Einführung
Die anhaltende Eskalation und die politische und militärische Erpressung durch Russland hat die Staaten des Westens in intensive Verhandlungen mit dem Kreml treten lassen, um mögliche Wege aus der Krise zu finden. Die Reaktivierung des Normandie-Formats wird als eine mögliche Lösung betrachtet, auch wenn dessen Potenzial, zu einer allgemeinen Entspannung beizutragen, bestenfalls begrenzt ist. Warum werden Gespräche im Normandie-Format in dieser Phase wohl kaum erfolgreich sein, und welche verborgenen Risiken gibt es angesichts der russischen Drohung mit einer weiteren Invasion?
Normandie-Gespräche: die Illusion von Sicherheitgarantien
Die Gespräche auf diplomatischer Ebene zwischen Russland und den USA, Frankreich, Deutschland sowie der NATO und der EU über die Verhinderung einer weiteren Invasion in die Ukraine oder anderer Formen einer hybriden Aggression gegen die Ukraine haben ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, allerdings ohne spürbaren Erfolg. Entgegen dem allgemeinen Eindruck, dass die zur gleichen Zeit erfolgte Reaktivierung des Normandie-Formats durch Kompromisse zwischen Russland und der Ukraine zur Deeskalation beitragen könnte, birgt dies auch Risiken und Nachteile.
Erstens ist das Normandie-Format schlichtweg nicht in der Lage, auf die derzeitigen Herausforderungen zu reagieren und Spannungen von dieser Intensität abzubauen. Die Forderungen, die der Kreml an den Westen richtet, gehen weit über die Umsetzung der Minsker Abkommen hinaus. Die gegenwärtige Krise umfasst viel breitere Fragen als nur die Beilegung des Konflikts im Donbas. Die von Moskau offen formulierten weitreichenden Forderungen, dass die Ukraine auf eine Aussicht auf NATO-Mitgliedschaft verzichten müsse, sind nur ein Beispiel dafür, wie weit die tatsächlichen Absichten und der Appetit des Kremls reichen. Obwohl es gegenwärtig das einzige Verhandlungsformat ist, in das sowohl Moskau als auch Kyjiw eingebunden sind, ist das Normandie-Format somit schlichtweg nicht das richtige Forum für eine Deeskalation zwischen Russland und der Ukraine.
Zweitens ist Russland immer noch daran interessiert, politische Zugeständnisse in Bezug auf die Minsker Abkommen zu erreichen. Der Kreml weiß, dass solche Kompromisse weder die kurzfristige Eskalation noch den langfristigen Konflikt beenden können, aber ausreichen würden, um die Ukraine zu destabilisieren. Die zentrale Forderung, die Russland bei den jüngsten beiden Normandie-Treffen auf Berater:innenebene an die Ukraine stellte, war die nach direkten Verhandlungen zwischen Kyjiw und den international nicht anerkannten Machthabern im besetzten Donbas. Aus den offiziellen Stellungnahmen Moskaus wird deutlich, dass es die politischen Verhandlungen weg vom Normandie-Format hin zur Trilateralen Kontaktgruppe des Minsk-Prozesses verlagern will, wo die »Volksrepubliken« Donezk und Luhansk vertreten sind, wenngleich ohne offiziellen Mitgliedsstatus. Aus Sicht der Ukraine würden Zugeständnisse keine spürbare Deeskalation garantieren, sondern vielmehr ihre Verhandlungsposition stark schwächen. Für Moskau würde dies hingegen neue Vorteile schaffen und es ermöglichen, sich von den aktiven Verhandlungen zurückzuziehen und das Normandie-Format durch einen »direkten Dialog« im Rahmen der Minsker Kontaktgruppe zu ersetzen.
Drittens ist Russland nicht an einem institutionalisierten zwischenstaatlichen Kontakt mit der ukrainischen Regierung interessiert, solange es nicht sicher ist, dass Kyjiw schmerzhaften Kompromisse zustimmt. Das ist der Grund, warum Gespräche auf Berater:innenebene im Normandie-Format das Maximum sind, zu dem Moskau bereit ist. Es sei allerdings daran erinnert, dass dies innerhalb des Normandie-Formats die niedrigste Ebene darstellt.
Was ist zu tun?
Einerseits hat Kyjiw alle möglichen Anstrengungen unternommen, um bei den derzeitigen internationalen Verhandlungen voll beteiligt zu sein und diese aktiv mitzugestalten. Die Ukraine hat ebenso versucht, mögliche Deals zwischen Moskau und dem Westen zu Lasten Kyjiws zu verhindern. Nach den letzten beiden Normandie-Treffen dürfte der ukrainischen Regierung jedoch klar sein, dass dieser Weg den Status quo nicht zugunsten der Ukraine verändern kann.
Jegliche Entscheidungen im Rahmen des Normandie-Formats können nur dann getroffen werden, wenn Moskaus Forderungen voll berücksichtigt werden. Das jüngste, schwierige und ergebnislose Treffen in Berlin hat deutlich gemacht: Russland will nicht einmal die Sicherheitsbestimmungen der Minsker Abkommen erörtern. Unter diesen Umständen ist die sicherste Option, gar keine Abschlusserklärungen oder Dokumente zu unterzeichnen – auch wenn dies angesichts einer drohenden neuen Invasion vielleicht paradox erscheinen mag.
Die westlichen Verbündeten müssen sich die Argumente der Ukraine anhören. Je mehr sie oder Kyjiw versuchen sollten zurückzuweichen, desto geringer werden die Chancen für eine echte Deeskalation und die Vermeidung einer weiteren Aggression sein.
Das bedeutet nicht, dass sich die Ukraine und deren westliche Partner aus den Normandie-Gesprächen zurückziehen sollten. Es wäre aber vernünftig, in der gegenwärtigen Situation den Ansatz zu verändern: Man sollte nicht versuchen, globale Fragen durch Kompromisse über den Donbas und die Minsker Abkommen zu lösen. Und man sollte nicht der Logik des Kremls folgen, dass dieser durch Zugeständnisse auf Kosten des Donbas zu beschwichtigen sei – dies würde den Appetit Moskaus nur steigern.
Stand: 18. Februar 2022
Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder