Russlands Aggression in der Ukraine: die Dokumentation der aus dem Konflikt resultierenden Verbrechen

Von Kateryna Busol (Nationale Universität Kyjiwer-Mohyla-Akademie/Leibniz Institut für Ost- und Südosteuropäische Studien, Regensburg), Dmytro Koval (Nationale Universität Kyjiwer-Mohyla-Akademie)

Zusammenfassung
Der folgende Artikel zeichnet die Entwicklung der Bemühungen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und dem ukrainischen Staat nach, konfliktbezogene Verbrechen auf dem Gebiet der Ukraine, die im Zusammenhang mit der russischen Aggression seit 2014 begangen wurden, zu dokumentieren. Der Beitrag analysiert weiterhin, wie die Erfahrungen von 2014 bis 2021 die Dokumentation von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen seit der russischen Invasion im Februar 2022 beeinflusst haben.

Einleitung

Die Ereignisse in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 dominieren seit Monaten die Schlagzeilen der internationalen Presse. Unter anderem durch diese Berichterstattung ist der Eindruck entstanden, dass der bewaffnete Konflikt zwischen Russland und der Ukraine erst im Februar 2022 begonnen hat und dass internationale und ukrainische NGOs und auch der ukrainische Strafverfolgungsapparat es erst seit diesem Zeitpunkt für notwendig halten, Ermittlungen zu Kriegsverbrechen und anderen aus dem Konflikt resultierenden Rechtsverletzungen anzustellen und diese zu dokumentieren. Der lokale und latente Charakter von Russlands Besetzung der Krim und der darauf folgende Stellvertreterkrieg in den Oblasten Donezk und Luhansk im ukrainischen Donbas brachten es mit sich, dass nicht nur zahlreiche internationale Beobachter, sondern auch einige ukrainische Bürger, unter ihnen auch Ermittler, Strafverfolger und Richter, die Illusion von der scheinbaren Einzigartigkeit der Aggression vom Februar 2022 teilten.

Allerdings hat unter anderem die Staatsanwaltschaft des Internationalen Strafgerichtshofs vorläufig bestätigt, dass der bewaffnete Konflikt in der Ukraine faktisch und aus Sicht des internationalen Rechts zumindest seit der Besetzung der Krim im Februar 2014 existiert. Seitdem sind verschiedene ukrainische und internationale Akteure mit der Dokumentation von mutmaßlich aus dem Konflikt resultierenden Verbrechen befasst. Diese Arbeit ist eine unschätzbar wichtige Grundlage, die die Ukraine zur Bearbeitung neuer Verbrechen nach Februar 2022 braucht – deren Grausamkeit und geografische Reichweite schockierender Weise noch größer geworden sind.

Die wichtigsten Interessensgruppen

Auf dem Territorium der Ukraine hatte es seit dem Zweiten Weltkrieg keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr gegeben. Die Strafjustiz war daher nachvollziehbarerweise nicht wirklich vorbereitet auf den Umgang mit den neuartigen – und aus Sicht der Beweisführung sehr herausfordernden – Verbrechen, die aus dem Konflikt resultieren. In manchen Bereichen des Staatsapparats führten Relikte aus der Sowjetzeit in der internen Kultur und den Hierarchien dazu, dass die ukrainischen Ermittler und Strafverfolger ihre fehlende Expertise über Kriegsverbrechen erst nach einiger Zeit erkannten und auch erst dann bereit waren, externe Beratung durch NGOs, ukrainische und ausländische Anwälte und auf internationales Recht spezialisierte Wissenschaftler in Anspruch zu nehmen (mit denen sie später eng zusammenarbeiteten).

Während infolge der großflächigen Invasion der russischen Armee 2022 zahlreiche internationale Ermittlerteams vor Ort eintrafen, etwa des Internationalen Strafgerichtshofs, kamen die Voruntersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs zur Situation in der Ukraine und eventuellen Verfahren in anderen Staaten zwischen 2014 und 2021 nur recht mühsam voran. Angesichts dieser Faktoren und der führenden Rolle der ukrainischen Zivilgesellschaft bei der Revolution der Würde 2013/14 überrascht es nicht, dass es Menschenrechts-NGOs waren, die als erste auf die aus dem Konflikt resultierenden Verbrechen reagierten, die seit dem Beginn der russischen Aggression 2014 verübt wurden.

