Die Silowiki in den »Volksrepubliken« Donezk und Luhansk: Entstehung der bewaffneten Einheiten

Von Andreas Heinemann-Grüder (Universität Bonn/Bonn International Centre for Conflict Studies)

Zusammenfassung
Nach anfänglicher Konkurrenz anerkannten die meisten separatistischen Feldkommandeure ab Herbst 2014 ein quasi-staatliches Gewaltmonopol der »Volksrepubliken«. Für die Führung und den Unterhalt der Silowiki im Donbas sind in Moskau mehrere, zum Teil konkurrierende Fallmanager (»kuratory«) zuständig. Die Silowiki in den Separatistengebieten gewährleisten die autokratische und kleptokratische Herrschaft der De-facto-Regime und sind entscheidend für deren Steuerung durch Russland.

Einleitung

Ab April 2014 formierten sich in den selbsternannten »Volksrepubliken« mehrere Dutzende pro-russische Bataillone. Diese irregulären bewaffneten Gruppen wurden ab 2015 sukzessive in reguläre Streitkräfte, die »Volksmilizen« der international nicht-anerkannten De-facto-Regime, umgeformt. Die Sicherheitsorgane in der »Donezker Volksrepublik« (»DNR«) und der »Luhansker Volksrepublik« (»LNR«) bilden den Kern des Staatsaufbaus in den Separatistengebieten, sie monopolisieren das öffentliche Gewaltmonopol anstelle der Anarchie und Konkurrenz irregulärer bewaffneter Gruppen in den Jahren 2014–15. Die Sicherheitsapparate sind einer der wenigen verlässlichen Arbeitgeber, da ein überdurchschnittlicher Sold regelmäßig gezahlt wird. Der Sold beträgt so in der Luhansker »Volksmiliz« 15–20.000 Rubel (nach dem durchschnittlichen Wechselkurs von 2020 ca.187 – 250 Euro) für einfache Zeitsoldaten bis Sergeanten, für Offiziere 20–40.000 Rubel. In der »DNR« lag der Sold in 2020 für einfache Soldaten bei ca. 16.000 Rubel, Kommandeure erhielten 19.500 Rubel (https://www.mk.ru/politics/2021/04/23/voennye-donbassa-nazvali-svoi-zarplaty.html). Das Durch­schnitts­­einkommen für regulär Beschäftigte in Unternehmen und Institutionen in der »DNR« lag in 2020 bei ca. 13.000 russischen Rubeln (https://www.ostro.org/donetsk/society/news/597171/). Für den Dienst an der Frontlinie werden zusätzliche Prämien gezahlt. Die loyale Sozialklientel der Separatisten besteht folglich vor allem aus Mitarbeitern der Sicherheitsorgane, die überdurchschnittlichen Sold erhalten.

Entstehung und Entwicklung

Unter den »Aufständischen« in der »DNR« und »LNR« fanden sich 2014 sowohl örtliche Rekruten als auch Zugereiste aus Russland, zudem eine kleine Gruppe von Ukrainern aus anderen Regionen als dem Donbas sowie Ausländer aus Belarus, der Schweiz, Italien, Tschechien, Deutschland, Spanien und den USA. Unter die Kombattanten mischten sich politische Aktivisten der Anti-Maidan-Proteste, Zivilisten, die zuvor keine Beziehung zu Sicherheitsapparaten hatten, Personen mit einem beruflichen Hintergrund im Militär oder der Polizei sowie eine Reihe »gescheiterter Existenzen« ohne festen Wohnsitz, Hooligans (gopniki), Kleinkriminelle, Gelegenheitsarbeiter, erfolglose Kleinunternehmer oder Schwerkriminelle. Zu den Kombattanten aus dem Donbas zählten Mitglieder von Kosakenverbänden und Überläufer von ukrainischen Sicherheitsorganen – so Aleksandr Mozgowoj und ein Teil des Bataillons »Wostok« sowie Aleksandr Sachartschenko, bis zu seiner Ermordung in 2018 Oberhaupt der »DNR«, und sein Bataillon »Oplot«.

Zwischen Frühjahr und Sommer 2014 herrschten unter den bewaffneten Separatisten anarchische Zustände. Auf die Zersplitterung der Gruppen antwortete die »DNR«-Regierung ab Spätsommer 2014 mit verstärkter Machtzentralisierung. Freilich bestand der Staatsapparat in den besetzten Gebieten zunächst vornehmlich aus Kommandanten der Städte und Landkreise, weil es keine zivilen Verwaltungschefs gab. Sukzessive suchte Aleksandr Sachartschenko diese durch »Volksbürgermeister« zu ersetzen.

