

Warum ist Saakaschwili in der Ukraine unerwünscht?

Saakaschwili hat Ende Mai 2015 die ukrainische Staatsbürgerschaft erhalten, kurz bevor er von Präsident Poroschenko zum Gouverneur der Region Odessa ernannt wurde (die georgische Staatsbürgerschaft wurde ihm einige Monate später entzogen). Saakaschwili übte dieses Amt bis zu seinem Rücktritt Anfang November 2016 aus. Bis dahin schaffte er es, sich mit führenden Politikern der Ukraine zu überwerfen, einschließlich mit dem Präsidenten, den er der Beihilfe zur Korruption beschuldigte. Poroschenko wiederum kritisierte Saakaschwilis Arbeit als Gouverneur scharf und machte »Mischa« für das Scheitern der Reformen verantwortlich. (siehe dazu auch die Ukraine-Analysen Nr. 163 vom 10.2.2016, <http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen163.pdf>)

Saakaschwili war als Gouverneur sehr präsent in den Medien und den sozialen Netzwerken und trat als Politiker der gesamten Ukraine auf. Es ist anzunehmen, dass er vorhatte, den Kampf um die höchsten Staatsämter aufzunehmen. Das 2016 im Folio-Verlag in Charkiw erschienene Buch Probuždenie sily. Uroki Gruzii – dlja buduščego Ukrainy (Erwachen der Kraft. Lehren aus Georgien für die Zukunft der Ukraine), in dem Saakaschwili unter anderem seine Sicht auf die drängendsten Probleme der Ukraine darlegte und Schritte vorschlug, die seiner Ansicht nach zu ihrer Bewältigung unternommen werden müssten, zeigt dies deutlich.

Folgender Auszug aus dem Buch ist besonders interessant: »Das Hauptproblem der Ukraine sind die sowjetischen Behörden. Die Gemeinderäte – das ist noch schlimmer als Korruption durch die Regierung. Ihre Vertreter arbeiten ohne Bezahlung, aber sie kontrollieren den Schwarzmarkt für Grund und Boden und die Ausgaben für die Infrastruktur. Ihre Korruptionsinteressen schützen sie mithilfe einer klar sowjetischen Ideologie. Sie behaupten, Grund und Boden dürfe nicht verkauft werden. Typische Doppelbödigkeit: Einen Markt für Grund und Boden gibt’s nicht, aber es gibt ihn eben doch. Es gibt auch Besitzer großer Liegenschaften, die mit dem Land machen, was sie wollen, und das dann nachträglich durch die Gemeinderäte für legitim erklären.«

Nach seinem Rücktritt hat Saakaschwili weiter aktiv am politischen Leben der Ukraine partizipiert. Anfang 2017 wurde die die von ihm gegründete »Bewegung der neuen Kräfte« vom ukrainischen Justizministerium als politische Partei registriert (und nach einer Weile wurde sie in »Bewegung der neuen Kräfte von Micheil Saakaschwili« umbenannt). Das Ziel der neuen Bewegung ist laut ihrem Anführer ein Neuanfang für die Machtstrukturen und die Ablösung der herrschenden Eliten.

Am 26. Juli 2017 unterzeichnete Poroschenko einen Erlass, durch den Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde – angeblich hatte jener bei der Beantragung der Staatsbürgerschaft im Antragsformular falsche Angaben gemacht. Saakaschwili befand sich zu dem Zeitpunkt in den USA. Am 10. September durchbrach er mit Unterstützung von Anhängern an einem Kontrollpunkt der polnisch-ukraini­schen Grenze die Grenzabsperrung und kehrte so in die Ukraine zurück. (siehe dazu auch die Ukraine-Analysen Nr. 189 vom 11.10.2017, <http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen189.pdf>)

Die Kiewer Machthaber haben Saakaschwili nach Polen abgeschoben – in das Land, aus dem er eingereist ist –, obwohl ihm in der Ukraine »Unterstützung von Mitgliedern krimineller Vereinigungen und Verschleierung ihrer kriminellen Tätigkeit« zur Last gelegt wurde (laut Generalstaatsanwalt Juri Luzenko wurde der frühere Gouverneur des Gebiets Odessa durch den in Russland untergetauchten Geschäftsmann Serhij Kurtschenko finanziert). Aller Wahrscheinlichkeit nach befürchtete Kiew, dass Saakaschwili während des Prozesses viele interessante Einzelheiten über das ukrainische Korruptionssystem preisgeben könnte, was die Vertreter der herrschenden Elite im Vorfeld der 2019 anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen schwächen würde. Ein Sieg der «Bewegung der neuen Kräfte« ist jedoch so oder so nicht zu erwarten, in Umfragen liegt die Partei bei 2 Prozent. (siehe dazu auch die Grafiken am Ende des Textes)

Allerdings hat Kiew Saakaschwili nicht nach Georgien abgeschoben, wo der frühere Präsident zur Fahndung ausgeschrieben ist. Einige westliche, insbesondere einige amerikanische Politiker haben der ukrainischen Seite zu verstehen gegeben, dass sie kategorisch gegen einen solchen Schritt sind.