Dokumentation durch die Zivilgesellschaft

Die Akteure des Nichtregierungsspektrums, die mit der Dokumentation befasst sind, können in sechs Kategorien unterteilt werden:

  1. große und etablierte ukrainische NGOs, die schon zu vielen verschiedenen Menschenrechtsthemen gearbeitet haben und die ihre Arbeit nun auf aus dem Konflikt resultierende Verbrechen ausgeweiteten (zum Beispiel die Ukrainische Helsinki-Gruppe, das Center for Civil Liberties und die Charkiwer Menschenrechtsgruppe);
  2. ukrainische NGOs, die sich auf die Dokumentation von aus dem Konflikt resultierenden Verbrechen konzentrieren (Truth Hounds, Ukrainian Legal Advisory Group);
  3. ukrainische NGOs, die umsiedeln mussten (zum Beispiel die Menschenrechtsgruppe Krim, die kürzlich in Russland zur unerwünschten Organisation erklärt wurde oder das ursprünglich ebenfalls auf der Krim ansässige Regionalzentrum für Menschenrechte);
  4. NGOs, die thematisch auf die Dokumentation von Kriegsverbrechen und andere Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Bereichen ausgerichtet sind, etwa religiöse Freiheiten, aus dem bewaffneten Konflikt resultierende sexuelle Gewalt, Umweltvergehen oder Verbrechen gegen Kulturgüter; zum Beispiel sind das die Ukrainische Vereinigung von Anwältinnen, die ihre Arbeit ausgeweitet hat und nun zusätzlich zu geschlechtsspezifischer häuslicher Gewalt und auch zu sexueller Gewalt arbeitet, die aus dem bewaffneten Konflikt resultiert, das Krim-Institut für Strategische Studien, das sich auf Rechtsverletzungen gegen das kulturelle Erbe der Krim konzentriert, und das Institut für Religionsfreiheit, das zu Verbrechen gegen geistige und Religionsfreiheit in den besetzten Gebieten arbeitet;
  5. internationale NGOs, die bereits seit 2014 durchgängig in der oder zur Ukraine arbeiten (Amnesty International, Human Rights Watch);
  6. internationale NGOs, die bereit sind, ihre Arbeit angesichts des russischen Einmarschs von 2022 auf den ukrainischen Kontext auszuweiten.

Seit Beginn des bewaffneten Konflikts zwischen Russland und der Ukraine haben mit dessen Dokumentation befasste zivilgesellschaftliche Organisationen gemeinsame Dokumentationsteams aufgestellt, deren Ergebnisse zu Menschenrechtsverletzungen und aus dem bewaffneten Konflikt resultierenden Kriegsverbrechen veröffentlicht, Mitteilungen beim Internationalen Strafgerichtshof vorgelegt (manche gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft der Krim) und auch entsprechende Schulungen für ukrainische Ermittler und Strafverfolger organisiert.

Durch die massive Invasion im Februar 2022 wurde eine noch engere Zusammenarbeit nötig. Daher haben die größten ukrainischen NGOs in diesem Bereich zwei breit angelegte gemeinsame Bündnisse ins Leben gerufen: »5 Uhr morgens« (benannt nach der Uhrzeit, zu der Präsident Putin seine »militärische Spezialoperation« gegen die Ukraine ausgerufen hat) und »Tribunal für Putin« (der Name macht unmissverständlich klar, dass die Verteidiger der Menschenrechte heute – anders als zwischen 2014 und 2021 – nicht nur Daten für anhängige und potenzielle nationale und internationale Verfahren wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie eventuell für Verfahren wegen Völkermords sammeln, sondern außerdem auch Beweise für einen möglichen Prozess gegen die politische und militärische Führung Russlands wegen jenes Verbrechens, das »in sich alle Schrecken der anderen Verbrechen einschließt und anhäuft« (Zitat aus dem Urteil im Nürnberger Prozess, Anm. d. Red.) – dem Verbrechen des Angriffskriegs.