Die Beziehungen zwischen den pro-russischen Bataillonen im Donbas gestalteten sich zunächst außerordentlich angespannt, es gab kein als legitim anerkanntes Koordinationsgremium, d. h. die selbst ernannten Premierminister der »DNR« und »LNR« genossen unter den Bataillonen keine Autorität als Oberkommandierende. Zwischen den Bataillonen drohte ein eigener Krieg auszubrechen, da die Kämpfe gegen ukrainische Truppen ohne Abstimmung untereinander geführt wurden. Zwischen einzelnen Feldkommandeuren und Truppen, die der »LNR«-Regierung direkt unterstellt waren, kam es zu Schusswechseln, so z. B. zwischen dem führungstreuen Bataillon »Zarja«, das Igor Plotnizki (ab August 2014 Ministerpräsident der »LNR«) unterstand, und Kombattanten des Bataillons von »Betmen« (Bednow). In der »DNR« gelang die Unterwerfung der Feldkommandeure früher als in der »LNR«.

Als im Juli – August 2014 russisches Militär massiv zugunsten der »DNR« und »LNR« eingriff, da die ukrainische Anti-Terror-Operation an Boden gewann, wurde die Koordination zum drängenden Problem. Untereinander einigten sich die Feldkommandeure jedoch nicht. Nachdem die politischen Führungen der »DNR« und »LNR« am 7. bzw. 14. August 2014 ausgewechselt wurden – der Chef der «DNR«-Führung, Aleksandr Borodaj, Valerij Bolotow, Chef der »LNR«-Führung, und der russische Geheimdienstoberst Igor Girkin kehrten nach Moskau zurück – versuchten die neuen Machthaber, Alexandr Sachartschenko (»DNR«) und Igor Plotnizki (»LNR«), die Kommandeure ihrem Befehl zu unterstellen.

Am 16. September 2014 erklärten die Führungen der »DNR« und der »LNR« die Gründung der »Vereinigten Streitkräfte Neurusslands« unter dem Oberkommando von Generalleutnant Iwan Anatoljewitsch Korsun, die als »Volksmilizen« fungieren sollten, da nach dem Minsker Abkommen der Unterhalt von Streitkräften der Separatisten untersagt war (Ополчение ДНР и ЛНР объединились в армию Новороссии, Komsomolskaja Pravda 16.9.2014, https://www.kp.ru/online/news/1845901/). Kombattanten, die sich dem Oberkommando nicht unterstellten, sollten als illegale bewaffnete Formationen behandelt werden; gleichwohl wurde Korsun, kaum ernannt, von Anhängern des Feldkommandeurs Igor Besler gewaltsam festgesetzt (https://lenta.ru/articles/2014/09/18/general/). Im Januar 2015 vereinte Sachartschenko mehrere Bataillone und Brigaden ‑ »Oplot«, »Russkaja Prawoslawnaja Armija«, »Bulat«, »Patriot« und andere Unterabteilungen ‑ in einer »Republikgarde«, die ihm direkt unterstellt wurde.

Da die Feldkommandeure von Waffen- und Munitionslieferungen aus Russland abhängig waren, unterstellten sich die meisten Gruppen in der »LNR« im Oktober 2014 formell der dortingen »Volksmiliz«. Ähnlich den »Säuberungen« unter den Feldkommandeuren in der »DNR« wurden allzu eigenwillige Feldkommandeure auch in der »LNR« entmachtet, zum Verlassen des Gebietes genötigt oder umgebracht. Aleksandr Bednow, Anführer des prorussischen »Betmen Bataillons«, wurde so zum Neujahrswechsel 2015 in einem Hinterhalt getötet. Bednows Einheit beschuldigte den »LNR«-Führer Plotnizki des Mordes. Die offizielle »LNR«-Website behauptete hingegen, Bednow sei von ukrainischen Sicherheitskräften getötet worden. http://www.ibtimes.co.uk/batman-pro-russian-separatist-death-blamed-ukraine-separatists-1481805.