Warum ist Saakaschwili in Georgien unerwünscht?

Saakaschwili hat als georgischer Präsident (2004 bis 2013) sein Land bedeutsam vorangebracht, hat viele große Infrastrukturprojekte realisiert, Bestechungspraktiken beseitigt und Touristen angezogen. Gleichzeitig wurde er von seinen Gegnern für seinen autoritären Stil kritisiert – Georgien besetzte in Bezug auf die Inhaftierten pro 100 000 Einwohner einen der ersten Plätze weltweit. Am Vorabend der Parlamentswahlen vom 1. Oktober 2012 wurde die Anwendung von Folter in georgischen Gefängnissen aufgedeckt, was zur Niederlage von Saakaschwilis Partei »Vereinte Nationale Bewegung« führte und zur Machtübernahme des Parteienbündnisses »Georgischer Traum« des Milliardärs Bidsina Iwanischwili beitrug.

Ohne das offizielle Ende seiner zweiten Präsidentschaft abzuwarten, verließ Saakaschwili aus Angst vor gerichtlicher Verfolgung Ende Oktober 2013 Georgien (ein Teil seiner Mitstreiter, unter ihnen der ehemalige Innenminister Wano Merabischwili, verbüßt heute eine Haftstrafe). Vertreter des »Georgischen Traums« erklärten wiederholt, Saakaschwili trage zumindest die politische Verantwortung für eine Reihe schwerer Verbrechen, darunter für Folter in Gefängnissen und für Todesfälle unter den Teilnehmern an oppositionellen Kundgebungen und Protesten.

Die georgische Staatsanwaltschaft hat gegen Saakaschwili in vier Punkten Anklage erhoben:

Unterschlagung von drei Millionen Dollar aus der Staatskasse für persönliche BelangeZusammenschlagen des georgischen Parlamentsabgeordneten Waleri Gelaschwili (angeblich hat Saakaschwili aus persönlicher Rache einen Überfall auf ihn organisiert)Konfiszierung des Unternehmens von Badri PatarkazischwiliMord am Bankmitarbeiter Sandro Girgwliani, der im Januar 2006 nach einem Konflikt mit hohen Beamten des georgischen Innenministeriums tot aufgefunden wurde

Am 5. Januar 2018 verurteilte das Stadtgericht Tiflis Saakaschwili (in Abwesenheit des Angeklagten) zu drei Jahren Haft und entzog ihm für einen Zeitraum von einem Jahr und fünf Monaten wegen Missbrauchs seiner Befugnisse bei der Begnadigung der Mörder von Girgwliani das Recht, ein öffentliches Amt zu bekleiden. Das Urteil scheint außergewöhnlich hart, da Saakaschwili wegen rein formaler Verstöße angeklagt wurde. Nach georgischer Gesetzgebung hat der Präsident das Recht, jeden Verurteilten zu begnadigen.

Obwohl der frühere Präsident zur Fahndung ausgeschrieben ist, will jedoch auch Georgien, ähnlich der Ukraine, Saakaschwili nicht wirklich verurteilen und auf dem eigenen Staatsgebiet festsetzen. Die georgischen Machthaber befürchten eine Mobilisierung der Opposition und den Vorwurf, sich politisch zu rächen. Für Tiflis und Kiew ist die Ausweisung des in Ungnade gefallenen Politikers in ein sogenanntes »Drittland« der optimale Ausweg.

Ausblick

Es ist schwer zu sagen, was für eine Zukunft Saakaschwili erwartet (und ob ihn überhaupt etwas anderes erwartet als ein politisches Rentnerdasein und Vorträge an den Universitäten dieser Welt). Man muss wohl annehmen, dass er zuallererst versuchen wird, in die Ukraine zurückzukehren. Ob ihm das gelingt oder nicht – er wird zweifellos als eine der markantesten politischen Persönlichkeiten am Anfang des 21. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben. Dabei wird er für die einen weiter ein Hasardeur und verantwortungsloser Intrigant sein und für die anderen ein Idealist und Visionär.

Übersetzung aus dem Russischen: Katharina Hinz

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