Die in der Ukraine tätigen NGOs haben ihre Kräfte zwar schon bei vielen Anlässen zusammengeschlossen, sie haben jedoch noch kein übergreifendes gemeinsames Dokumentationssystem geschaffen, das strategisch arbeitet und Synergien nutzt – weder innerhalb der NGO-Community selbst noch bezogen auf die Zusammenarbeit zwischen dieser und den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden. Dieser Umstand ist nicht notwendigerweise schlecht, sondern eher eine Folge der diversifizierten und wettbewerbsorientierten Sphäre der NGOs sowie der ukrainischen Behörden, die noch immer sehr vorsichtig sind, wenn es um eine engere Zusammenarbeit mit Menschenrechtsgruppen geht.

Staatliche Dokumentation

Auch die Regierungsseite – Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden sowie das Büro des Generalstaatsanwalts – begann schon 2014, sich mit aus dem Krieg resultierenden Verbrechen zu beschäftigen. Anders als die NGOs, die sich bereits seit 2014 von internationalen Experten schulen lassen, verwendeten die Regierungsstellen vorerst ihre traditionellerweise für Kriminalfälle eingesetzten Werkzeuge, an die sie aus »normalen« Friedenszeiten gewohnt waren. Nach und nach wurde ihnen jedoch bewusst, dass angesichts der neuen Kriegsrealität eine neue und darauf abgestimmte Antwort der Strafjustiz erforderlich war. Dazu sollten eine angemessene Dokumentation der neuartigen aus dem Krieg resultierenden Verbrechen gehören, eine juristische Qualifizierung des jeweiligen strafbaren Verhaltens, die dessen Umstände und Kontext berücksichtigt (also die Existenz des bewaffneten Konflikts auf dem Territorium der Ukraine und den Zusammenhang des mutmaßlich strafbaren Verhaltens zum Krieg), und ein anderer Umgang mit vulnerablen Opfern und Zeugen bzw. besondere Schutzmaßnahmen für diese.

Die genannten Herausforderungen – und die Notwendigkeit neuer konfliktspezifischer Methoden – haben zu einer allmählichen Spezialisierung von Ermittlern und Strafverfolgern geführt. Das Büro der Staatsanwaltschaft für die Krim war Vorreiter wenn es um die innerstaatliche Anwendung von Mechanismen des Völkerstrafrechts ging sowie in der Beweisführung – wie auch der Ausarbeitung von Fällen – anhand speziell auf den Konflikt zugeschnittener Anklagepunkte. 2018 stellte die Behörde ihre Strategie zur Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrechen auf der besetzten Krim vor und erläuterte dabei ihren übergreifenden Ansatz, der die russische Politik auf der Krim als neokolonialistisch einstuft und alle damit zusammenhängenden Verbrechen vor diesem Hintergrund einordnet. Die Spezialisierungsbestrebungen führten dazu, dass 2019 bei Polizei und Generalstaatsanwaltschaft auf Kriegsverbrechen spezialisierte Einheiten gegründet wurden.

Im Mai 2022 wurde, als Reaktion auf Russlands Invasion, und auf Initiative der USA, Großbritanniens und der EU, die Atrocity Crimes Advisory Group (ACA) gegründet. Sie basiert auf zwei Säulen: einer Beratergruppe der Generalstaatsanwaltschaft und mobilen juristischen Einsatzteams. Diese beiden Elemente bringen führende internationale und ukrainische Experten mit unterschiedlichen Schwerpunkten – auf investigativem, strafverfolgerischem, forensischem oder psychologischem Gebiet – zusammen, um die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen zu unterstützen.