Auf die Ermordung von Bednow folgte am 10.2.2015 in Krasnodon die Entwaffnung der »Sondereinsatzbrigade Odessa« durch die russische Sicherheitsfirma »Wagner«. Der Kommandeur von »Odessa«, Aleksej Fomitschew, wurde verhaftet und die Brigade »Odessa« gewaltsam aufgelöst. Als das Kosaken-Bataillon »B-2« unter dem Kommandeur »Kluni« (Anspielung auf George Clooney) sich der Auflösung bzw. Verteilung auf Einheiten der »Republikgarde« widersetzte, wurden die Offiziere des Bataillons beschuldigt, einen Staatsstreich vorzubereiten, mit Waffen zu handeln und Autos zu entwenden – sie wurden kollektiv verhaftet (http://colonelcassad.livejournal.com/2486424.html).

In der »LNR« scheiterten hingegen vorerst die Versuche, eine Zentralmacht ‑ ähnlich wie in der »DNR« ‑ aufzubauen, da der dortige Einfluss des »Ministerpräsidenten« Igor Plotnizki und seines Bataillons »Sarja« kaum über die Stadt Luhansk hinausreichte und autonome Kommandeure wie Aleksej Mozgowoj, Pawel Dremow, Aleksandr Bednow und der aus Russland stammende »Kosakenataman« Nikolaj Kosizyn eigenmächtig agierten und Plotnizki vorhielten, die humanitäre Hilfe aus Russland und Einkünfte aus dem Kohlehandel willkürlich zu verteilen. Das Gewaltmonopol musste so gegen die Autonomie der separatistischen Feldkommandeure durchgesetzt werden. Der Kosakenataman Pawel Dremow, letzter der verbliebenen illoyalen Kommandeure, wurde am 12.12.2015 mit einer Autobombe getötet, einen Tag nach seiner Hochzeitsfeier.

Russlands Rolle

Unter den aus Russland stammenden Kombattanten in den Separatistengebieten befand sich eine nicht exakt bekannte Zahl an Kadersoldaten der russischen Streitkräfte sowie des russischen Innenministeriums. Laut Nikolaj Mitrochin waren unter den 20–25.000 Kombattanten im August 2014 40–45 Prozent örtlicher Herkunft, darunter auch Zwangsverpflichtete (zitiert nach Andrew Wilson, The Donbas in 2014: Explaining Civil Conflict Perhaps, but not Civil War, in: Europe-Asia Studies. 68 (4): S. 649). Die Angaben zur Gesamtzahl der pro-russischen Kombattanten variieren – bis zu einer Zahl von 60.000. Der Schweizer Oberst Alexander Hug, seinerzeit Principal Deputy Chief Monitor of the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine, ging Ende 2015 von 30.000 pro-russischen Kombattanten im Donbas aus, ohne zwischen staatlichen russischen Truppen und irregulären Kämpfern zu unterscheiden (Gespräch mit Alexander Hug, Special Monitoring Mission der OSZE, am 16.12.2015 in Kiev).

Die Anzahl russischer Soldaten in der Ostukraine änderte sich im Zeitverlauf. Eine Studie des polnischen PISM-Instituts ging von 6.500 russischen Soldaten im August 2014 aus, von 10.000 im Dezember 2014 und 11.000 im Februar 2015, in Abhängigkeit von der Frontlage. Die Rekrutierung von Kombattanten erfolgte vorwiegend über persönliche und soziale Netzwerke (Facebook, Odnoklassniki, VKontakte) oder Zentren in Russland, z. B. das »Koordinationszentrum zur Hilfe für Neurussland«. Die Freiwilligen aus Russland reisten in den Donbas illegal oder im Rahmen der humanitären Hilfskonvois ein.

Ein Koordinationszentrum im russischen Rostow bereitete in den Jahren 2014–15 die russischen »Freiwilligen« auf ihre Einsätze vor, trainierte sie und verteilte sie auf Einheiten im Donbas. Russische Berufssoldaten wurden auf »Dienstreise« oder »zum Urlaub« in den Donbas geschickt. Mit Zeitsoldaten schloss das russische Militär eigene Verträge ab, aber auch gewöhnliche Rekruten wurden unter dem Vorwand, an einer militärischen Übung teilzunehmen, vom russischen Militär in den Donbas geschickt. Nicht alle russischen Soldaten nahmen folglich freiwillig teil. Anwerbungen für den »Dienst« in der Ukraine fanden hauptsächlich im Nordkaukasus (unter Tschetschenen und Osseten) und unter Burjaten statt. Der Druck russischer Kommandeure, sich für den »Dienst« in der Ukraine zu melden, war unter Zeitsoldaten hoch, einige wandten sich an Rechtsanwälte, um nicht einen Zeitvertrag unterschreiben zu müssen. Mit der Entsendung von Kombattanten befassten sich in Russland auch Veteranenorganisationen, darunter der »Sverdlowsker Fond der Speznas-Veteranen« oder die so genannte »Nationale Befreiungsbewegung« für Neurussland (die Internetseite der »Bewegung«: http://www.rusnod.ru/).