Die Eskalation im Februar 2022 förderte außerdem breiter angelegte und weniger in juristischem Fachjargon formulierte journalistische und akademische Dokumentationen. Solche nichtjuristischen, personenbezogenen Initiativen sind begrüßenswert, da sie ein breiteres Publikum erreichen können. Gleichzeitig haben sie, genau wie die Arbeit der Menschenrechts-NGOs und der Strafjustiz, deutlich gezeigt, wie schwierig der Dokumentationsprozess ist und wie fragil das menschliche Gefüge, mit dem sie es zu tun haben – und welches die größten Herausforderungen für alle Beteiligten sind, allen voran für die Überlebenden von Gräueltaten.

Herausforderungen und mögliche Lösungen

Die Dokumentationslandschaft in der Ukraine besteht also aus sehr unterschiedlichen Akteuren: staatlichen und nichtstaatlichen, ukrainischen und internationalen. Einerseits erhöht dies die Menge der Beweise und der beim Internationalen Strafgerichtshof eingereichten Meldungen und dort durchgeführten Untersuchungen. Andererseits birgt dies einige Fallstricke für ein effektives und zielgerichtetes Dokumentieren:

  1. Nach neun Jahren bewaffneten Konflikts hat die Ukraine noch immer keine zentrale Datenbank für Beweise und Untersuchungen, die alle staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen nutzen könnten, die mit der Dokumentation von Verbrechen im Kontext der russischen Aggression befasst sind. Mehrere Optionen wurden hierfür getestet, keine wirklich akzeptiert und noch immer laufen Gespräche darüber, ob neuere Varianten verwendet werden sollten. Die neue Welle der russischen Aggression von 2022 bedeutete neue Herausforderungen für die Akteure der Dokumentation und auch für die zugehörigen Datenbanken. Diese sind die Onlineplattformen der Generalstaatsanwaltschaft, des Internationalen Strafgerichtshofs und der ukrainischen Zivilgesellschaft sowie eine eigene des Kulturministeriums für Verbrechen gegen das kulturelle Erbe.
  2. NGOs haben kein gemeinsames oder untereinander abgestimmtes Verständnis von Zielen und Strategien bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen. Das muss nicht immer schlecht sein. Verschiedene NGOs können verschiedene Aktivitäten übernehmen (zum Beispiel potenzielle gemeinsame Gerichtsverfahren erarbeiten, Meldungen beim Internationalen Strafgerichtshof einreichen, die Arbeit der ukrainischen Ermittler und Strafverfolger erleichtern). Wenn sich die Aktivitäten jedoch überschneiden, kann ein gemeinsames Verständnis von den Zielen der Arbeit sehr hilfreich sein.
  3. Je mehr Akteure an der Dokumentation beteiligt sind, desto höher ist das Risiko der Beeinträchtigung von Beweisen und desto schwerer ist es, zu einer gemeinsamen Strategie und einer gemeinsamen Methode bei der Dokumentation zu finden. Auch der Interventionsspielraum des Internationalen Strafgerichtshofs wird kleiner, wenn es weniger bereits interviewte Zeugen und Opfer gibt.
  4. Die meisten, wenn nicht sogar alle ukrainischen NGOs, kennen das öffentliche Bild der Anwälte in der Ukraine. Tonfall und Inhalt ihrer Kommentare in sozialen Medien, Interviews und öffentliche Äußerungen setzen unparteiische Leser über die (häufig ziemlich festgelegten) Sympathien der Organisationen in Kenntnis. Das kann zu Voreingenommenheit führen und sich auf Gerichtsverfahren letzten Endes unbeabsichtigter Weise kontraproduktiv auswirken.
  5. Die Arbeit der staatlichen auf Kriegsverbrechen spezialisierten Einheiten und anderer wichtiger staatlicher Akteure kann durch politische Notwendigkeiten geschwächt werden. Erstens sollten sämtliche Anschuldigungen über Fehlverhalten ukrainischer Soldaten ordnungsgemäß dokumentiert und untersucht werden, auch wenn – laut Vereinten Nationen – die ganz überwiegende Mehrheit der mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt Russland zugeschrieben werden kann. Zweitens sollten offizielle Meldungen zu mutmaßlichen Gesetzesübertretungen sehr sensibel formuliert werden, unparteiisch und respektvoll gegenüber den Opfern sein. Die unprofessionelle Kommunikation der Ombudsfrau der Ukraine über mutmaßlich im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt ausgeübte sexuelle Gewalt hat nicht nur der Glaubwürdigkeit ihres Amtes geschadet, sondern – noch schlimmer – auch ungerechtfertigte Zweifel an der Verübung solcher Verbrechen während Russlands Aggression aufkommen lassen.
  6. Die massive Ausweitung der russischen Aggression hat den Bedarf an staatlicher Expertise zu aus dem Konflikt resultierenden Verbrechen im ganzen Land drastisch erhöht. Die Ukraine hat nach 2014 investigative und Strafverfolgungsteams aufgebaut, um die mutmaßlichen Kriegsverbrechen auf der besetzten Krim und im Donbas zu bearbeiten. Nachdem seit dem 22. Februar allerdings praktisch die komplette Ukraine zu einem Tatort geworden ist, mussten sich die Strafverfolger im gesamten Land rasant weiterqualifizieren, wobei sie hauptsächlich direkt im Einsatz dazulernten. Angesichts dieses Lernens am und im Notfall war die Errichtung der ACA und der mobilen juristischen Einsatzteams besonders relevant; ähnliche Initiativen, die ausländisches und ukrainisches Fachwissen zusammenführen, sollten unterstützt werden.
  7. Proaktive Hilfsbereitschaft sollte immer von professionellen Informationen flankiert werden, vor allem bei der Kommunikation mit Überlebenden von Gräueltaten. Immer mehr Opfer werden mehrfach befragt, von verschiedenen NGOs, dem Staat, ausländischen Rechercheteams, journalistischen und wissenschaftlichen Akteuren. Das schadet der Integrität des Beweismaterials (wird eine Geschichte immer wieder wiederholt, wird sie in bestimmter Weise erinnert). Am gravierendsten ist allerdings, dass unsensible Befragungen und Überdokumentation stark retraumatisierend wirken. Ausgehend vom »do-no-harm«- Prinzip, um weitere Schäden bei den Opfern zu vermeiden, muss das Wohlergehen der Überlebenden der Grundstein jeglichen Dokumentationsprozesses sein.
Fazit