Von den insgesamt rund 34.000 »Silowiki« auf dem Gebiet der »DNR« und »LNR« sind gegenwärtig schätzungsweise 7.000 Kaderoffiziere aus Russland. Die Führungsoffiziere der Silowiki in der »DNR« und »LNR« stammen durchweg aus Russland bzw. sind russische Staatsbürger. Obschon das Budget der »Silowiki« nicht öffentlich ist, wird der finanzielle Unterhalt vor allem durch Mittel aus dem russischen Staatshaushalt gedeckt. In 2016 veröffentlichte der ukrainische Geheimdienst SBU Zahlen zur russischen Finanzierung der Sicherheitsorgane, demnach kamen 15–20 Prozent der formal für Binnenvertriebene und Migranten vorgesehenen Mittel den bewaffneten Organen zugute (https://nv.ua/ukraine/events/rossija-v-aprele-vydelilo-800-mln-rublej-na-«DNR«-lnv-razvedka-109096.html). Für die Führung und den Unterhalt der Silowiki im Donbas sind in Moskau mehrere, zum Teil konkurrierende Fallmanager (»kuratory«) zuständig: der Vizepremier Dmitrij Kosak, Russlands Minister für ökonomische Entwicklung, Sergej Nasarov, und der 5. Dienst des FSB, zuständig für »Information und internationale Beziehungen«.

Aufbau der »Silowiki«

Als größere militärische Verbände der »Volksmilizen« existieren in der »DNR« die »1. Slawischen Gardetruppen«, die »3. Gorlower Gardetruppen«, die »5. Sondertruppe Aleksandr Sachartschenko«, die »100. Gardetruppe«, die »Mariupol-Chinganskij Marine-Landungstruppen«, die taktische Gruppe »Kaltschuga« (zuvor Bataillon Kalmius), die »Sondertruppe der Volksmiliz Dunaj«, das »2. Panzerbataillon Disel« und eine »Raketendivision«. Zudem gibt es eine Reihe Bataillone, die auf Grundlage von pro-russischen Freiwilligenbataillonen (u. a. Somali, Chan, Nowoasowsk) bzw. von Überläufern ukrainischer Spezialeinheiten (Berkut) entstanden.

Die Einheiten der »Volksmiliz« in der »DNR« setzen sich aus Motorschützen, Artillerie, Panzertruppen, Scharfschützen und Pioniertruppen, Kommunikations- und Nachrichtendiensten sowie Raketen-Einheiten zusammen. Neben den regulären Truppen existieren in der »DNR« formal weitere sechs Bataillone der Territorialverteidigung (für den Mobilisierungsfall), die Grenztruppen, drei Spezialeinheiten des Innenministeriums (OMON, SOBR und SOKOL), der staatliche Wachdienst und das Ministerium für Katastrophenschutz (mit bewaffneten Einheiten). Die Volksmilizen der »LNR« sind ähnlich aufgebaut wie jene in der »DNR«, nennen sich jedoch motorisierte Schützenbrigaden, Artilleriebrigaden bzw. Panzerbataillone.

Ähnlich wie in der »DNR« sind die Polizeieinheiten auch in der »LNR« dem Innenministerium unterstellt. Das Innenministerium der »LNR« ist zudem zuständig für die Verkehrspolizei, den Wachdienst, die Strafverfolgungsorgane (mit einer Spezialeinheit »Grosa« = Gewitter). Dem Innenministerium unterstehen zudem die »Ausbildungsakademie E.A. Didorenko« sowie das Melderegister und die Passvergabe. In der »LNR« gibt es darüber hinaus ein Ministerium für Staatssicherheit (MGB) in der Tradition des sowjetischen KGB. Das MGB ist für Aufklärung und Gegen-Aufklärung, Verbrechensbekämpfung und Anti-Terror-Einsätze zuständig, worunter auch die Abwehr von Operationen ukrainischer Spezialkräfte gehört, sowie für den Kampf gegen Korruption.

Das MGB der »LNR« wird von Leonid Pasetschnik angeführt, einem früheren Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU und späteren »Minister für Staatssicherheit« der »LNR«. Während seiner Zeit beim SBU zuständig für Korruptionsbekämpfung im Gebiet Luhansk erschien Pasetschnik bereits 2015 auf einer Liste der reichsten Separatisten – die »Korruptionsbekämpfung« erwies sich als einträgliches Geschäft. Im Konflikt zwischen Pasetschnik mit seinem »Dienstherrn«, dem »Ministerpräsidenten« der »LNR« bis 2017, Igor Plotnizki, der ihm Amtsmissbrauch vorwarf, obsiegte der MGB-Chef Pasetschnik. Als Plotnizki am 20.11.2017 seinen Innenminister Igor Kornet entlassen wollte, riegelten Soldaten ohne Hoheitsabzeichen das Regierungsviertel ab. Plotnizki war mitnichten »Herr im Hause«, vielmehr waren es die von Moskau unterstützten Chefs des Innenministeriums und des MGB.

Amtsmissbrauch und die Verquickung von Vollzugsgewalt mit krimineller Selbstbereicherung sind ein systematisches Charakteristikum der Herrschaft im Donbas. Ein Beispiel: Der frühere stellvertretende »DNR«-»Ministerpräsident« und Sachartschenko-Vertraute Aleksandr Timofejew muss sich seit August 2021 vor einem Gericht in Moskau (nicht im Donbas) verantworten, weil er dem Unternehmer Sergej Schpak gegen Zahlung von 5 Millionen US$ versprach, die Strafverfolgung wegen Diebstahls bei einer russischen Holding im Umfang von 1,8 Milliarden Rubel einzustellen. Timofejew versprach demnach Schpak, die Strafverfolgung gegen Geldzahlung vom Innenministerium an den FSB zu übergeben, der dann die Ermittlungen nicht weiterverfolgen würde.

Das Fallbeispiel »Kalmius«

Das Bataillon »Kalmius« (später umbenannt in Brigade) illustriert die Transformation von irregulären Kampfgruppen in quasi-staatliche Truppen. Es wurde von »Generalmajor« Walentin Motusenko (nom de guerre »Ataman Iwanowitsch «, geb. 18.05.1964) formell am 21.6.2014 gegründet. Im Bataillon »Kalmius« kamen vorwiegend drei Kohorten zusammen: russische professionelle Söldner mit Ausbildung an schwerer Artillerie, örtliche Freiwillige und wenige Kommandeure mit einer Vergangenheit in nationalistischen Netzwerken oder militanten Vorläuferorganisationen. Walentin Motusenko präsentierte sich in verschiedenen Interviews als Vertreter und Wieder-Erwecker der historischen, rechtgläubigen Kosakenkultur (Slogan »Für den Glauben, den Zaren und das Vaterland«), als Vertreter von Ordnung, Sauberkeit und Familienwerten – im Gegensatz zu den »fremden« Werten des Geldes und des Reichtums – sowie als Repräsentant von »Neurussland« (Novorossija) (https://stopterror.in.ua/info/2015/10/otdelnaya-artillerijskaya-brigada-kalmius-v-ch-08802/). Motusenko hatte 1987 eine höhere »militärpolitische« Ausbildung in Donezk als Teil einer sowjetischen Nachrichteneinheit beendet. Durch den Zerfall der Sowjetarmee arbeitslos geworden, kämpfte Motusenko nach dem Ende der Sowjetunion in Nagornyj Karabach (Berg-Karabach) bis 1993 als Söldner und baute während dieser Zeit ein Netzwerk von Kombattanten auf. Im Jahr 2000 beendete er eine Ausbildung in Wirtschaftsrecht.

Die Offiziere von »Kalmius« bezeichneten sich anfänglich als Angehörige einer Miliz, seit 2015 als Teil der Donezker Volksmiliz. »Kalmius« rekrutierte seine Kombattanten anfänglich aus örtlichen Bergarbeitern und Arbeitern des Donezker metallurgischen Kombinates. Das Kommando über die Artilleriestellungen erforderte allerdings militärische Fachausbildung. Interviews mit »Kalmius«-Kombattanten dokumentieren die aggressive Ablehnung der Regierung in Kiev, sie zeigen vorwiegend Männer, die sich in einer gewaltverherrlichenden Sprache wechselseitig anfeuern (https://www.youtube.com/watch?v=U9hOS1wirUs). Eine dezidierte Antwort, warum sie kämpften, konnte eine Gruppe von ca. 15 interviewten Kombattanten von »Kalmius« kaum geben (»für das Vaterland«, Verteidigung der »Erde«, der »Heimat«, gegen die »Ukropy«, womit die Ukrainer abwertend als »Dill-Kraut« gekennzeichnet wurden). »Kiew« erscheint als Feind, es wird von Faschisten geredet, vom Verkauf der Ukraine an Europa, der Sprachkode ist jedoch auf wenige Schlagwörter beschränkt. Die Erfahrung von Gewalt seitens ukrainischer Streitkräfte gegen Zivilisten dient stets der Rechtfertigung eigener Gewalt.