Die Zahl der Akteure, die Kriegsverbrechen in der Ukraine dokumentieren, wird wahrscheinlich nicht zurückgehen. Bei der Koordinierung der relevanten Organisationen sind zwar Verbesserungen möglich, in absehbarer Zeit sollte aber keine umfassende Abstimmung der Ziele und Interessen erwartet werden, weder innerhalb der NGO-Community noch zwischen nichtstaatlichen und staatlichen Akteuren. Die Integration von internationalem und nationalem Wissen wird sowohl die staatlichen als auch die nichtstaatlichen Bemühungen zur Dokumentation deutlich stärken. Angesichts der umfangreichen Erfahrungen seit 2014 sollten NGOs auch versuchen, ihre Arbeit auf ihren jeweils etablierten Spezialgebieten aufrechtzuerhalten und diese nicht auf uninformierte – wenn auch gut gemeinte – Weise auf die Dokumentation neuer Verbrechen auszudehnen, vor allem angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit der Retraumatisierung der Opfer. Auch bei den größeren Prozessen der Übergangsjustiz, der Reintegration und der Versöhnung sollte das Wohl der Überlebenden und der Opfer bei allen Dokumentationsschritten in den Mittelpunkt gestellt werden.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt


Beide Autoren haben intensiv mit der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine, der Staatsanwaltschaft der Krim und politischen Entscheidungsträgern sowie mit führenden Menschenrechts-NGOs wie Truth Hounds, der Ukrainischen Helsinki-Gruppe und der Medieninitiative für Menschenrechte zusammengearbeitet – zu unterschiedlichen Themen von Verantwortung und Übergangsjustiz im Kontext des bewaffneten Konflikts zwischen Russland und der Ukraine.

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