»Kalmius« wurde seit 2014–15 im Wesentlichen ausgestattet durch »humanitäre Hilfe« aus Russland. Ein Kommandeur von »Kalmius« beklagte sich, dass die Minsker Abkommen sie daran hindere, mit schwerem Kaliber auf die ukrainische Seite zu schießen (https://www.youtube.com/watch?v=_tgHJ1tSuc4). Seit dem zweiten Minsker Abkommen vom Februar 2015 hat sich »Kalmius« von einer Miliz mit Freiwilligen in eine reguläre Armee mit einem Statut, etablierten Kommandostrukturen, einer Garnison, medizinischen und sonstigen Unterstützungseinrichtungen, der regulären Anwerbung und Ausbildung von Rekruten, etablierten Ausbildungs- und Trainingsprogrammen und Truppenübungsplätzen für Artilleriebeschuss verwandelt. »Kalmius« setzt sich aus einem Stab, einer Aufklärungsabteilung, einer »Spezialabteilung« und zwei Artillerieeinheiten zusammen, angeblich ca. 500 Personen. Die Ausrüstung mit schwerer Artillerie besteht überwiegend aus Neuware, d. h. mitnichten aus Waffen, die während Kampfhandlungen erbeutet wurden.

Bewaffnung

Die Ausstattung der Streitkräfte in der »DNR« und »LNR« mit schweren und leichten Waffen, mit Munition, Ersatzteilen, Kraftstoffen und Ausrüstung stammt vor allem aus Beständen des südlichen Militärbezirks der russischen Föderation. Neben Handfeuerwaffen gehören zur Ausstattung der Volksmilizen schwere Waffen, darunter Panzer, Schützenpanzer, Raketenwerfer, Granatwerfer, Haubitzen, Mörser und Panzerabwehrwaffen. Zur Ausstattung gehören zudem eine unbekannte Anzahl an Drohnen und radioelektronische Störanlagen. Laut Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums verfügten die Streitkräfte allein der »DNR« im Jahre 2019 über 285 Panzer, 557 gepanzerte Fahrzeuge, 240 Artilleriegeschütze, 171 Granatwerfer und 122 Raketenwerfer (Дмитрий Кириллов. Мотострелковые корпуса? Что представляют собой «народные милиции» Донбасса, Radio Svoboda 23.02.2020, https://www.svoboda.org/a/30450053.html).

Resümee

Die Konflikte um die Autonomie der Feldkommandeure in den Jahren 2014–15 und um den Oberbefehl der früheren Ministerpräsidenten Sachartschenko (»DNR«) und Plotnizki (»LNR«) mündeten in direkter russischer Befehlsgewalt über die »Volksmilizen«. Zuständig ist die 8. Feldarmee des südlichen Militärbezirks Russlands. An die Stelle von separatistischen Kommandeuren sind russische Befehlshaber (Kuratoren) getreten. Die Zeitsoldaten in den Separatistengebieten schließen Verträge mit den russischen Streitkräften ab, die militärische Ausbildung findet im Gebiet Rostow statt.

Der Konflikt um die Oberhoheit in der »LNR« im November 2017 illustriert ein grundlegendes Problem, nämlich die Konkurrenz der örtlichen Silowiki um den Schutz durch »ihren« jeweiligen Kurator in Moskau. Das Innenministerium und das MGB hatten Rückhalt beim FSB, während Plotnizki – letztlich vergeblich – auf Beistand seitens der russischen Präsidialverwaltung setzte.

Die Silowiki der »DNR« und »LNR« gewährleisten die autokratische und kleptokratische Herrschaft in den De-facto-Regimen und sind entscheidend für deren Steuerung und Kontrolle durch Russland. Autonome lokale Kommandeure wurden sukzessiv ausgeschaltet. Der überdurchschnittliche Sold macht die Silowiki zu den loyalsten Trägerschichten der Separatistenregime, de facto handelt es sich um Militärregime von Moskaus Gnaden. Die Silowiki in der »DNR« und »LNR« sind verantwortlich für systematische Verletzungen von Menschenrechten. Infolge des Drucks russischer Oberbefehlshaber ist die öffentliche Gewalt weitgehend monopolisiert, wenn auch in hohem Maße korrupt.

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